Katachrese

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Die Katachrese [kataˈçʁeːzə] (Vorlage:ELSalt2 katáchrēsis „Missbrauch, Gebrauch über Gebühr“) bezeichnet eine rhetorische Figur und besitzt drei unterschiedliche Bedeutungen.

Konventionalisierte Metapher

Katachrese ist die Bezeichnung für den Gebrauch eines Wortes, das eine sprachliche Lücke schließt und wie eine verblasste Metapher nicht mehr als solche wahrgenommen wird.[1] Sie dient damit häufig der Benennung neuartiger Gegenstände bzw. der Bildung fehlender Begriffsbezeichnungen.[2]

Beispiele
  • Taschentuch (oder im Englischen handkerchief, falls kerchief=Kopftuch; siehe unten bei Fritz Mauthner)
  • Tisch-Bein[2]
  • Fluss-Bett[2]
  • Tal-Sohle[2]
  • Schlüssel-Bart[1]

Bildbruch

Ferner ist sie die Bezeichnung für eine semantisch unstimmige, zuweilen widersprüchliche Verbindung mehrerer sprachlicher Bilder in einer Texteinheit. In der Antike war dies ein übliches Mittel, um Komik zu erzeugen. Heute wird dieses Stilmittel eher selten eingesetzt. Beispiele für die Katachrese als komisches Stilmittel findet man unter anderem bei dem österreichischen Schriftsteller Johann Nestroy oder den zeitgenössischen deutschen Kabarettisten Piet Klocke und Johann König.

Geschieht eine Katachrese ungewollt (z. B. durch den Prozess des Versprechens als Kombination aus zwei oder mehreren Redensarten), so betrachtet man sie hingegen als eher peinlichen oder komischen Stilfehler.

Beispiele
  • Auch ein blindes Huhn legt mal ein Ei.
  • Da hast du mir aber eine Made in den Speck gesetzt.
  • Da kräht heute kein Arsch mehr danach.
  • Das habe ich mit eigenem Fleisch und Blut erlebt.
  • Das ist aber nicht so ganz das Wahre vom Ei.
  • Das ist das Holz, aus dem Waschlappen gemacht sind.
  • Das ist der Funke, der das Fass zum Überlaufen bringt.
  • Das setzt dem Fass die Krone auf! oder Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht!
  • Der Zahn der Zeit, der schon so viele Tränen getrocknet hat, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.
  • Es hat keinen Sinn, den Brunnen zuzuschütten, wenn das Kind verbrannt ist. (Heinz Erhardt)
  • Es ist erfreulich, daß die politischen Extremitäten in Deutschland keinen Fuß fassen konnten. (Ludwig Erhard)
  • Jemanden hinters Ohr führen.
  • Reinen Tisch einschenken.
  • Schuster, bleib bei deinen Äpfeln.
  • Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf![2]
  • Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, darf man den Kopf nicht hängen lassen. (Ingrid Matthäus-Maier)
  • Wir ziehen alle am selben Boot.
  • Dem Tod von der Klippe springen.

Verknüpfung eines komplexen Sachverhaltes mit einem Bild

Der Literaturwissenschaftler Jürgen Link hält die Katachrese hingegen für das grundlegende Prinzip, mit dem (insbesondere in den Massenmedien) verschiedene Spezialdiskurse (Wissenschaft, Ökonomie, Medizin u. s. w.) und komplexe Sachverhalte mit einem Bild verknüpft werden können, das unmittelbar plausibel ist und vom Rezipienten automatisch verstanden wird. Die Katachrese sei daher kein Beispiel schlechten Stils, sondern grundlegendes Prinzip der Textproduktion. Dafür eignen sich insbesondere die Bildbereiche, die durch starke pragmatische Verankerung besonders eingängig sind: Schiffe, Automobile, Umweltkatastrophen, Organismen, Spielmetaphern usw. Die Wahl des Bildbereiches und das Phänomen, das damit ausgedrückt werden soll, verweisen zudem auf die grundlegende ideologische Position des Bildproduzenten – so werden ökonomische Prozesse oft durch Naturkatastrophen symbolisiert, um sie „natürlich“ erscheinen zu lassen.

Beispiele:

  • Was Oskar Lafontaine und Gregor Gysi anbieten, ist noch mehr von der Medizin, mit der die überkontrollierte und vom Staat dirigierte deutsche Wirtschaft in den Graben gefahren wurde. (FAZ, 20. Juni 2005). Bildbereiche: Organismus (Medizin), Musik (dirigiert), Technik (in den Graben gefahren, konnotiert Auto und Straße).
  • Mit seinen hohen Lohnnebenkosten ist der Patient Deutschland in den Stürmen der Globalisierung vom Weg abgekommen. Wann wird er untergehen? Bildbereiche: Organismus (Patient), Natur (Stürme), Technik (Schiffbruch).
  • Ich verspreche dieser Regierung einen ‚Heißen Herbst‘, sie mögen (sic?) sich warm anziehen. (Claudia Roth, Politikerin, Tagesschau; 5. Februar 2010).

Literatur

  • Jürgen Link: Die Struktur des Symbols in der Sprache des Journalismus. Zum Verhältnis literarischer und pragmatischer Symbole. Fink, München 1978, ISBN 3-7705-1501-3 (zugl. Habilitationsschrift, Universität Bochum).
  • Fritz Mauthner: Katachrese. In: Ders.: Zur Sprachwissenschaft. Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 2. Ullstein, Frankfurt/M. 1982, ISBN 3-548-35146-8 (Nachdr. d. Ausg. Stuttgart 1912).
  • Gerald Posselt: Katachrese. Rhetorik des Performativen. Fink, München 2005, ISBN 3-7705-3993-1 (zugl. Dissertation, Universität Freiburg/B.).
  • Meinolf Schumacher: Metaphernhäufung und Bildbruch. In: Ders.: Sündenschmutz und Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der Sünde in lateinischer und deutscher Literatur des Mittelalters (Münstersche Mittelalter-Schriften; Bd. 73). Fink, München 1996, ISBN 3-7705-3127-2, S. 43–49.

Einzelnachweise

  1. a b Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (Kröners Taschenausgabe; 231). 7. Aufl. Kröner, Stuttgart 1989, S. 443, ISBN 3-520-23107-7.
  2. a b c d e Hadumod Bußmann: Sachlexikon der Sprachwissenschaft (Kröners Taschenausgabe; 452). 2. Aufl. Kröner, Stuttgart 1990, S. 371, ISBN 3-520-45202-2.