Marcell Nemes

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József Rippl-Rónai: Porträt Marcell Nemes (1912)

Marcell Nemes, auch Marczell (als Moses Klein geboren 4. Mai 1866 in Jánoshalma, Kaisertum Österreich; gestorben 28. Oktober 1930 in Budapest) war ein ungarischer Finanzmagnat, Kunstsammler und Kunstmäzen.

Leben

Moses Kleins Vorfahren betrieben seit den 1830er Jahren in Transsylvanien ein Geschäft mit Woll- und Tabakhandel, das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf den Holz- und Kohlenhandel und auf Finanzgeschäfte ausgeweitet worden war.[1] Marcell Nemes hatte seinen Namen ungarisiert, er wurde auf Grund seiner wirtschaftlichen Erfolge im Jahr 1903 zum ungarisch-königlichen Rat ernannt und 1908[2] als Edler von Janoshalma geadelt.

Neben seinen geschäftlichen Tätigkeiten befasste er sich ungefähr ab den 1890er Jahren als „marchand amateur“ mit der Kunst. Nemes' besondere Sammlerleidenschaft galt gewebten Stoffen aus der Renaissance, daneben sammelte er auch Möbel, Plastiken und alte Gemälde des holländischen und flämischen 17. Jahrhunderts, aber auch Gemälde von Zeitgenossen, insbesondere der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts von Eugène Delacroix bis Vincent van Gogh.[3] Nemes wurde zu einem der Wiederentdecker El Grecos, indem er dessen Bilder teilweise eigenhändig in Spanien aufstöberte und seiner Sammlung hinzufügte.[4] Seine Käufe fußten auf den kunsthistorischen Vorarbeiten Julius Meier-Graefes und auf der Zuarbeit Pariser und Münchener Kunsthändler. So erstand er in der 1911 von August Liebmann Mayer aufgestellten Ausstellung altspanischer Kunst der Münchener Galerie Heinemann Grecos Unbefleckte Empfängnis und eine Kreuztragung Christi.[5]

Seine Gemäldesammlung wurde anlässlich einer ersten Präsentation 1910 im Budapester Szépművészeti Múzeum, die achtzig Werke umfasste, u.a. in den Zeitschriften Cicerone, Zeitschrift für Bildende Kunst, im Pester Lloyd und in der gerade erst gegründeten ungarischen Zeitschrift Nyugat besprochen. Einen Teil seiner Sammlung schickte er zusammen mit dem 1909 erworbenen Bild Paul Cézannes Der Knabe mit der roten Weste[6] im Juni 1911 in einer kleinen Auswahl von impressionistischen Gemälden, wie Corot, Manet, Courbet und Degas, und alten Meistern, wie Koninck, Abraham van Beijeren und Rubens, nach München.[7]

In der vom Münchener Museumsleiter Hugo von Tschudi organisierten Hängung fachten die ausgestellten acht Bilder El Grecos das „El Greco Fieber“ unter den deutschen jungen Künstlern wie Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Max Oppenheimer oder Ludwig Meidner und auch unter Mitgliedern der Künstlergruppe Der Blaue Reiter wie August Macke, Franz Marc und Albert Bloch weiter an, während der etablierte Kunstbetrieb die aus nur 36 Bildern bestehende Schau in der Alten Pinakothek nach Franc Marcs Worten „höchstens wie eine neue Modeauslage besah“ und erleichtert aufatmete, „wenn die gefährliche Sammlung weg ist, ohne daß man etwas davon behalten mußte“.[8] Eine von Marc außerdem beabsichtigte Rezension der Münchener Ausstellung im Almanach „Der Blaue Reiter“ erschien nicht.[9] Auch das Vorwort Tschudis zur Münchener Nemes-Ausstellung hätte gemäß Kandinskys Vorschlag im Almanach erscheinen sollen.[10] In diesem programmatischen Vorwort (und gleichzeitigem Vermächtnis) hatte Tschudi auch das große Verdienst Nemes' als eines neuen Sammlertyps hervorgehoben, durch die einfache Nebeneinanderrückung der Werke El Grecos mit den französischen Impressionisten viel zum Verständnis der malerischen Probleme beizutragen.[11] In Bayern erhielt Nemes Ende 1911 im Gegenzug für die Stiftung zweier Courbetgemälde den Verdienstorden vom Heiligen Michael. In der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf 1912 konnte Nemes dann 122 Gemälde zeigen, und diese entfalteten auch dort eine starke Wirkung. Nemes' Bilder hätten auch noch in Köln und Berlin gezeigt werden sollen, aber der Sammler Nemes war auch gezwungenermaßen Händler.

Bereits Ende 1911 übernahm der Mannheimer Unternehmer Karl Lanz von ihm 40 Gemälde alter Meister. Auch 1913 war Nemes auf Liquidität angewiesen und verkaufte nun den Großteil seiner Sammlung über den Pariser Kunsthandel, nachdem er erfolglos den Düsseldorfern für sechs Millionen Goldmark zehn El Grecos und 112 alte Meister und moderne Maler angeboten hatte. In der Pariser Versteigerung in der Galerie Manzi kamen u.a. zwölf El Greco, zehn Courbet, vier Manet, sechs Renoir und sechs Cézanne unter den Hammer. Allein für Cézannes Bild des Knaben mit der roten Weste zahlte dort der Wuppertaler Industrielle Gottlieb Friedrich Reber 56.000 Franc. Das seinerzeit schon umstrittene, noch Rembrandt van Rijn zugeschriebene Porträt des Vaters wurde für 516.000 Franc versteigert,[12] Tintorettos Ehebrecherin erzielte 240.000 Franc, eine Unbefleckte Empfängnis El Grecos erzielte 155.000 Franc, Die Heilige Familie mit der Fruchtschale 173.000 Franc, insgesamt aber erschienen dem Berichterstatter im Cicerone Georg Biermann die Auktionsergebnisse enttäuschend.[13]

Nach dem Ersten Weltkrieg floh Nemes bei den ungarischen Revolutionswirren aus Budapest und ließ sich in den 1920er Jahren dauerhaft in der Leopoldstraße 10 in München nieder. 1921 kaufte Nemes das Schloss in Tutzing für 800.000 Reichsmark.[14] Unter ihm erlebten Schloss und Park eine glanzvolle Renovierung. Bei einem Venedigaufenthalt kaufte er 1924 den unfertigen Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande, die Aufrichtung des Palazzo über den vorhandenen Gebäudestumpf hinaus verfolgte er ebenso wenig wie die Vorbesitzerin Luisa Casati und die spätere Besitzerin Peggy Guggenheim.

1924 erwarb Oskar Reinhart einen Goya von Nemes, 1928 wurden wieder Teile einer erneut umfangreichen Sammlung in Amsterdam veräußert. Oskar Kokoschka porträtierte Nemes 1928 zwei Jahre vor dessen Tod; damals hatte er in seiner großen Sammlung immer noch ein Gemälde El Grecos, aber vor allem noch seine gesammelten Stoffe.

Schon zu seinen Lebzeiten wurde in Ungarn ein „Marcell Nemes-Preis“[15] ausgelobt, der, mit kriegsbedingter Unterbrechung, bis 1946 vergeben wurde.

Orte

Gemälde in der Sammlung Nemes

Literatur / Ausstellung

  • Z. Skász: Nemes von Jánoshalma, Marcell. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 7, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1978, ISBN 3-7001-0187-2, S. 65.
  • István Németh: Von El Greco zu den französischen Expressionisten: Die Ausstellung der Sammlung von Marczell von Nemes in Budapest, München und Düsseldorf. in: Beat Wismer: El Greco und die Moderne. Museum Kunstpalast, Düsseldorf, 28. April – 12. August 2012. Ostfildern : Hatje Cantz , 2012 ISBN 978-3-7757-3326-7 , S. 386–393
  • István Németh: Der Greco-Sammler Marczell von Nemes und die deutschen Museen, in: Matthias Weniger (Hrsg.): Greco, Velazquez, Goya. Spanische Malerei aus deutschen Sammlungen. München, Prestel 2005
  • Veronika Schroeder: Spanien und die Moderne – Marczell von Nemes, Julius Meier-Graefe, Hugo Tschudi. in: Manet bis van Gogh : Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne. München : Prestel, 1996 ISBN 3-7913-1748-2, S. 419–423
  • Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus: von der Kunstgeschichte als Stilgeschichte zur Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Frankfurt am Main [u.a.] : Lang , 1998 ISBN 3-631-32305-0 Diss. München 1996
  • Sammlung Marczell von Nemes: Gemälde, Skulpturen, Textilen, Kunstgewerbe. Auktionskatalog. Auktionsleitung: Mensing & Sohn / Cassirer / Helbing. München 1931. München: Verl. Helbing 1931. Geleitwort von Max J. Friedländer
  • Simon Meller: Marczell von Nemes, in: Zeitschrift für Bildenden Kunst, Leipzig, 1931–1932, Nr. 65, S. 25–30
  • Paul Schubring: Die Sammlung Nemes in Budapest, in: Zeitschrift für Bildende Kunst 22 (1910-11) 28-38
  • Gabriel von Térey: Die Sammlung Marcell von Nemes in Budapest, in: Kunst und Künstler 9 (1911) 217-224
  • Gabriel von Térey: Die Greco-Bilder der Sammlung Nemes, in: Der Cicerone 3 (1911) 1-6
  • Katalog der aus der Sammlung des Kgl. Rates Marczell von Nemes – Budapest ausgestellte Gemälde, Alte Pinakothek, München 1911.
  • Katalog der aus der Sammlung des Kgl. Rates Marczell von Nemes – Budapest ausgestellte Gemälde, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf 1912.

Weblinks

Commons: Marcell Nemes – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Biografische Angaben nach Veronika Schroeder: Spanien und die Moderne, S. 419f; István Németh: Von El Greco zu den französischen Expressionisten, S. 386ff
  2. Das ÖBL (siehe Literatur) gibt 1910 als Jahr der Nobilitierung an.
  3. Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus. S. 96
  4. Der eigene Beitrag bei der Forschung ist umstritten, siehe Veronika Schroeder: Spanien und die Moderne, S. 419f; Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus. S. 96 Fn. 314; István Németh: Von El Greco zu den französischen Expressionisten, S. 386–393
  5. Elisabeth Hipp: El Greco in München, 1909–1911, in: Beat Wismer: El Greco und die Moderne. S. 345
  6. Jost Auf der Maur: Die lange Reise des «Knaben», NZZ, 17. Februar 2008
  7. laut Jost Auf der Maur: Die lange Reise des „Knaben“, NZZ, 17. Februar 2008 war Cézannes „Knabe“ in den Nemes-Ausstellungen in Budapest, München und Düsseldorf ausgestellt. Bei Schroeder und bei Németh findet sich kein solcher Hinweis.
  8. Franz Marc: Geistige Güter, in: Wassily Kandinsky, Franz Marc: Der Blaue Reiter. Kommentierte Neuausgabe von Klaus Lankheit, Piper, München 2004, ISBN 3-492-24121-2 S. 22
  9. Der Blaue Reiter. Provisorisches Inhaltsverzeichnis. in: Andreas Hüneke (Hrsg.), Der blaue Reiter : Dokumente einer geistigen Bewegung. Nachwort von Andreas Hüneke, Leipzig : Reclam 1986, S. 80
  10. Jessica Horsley: Der Almanach des Blauen Reiters als Gesamtkunstwerk: Eine interdisziplinäre Untersuchung. Peter Lang, Frankfurt 2006, ISBN 978-3-631-54943-8. S. 40
  11. Vorwort auszugsweise bei : Andreas Hüneke (Hrsg.), Der blaue Reiter : Dokumente einer geistigen Bewegung. Leipzig : Reclam 1986, S. 453f; auch: Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus. S. 98
  12. $103,200 is given for a Rembrandt; High Prices Realized at the First Day of the Marczell de Nemes Sale., NYT, 18. Juni 1913
  13. Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus. S. 104f
  14. Evangelische Akademie Tutzing, 4. August 2012
  15. Nemes Marcell-díj siehe ungarische Wikipedia hu:Nemes Marcell-díj
  16. Veronika Schroeder: El Greco im frühen deutschen Expressionismus. S. 99 Fn. 330; S. 203; S. 212