Kieferorthopädie

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Die Kieferorthopädie ist das Teilgebiet der Zahnmedizin, das sich mit der Verhütung, Erkennung und Behandlung von Fehlstellungen der Kiefer und der Zähne (Zahnfehlstellung) befasst. Der Inhalt des Fachbereichs wird besser durch die Bezeichnung Dento-Maxilläre Orthopädie (Kieferregulierung) wiedergegeben. Der Begriff Orthodontie (Zahnregulierung) wird in nichtdeutschsprachigen Ländern verwendet.

Die ersten systematischen Lehrbücher über Kieferorthopädie wurden von Norman Kingsley 1880 und von Edward H. Angle, dem „Vater der Kieferorthopädie“, ab 1890 veröffentlicht.

Kieferorthopädische Diagnostik

Fernröntgenseitenbild

Vor jeder kieferorthopädischen Behandlung muss eine ausführliche Diagnostik erfolgen. Diese besteht aus einer ausführlichen allgemeinen- und zahnärztlichen Anamnese, sowie die ätiologische Beurteilung der Patientensituation. Anschließend folgt die klinische Untersuchung, eine Funktionsanalyse, Modellanalyse und eine fernröntgenologische Untersuchung. Mit Hilfe dieser Untersuchung wird die Kieferrelation, die Lagebeziehung zwischen dem Oberkiefer und Unterkiefer, dargestellt. Gleichzeitig werden die dentoalveolären Befunde erhoben und das Dentitionsstadium festgestellt.[1]

Klassifikation

Zur Einteilung und Abgrenzung der Anomalien existieren verschiedene Klassifikationen. Die in der alltäglichen medizinischen Kommunikation nach wie vor gebräuchlichste Klassifikation ist die Einteilung in Angle-Klassen.

Die Klassifikation nach Angle teilt Zahnfehlstellungen in drei Klassen ein, je nach Stellung der Sechsjahrmolaren zueinander.
Diese Klassen werden mit römisch I bis III beziffert, wobei

  • Klasse I eine eugnathe (d. h. regelrechte/neutrale) Relation, beschreibt.
  • Klasse II eine distale (d. h. eine dorsale (zum Rücken hin gelegen)) Lage des ersten UK-Molaren zum ersten OK-Molaren beschreibt.
  • Klasse III eine mesiale Verzahnung der Backenzähne beschreibt. Sie wird auch Prognathie genannt. Sie kann mit einer Progenie einhergehen.

Nachteil dieser Einteilung ist die Betrachtung entlang nur einer Raumachse in der Sagittalebene im Schlussbiss. Abweichungen in anderen Raumachsen, asymmetrische Abweichungen, funktionelle Störungen usw. werden nicht erfasst.

In Deutschland ist für den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen die Einteilung in die Kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG) relevant, da sich der Zuschuss der Krankenkassen nach dem Schweregrad der Fehlstellung bemisst.

Kieferorthopädische Untersuchung in der GKV

„Kieferorthopädische Untersuchung zur Klärung von Indikation und Zeitpunkt kieferorthopädisch-therapeutischer Maßnahmen“ ist eine Gebührenposition für gesetzlich Krankenversicherte (Bema-Nr. 01k). Sie ist berechenbar für die kieferorthopädische Befunderhebung und Diagnostik, die Voraussetzung jeder Kfo-Behandlung sind. Sie ist nur von dem Zahnarzt/Kieferorthopäden berechenbar, der ggf. auch die kieferorthopädische Behandlungsplanung nach Bema-Nr. 5 (Kieferorthopädische Behandlungsplanung) durchführt:

  • bei kieferorthopädischem Behandlungsbeginn innerhalb der nächsten 6 Monate
  • bei Überweisung zum Kieferorthopäden innerhalb der nächsten 6 Monate
  • bei Feststellung, dass in den nächsten 6 Monaten keine kieferorthopädische Behandlungsbedürftigkeit besteht

Die Leistung ist frühestens nach 6 Monaten erneut abrechnungsfähig.[2]

Zeitpunkte für einen Behandlungsbeginn

Die rechtzeitige Diagnose ermöglicht einen adäquaten Therapiebeginn, der ggf. die Behandlungsdauer verkürzen, bzw. den Umfang der Behandlung reduzieren kann. Einige Dysgnathiebehandlungen sind nur innerhalb determinierter Zeitfenster möglich.[3]

Postnatal

Bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Syndromen, die den Orofazialbereich betreffend, sollte eine kieferorthopädische Untersuchung in den ersten Lebenstagen Teil eines multidisziplinären Gesamtkonzepts sein.[4]

Milchzahndurchbruch

Dentitionsaufnahme (Orthopantomogramm), Wechselgebiss

Während des Milchzahndurchbruchs ist das Augenmerk auf die Kontrolle von Lücken zu legen, um rechtzeitig die Indikation für einen kieferorthopädischen Lückenhalter stellen zu können.

Vollständiges Milchgebiss

Etwa zum 3. Geburtstag ist das Milchgebiss vollständig. Zu diesem Zeitpunkt ist eine kieferorthopädische Untersuchung zur Klärung von Indikation und Zeitpunkt kieferorthopädisch-therapeutischer Maßnahmen empfehlenswert, da für bestimmte Dysgnathien der Vorteil einer Frühbehandlung wissenschaftlich nachgewiesen, bzw. eine Frühbehandlung vorteilhaft sein kann.

Wechselgebiss

In der ersten Phase des Wechselgebisses (ca. 6. bis 8. Lebensjahr) und in der zweiten Phase des Wechselgebisses (ca. 9. bis 12. Lebensjahr) können Frühbehandlungen bei verschiedenen Indikationen angezeigt sein. Ggf. sind bei geplanter Extraktionstherapie bereits während dieser Lebensphase Extraktionen durchzuführen.

Permanente Dentition

In der Phase zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr erfolgen die häufigsten kieferorthopädischen Behandlungen, nachdem alle bleibenden Zähne (bis auf die Weisheitszähne) durchgebrochen sind. Hier wird auch darüber entschieden, ob Weisheitszähne operativ oder alternativ andere Zähne zu entfernen sind. Auch Dysgnathieoperationen fallen häufig in diesen Zeitraum.

Erwachsenenkieferorthopädie

Für Patienten, bei denen die Diagnose bzw. Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen versäumt wurde, bei präprothetischen kieferorthopädischen Maßnahmen oder bei pathologischen Zahnwanderungen im Rahmen einer fortgeschrittenen Parodontalerkrankung kann eine kieferorthopädische Behandlung durchgeführt werden. Diese wird jedoch – von Ausnahmen abgesehen − von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen.

Therapiemethoden

Die kieferorthopädische Therapie kann mit herausnehmbaren oder mit festsitzenden Geräten erfolgen. Unabhängig davon ist zwischen der Beeinflussung des Gesichtsschädels und dem Bewegen von Zähnen zu differenzieren.

Funktionskieferorthopädie

Unter Funktionskieferorthopädie, kurz FKO, versteht man die günstige Beeinflussung skelettaler Strukturen, durch die gezielte Beeinflussung funktioneller Abläufe. Als Beispiel kann ein Patient mit einer Unterkieferrücklage herangezogen werden, der mit einem funktionskieferorthopädischen Gerät, beispielsweise einem Aktivator behandelt wird. Durch den Aktivator wird der Patient darauf trainiert, seinen zurückliegenden Unterkiefer nach vorn zu schieben. Wird dieser Stimulus lange genug aufrechterhalten, soll es zu einer skelettalen Manifestation kommen, also zu einem über das genetisch determinierte Maß hinausgehenden Unterkieferwachstum.[5] Klassische funktionskieferorthopädische Geräte sind herausnehmbar. Die Einordnung festsitzender Geräte mit ähnlicher Wirkung (z. B. Herbstscharnier) in die Gruppe der Funktionskieferorthopädie ist umstritten.

Dentofaziale Orthopädie

Durch das Ausüben von größeren Kräften, in der Regel über 500 cN, auf den Ober- oder Unterkiefer kann eine Wachstumsbeeinflussende Wirkung entfaltet werden. Beispiele stellen die Hemmung des Unterkieferwachstums mittels einer Kopf-Kinn-Kappe[6] sowie die Oberkieferprotraktion mittels einer Delaire- oder Grummons-Maske dar.[7]

Orthodontie

Unter Orthodontie ist, in Abgrenzung zur funktionskieferorthopädischen Beeinflussung skelettaler Strukturen, das Bewegen von Zähnen zu verstehen.[8] Orthodontische Zahnbewegungen können mit herausnehmbaren wie auch mit festsitzenden Apparaturen erfolgen, wobei festsitzende Apparaturen hinsichtlich der durchführbaren Bewegungen und der Behandlungsdauer sowie der Unabhängigkeit von der Mitarbeit des Patienten in der Regel vorteilhaft sind. Orthodontische Maßnahmen können auch lange nach dem Abschluss des Wachstums, also bei Erwachsenen, erfolgen.

Chirurgische Kieferorthopädie

Besteht nach Wachstumsabschluss eine Kieferfehlstellung (Dysgnathie), die nicht durch orthodontische Maßnahmen kompensiert werden kann, ist es möglich, durch eine Operation eine Verbesserung herbeizuführen. Hierbei muss der Kieferorthopäde mit einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen zusammenarbeiten. Häufig gliedert sich eine derartige Therapie in drei Phasen:[9]

1. kieferorthopädische Vorbehandlung mit Dekompensation

Liegt eine Kieferfehlstellung vor, so hat sich häufig eine Zahnstellung entwickelt, die diesen skelettalen Fehler zum Teil ausgleicht. Diese Kompensation muss zunächst aufgehoben werden. Dies geschieht normalerweise mit einer festsitzenden Apparatur.

2. chirurgische Intervention

Nach Abschluss der Vorbehandlung erfolgt die chirurgische Kieferverlagerung. Sie ist, je nach Notwendigkeit, für den Ober- und/oder für den Unterkiefer möglich.

3. kieferorthopädische Feineinstellung

Nach der Herstellung einer regelrechten Kieferlage ist es Aufgabe der kieferorthopädischen Therapie, eine gesicherte Okklusion herzustellen.

Ausbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie

Nach abgeschlossenem Studium der Zahnmedizin steht nach der deutschen Approbationsordnung jeder Zahnärztin bzw. jedem Zahnarzt das gesamte Behandlungsspektrum der Zahnmedizin offen.[10] Nach Erlangung der zahnärztlichen Approbation können Zahnärzte, die die Gebietsbezeichnung „Kieferorthopädie“ erwerben möchten, eine fachspezifische Weiterbildung durchlaufen.[11] Die Kieferorthopädie ist neben der Oralchirurgie und der Weiterbildung zum Zahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen[12], die einzige weitere Möglichkeit der Fachzahnarzt-Ausbildung in Deutschland. Ausnahme ist die Parodontologie, hier gibt es die Möglichkeit bei der Zahnärztekammer Münster (und derzeit nur dort, Stand 6/2014), eine Fachzahnarztausbildung Parodontologie zu absolvieren.[13]

Ausbildung in Deutschland

Die Weiterbildung zum „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ hat ganztägig und in Vollzeit zu erfolgen und nimmt drei Jahre in Anspruch. Die fachspezifische Weiterbildung muss mindestens ein Jahr, kann aber bis zu drei Jahre an einer Universitäts-Zahnklinik erfolgen. Es besteht auch die Möglichkeit, zwei der drei Jahre in einer kieferorthopädischen Praxis mit spezieller Weiterbildungsberechtigung abzuleisten. Von der dreijährigen fachspezifischen Weiterbildungszeit müssen zwei Jahre ohne Unterbrechung an einer der beiden genannten Weiterbildungsstätten absolviert werden. Je nach Zahnärztekammer muss ein viertes Jahr nachgewiesen werden, in dem allgemeinzahnärztlich gearbeitet wurde.[14]
Am Ende der Weiterbildungszeit ist vor einem Prüfungsausschuss der zuständigen Zahnärztekammer eine Fachzahnarztprüfung abzulegen. Nach erfolgreichem Abschluss ist der Zahnarzt berechtigt, den Titel „Kieferorthopäde“, „Zahnarzt für Kieferorthopädie“ oder in einigen Kammerbereichen auch „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ zu führen.[15]

Ausbildung in der Schweiz

Die Voraussetzung für die Ausbildung zum „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie (Schweiz)“ ist ein abgeschlossenes Studium der Zahnmedizin und mindestens eine einjährige Tätigkeit als Allgemeinzahnarzt. Anschließend folgt eine vierjährige Weiterbildung in Vollzeit an einer der vier zahnmedizinischen Universitätskliniken der Schweiz. Die Berufsbezeichnung „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie (Schweiz)“ wird nach einer Fachprüfung mit einem theoretischen und praktischen Teil verliehen.[16]

Ausbildung in Österreich

In Österreich gibt es keine staatlich anerkannte Fachzahnarztausbildung für Kieferorthopädie. Es gibt jedoch den 1998 gegründeten Verband Österreichischer Kieferorthopäden (VÖK), der sich für eine dreijährige, universitäre Weiterbildung einsetzt. Voraussetzung für eine ordentliche Mitgliedschaft im VÖK ist eine Prüfung vor einer Fachkommission. Um zu dieser Prüfung zugelassen zu werden, muss der Kandidat eine mindestens fünf Jahre vorwiegend oder ausschließliche kieferorthopädische Tätigkeit vorweisen.[17]

Ausbildung in den USA

Voraussetzung für die von der Commission on Dental Accreditation (CODA) anerkannte kieferorthopädische Weiterbildung in den USA ist der zahnärztliche Abschluss, DDS, DMD oder BDS. Das American Board of Orthodontics (ABO) verlangt eine Vollzeit-Weiterbildung von 24-48 Monaten an einer von der American Dental Association (ADA) akkreditierten Weiterbildungsstätte. Die Zertifizierung zum Kieferorthopäden erfolgt während (nach 18 Monaten) oder nach Abschluss eines solchen Weiterbildungsprogrammes durch eine schriftliche Prüfung bei der ABO. Nach erfolgreichem Abschluss des Weiterbildungsprogrammes und der schriftlichen Prüfung, erfolgt die klinische Prüfung mit einer Präsentation eigens durchgeführten Patientenfällen. Die Zertifizierung ist zeitlich begrenzt und muss nach zehn Jahren mit der Präsentation weiterer Patientenfälle erneuert werden.[18][19]

Zusätzliche Qualifikationen und ihre Bedeutung

Das vermehrte Aufkommen von Fortbildungsprogrammen für praktizierende Zahnärzte, insbesondere die postgradualen Masterstudiengänge, haben die Grenzen zur fachzahnärztlichen Weiterbildung verschwimmen lassen.[20]

Tätigkeitsschwerpunkt Kieferorthopädie

Nach Abschluss des Zahnmedizinstudiums ist jeder Zahnarzt berechtigt – in den von der jeweiligen Landeszahnärztekammer bestimmten Grenzen – einen oder mehrere Tätigkeitsschwerpunkte zu definieren.[21]

Es obliegt dem Zahnarzt selber, seinen Tätigkeitsschwerpunkt festzulegen. Sie dient dem Patienten als Orientierung für besondere Erfahrung des Zahnarztes im angegebenen Bereich. Der Tätigkeitsschwerpunkt ist von einer Weiterbildung zum Fachzahnarzt abzugrenzen. Eine vollzeitige Weiterbildung oder Prüfung ist hierbei nicht erforderlich.
Nach § 21 Abs. 2 der Musterberufsordnung für Zahnärzte (MBO-Z) ist es zulässig, neben den nach der Weiterbildungsordnung erworbenen Bezeichnungen Tätigkeitsschwerpunkte auszuweisen.[22] In Satz 2 dieses Paragrafen wird bestimmt, dass Hinweise nach Satz 1 unzulässig sind, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachgebietsbezeichnungen begründen oder sonst irreführend sind.

Das Führen von Tätigkeitsschwerpunkten ist grundsätzlich dann zulässig, wenn der Betreffende tatsächlich über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet verfügt (BVerfG NJW 2001, S. 2788). Der Zahnarzt muss zum einen regelmäßig an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen und zudem maßgeblich auf dem als Tätigkeitsschwerpunkt bezeichneten Gebiet tätig sein. Das Führen des Tätigkeitsschwerpunkts „Kieferorthopädie“ ist nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in diesen Fällen zulässig.[23]

Master of Science Kieferorthopädie

Die österreichischen Privatuniversität Danube Private University (DPU) in Krems bietet die Möglichkeit, den akademischen Grad „Master of Science“ (M.Sc.) in verschiedenen zahnmedizinischen Teilgebieten zu erlangen.[24] Der berufsbegleitende Studiengang „Master of Science Kieferorthopädie“ kostet 23.750 Euro.[25]

Die Ausbildung umfasst 45 Tage mit je 10 Unterrichtsstunden à 40 Minuten verteilt über fünf Semester.[26] Zielgruppe dieser Fortbildung sind praktizierende Zahnärzte.[27] Inhaber eines im EU-Ausland erworbenen akademischen Grades Master of Science Kieferorthopädie ist es gemäß einem BGH-Urteil gestattet, diesen Grad in der verliehenen Form in Deutschland zu führen, der Absolvent darf sich allerdings weder Kieferorthopäde, noch (Fach-)zahnarzt für Kieferorthopädie nennen.[28]

Diskussion und Kritik

Innerhalb der Fachgesellschaften wurde in den letzten Jahren viel über die zusätzlichen Qualifikationen neben dem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie gestritten. Die vielen verschiedenen Ausbildungen könnten in Zukunft zu Kieferorthopäden 1., 2. und 3. Klasse führen.[29]

Laut der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) besteht eine hohe Verwechslungsgefahr zwischen dem „Master of Science Kieferorthopädie“ aus Krems und den geplanten Master-Studiengängen in Deutschland. Der Master ist der DGKFO zufolge eine universitäre Zusatzqualifikation, welche den Fachzahnarzt nicht ersetzt, sondern ein Angebot für inhaltlich interessierte, oder auch titelorientierte Kollegen, darstellt.[30]

Die Bundeszahnärztekammer fordert aufgrund der entstandenen Intransparenz der tatsächlich erworbenen Qualifikation ein neues zahnärztliches Weiterbildungsrecht. Dieses soll die verschiedenen Qualifikationen integrieren und sie gleichzeitig für den Verbraucher voneinander abgrenzen. Sie sieht es als wichtig an, den Fachzahnarzt als „fachliche Spitze“ der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zu schützen.[31] In einer Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) heißt es:[32]

„… dass die ‚Master-Ausbildung‘ in Krems nicht die Vorgaben und Voraussetzungen der deutschen Landeszahnärztekammern erfüllt, um sich anschließend zur Fachzahnarztprüfung anzumelden.“

Bundeszahnärztekammer

BGH-Urteil zum Führen des „Master of Science Kieferorthopädie“

Ausgangssituation

Im Anschluss an ihr Zahnmedizinstudium in Deutschland hatte eine Zahnärztin an der Danube Private University den „Master of Science Kieferorthopädie“ erworben. Diesen Titel führte sie in ihrer Praxis. In einer Nachbarstadt niedergelassene Kieferorthopäden fürchteten eine Täuschung der Patienten und zogen wegen unlauteren Wettbewerbs gegen die Kollegin vor Gericht. (I ZR 172/08)[33][34]

Richterspruch

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Mastergrad zu den akademischen Graden Österreichs gehört, die in Deutschland – gemäß einem Abkommen zwischen Deutschland und Österreich – geführt werden dürfen. Einen rechtmäßig erworbenen Titel auf dem Praxisschild oder im Internet anzugeben, verstoße weder gegen das Berufsrecht, noch würden so Patienten getäuscht. Demzufolge sei es nicht zu ändern, wenn die Patienten diesen Titel missverstehen und ihn mit dem eines deutschen Fachzahnarztes für Kieferorthopädie gleichsetzen. Es sei ihre Aufgabe, sich diesbezüglich zu informieren.[35]

Stand der Wissenschaft

Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) hat in ihren Health Technology Assessment (HTA) – Bericht Mundgesundheit nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten[36] unter anderen festgestellt, dass die „Kieferorthopädie als wissenschaftlich bislang unzureichend abgesichert“ anzusehen ist und „… stößt bei der Suche nach wissenschaftlichen Belegen für die Wirksamkeit kieferorthopädischer Maßnahmen auf zahlreiche offene Fragen. Er beanstandet vor allem die dürftige Studienlage zu Auswirkungen auf Zahn- oder Mundgesundheit. Zwischen praktischer Anwendung der Kieferorthopädie und der Erforschung ihrer Wirksamkeit sehen die Autoren eine Kluft. Sie fordern daher dringend Forschungsanstrengungen, um kieferorthopädische Behandlungen zukünftig wissenschaftlich besser begründet einsetzen zu können.“[37]

Dieser Sichtweise widersprach die oberste Deutsche Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO):[38]

„Die vorliegende HTAStudie weist zahlreiche gravierende methodische Mängel, Unzulänglichkeiten und Fehleinschätzungen auf. Das Literaturverzeichnis wurde nicht sorgfältig überprüft, es enthält eine Vielzahl von Fehlern und Inkonsistenzen. Offensichtlich haben die Autoren hinsichtlich der Bedeutung, des Stellenwertes und der Inhalte der gewählten Themen unzureichendes Sachverständnis. Es drängt sich die Vermutung auf, dass man eine methodische ‚Maske‘ übernommen hat, die zu den Fragestellungen nicht passt. Die Aussagen der Studie sind demnach nicht relevant und stichhaltig.“

DGKFO

Siehe auch

Weblinks

Commons: Kieferorthopädie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. F. G. Sander, N. Schwenzer, M. Ehrenfeld: Kieferorthopädie. 2., neu erstellte und erweiterte Auflage. Georg Thieme Verlag, Ulm 2010.
  2. Einheitlicher Bewertungsmaßstab – Teil 3 – 01k
  3. Empfehlenswerte Zeitpunkte kieferorthopädischer Untersuchungen (PDF; 32 kB), Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO), 2007.
  4. Stellungnahme der DGKFO „Optimaler Zeitpunkt für die Durchführung kieferorthopädischer Maßnahmen“ (2000/07)
  5. Funktionskieferorthopädie in Praxis der Zahnheilkunde, Kieferorthopädie II, Band 2. Google Buchsuche
  6. Hideo Mitani, Toshihiko Sakamoto: Chin Cap Force to a Growing Mandible – Long-term clinical reports. In: The Angle Orthodontist
  7. Artikelliste im Angle Orthodontist zum Stichwort „Maxillary Protraction“
  8. Bärbel Kahl-Nieke: Einführung in die Kieferorthopädie – Diagnostik, Behandlungsplanung, Therapie, Abschnitt 19.1. Google Buchsuche
  9. Behandlungsphasen in der chirurgischen Kieferorthopädie, Dysgnathiechirurgie
  10. gesetze-im-internet.de
  11. dgkfo-vorstand.de
  12. Verordnung über die Weiterbildung und Prüfung zum Zahnarzt und zur Zahnärztin für Öffentliches Gesundheitswesen (WOZÖGW) des Landes Nordrhein-Westfalen
  13. Berufsverband der Fachzahnärzte und Spezialisten für Parodontologie (BFSP) e. V.
  14. Musterweiterbildungsordnung der Bundeszahnärztekammer
  15. Musterweiterbildungsordnung der Bundeszahnärztekammer
  16. swissortho.ch
  17. voek.or.at
  18. americanboardortho.com
  19. ada.org
  20. bzaek.de
  21. Mitteilung der Bundeszahnärztekammer zur Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten: „Lockerung des Werbeverbots bietet neue Chancen / Tätigkeitsschwerpunkte dürfen künftig auf Praxisschildern ausgewiesen werden“, 2. August 2001.
  22. Bundeszahnärztekammer, Musterberufsordnung (PDF; 46 kB)
  23. BVerwG, Urteil vom 4. September 2003, Az.: 3 BN 1/03
  24. Danube Private University
  25. Donau-Universität in Krems, Kieferorthopädie
  26. zwp-online.info
  27. donau-uni.ac.at
  28. BGH NJW-RR 2010, S. 1628 ff.
  29. dgkfovorstand.de
  30. dgkfo-vorstand.de
  31. bzaek.de
  32. dgkfo-vorstand.de
  33. juristischerpressedienst.de
  34. markenmagazin.de
  35. juristischerpressedienst.de
  36. Wilhelm Frank, Karin Pfaller, Brigitte Konta: Mundgesundheit nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaten. DIMDI HTA-Studie 2008, Berichts-Nr. DAHTA066. (PDF; 381 kB)
  37. DIMDI: Neuer HTA-Bericht sieht Kieferorthopädie als wissenschaftlich bislang unzureichend abgesichert (Memento vom 26. Mai 2008 im Internet Archive), 22. April 2008
  38. DGKFO, Stellungnahme zur HTA (PDF; 100 kB)