Marschall von Bieberstein
Marschall von Bieberstein ist der Name eines alten meißnischen Adelsgeschlechts, das im 13. Jahrhundert das erbliche Marschall- und Kämmereramt der Markgrafen von Meißen besaß.
Ursprung, Geschichte und Namensentwicklung
Die Familie wird erstmals im Jahr 1196 mit Norbert von Schladebach und dessen Sohn Konrad urkundlich[1] erwähnt (eine Identität dieses Norbert mit dem 1179 urkundlich genannten Hallenser Salzgrafen Norbert[2] ist wahrscheinlich, kann aber nicht sicher belegt werden). Die Familie bekleidete bei den Markgrafen von Meißen das erbliche Marschall- und Kämmereramt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde die Amtsbezeichnung zum Namensbestandteil. Während der von Norberts jüngerem Sohn Konrad begründete Stamm der „Kämmerer“ Anfang des 15. Jahrhunderts erlosch,[3] leben die Nachkommen von Norberts älterem Sohn Heinrich, seit 1198 als Inhaber des Marschallamts urkundlich belegt,[4] bis heute unter dem jetzigen Familiennamen „Marschall von Bieberstein“ fort. Seit 1228 wird als Sitz der Familie die Burg Gnandstein bei Geithain (Landkreis Leipziger Land) genannt.
Nach dem Verlust der Erbämter Anfang des 14. Jh. verlagerte sich der Besitzschwerpunkte der Familie in den Raum Döbeln (u. a. Choren, Döschütz, Ebersbach, Gärtitz, Hermsdorf, Heyda, Jessnitz, Kobelsdorf, Mahlitzsch, Mockritz, Naußlitz, Otzdorf und Ziegra); östlich der Elbe sind Besitzungen in Berbisdorf, Nassau und Niederau b. Großenhain bezeugt. Eine auf Burg Frohburg b. Altenburg gesessene Linie der Marschälle strebte offenbar die Begründung einer eigenen Standesherrschaft an, dürfte dadurch jedoch in Konflikt mit den Markgrafen v. Meißen geraten sein und verlor Anfang des 14. Jahrhunderts alle ihre Rechte;[5] ihr weiteres Schicksal ist ungeklärt. Zugleich finden sich während des 14. Jh. Familienmitglieder im Patriziat der Stadt Freiberg, wo sie Ratsherren und Bürgermeister stellten. Auch am Silberbergbau des Erzgebirges hatten Familienmitglieder in dieser Zeit Anteil.
Wohl aus diesen Einkünften wurde der Erwerb von Burg, Dorf und Herrschaft Bieberstein, zwischen Nossen und Freiberg gelegen, finanziert. Als erstes nach Bieberstein benanntes Familienmitglied wird am 15. Juni 1399 Heinrich Marschall genannt, jedoch wurde der Beiname „von Bieberstein“ erst im 17. Jahrhundert zur Unterscheidung von anderen, nicht stammverwandten Geschlechtern des Namens „Marschall“ von der Gesamtfamilie angenommen (s. auch unten, „Hinweis“). Bieberstein blieb bis 1602 in Familienbesitz. Nach anfänglicher Blüte des in Bieberstein angesessenen Zweiges setzte ab Beginn des 16. Jh. allgemein ein zunehmender wirtschaftlicher Niedergang ein. Ein Zweig der Familie (v. Marschall und Berbisdorff) wandte sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts nach Schlesien, wo er die Güter Paulsdorf, Schmollen und Zessel besaß. 1584 heiratete Nikolaus Marschall der Jüngere auf Schloss Nossen Anna Luther, Tochter von Paul Luther und Enkelin des Reformators Martin Luther.[6]
Einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Familie markiert die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert sowie der bald darauf folgende Dreißigjährige Krieg. Fünf Familienzweige, darunter die beiden zu Bieberstein gesessenen, sind in dieser Zeit erloschen oder haben den Lehensverband verlassen und sind im Bürgertum verschiedener Städte aufgegangen. Mitte des 17. Jahrhunderts sind infolgedessen nur noch wenige männliche Namensträger als Mitglieder des grundbesitzenden sächsischen Adels anzutreffen (erst im 18. Jahrhundert hat die Zahl der Familienmitglieder wieder den Stand vom Ende des 16. Jahrhunderts erreicht). Ein neuer Impuls ging von Alexander Marschall von Bieberstein auf Hermsdorf (1604–1668) und seiner Gemahlin Johanna Barbara, geb. v. Milckau (1610–1681) aus, deren sieben Söhne[7] neue Linien begründeten; fünf von ihnen haben Mitte des 17. Jh. die meißnisch-kursächsische Stammheimat verlassen und sich im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt niedergelassen (in Bennstedt b. Halle, Bretleben, Hedersleben, Kayna, Baumersroda (1736/37-1744) und Schmon). Im 18. und 19. Jahrhundert wuchs die Familie stark an; Familienmitglieder sind in dieser Zeit im Königreich Hannover (Burgdorf), Pommern (Quatzow, Reddichow, Rowen, Rumske, Schmarsow und Zedlin), (Ost-)Preußen (Adelwitz, Bleddin, Eichen, Gnie, Polzen, Tolksdorf und Wandlack), Baden (Buchholz b. Waldkirch, Melcherhof/Unteribental b. Kirchzarten, Neuershausen b. Freiburg), Herzogtum Nassau (Hahnstätten), Russland (Dobrenkaja/Gouv. Poltawa und Alexandrowskoje/Bez.Orenburg) und USA (Cherry Spring, Gillespie Co., Texas) begütert. Daneben finden wir zahlreiche Familienmitglieder in zivilen Staatsdiensten und dem Militär, v.a. in Württemberg, Preußen, Baden, Hz. Nassau und Russland; in Österreich auftretende Namensträger konnten bisher genealogisch nicht zugeordnet werden. 1849 hat Hermann Marschall von Bieberstein zu Cölln b. Meißen Sachsen verlassen - mit ihm endete die über 650 Jahre währende Geschichte der Familie in der alten meißnischen Stammheimat. Heute blühen noch die Badische und die Nassauische Linie mit geographischen Schwerpunkten in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Der Verbleib von Nachkommen zweier in Russland (Moskau und Orenburg) ansässiger Zweige der Familie nach der Oktoberrevolution 1917 ist ungeklärt.
Adelserhebungen und Adelsanerkennungen
- Preußisches Indigenat am 12. Juni 1705 in Cölln an der Spree für Johann August Marschall von Bieberstein, königlich preußischer Oberheroldsmeister, Kämmerer und Hauptmann zu Burg Giebichenstein und Moritzburg (Halle).
- Nassauische Anerkennung des Freiherrnstands im Jahr 1812 für Ernst Franz Ludwig Freiherr Marschall von Bieberstein (1770–1834), herzoglich nassauischer Staatsminister.
- Preußische Genehmigung zur Fortführung des Freiherrntitels am 5. September 1872 in Berlin für Rudolph Freiherr Marschall von Bieberstein, königlich preußischer Hauptmann im Infanterie-Regiment Nr.118.
- Badische Anerkennung der Berechtigung zur Führung des Freiherrntitels am 29. Juni 1911 in Karlsruhe für die Nachkommen des großherzoglich badischen Staatsministers Karl Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (1764–1817).
(siehe Hauptartikel Bieberstein (Adelsgeschlecht))
Wappen
Das Wappen zeigt ein rotes Schräggitter auf silbernem Grund. Auf dem Helm mit rot-silbernen Decken befindet sich zwischen zwei silbernen Bueffelhörnern ein aufrecht gestellter roter Stab (Marschallsstab), der oben mit einem Busch von sechs schwarzen Hahnenfedern besteckt ist. Die erste bekannte Wappendarstellung findet sich auf einem Siegel aus dem Jahre 1236.[8]
Ein sehr ähnliches Wappen wurde der Ulmer Patrizierfamilie „Rottengatter“ mit Wappenbrief Kaiser Friedrichs III. vom 21. Juni 1473 verliehen
Namensträger im öffentlichen Leben der Neuzeit
- Alexander Marschall von Bieberstein (1604–1668), kursächsischer Rat und Obersteuereinnehmer
- Georg Job Marschall von Bieberstein (1625–1683), sachsen-weißenfelsischer Hofmarschall und Domherr des Stifts Magdeburg.
- Joachim Wilhelm Marschall von Bieberstein (1627–1691), sachsen-merseburgischer Rat, Hofmeister und Obersteuereinnehmer
- Hans Dietrich Marschall von Bieberstein (1643–1687), sachsen-weißenfelsischer Rittmeister
- Moritz Thamm Marschall von Bieberstein (1645–1702), kursächsischer Geheimer Rat
- Johann Adolph Marschall von Bieberstein (1670-1735), preußischer Oberst und Regimentschef
- Johann August Marschall von Bieberstein (1672–1736), preußischer Geheimer Rat, Oberheroldsmeister und Gesandter in London
- Konrad Leberecht Marschall von Bieberstein (1696–1768), preußischer Generalleutnant[9]
- August Friedrich Marschall von Bieberstein (* um 1697; † 1767), preußischer Oberst
- Carl Leonhard Marschall von Bieberstein (1705–1777),[10] kursächsischer und Königlich polnischer Generalpostmeister
- Conrad Otto Christoph Marschall von Bieberstein (1726–1796), württembergische Oberst und Oberhofmarschall
- Christian Adam Marschall von Bieberstein (1732–1786), Prälat des Stiftes Cammin; preußischer Major[11]
- Franz Freiherr Marschall von Bieberstein (1760–1835), k.k. österreichisch-ungarischer Generalmajor der Artillerie
- Karl Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (1763–1817), badischer Innenminister
- Friedrich August (Fjodor Kondratjewitsch) Baron Marschall von Bieberstein (1768–1826), russischer Staatsrat, Botaniker und Forschungsreisender, Verfasser der „Flora taurico-caucasica“[12]
- Ernst Franz Ludwig Freiherr Marschall von Bieberstein (1770–1834),[13] nassauischer dirigierender Staatsminister
- August Marschall von Bieberstein (1804–1888), badischer Gesandter beim Bundestag und Oberhofrichter
- Adolf Marschall von Bieberstein (1806–1891), badischer Innenminister
- Friedrich Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (1806–1865), nassauischer Domänenrat und Landtagsabgeordneter
- Hermann Friedrich Marschall von Bieberstein (1812–1886), sächsischer Liberaler und Freund Richard Wagners
- Arthur Karl Lebrecht Marschall von Bieberstein (1816–1885), preußischer Generalleutnant[14]
- Ernst August Friedrich Hans Freiherr Marschall von Bieberstein (1816–1860), nassauischer Domänenrat und Landtagsabgeordneter
- Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (1822–1902)[15] und Luise Freifrau Marschall von Bieberstein, geb. Weiss (1827–1901), seit 1848 Siedler in Texas
- Oscar Marschall von Bieberstein (1829–1913), Schriftsteller und Übersetzer
- Alma Lessing, geb. Marschall von Bieberstein (1841–1908), Kunstphotographin
- Adolf Hermann Freiherr Marschall von Bieberstein (1842–1912),[16] Staatssekretär im Auswärtigen Amt, deutscher Botschafter in Konstantinopel und London
- Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein (1848–1920), badischer Minister des Äußeren und des Großherzoglichen Hauses sowie des Eisenbahnwesens
- Kurt Marschall von Bieberstein (1861–1947), General der Pioniere
- Marie Luise Marschall von Bieberstein (geborene Marie Luise von Gemmingen; 1862–1949), von 1916 bis 1934 die Vorsitzende des Evangelischen Frauenverbandes für Innere Mission in Baden
- Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein (1883–1939), ordentlicher Professor der Rechte an der Universität Freiburg i.B.
- Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (1890–1935), Flieger, bad. NSDAP-Landtagsabgeordneter[17] und Teilnehmer an der Chinesisch-Schwedischen Expedition von Sven Hedin 1928 bis 1929.[18]
- Wolfgang Freiherr Marschall von Bieberstein (1928–2003), ordentlicher Professor der Rechte an den Universitäten Frankfurt und Bonn
- Walther Freiherr Marschall von Bieberstein (1930–2014), deutscher Botschafter in Bangladesch und Myanmar (Birma)
- Michael Freiherr Marschall von Bieberstein (1930–2012), Leiter der Goethe-Institute in Rom, Paris und Madrid
- Joachim Freiherr Marschall von Bieberstein (* 1954), deutscher Botschafter im Königreich Kambodscha
- Christoph Freiherr Marschall von Bieberstein (* 1959), deutscher Journalist
- Matern Freiherr Marschall von Bieberstein (* 1962), deutscher Politiker (CDU)
Literatur
- Felix Bachmann: Herrschaft und Wirkung - Adel und Großgrundbesitzer in Halle und dem westlichen Saalekreis. Mitteldeutscher Verlag Halle, 2009.
- Fritz Fischer: Ahnenreihen der Geschwister Fischer. maschinenschriftl. Werk (Hauptstaatsarchiv Dresden)
- Genealogisches Handbuch des Adels, Adelslexikon Band VIII, Band 113 der Gesamtreihe, C. A. Starke Verlag, Limburg (Lahn) 1997, ISSN 0435-2408, S. 282–284.
- Otto Hupp: Münchener Kalender 1925. Buch und Kunstdruckerei AG, München/ Regensburg 1925.
- Lindnersche Genealogische Sammlung in der Bay. Staatsbibliothek München
- Dieter Rübsamen: Kleine Herrschaftsträger im Pleißenland. Böhlau-Verlag, 1987.
- Harald Schieckel: Herrschaftsbereich und Ministerialität der Markgrafen von Meißen. 1959.
- Fr. Cast: Historisches und genealogisches Adelsbuch des Grossherzogthums Baden. Band 2, Teil 1, S. 284ff.
- Valentin König: Genealogische Adels-Historie. Teil 2, S. 674ff.
Weblinks
Hinweis
Diese Familie ist nicht verwandt mit den Rogalla von Bieberstein bzw. den in Böhmen, Schlesien und den Lausitzen reich begüterten, längst erloschenen von Bieberstein, die ebenfalls einst (vor 1218 bis ca. 1290) die Burg Bieberstein bei Freiberg besaßen. Eine Verwandtschaft besteht ferner nicht mit den Thüringer Marschallen von Altengottern und den Bremer Marschalck von Bachtenbrock.
Anmerkungen
- ↑ Codex diplomaticus saxoniae regiae
- ↑ Urkundenbuch der Stadt Halle
- ↑ Zuletzt genannt wird Otto Kämmerer von Gruna, urk. 1401.
- ↑ Codex diplomaticus saxoniae regiae
- ↑ Letztmalige Nennung von fünf Gebrüdern Marschall von Frohburg in einer meißnischen Urkunde von 1405.
- ↑ Bisher ungeklärt ist, ob es heute noch lebende Nachkommen dieses Paares gibt. Urkundlich gesichert ist, dass das Paar Kinder hatte.
- ↑ Georg Job Marschall von Bieberstein,Joachim Wilhelm Marschall von Bieberstein, Alexander Haubold Marschall von Bieberstein, Julius Heinrich Marschall von Bieberstein, Leonhard Marschall von Bieberstein, Hans Dietrich Marschall von Bieberstein und Moritz Thamm Marschall von Bieberstein
- ↑ O. Posse: Die Siegel des Adels der Wettiner Lande.
- ↑ Kurt von Priesdorff: Soldatisches Führertum. Band 1, 1937, Nr. 349.
- ↑ Die Sächsischen Generalpostmeister der Polnischen Post in der Zeit der Personalunion mit dem Churfürstentum Sachsen von 1697 bis 1763. In: Beiträge zur Sächsischen Postgeschichte und Philatelie. Band 5, Verlag Christian Springer, 1983, S. 28–34.
- ↑ Bieberstein. In: Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurer Lexikon. 1980. Nachdruck von 1932, Amalthena- Verlag, ISBN 3-85002-038-X.
- ↑ Biberschteijn. In: Russki biografitscheski sslowarj. Band 3, 1908, S. 13/14.
- ↑ W. Menn: Ernst Franz Ludwig Freiherr Marschall von Bieberstein, 1770–1834. In: Nassauische Lebensbilder. Band 6, 1961, S. 114–183.
- ↑ Kurt von Priesdorff: Soldatisches Führertum. Band 8, Nr. 2678.
- ↑ Irene Marschall King: Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein, 1822–1901. Selbstverlag, Waco/Texas c. 1970.
- ↑ Erich Lindow: Freiherr Marschall von Bieberstein als Botschafter in Konstantinopel 1897 bis 1912. Danzig 1934.
- ↑ Götz v. Pölnitz: Emir. das tapfere Leben des Freiherrn Marschall von Bieberstein. München u. a. 1942.
- ↑ Nachruf von Sven Hedin: Marschall v. Bieberstein. In: Sven Hedin: Fünfzig Jahre Deutschland. F.U. Brockhaus, Leipzig 1938, S. 239–246.