Haus Carstanjen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. Oktober 2016 um 20:29 Uhr durch Leit (Diskussion | Beiträge) (Kategorie:Villa in Bonn). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Haus Carstanjen (2007)

Haus Carstanjen (auch Villa Carstanjen, Haus von Carstanjen[1]) ist ein Schloss bzw. eine Villa in Plittersdorf, einem Ortsteil des Bonner Stadtbezirks Bad Godesberg. Es befindet sich oberhalb des Rheinufers (Von-Sandt-Ufer) an der Martin-Luther-King-Straße (Hausnummer 8) im Norden des Ortsteils. Das Haus Carstanjen steht einschließlich der Parkanlage als Baudenkmal unter Denkmalschutz[2] und umfasst auch einen als Bürogebäude dienenden Erweiterungsbau.

Luftaufnahme

Geschichte

Auerhof/Villa Carstanjen

Das schlossartige Anwesen geht auf die „Plittersdorfer Aue“ bzw. den „Auerhof“, einen Fronhof des Kloster Heisterbachs zurück, den es gemäß Urkunden als Allod 1197 teilweise und 1318 vollständig[3] erworben hatte. Im 18. Jahrhundert entstand der Kern des heutigen Baukörpers.[4] Im Zuge der Säkularisation auf dem Linken Rheinufer (1802) gelangte der Hof in Staatsbesitz und wurde am 24. Februar 1807 vom Bankier Abraham Schaaffhausen erworben. Der Auerhof verfügte als sogenannte villa rustica über einen umfangreichen wirtschaftlich genutzten Landbesitz, im Jahre 1824 über 490 Morgen, der von Pächtern bewirtschaftet wurde. Der zur Villa gehörige Garten umfasste eine Fläche von 25 Morgen und verfügte über Obstplantagen und Treibhäuser, die auf Betreiben von Schaaffhausen und seiner Tochter Sibylle angelegt worden waren. Nach dem Tod Schaaffhausens 1824 ging das Anwesen in den Besitz seiner Tochter Sibylle und ihres Mannes Joseph Ludwig Mertens über. In Folge des Todes ihres Mannes (1842) musste Sibylle den Auerhof verkaufen. Neuer Eigentümer wurde 1847 die Familie Solf.[5]

1881 erwarb der Kölner Bankier Wilhelm Adolf von Carstanjen (1825–1900, 1881 geadelt) die Villa und bestimmte sie zu seinem Sommersitz, als den er sie aber nur wenige Jahre nutzte und frühzeitig seinem Sohn Robert übergab. Vermutlich im Zusammenhang mit seiner Adelung wandelte er den Hof zum Fideikommiss um.[6]:37 Er und sein Sohn Robert ließen anstelle des vorhandenen Gebäudes durch mehrfache Umbauten das heutige Schloss errichten: 1892 eine Erweiterung in neogotischen Formen nach Plänen der Architekten August Hartel und Skjøld Neckelmann (1854–1903)[4], 1895–1896 eine Erweiterung nach Plänen des Kölner Architekten Johannes Baptist Kleefisch um einen Saalanbau an der Südostecke und einen Küchenanbau an der Südwestecke sowie 1906–1907 eine Aufstockung des alten Wohnhauses.[6] Unter der Familie Carstanjen diente das Anwesen erneut als villa rustica und wurde laufend durch Landerwerbungen erweitert, der Schwerpunkt des Anbaus lag bei Äpfeln und Pflaumen. Im Auftrag von Adolf von Carstanjen entstand 1894 ein neues Dörrhaus, im Auftrag des Sohnes 1908 eine Gewächshausanlage und 1918 eine 80 m lange Mauer für Spalierobst. Nach Vollendung des Umbaus wurde die Villa durch den Eigentümer Robert von Carstanjen 1907 als Schloss und der Hof mit einer Fläche von nunmehr 127 ha als Gut bezeichnet. Carstanjen nutzte das Anwesen in seinen letzten Lebensjahren als ständigen Wohnsitz.[5] Nach dessen Tod verkaufte seine Witwe den Auerhof am 11. August 1941 an den Reichsfiskus (Heer), er diente in der Folge als Heeres-Lehrer-Akademie.[6]:41[3]

Sitz von Bundeseinrichtungen

Im Zweiten Weltkrieg blieb Haus Carstanjen unbeschädigt und wurde nach Kriegsende von alliierten Besatzungstruppen beschlagnahmt. Nach der Bestimmung Bonns 1949 zum Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland wurde das Anwesen nach seiner Entlassung aus der Beschlagnahme Mitte November 1949 vom Land Nordrhein-Westfalen dem Bund zur Unterbringung des Bundesministeriums für Angelegenheiten des Marshallplanes („ERP-Ministerium“) angeboten. Nach der Zustimmung des Bundesfinanzministers Anfang Dezember 1949 erfolgten auf Kosten des Bundes sofortige Investitionen in Höhe von 200.000 D-Mark und später weiteren 311.000 DM unter anderem in die überalterten Wasserleitungen und Heizungsanlagen des Hauses.[7]

Von 1950 bis zu dessen Auflösung 1969 beherbergte Haus Carstanjen das später mehrfach umbenannte ERP-Ministerium (zuletzt „Bundesschatzministerium“) und bis 1996 mehrere Abteilungen des Bundesministeriums der Finanzen. Nachdem die verbliebenen Ställe und Scheunen mit dem Gewächshaus abgerissen wurden, wurde von 1967 bis 1969 für das Bundesschatzministerium nach einem Entwurf von Manfred Adams als Mitglied der Planungsgruppe der Bundesbaudirektion (spätere Planungsgruppe Stieldorf) und unter künstlerischer Beratung von Sep Ruf ein aus vier Gebäuden bestehender Anbau errichtet. In den 1970er Jahren verkaufte die Familie Carstanjen die Ländereien an den Bund, von denen Teile heute in den Rheinauenpark integriert sind. Aus den 1970er Jahren stammt auch der Spitzname Schillerpark für das Parkgelände direkt am Rheinufer, so benannt nach dem damaligen Bundesfinanzminister und Hausherrn Karl Schiller.

1996 wurde der Gesamtkomplex Domizil der in Bonn ansässigen und in diesem Jahr neu hier angesiedelten UN-Organisationen. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali weihte den neuen UN-Standort am 20. Juni 1996 ein.[8][9] Zunächst bezogen ab dem 1. Juli 1996 das Freiwilligenprogramm (UNV), das Regionale Informationszentrum (UNRIC), am 12. August das Sekretariat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und am 5./6. Dezember das bereits zuvor in Bonn beheimatete Sekretariat des Übereinkommens zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (CMS) mit zunächst insgesamt etwa 200 Mitarbeitern das Haus Carstanjen.[10][11][12] Während immer mehr UN-Institutionen das Gebäude bezogen, sanierte es der Bund für sieben Millionen Euro.[13] Im Frühjahr 2006 ist der Großteil der Organisationen in den Langen Eugen umgezogen, um sie räumlich enger zusammenzufassen („UN-Campus“). Im Haus Carstanjen verblieb zunächst ein Teil des Klimasekretariats. Von 2008 bis 2011 wurden dort Sanierungs- und Umbaumaßnahmen bei Kosten von 4,5 Millionen Euro durchgeführt. 2010 wurde um das Gelände auf Veranlassung des UN Department of Security and Safety ein Sicherheitszaun gezogen.[14] Am 1. Januar 2016 nahm im Haus Carstanjen das Wissenszentrum für nachhaltige Entwicklung der in Turin ansässigen Fortbildungsakademie des Systems der Vereinten Nationen (UNSSC) seine Arbeit auf.[15]

2005 wurde das dem hauseigenen Landschaftspark benachbarte südlich gelegene Mausoleum von Carstanjen der Familie an die Bürgerstiftung Rheinviertel vererbt. Nach einer zweijährigen Renovierungsphase, welche 300.000 Euro in Anspruch nahm, wurde die seit Jahrzehnten vernachlässigte Grabstätte 2007 zu einer modernen Nekropole, die bis zu 3.000 Urnen aufnehmen kann. [16]

Architektur

Rheinseite von Haus Carstanjen

Der Altbau besteht aus einem winkelförmigen, dreigeschössigen Baukörper, dem zwei Rundtürme aufgesetzt sind.

Der ab 1967 errichtete Neubau besteht aus zwei hintereinanderliegenden, dreigeschossigen und längsrechteckigen Gebäuden, einem siebenstöckigen, vorgelagerten Hochhaus und einem Kantinen-Flachbau. Letzterer ist über Wandelgänge mit dem Hochhaus und dem Altbau verbunden, die Holzkonstruktion ist vollständig verglast. Nur durch eine freistehende Ziegelmauer wird eine Unterteilung in Café und Restaurant erreicht. Die Bürobauten sind in Stahlbetonskelett-Bauweise ausgeführt, ihnen sind stählerne Umgänge vertikalen Sonnenschutz-Stahlrohrgestängen vorgelagert.

„Das kompositorische Zusammenspiel der unterschiedlich dimensionierten, filigran gegliederten Baukörper entfaltet im Park des Schlosses große plastische Wirkung.“

Andreas Denk (1997)[17]

„Der Kontrast des gotisierenden alten Hauses mit den kühlen Neubauten aus Stahl und Stahlbeton in dem alten Park ist sehr reizvoll.“

Literatur

  • Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, Band 3, Katalog (2), S. 26–41. (zugleich Dissertation Universität Bonn, 1994)
  • Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, Band 1, S. 50–52. (zugleich Dissertation Universität Bonn, 1994)
  • Andreas Denk, Ingeborg Flagge: Architekturführer Bonn. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-496-01150-5, S. 114.
  • Ursel und Jürgen Zänker: Bauen im Bonner Raum 49–69. Versuch einer Bestandsaufnahme. In: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Kunst und Altertum am Rhein. Führer des Rheinischen Landesmuseums Bonn. Nr. 21. Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969, S. 143/144.
  • Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945. Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn 1984, ISBN 3-7928-0479-4, S. 51.

Einzelnachweise

  1. Deutsche Grundkarte
  2. Denkmalliste der Stadt Bonn (Stand: 15. Januar 2021), S. 40, Nummer A 1654
  3. a b Wolfgang Henrich: Haus Carstanjen
  4. a b Paul Clemen: Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Bonn. L. Schwann, Düsseldorf 1905, S. 325 f. (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Band 5, Abt. 3, S. 621 f.) (Unveränderter Nachdruck Verlag Schwann, Düsseldorf 1981, ISBN 3-590-32113-X) (Internet Archive)
  5. a b Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914, Band I
  6. a b c Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer 1819–1914. Band II.
  7. Stadt Bonn, Stadtarchiv (Hrsg.); Helmut Vogt: „Der Herr Minister wohnt in einem Dienstwagen auf Gleis 4“. Die Anfänge des Bundes in Bonn 1949/50, Bonn 1999, ISBN 3-922832-21-0, S. 204–206.
  8. Die Vereinten Nationen (VN) in Deutschland, [[Auswärtiges Amt]] (Memento vom 29. Juli 2009 im Internet Archive)
  9. 20. Juni 1996: Bonn wird deutsche UNO-Stadt, Stadt Bonn
  10. Bonn wird Entwicklungsstadt, Die Welt, 19. Juni 1996
  11. Bonn ist neue UN-Stadt, Die Welt, 21. Juni 1996
  12. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/6674, 6. Januar 1997
  13. Bund baut in Bonn für über eine Milliarde Euro, General-Anzeiger, 3. November 2004
  14. Sicherheitszaun am Haus Carstanjen gibt Rästel auf, General-Anzeiger, 11. August 2010
  15. UN bauen weiter am "Powerhaus" Bonn, General-Anzeiger, 4. März 2016
  16. Letzte Ruhe am Rhein. In: Rheinischer Merkur/Nr.47 2007, abgerufen am 28. November 2009.
  17. Andreas Denk, Ingeborg Flagge: Architekturführer Bonn.
  18. Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945.

Weblinks

Commons: Haus Carstanjen – Sammlung von Bildern

Koordinaten: 50° 42′ 16,1″ N, 7° 9′ 46,7″ O