Gilles Joye

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Gilles Joye (* 1424/25 in der Diözese Tournai (?); † 31. Dezember 1483 in Brügge) war ein flämischer Theologe, Dichter, Sänger und Komponist.

Leben

Vermutlich ist Gilles Joye der Sohn Oliver Joyes, der um 1420 in Courtrai ein Haus besaß. Über Gilles Ausbildung ist nichts bekannt.

Am 16. Mai 1449 ist Gilles Joye zum ersten Mal dokumentarisch nachweisbar: er war Sänger an Saint-Donatian in Brügge, jener Kathedrale also, der er sein Leben lang verbunden bleiben sollte. Mehrere Dienstvergehen des jungen Mannes sind in den Kapitelakten vermerkt. So wurde am 15. März 1451 über ihn berichtet, er habe während der Messe am vergangenen Weihnachtstag zusammen mit seinen Freunden Johannes Band und Jacobus Tayaert Spottverse auf seine Kollegen vorgelesen. Am 19. August 1451 wurde er wegen Teilnahme an einem Straßenkampf ermahnt, am 27. September 1451 wegen eines Wortwechsels mit dem Schulmeister, den er einen ‚confabulando ... ut iret in locum suum‘ genannt habe. Am 7. Januar 1452 rügte das Kapitel Joye, Tayaert, Leonis und den Komponisten Cornelius Heyns wegen ihrer ausdrücklichen Weigerung, dem Succentor beim Motettensingen am Vorabend von Epiphanias zu assistieren; damit hatten sie gegen die Entscheidung des Kapitels protestiert, künftig das traditionelle Eselsfest zu unterdrücken.

Von 1453 bis 1460 war Joye Kanonikus an der Stiftskirche Mariae Himmelfahrt in Kleve. Ob dieses Amt mit Residenzpflichten verbunden war, ist nicht bekannt. Als Joye sich am 27. November 1454 wieder einmal als Chorsänger an Saint-Donatian in Brügge bewarb, wurde ihm bedeutet, dass er zuerst seinen Lebenswandel bessern müsse und lernen, seine Zunge im Zaum zu halten (‚abstinere ab ablocutionibus quibus habundare consuevit‘), sich vor allem aber von seiner Konkubine zu trennen habe, die bei ihm lebe und im Volk als ‚Rosabelle‘ (‚vocatam in vulgo Rosabelle‘) bekannt sei.

Am 16. September 1459 wurde Joye Kanoniker an Saint-Donatian in Brügge, ein Jahr später, am 3. November 1460, Kaplan an Saint-Basil, einer Dependance Saint-Donatians.

Seit September 1462 gehörte Joye der Hofkapelle Philipp des Guten an, zuerst als clerc, später als chappelain, und wirkte, 1467 von Karl dem Kühnen übernommen, an der Seite solch bedeutender Komponisten wie Hayne van Ghizeghems, Robert Mortons, Antoine Busnoys bis 1468 in dieser Institution. Danach pausierte er aus Krankheitsgründen, gehörte der Kapelle aber offiziell bis 1470/71 an.

Auch während seiner Mitgliedschaft in der Hofkapelle hat Joye Aufgaben als Kleriker und Musiker an verschiedenen Kirchen wahrgenommen. Von 1465 bis 1473 war er Pfarrer (pastor parochialis) an Saint-Hippolyte (Oude Kerk) in Delft. Er diente verschiedene Male an Saint-Donatian als musikalischer Sachverständiger, z.B. bei den Aufnahmeprüfungen angehender Chorknaben.

1470 stiftete er als Kanoniker von Saint-Johannes-van-der-Coutre größere Geldbeträge für die Chorknaben und spendete als magister fabrice 1467-69 für die Kopie polyphoner Musik viel Geld. 1468 administrierte er die herzoglichen Stiftungen und erwarb zwei kostbare Gradualien beim Buchhändler Jean de Clerc, dem er die Kaufsumme 1481 und 1482 aber noch immer schuldete. 1482 wohnten Joye und der Sänger Pierre Basin dem Probespiel von 3 Bewerbern für das Amt des Organisten an Saint-Donatian bei. Das Amt erhielt schließlich Eustacius de Paris.

Gilles Joye starb am 31. Dezember 1483 und trotz mancher Schwierigkeiten, die sich beim Begleichen seiner Schulden ergaben, erhielt er ein schönes Begräbnis, zu dem die Glocke ‚Lenaerd‘ der Kathedrale Saint-Donatian läutete. viele Seelenmessen wurden zu seinem Gedenken gelesen, für die er eine Stiftung hinterlassen hatte. Sein Grab befand sich in der Sakristei der Kathedrale.

Gilles-Joyes-Portrait

Wahrscheinlich hat sich Gilles Joye selbst als eine wichtige Person wahrgenommen. Zeugnis von diesem Bewusstsein legt das exzeptionelle, 1472 entstandene und Hans Memling zugeschriebene Porträt Joyes ab. Einer Inschrift auf dem Rahmen ist zu entnehmen, dass Joye damals 47 Jahre alt war. Ursprünglich war es die rechte Tafel eines Diptichons, dessen linke, verschollene, Seite die Mutter Gottes mit dem Kind zeigte. Joye wird nicht als Musiker dargestellt, ebenso wenig wie Jacob Obrecht über 20 Jahre später, sondern als Adorant. Auffällig sind 2 goldene Ringe an der linken Hand. Einer zeigt das Wappen Joyes, wie es von seinem Grabmal bekannt ist, der andere einen blauen Stein.

Das Werk

Von Gilles Joye sind nur 5 Chansons überliefert. Stilistisch vermitteln sie zwischen den Chansons Gilles Binchois und Antoine Busnoys.

  1. Ce qu’on fait catimini (Rondeau, vor 1475/6);
  2. Mercy, mon dueil, je te supplie (Rondeau, vor 1475/6);
  3. Non pas que je venille penser (Rondeau, vor 1475/6);
  4. Poy ché crudel Fortuna et rio Distino (Ballade, Text von Rosello Roselli, vor 1460);
  5. textloser Satz in Trienter Codex 90, fol. 295 (vor 1460).

Die Überlieferung einiger Chansons in italienischen Quellen hat Anlass zur Vermutung gegeben, Joye habe einige Zeit in Italien gelebt. Doch konnte für diese Annahme bisher nicht der geringste dokumentarische Anhaltspunkt gefunden werden.

2 Messen O rosa bella

Vielleicht ist Joye auch der Autor zweier anonym überlieferter Messen „O rosa bella“ (Trienter Codex 88, Nr. 475-479 und Trienter Codex 90, Nr. 1114-1118), deren Titel eine versteckte Huldigung an die Rosabella sein könnte, deretwegen Joye 1454 gerügt wurde. Stilistisch könnten die Messen zu Joye passen.