Georges Dumézil

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. August 2016 um 11:38 Uhr durch Lektor w (Diskussion | Beiträge) (passender Link). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Georges Dumézil (* 4. März 1898 in Paris; † 11. Oktober 1986 ebenda) war ein französischer Religionswissenschaftler und Soziologe, der für seine Analyse urindogermanischer Religion und Gesellschaft berühmt wurde. Er wird heute als einer der bedeutendsten Beitragenden zur Mythographie, besonders für seine Formulierung der trifunktionalen Hypothese sozialer Klassen in skandinavischen Gesellschaften angesehen.

Leben

Georges Dumézil war von 1931 bis 1933 Lektor für Französisch an der Universität Uppsala, wo er bleibende Kontakte zu schwedischen Religionshistorikern knüpfte.[1] Er wurde unter anderem von James Frazer und dem deutschen Indogermanisten Hermann Güntert beeinflusst, später auch von dem Saussure-Schüler Antoine Meillet. Er publizierte auch in der Festschrift für Hermann Hirt, Germanen und Indogermanen (1936). Zu seinen Schülern gehörte Roger Caillois.

Werk

Dumézil sah Mythen, die er nicht historisch, sondern strukturalistisch behandelte, als soziale Muster an. Er entwickelte dafür eine Methode der komparativen Mythologie, nach der zwei Götter identisch waren, wenn sie in ihrem jeweiligen Pantheon analoge Funktionen wahrnahmen. Er unternahm es, in vergleichender Methode bislang unerkannte, aber schlagende Strukturparallelen indischer, persischer, ossetischer, griechischer, römischer und germanischer Götter- und Heldensagen aufzudecken. Dumézil erkannte darin eine Analogie zwischen indogermanischer Sprachentwicklung und indogermanischer Religionsentwicklung.

Seine strukturelle Theorie baut auf der These auf, dass der Götterhimmel ein Abbild der Gesellschaft ist. Viele indogermanischen Kulturen bestanden aus den drei freien Ständen Lehrstand, Wehrstand und Nährstand. Darauf folgerte Dumézil folgendes Schema: Hell-Juridisch: ind. Mitra, röm. Dius Fidus, germ. Tyr, keltisch Teutates; Funktion: Richter, Gesetzgeber, hält sich im Hintergrund Dunkel-Magisch: ind. Varuna, röm. Jupiter, germ. Odin; Funktion: Herrscher, wird oft als ungerecht empfunden Stärke: ind. Indra, röm. Mars, germ. Thor, keltisch Taranis; Funktion: Held mit einer primitiven Waffe (Keule, Hammer), tötet die Wasserschlange Fruchtbarkeit: ind. Nasatya, röm. Quirinus. germ. Njörd & Freyr; Funktion: Wohltäter des Volkes

Das System erwies sich als geeignetes Muster und brachte der vergleichenden Religionswissenschaft einen Schub in der Entwicklung. Die Namen (und deren Etymologie) traten in den Hintergrund zugunsten von Sagen, Mythen und struktureller Eigenschaften, die bestimmte Gottheiten miteinander verbinden. So wurde ein heldenhafter Donnergott fassbarer als bisher. Der germanische Thor und der indische Indra trinken und essen überreichlich, sind jähzornig und bekämpfen, wie auch der baltische Perkunas (slawisch: Perun) ein drachenartiges Wesen.

Daneben postulierte er eine Urideologie, die in der Urreligion eine Projektion zeitgenössischer gesellschaftlicher Verhältnisse sah. Dabei ging er von einer dreiteiligen Ständegesellschaft aus („idéologie tripartite“): Priesterstand, Kriegerstand und Bauernstand. Dies spiegle sich im „Ur-Pantheon“, den Mythen und Heldengedichten wider. So fänden sich dann überall Gottheiten, die Recht und Ordnung, andere die die unberechenbare Gewalt und wieder andere die die Fruchtbarkeit verträten.[2]

Er interessierte sich auch für arische Männerbünde und beschreibt unter anderem (1940) vedische Männerbünde. Sein Werk Ouranós-Varuna ist dem Problem des sakralen Königtums gewidmet, bei dem die Könige rituell verstümmelt und getötet werden.

Die Begrenztheit seines Dreiklassenmodells „Priester, Krieger, Bauer“ zeigt sich in der frühen skandinavischen Gesellschaft, die einen Priesterstand nicht kannte. In der Rígsþula der Edda wird dagegen ein Dreiklassenmodell „Adel, Freier Bauer, Sklave“ vorgestellt. Der Königsspiegel beschreibt vier Klassen: Kaufleute, Aristokratie mit dem König an der Spitze, Geistlichkeit und Bauern.[3]

In den letzten Jahren seines Lebens wurde Dumézil jedoch sehr selbstkritisch. Obwohl er als einer der größten Verfechter der indogermanischen Sprachenforschung galt, begann er vor allem diese in Frage zu stellen: Die “Indo-europäischen Zivilisationen” sind als Produkte von Romanautoren einzustufen.[4]

Außer seinen mythographischen und sprachgeschichtlichen Schriften veröffentlichte Georges Dumézil einen Roman: Le Moyne noir en gris dedans Varenne. Sotie nostradamique.

Schriften

  • Ein beinahe vollständiges Schriftenverzeichnis findet sich in: Hommages à Georges Dumézil. Bruxelles, 1960 (Collection Latomus, 45), S. xi-xxii.
  • 1924: Le Festin d'immortalité
  • 1929: Le Problème des Centaures
  • 1934: Ouranós-Varuna
  • 1935: Flamen-Brahman
  • 1936: Mythes et dieux des Germains, Essai d'interprétation comparative, Paris 1939 (PUF)
  • 1940: Mithra-Varuna, Essai sur deux représentations indo-européennes de la Souveraineté. Paris 1940 (PUF)
  • Loki (1959)
  • Aspekte der Kriegerfunktion bei den Indogermanen (1964)
  • Mythos und Epos II. Die erleichterte Erde. (1992)
  • Der schwarze Mönch in Varennes (1991, 2002)
  • Mythos und Epos. Die Ideologie der drei Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker (1989)

Fußnoten

  1. Drobin S. 65.
  2. Drobin S. 67.
  3. Sverre Bagge: „Old Norse Theories of Society. From Rígþula to Konungs skuggsiá.“ In: Jens eike Schnall, Rudolf Simek (Hrg): Speculum Regale. Der Altnorwegische Königsspiegel (Konungs skuggsjá) in der europäischen Tradition. Wien. 2000. Studia Septentrionalia 5. S. 7–45, 9 f.
  4. Didier Eribon: Entretien avec G. Dumezil, Gallimard, Paris 1987, S. 220.

Literatur

  • Hommages à Georges Dumézil. Bruxelles, 1960 (Collection Latomus, 45). – (Festschrift)
  • Ulf Drobin: Indoeuropeerna i myt och foskning. In: Gro Steinsland, Ulf Drobin, Juha Pentikäinen, Preben Meulengracht Sørensen (Hrsg.): Nordisk Hedendom. Et Symposium. Syddansk Universitetsforlag, Odense 1991, S. 65–85.
  • Didier Eribon: Faut-il brûler Dumézil? Mythologie, science et politique. Flammarion, Paris 1992, ISBN 978-2-080-66709-0.
  • Stephan Moebius: Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie 1937–1939. Konstanz: UVK, 2006. ISBN 3-89669-532-0
  • Bernfried Schlerath: Georges Dumézil und die Rekonstruktion der Indogermanischen Kultur. Kratylos 40/41 1996, S. 1–48, 1–67.
  • Zeitschrift für Religionswissenschaft 98, 2 1998, Themenausgabe: „Georges Dumézil“ darin:
    • Guy G. Stroumsa: Georges Dumézil. Ancient German Myths, and Modern Demons. S. 125–136.
    • Max Deeg: Dumézil 'in practice': der 'Fall' Varuna und Odin. S. 137–162.
    • Nick Allen: Varnas, colours, and functions. Expanding Dumézil's schema. S. 163–177.
    • David H. Sick: Dumézil, Lincoln, and the Genetic Model. S. 179–195.
    • Carlos Marroquin: Bemerkungen zu einem Thema der Mythosforschung bei Georges Dumézil und Roger Callois. S. 197–206.
    • Cristiano Grottanelli: Dumézil's Aryens in 1941. S. 207–219.
    • Bruce Lincoln: Dumézil, Ideology, and the Indo-Europeans. S. 221–227.

Weblinks