Mutesarriflik Libanonberg

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Das Mutessariflik Libanon 1914
Mutessariflik Libanon 1893 auf einer zeitgenössischen Karte in rot

Das Mutessariflik Libanon[1][2][3] (türkisch Cebel-i Lübnan Mutasarrıflığı, französisch Moutassarifiate du Mont-Liban, arabisch متصرفية جبل لبنان, DMG Mutaṣarrifīya Ǧabal Lubnān) war eine Provinz des Osmanischen Reiches, die im Zuge der Tanzimat-Reformen entstand. Nach 1861 existierte wegen der Diskriminierung der Christen sowie als Folge der Massaker von 1860 ein autonomes Gebiet im Bereich des Libanongebirges mit einem christlichen Gouverneur („Mutasarrif“), der unter europäischen diplomatischem Druck als Heimstätte für die Maroniten entstand.

Das Gebiet des Mutessariflik, das im Jahre 1870 noch 110.000 Einwohner hatte,[4] hatte Beit ed-Din bei Dair al-Qamar als Hauptstadt.[5] Amtssprache waren Osmanisch und Französisch, Umgangssprache libanesisches und syrisches Arabisch.

Geschichte

Hintergrund

Als die Macht des Osmanischen Reichs zu schwinden zu begann, kam auch die Verwaltungsstruktur unter Druck. Wegen der fortwährenden Feindseligkeiten gegen die christliche Minderheit und Kämpfen zwischen Drusen und Maroniten, schlugen Vertreter europäischer Mächte dem osmanischen Sultan Abdülmecid I. vor, dass der Libanon in christliche und drusische Verwaltungsgebiete unterteilt werden könnte. Die Hohe Pforte entschied sich schließlich dazu, die Direktherrschaft des Libanon aufzugeben. Am 7. Dezember 1842 nahm der Sultan den Vorschlag von Fürst Metternich an und bat Assad Pascha, den Gouverneur (wali) von Beirut, die Regien des Libanon in zwei Distrikte zu unterteilen: einen nördlichen Distrikt unter einem christlichen Kaymakam und einen südlichen Distrikt unter einem drusischen Kaymakam, jeweils von Stammesführern gewählt. Beide Offizielle waren dem Gouverneur von Sidon, der in Beirut residierte, unterstellt.[6][7]

Konflikt von 1860

Am 22. Mai 1860 kam es am Stadteingang von Beirut zu einem bewaffneten Konflikt zwischen Maroniten und eine Gruppe von Drusen, bei dem einer getötet und zwei verwundet wurden. Dies entfachte eine Gewaltwelle, der über den gesamten Libanon zog. In weniger als drei Tagen, vom 29. bis zum 31. Mai 1860, wurden 60 Dörfer in der Umgebung von Beirut zerstört.[6] 33 Christen und 48 Drusen wurden getötet.[8] Im Juni weiteten sich die Unruhen auf die religiös gemischten Gebiete des Südlibanon und des Antilibanon aus, sowie nach Sidon, Hasbaja, Rascheiya, Dair al-Qamar und Zahlé. Die drusischen Bauern leiteten eine Belagerung von katholischen Klöstern und Missionen ein, brannten sie nieder und töteten die Mönche.[6] Nach den Massakern, bei denen über 10.000 Christen getötet wurden, intervenierte Frankreich im Interesse der örtlichen christlichen Bevölkerung und Großbritannien im für die Drusen.[9][10]

Errichtung des Mutasarrifiats

Libanesische Soldaten während des Mutessariflik

Am 5. September 1860 traf sich eine internationale Kommission, zusammengesetzt aus Frankreich, Großbritannien, Österreich, Preußen, Russland und dem Osmanischen Reich, um die Ursachen der Ereignisse von 1860 zu ermitteln und ein neues Verwaltungs- sowie Justizsystem für den Libanon vorzuschlagen, welches das Wiederauftreten solcher Ereignisse verhindern sollte. Die Kommissionsmitglieder stellten fest, dass die Aufteilung des Libanon in Drusen und Christen mitverantwortlich für die Massaker war. Deswegen wurde im Statut des Libanon von 1861 der Libanon von Syrien abgespalten und unter einen nichtlibanesischen christlichen Mutasarrif (Gouverneur) vom osmanischen Sultan gestellt - unter der Zustimmung der anderen europäischen Mächte.[6] Der Mutasarrif sollte durch einen Verwaltungsrat aus zwölf Mitgliedern unterstützt werden, die den verschiedenen religiösen Gemeinschaften des Libanon entstammten. Jede der sechs Religionsgruppen, die den Libanon bevölkerten (Maroniten, Drusen, Schiiten, Sunniten, Griechisch-Orthodoxe und Griechische Uniaten), wählten zwei Mitglieder in den Rat.[6][10]

Dieses Mutessariflik-System existierte von 1861 bis 1918, als Frankreich das Gebiet zugesprochen bekam. Es wurde später in den Großlibanon als Teil des Völkerbundmandats für Syrien umgewandelt.[11]

Bezeichnung

Die Mitglieder der Internationalen Kommission suchten nach Namen für die neue Verwaltungseinheit und nach einem entsprechenden Titel ihres Gouverneurs. Viele Varianten wurden dabei in Betracht gezogen; Emir (أمير) wurde schnell aufgegeben, da er zu offensiv gegen die Osmanische Pforte und zu nahe beim Emiratssystem angesiedelt war, den die Osmanen abschaffen wollten. Wāli (والي) fiel auch aus, da die Kommissionsmitglieder die Wichtigkeit des Ranges dieses neuen Titels vermitteln wollten, welcher über dem der osmanischen Gouverneure der benachbarten Vilâyets stand; Gouverneur (حاكم) wurde auch verworfen, da der Titel alltäglich und weit verbreitet war. Die Kommissionsmitglieder überlegten auch den Titel „Präsident“ (رئيس جمهورية), jedoch wurde dieser Vorschlag nicht vom Osmanischen Reich angenommen. Nach zwei Wochen Beratung wurde der französische Begriff plénipotentiaire vereinbart, und ihre arabischen Übersetzung mutasarrif wurde als neuer Titel für den Gouverneur und für die Verwaltungseinheit Mutessariflik Libanon angenommen.

Mutasarrifen

Insgesamt acht Mutasarrifen wurden ernannt und regierten entsprechend der Mutessariflik-Regelungen, die im Jahre 1861 verabschiedet und durch die Tanzimat-Reform von 1864 angepasst wurden.

  • Daoud Pacha 1861–1868
  • Franko Pacha 1868–1873
  • Rustom Pacha 1873–1883
  • Wassa Pascha 1883–1892
  • Naoum Pacha 1892–1902
  • Mozafar Pacha 1902–1907
  • Youssef Pacha 1907–1912
  • Johannes Pascha (Ohannes Pascha Kouyoumdjian) 1912–1915

Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach, besetzte Dschemal Pascha den Libanon militärisch und schaffte das Mutessariflik-System ab. Er ernannte Mutasarrifen entgegen der Regelungen. Diese Gouverneure waren: Ali Mounif Beik, Ismail Beik und Moumtaz Beik.[11]

Schwarze Strichlinien zeigen die Grenzen des Territoriums, auf einer Religionskarte des heutigen Libanon

Bevölkerung

Die Gesamtbevölkerung 1895 wurde auf 399.530 geschätzt, von denen 319.296 (79,8 %) Christen, und 80.234 (17,8 %) Muslime sowie Drusen waren.[12] Im Jahre 1913 wurde die Bevölkerung auf 414.747 geschätzt, darunter 329.482 (79,5 %) Christen, und 85.232 (19,1 %) Muslime und Drusen.[12] Die Muslime waren in der Mehrzahl schiitisch.

Religiöse Gruppen 1895 und 1913[12]
Religion 1895 Anteil 1913 Anteil
Maroniten 229.680 57,5 % 242.308 58,3 %
griechisch-katholisch 34.472 8,5 % 31.936 7,7 %
griechisch-orthodox 54.208 13,5 % 52.536 12,8 %
Andere Christen 936 0,3 % 2.882 0,7 %
Drusen 49.812 12,5 % 47.290 11,3 %
Schiiten 16.846 4,3 % 23.413 5,5 %
Sunniten 13.576 3,5 % 14.529 3,6 %
Gesamtbevölkerung 399.530 100 % 414.747 100 %

Einzelnachweise

  1. Robert Fisk, Malcolm Debevoise, Samir Kassir: Beirut. University of California Press, 2010, ISBN 978-0-520-25668-2, S. 94.
  2. Salwa C. Nassar Foundation: Cultural resources in Lebanon. Librarie du Liban, Beirut 1969, S. 74.
  3. Winslow, Charles: Lebanon: war and politics in a fragmented society. Routledge, 1996, ISBN 978-0-415-14403-2, S. 291.
  4. Reports by Her Majesty's secretaries of embassy and legation on the ... Great Britain. Foreign office, S. 176 (online).
  5. Abel Pavet de Courteille: État présent de l'empire ottoman. J. Dumaine, 1876, S. 112–113 (online (fr.)).
  6. a b c d e Wladimir Borisowitsch Luzki: Modern History of the Arab Countries. Progress Publishers, 1969, abgerufen am 12. November 2009 (englisch).
  7. United States Library of Congress - Federal Research Division (Hrsg.): Lebanon A Country Study. Kessinger Publishing, 2004, ISBN 978-1-4191-2943-8, S. 264.
  8. Caesar E. Farah: The politics of interventionism in Ottoman Lebanon, 1830-1861. I.B.Tauris, 2000, ISBN 1-86064-056-7, S. 564.
  9. Leila Tarazi Fawaz: Occasion for War: Civil Conflict in Lebanon and Damascus in 1860. illustrierte Auflage. I.B.Tauris & Company, 1995, ISBN 978-1-86064-028-5, S. 320.
  10. a b Lebanon - Religious Conflicts. In: countrystudies.us. U.S. Library of Congress, abgerufen am 23. November 2009.
  11. a b Abdallah el-Mallah: The system of Moutasarrifiat rule. (universitär) In: abdallahmallah.com. Abgerufen am 16. November 2009.
  12. a b c Religion and Fertility: Arab Christian-Muslim Differentials, Joseph Chamie, Seite 29