Rudolf Hillebrecht

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Grab des Architekten und Stadtplaners Rudolf Hillebrecht (1910-1999) auf dem Engesohder Friedhof in Hannover.

Rudolf Hillebrecht (* 26. Februar 1910 in Linden; † 6. März 1999 in Hannover) war ein deutscher Architekt und Stadtplaner. Er überplante als Stadtbaurat die im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe stark zerstörte Stadt Hannover als moderne autogerechte Stadt und ließ dafür zahlreiche noch erhaltene historische Gebäude abreißen.

Ausbildung und frühe Berufstätigkeit

Hillebrecht wurde als Sohn des Getreidekaufmanns Ernst Hillebrecht und dessen Frau Bertha, geb. Arning, im damals noch selbstständigen Linden (seit 1920 ein Stadtteil von Hannover) geboren. Er besuchte das Kaiserin-Auguste-Victoria-Gymnasium, die heutige Helene-Lange-Schule, und machte dort 1928 das Abitur.[1]

Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule Hannover und im Wintersemester 1930/31 an der Technischen Hochschule Charlottenburg bei Heinrich Tessenow und Hermann Jansen. 1933 schloss er in Hannover mit dem Diplom-Examen ab und arbeitete zunächst bei den hannoverschen Architekten Hans Nitzschke und Adolf Falke. Anfang 1934 half er Walter Gropius in Berlin bei der Arbeit an Plänen für den von der Deutschen Arbeitsfront ausgeschriebenen Architektenwettbewerb „Häuser der Arbeit“.[2] Danach fand er Anstellung beim Reichsverband der Deutschen Luftfahrt-Industrie in Travemünde und Hamburg und baute als Regierungsbauführer (Referendar im öffentlichen Bauwesen) Flak-Kasernen in Hamburg-Ohlsdorf.

Büroleiter bei Gutschow

Anschließend an das 2. Staatsexamen quittierte Hillebrecht 1937 den Staatsdienst und wurde „Chefarchitekt“ im Büro des Hamburger Architekten Konstanty Gutschow, der einen Großwettbewerb zur Gestaltung des Elbufers mit einem 250 m hohen Hochhaus für die Partei und einer 65 m breiten Uferstraße auf persönlichen Entscheid Adolf Hitlers gewann. Gutschow wurde 1939 vom Hamburger Gauleiter Kaufmann zum „Architekten des Elbufers“ ernannt und mit der Aufstellung eines Generalbebauungsplans für die „Führerstadt“ Hamburg beauftragt. Hillebrecht gehörte zum engsten Mitarbeiterkreis Gutschows, das Büro beschäftigte Anfang 1941 rund 150 Mitarbeiter, Ende 1942 waren es bereits 250.[3] Ab 1941 firmierte das Büro aufgrund zunehmender Kriegsschäden als „Amt für kriegswichtigen Einsatz“, organisierte Trümmerräumung, Luftschutzmaßnahmen sowie Ersatzwohnraum-Beschaffung.[4]

Hillebrecht entfaltete als Büroleiter Gutschows ein großes organisatorisches Talent.[5] Er war mit den Plänen für die Neugestaltung Hamburgs befasst, koordinierte den Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und organisierte die Beschaffung von Baumaterial für Hamburger Luftschutzbauten, unter anderem aus dem Klinkerwerk des KZ Neuengamme. Ab 1944 war er tätig in Albert Speers Wiederaufbaustab.[6] Mit Gutschow unternahm Hillebrecht im Januar 1944 eine Reise, die sie durch 24 schwer vom Luftkrieg zerstörte Städte führte. Sie erarbeiteten „Richtlinien zur Statistik“ und Schadenskartierung, die als Grundlage für die Wiederaufbauplanung dienen sollten.[7]

Noch im Herbst 1944 wurde Hillebrecht eingezogen und erlebte das Kriegsende in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ab 1946 arbeitete er unter Viktor Agartz in der Abteilung Bauwirtschaft des Zentralamtes für Wirtschaft der britischen Besatzungszone in Bad Pyrmont, ab 1947 als Sekretär für Bau- und Wohnungswesen im Zonenbeirat in Hamburg.[8]

Stadtbaurat in Hannover

Nach seiner erfolgreichen Bewerbung als Stadtbaurat 1948 führte Hillebrecht mit Unterstützung von Konstanty Gutschow als Berater die in Speers Wiederaufbaustab entwickelten Konzepte in Hannover fort.[9] Unter dem Motto „Deutschland will leben - Deutschland muß bauen“ initiierte er mit Gutschow die Baufachmesse „Constructa“, die 1951 die Aufbauleistung deutscher Städte zeigte und den Vorbildcharakter Hannovers unterstrich.[7] Hillebrecht und der Auschwitz-Architekt Hans Stosberg, der 1948 das Planungsamt der Stadt übernahm,[10] bildeten ein „gut trainiertes Team, das auch ohne planungsrechtliche Voraussetzungen eigenständig Entscheidungen treffen kann“, so der Architekturhistoriker Werner Durth.[11] Ein weiterer Mitarbeiter Hillebrechts aus Speers Wiederaufbaustab war seit 1949 der Bremer Architekt Wilhelm Wortmann, der 1951 den Flächennutzungsplan für Hannover entwickelte.[12]

Hillebrecht gelang es gegen erhebliche Widerstände, den Grundeigentümern ihre alten Fluchtlinien auszureden, um eine autogerechte Innenstadtplanung zu ermöglichen. Von dem 61 Hektar großen Planungsgebiet der völlig zerstörten Innenstadt gaben die Grundbesitzer 15 Prozent kostenlos an die Stadt ab. So entstand zum Beispiel das Kreuzkirchenviertel in der hannoverschen Altstadt. Barocke Achsen der früheren Residenzstadt Hannover wurden zugunsten geschwungener Straßen aufgegeben. Durch die Tangenten bzw. den Innenstadtring sollte die Innenstadt vom Verkehr freigehalten und gleichzeitig die Zufahrt zu allen Zentrumsbereichen erleichtert werden. Der Spiegel widmete ihm und dem Aufbau der Stadt Hannover im Juni 1959 eine Titelgeschichte über das Wunder von Hannover mit seinem Konterfei. Hillebrecht gilt heute als prototypischer Vertreter einer Stadtplanung, die das Leitbild der „autogerechten Stadt“ umsetzte.

Der Bau großer Autotrassen (Hamburger Allee, Berliner Allee, Leibnizufer) durch die Innenstadt führte zur weiteren Auflösung der vor dem Krieg dichten Bebauung. Die breiten Straßen trennen teilweise noch heute ganze Stadtteile ab und wirken mit ihrer Architektur der singulären Bauten wie Fremdkörper in der ansonsten dichten Bebauung der Innenstadt. Städtische Plätze wurden zu Verkehrsverteilern. Charakteristische Platzelemente wie etwa eckbetonende Bauten verschwanden. Die Calenberger Neustadt, im 17. Jahrhundert die erste große Erweiterung der eigentlichen Altstadt, ist durch die sechsspurige Straße Leibnizufer von der Altstadt im Bereich der Leine getrennt. Die ehemalige Leineinsel im Bereich der Altstadt wurde durch Zuschüttung eines Leinearmes beseitigt.

Darüber hinaus ließ Hillebrecht trotz Protesten aus der Bevölkerung zahlreiche historische Gebäude, die den Krieg überstanden hatten, abreißen: So etwa die legendäre Wasserkunst am Leineschloss oder das Friederikenschlösschen von Laves am Friederikenplatz. Viele der in der Nachkriegszeit abgebrochenen Gebäude stammten aus der Gründerzeit und waren Hinterhofbebauung (z. B. der heutigen Berliner Allee). Bis in die 1970er Jahre hinein wurden gründerzeitliche Gebäude beseitigt. Der geplante Abriss ganzer Viertel aus dieser Epoche im Stadtteil List wurde hingegen nicht realisiert. Den Abriss der Wasserkunst bezeichnete Hillebrecht später selbst als Fehler.

Im Gegensatz zu anderen Stadtplanern hatte er sehr früh seine Planungen auf den motorisierten Individualverkehr hin ausgerichtet. Hillebrecht war ein „Bauhausmann“, verehrte den klassizistischen Baustil, lehnte den Historismus ab, schuf Traditionsinseln, war ein Feind von Hochhäusern und sprach lieber von Neuaufbau als von Wiederaufbau. In seiner Amtszeit wurde in der Innenstadt Hannovers, unter anderem mit dem Kröpcke, der Georgstraße und der Bahnhofstraße, die damals größte zusammenhängende Fußgängerzone Deutschlands geschaffen. Dies begründete den Ruf Hannovers als Einkaufsstadt in Norddeutschland. Allerdings wird Hillebrechts Wirken in Hannover auch kritisch gesehen. Er selbst sprach schon 1957 von verpassten Chancen. Obwohl sich Hillebrecht nicht für architektonische Details erwärmte („Ich denke nicht daran, Fenstersprossen zu reglementieren“),[13] sah er es – im Unterschied zu anderen Stadtbauräten – als seine Aufgabe an, für umfangreiche so genannte Straßenmöblierung durch Kunst im öffentlichen Raum zu sorgen, für die er häufig Mäzene gewann, die junge Künstler beauftragten.

Die Nachfolge Hillebrechts trat Hanns Adrian 1975 an.

Hillebrechts Grab befindet sich auf dem Stadtfriedhof Engesohde in Hannover. Der Platz vor der Bauverwaltung neben dem hannoverschen Rathaus wurde nach ihm benannt.

Ehrenämter und Auszeichnungen

Literatur

  • Wunder von Hannover. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1959, S. 61–63, 66, 68 (online).
  • Fritz Eggeling: Stadtplanung in Hannover. In: Bauen + Wohnen, 1956, Heft 10, S. 327ff.
  • Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Hrsg.): Zwischen Stadtmitte und Stadtregion. Berichte und Gedanken. Rudolf Hillebrecht zum 60. Geburtstag. Krämer, Stuttgart 1970. (= Beiträge zur Umweltplanung)
  • Axel Düker: Verkehrsplanung deutscher Städte zwischen 1920 und 1960, dargestellt am Beispiel von Hannover. Magisterarbeit, Leibniz-Universität Hannover, 2002, ISBN 978-3-8366-5737-2.
  • Dirk Böttcher, Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein, Hugo Thielen: Hannoversches Biographisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2002, ISBN 3-87706-706-9, S. 168-169. Online bei Google Bücher
  • Friedrich Lindau: Hannover. Wiederaufbau und Zerstörung. Die Stadt im Umgang mit ihrer bauhistorischen Identität. 2. Auflage, Schlütersche, Hannover 2001, ISBN 3-87706-659-3.
  • Friedrich Lindau: Planen und Bauen der Fünfziger Jahre in Hannover. Hannover 1998, ISBN 3-87706-530-9.
  • Paul Zalewski: Rudolf Hillebrecht und der autogerechte Wiederaufbau Hannovers nach 1945. In: Rita Seidel (Hrsg.): Universität Hannover 1831-2006, Festschrift zum 175-jährigen Bestehen der Universität Hannover. Band 1, Hildesheim 2006, S. 89-102.
  • Paul Zalewski: Zwischen Stadtautobahnen und Traditionsinseln. Zur Rolle der Historizität im Wiederaufbau von Hannover nach 1945. In: Koldewey-Gesellschaft (Hrsg.): Bericht über die 44. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung. Stuttgart 2008, S. 28-36.
  • Sid Auffarth, Ralf Dorn (Herausgeber): Ein Leben für Hannover. Festschrift zum 100. Geburtstag von Rudolf Hillebrecht. Hannover 2010.
  • Gerhard Kier, Sid Auffarth, Karljosef Kreter: Rudolf Hillebrecht: Geboren 26. Februar 1910. Dokumentation der Ausstellung zum 100. Geburtstag in der Bauverwaltung der Landeshauptstadt Hannover, Begleitschrift der Ausstellung vom 26. Februar bis 26. März 2010, Hrsg.: Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Planen und Stadtentwicklung, Hannover: Landeshauptstadt, 2010
  • Helmut Knocke: Rudolf Hillebrecht. In: Stadtlexikon Hannover, S. 295.
  • Ralf Dorn: „Planung ist schöpferische Gestaltung“. Zum planungsmethodischen Instrumentarium Rudolf Hillebrechts. In: Hannoversche Geschichtsblätter, 65 (2011), S. 21-31.
  • Ralf Dorn: Auf dem Weg zur autogerechten Stadt? Zur Verkehrsplanung Hannovers unter Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht. In: Ausst.Kat.: Richtig in Fahrt kommen. Automobilisierung nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. v. Rolf Spilker, Industriemuseum Osnabrück, Bramsche 2012, S. 204-219.
  • Paul Zalewski: Zur „Konstruktion der Heimat“ im funktionalistischen Aufbau Hannovers nach 1945. In: Renata Skowronska, Helmut Flachenecker (Hg.): Bulletin der Polnischen Historischen Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Nr. 7/2012 (Materialien zur Tagung „Vielerlei Wiederaufbau“, 2011), Würzburg 2012, S. 293-337.
  • Ralf Dorn: Rudolf Hillebrecht und das Neue Bauen – Zu den beruflichen Anfängen des hannoverschen Stadtbaurats. In: Hannoversche Geschichtsblätter 68 (2014), S. 71-83.

Weblinks

Commons: Rudolf Hillebrecht – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rudolf Hillebrecht im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. Friedrich Lindau: Planen und Bauen der Fünfziger Jahre in Hannover.
  3. Jörg Hackhausen: Stadtplanung in Hamburg - Kontinuitäten und Wandel vom Generalbebauungsplan 1940/41 bis zum Aufbauplan 1950. Norderstedt 2005
  4. Jan Lubitz: Architekten-Portrait Konstanty Gutschow 1902-1978
  5. Werner Durth: Deutsche Architekten: biographische Verflechtungen 1900-1970. Krämer, Stuttgart Zürich 2001, ISBN 978-3-7828-1141-5, S. 175
  6. Friedrich Lindau: Hannover : Wiederaufbau und Zerstörung ; die Stadt im Umgang mit ihrer bauhistorischen Identität. 2. überarb. Aufl., Schlüter, Hannover 2001, ISBN 3-87706-659-3, S. 325 f.
  7. a b Margit Kühl: Entwicklung des Stadtteils Kiel-Mettenhof. In: Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum von 1970 bis zur Gegenwart: Entwicklungslinien - Brüche - Kontinuitäten. Hrsg. von Bernfried Lichtnau, Lukas Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-936872-85-9, S. 68 ff.; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  8. Böttcher, Mlynek, Röhrbein, Thielen: Hannoversches Biographisches Lexikon: Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Hannover 2002
  9. Heinrich Schwendemann: Die Folgen der Zerstörung. Bomben für den Aufbau In: Der Spiegel 1/2003
  10. Niels Gutschow: „Ordnungswahn: Architekten Planen Im 'Eingedeutschten Osten' 1939-1945“, Gütersloh 2001. - Stosbergs Tätigkeit in Auschwitz war weder für Hillebrecht noch für den ebenfalls informierten SPD-Fraktionsvorsitzenden ein Anlass zur Besorgnis.
  11. Roland Stimpel: Architekten in Auschwitz. Tiefpunkt der Architekturgeschichte In: Deutsches Architektenblatt 2011
  12. Paul Zalewski: Rudolf Hillebrecht und der autogerechte Wiederaufbau Hannovers nach 1945 (PDF; 9,1 MB). In: Rita Seidel (Hrsg.): Universität Hannover 1831-2006, Bd. 1, Hildesheim 2006
  13. Städtebau / Hillebrecht: Das Wunder von Hannover, Der Spiegel 23/1959
  14. Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein: Geschichte der Stadt Hannover. Schlütersche, Hannover 1994, ISBN 978-3-87706-319-4, S. 236.