Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski

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Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski.

Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski (russisch Николай Гаврилович Чернышевский, wiss. Transliteration Nikolaj Gavrilovič Černyševskij; * 12. Julijul. / 24. Juli 1828greg. in Saratow, Russisches Kaiserreich; † 17. Oktoberjul. / 29. Oktober 1889greg. ebenda) war ein russischer Schriftsteller, Publizist, Literaturkritiker und Revolutionär.

Leben

Geboren als Sohn eines Priesters, verbrachte er seine Schulzeit in Saratow. Nach Abschluss seines Studiums an der Universität in Petersburg lehrte er Literatur am Gymnasium seiner Heimatstadt.

In der Zeit von 1853 bis 1862 lebte Tschernyschewski in Sankt Petersburg. Er war Mitarbeiter unabhängiger Zeitschriften und Autor. Er kritisierte die Unterdrückung der Menschen im zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts ebenso wie die kleinbürgerliche Einstellung seiner Zeitgenossen.

1862 wurde Tschernyschewski aus politischen Gründen verhaftet. Im Gefängnis schrieb er 1863 den Roman Was tun?, in dem er der Frage nachgeht, wie idealistische Menschen die Welt im Kleinen verändern können.

Eine Nebenfigur, der asketische Intellektuelle Rachmetow, wurde zum Leitbild unzähliger nihilistischer Revolutionäre des zaristischen Russland: Rachmetow unterwirft sich im Roman der Fron niederster Arbeiten wie etwa der der Treidler, um sich die Achtung und Liebe des gemeinen Volkes zu erwerben. Er liquidiert sein Vermögen und behält nur einen geringen Teil davon für den Eigenbedarf, mit dem Rest unterstützt er Not leidende Studenten. Zugleich widmet er sein Leben dem Studium der Literatur und geheimnisvollen Aktivitäten im In- und Ausland. Dabei verzichtet er auf fast jeden Lebensgenuss und auf ein sich anbahnendes Liebesverhältnis, um sich ganz seiner nicht näher bezeichneten Berufung zu widmen. In der sowjetischen Ideologie war Rachmetow der Prototyp des perfekten sozialistischen Menschen; er war der Idealtypus des Berufsrevolutionärs.[1] Dennoch wird er im Roman – zur Umgehung der Zensur – nicht ausdrücklich als Revolutionär bezeichnet.

1864 wurde Tschernyschewski zunächst zu einer Scheinhinrichtung und anschließend zur Verbannung nach Sibirien (ab 1872 in Wiljuisk) verurteilt, das er erst 1883 wieder verlassen durfte. 1889 starb er in seiner Geburtsstadt Saratow.

Er trat für die revolutionäre Beseitigung der Alleinherrschaft ein und vertrat die Interessen der Arbeiterklasse. Er war überzeugt von der Idee, den Sozialismus auf der Grundlage der Strukturen der Landbevölkerung Russlands erschaffen zu können.

Seine Auffassungen wurden hauptsächlich durch die von Alexander Herzen, Ludwig Feuerbach sowie Wissarion Belinski beeinflusst.

Rezeption

Tschernyschewskis Roman Was tun? (Что делать?) hatte großen Einfluss auf die russische Intelligenzija, die ihn lebhaft und kontrovers diskutierte. Insbesondere viele Werke Dostojewskis zeigen deutliche Spuren der Auseinandersetzung mit dieser Arbeit.[2]

Karl Marx war ein eifriger Leser Tschernyschewskis, bewunderte ihn und besaß sieben Bücher von ihm im Original.[3]

Der Buchtitel wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Lenin aus Bewunderung für Tschernyschewski in seiner programmatischen Schrift Was tun? übernommen.

In Vladimir Nabokovs Roman Die Gabe (ab 1937) schreibt der fiktive Held eine kritische Biographie Tschernyschewskis. Nabokov schrieb diese Biographie von 140 Druckseiten selbst und legte sie als „Buch im Buch“ in den Roman ein.[4]

Eponyme

1984 wurde der Asteroid (2783) Chernyshevskij nach ihm benannt.[5]

Werke

  • Чернышевский в Сибири / Tschernyschewski w Sibiri. Perepiska s drusjami. Statja E. A. Ljazkowo. Primetschanija M. N. Tschernyschewskowo. (Tschernyschewski in Sibirien. Briefwechsel mit seinen Verwandten). Ogni, St. Petersburg 1912
  • Полное собрание сочинений. / Polnoje sobranije sotschineni. N. G. Tschernyschewski. Pod red. B. P. Kosmina (Gesammelte Werke). 15 Bde., Moskau 1939–1953
  • Ausgewählte philosophische Schriften. Aus dem russischen übersetzt von Alfred Kurella. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1953
  • Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit. Berlin 1954
  • Fortschrittliche Ideen in der Ästhetik Lessings. Deutsch von Walter Dietze. Progress Verlag, Düsseldorf 1957
  • Was tun? Aus Erzählungen von neuen Menschen. 5. Aufl. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1979
  • Prolog. Roman aus dem Anfang der sechziger Jahre. Deutsch von Irene Müller, 2. Aufl. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1982

Literatur

  • G. Plechanow: N. G. Tschernischewsky. J. H. W. Dietz, Stuttgart 1894 (2. Aufl. Buchhandlung "Vorwärts" Paul Singer, Berlin 1911, 3. Aufl. Berlin 1920)
  • Georg Steklow: N. Techeryschewski. Ein Lebensbild. Dietz, Stuttgart 1913
  • Juri Michailowitsch Steklow: N. G. Tschernyschewski. Ewo schisn i dejatelnost (deutsch Sein Leben und Werk). 1828–1889. Gos Isdatelstwo (Staatsverlag), Moskau, Leningrad 1928
  • W. Jewgrafow: Nikolai Tschernyschewski. Ein grosser Denker des russischen Volkes. Verlag für fremdsprachagige Literatur, Moskau 1941
  • Michael Wegner: Tschernyschewski, Nikolai Gawrilowitsch. In: Philosophenlexikon. Von einem Autorenkollektiv hrsg. von Erhard Lange und Dietrich Alexander. Dietz Verlag, Berlin 1982, S. 897–901
  • Manfred Orlick: Der Vergessene Revolutionär. Zum 120. Todestag von Nikolai G. Teschernyschewski. In: Pflaster Mitteldeutsches Straßenmagazin. Halle, S., Bd. 11, 2009, Sep/Okt., S. 18–19
  • Ernst-Ultrich Knaudt: Fünf Briefe ohne Adresse ─ Bakunin ─ Marx vs. Marx ─ Ćernyśevskij. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2012. Argument, Hamburg 2014, ISBN 978-3-86754-680-5, S. 56–82.

Einzelnachweise

  1. Bianka Pietrow-Ennker: Russlands "neue Menschen". Campus-Verlag, Frankfurt/Main, New York 1999, S 43 f. online
  2. Reinhard Lauer: Die Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart, C. H. Beck, München 2000, S. 372f
  3. Marx-Engels-Gesamtausgabe. Abteilung IV. Bd. 32, Nr. 214 bis 220, S. 184–187
  4. Hans-Ulrich Treichel, spiegel.de
  5. Minor Planet Circ. 9215

Weblinks

Commons: Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien