Selbstregulation (Psychologie)

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Der Begriff Selbstregulation bezeichnet in der Psychologie diejenigen bewussten und unbewussten psychischen Vorgänge, mit denen Menschen ihre Aufmerksamkeit, Emotionen, Impulse und Handlungen steuern.

Allgemeine Definition

Selbstregulation umfasst u. a. den mentalen Umgang mit Gefühlen und Stimmungen (siehe Emotionsregulation) und die Fähigkeiten, Absichten durch zielgerichtetes und realitätsgerechtes Handeln zu verwirklichen (z. B. Selbstwirksamkeit) sowie kurzfristige Befriedigungswünsche längerfristigen Zielen unterzuordnen (siehe Belohnungsaufschub). Gut ausgeprägte Fähigkeiten zur Selbstregulation setzen (im neuropsychologischen Sprachgebrauch) intakte exekutive Funktionen voraus. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe Selbstregulation und Selbstkontrolle meistens als Synonyme verwendet, die das gleiche bezeichnen.

Ronald Grossarth-Maticek definiert Selbstregulation als „eine permanente, flexible, bedürfnisorientierte Eigenaktivierung in Bezug auf den Körper und die physische und soziale Umwelt mit dem Ziel, dort Bedingungen und Zustände zu erreichen, die sowohl eine kurzzeitige Bedürfnis­befriedigung ermöglichen, als auch eine Selbstorganisation derart stabilisieren, dass eine Entwicklung und Integration unterschiedlicher Bereiche für eine effektive Problemlösung gewährleistet wird.“[1]

Zielsetzung der Selbstregulation

Ein wesentliches Entwicklungsziel im Erziehungs- und Sozialisations­prozess von Kindern ist die Fähigkeit, sich zunehmend selbstständig, also ohne die Unterstützung von Bezugs- bzw. Betreuungspersonen, zu steuern. Einer der frühesten Sozialisationsvorgänge in dieser Hinsicht ist die Sauberkeitserziehung. Je älter Kinder werden, desto mehr wird von ihnen erwartet, in ihrem Verhalten soziale Normen und Rollenanforderungen zu beachten, Aufgaben zu übernehmen und ihr Handeln zielorientiert steuern zu können. Dazu ist die Entwicklung gewisser psychischer Kompetenzen wie z. B. Frustrationstoleranz und Impulskontrolle erforderlich.

In der Psychotherapie hat Frederick Kanfer die Selbstmanagement-Therapie entwickelt, bei der es darum geht, dem Patienten zu helfen, die Kontrolle über das eigene Verhalten (wieder) zu übernehmen, damit er momentane und zukünftige Probleme selbstständig bewältigen kann. Dieses Selbstmanagement umfasst verschiedene Fähigkeiten wie zum Beispiel Selbstbeobachtung des erwünschten und unerwünschten Verhaltens, Stimuluskontrolle zur Verhaltensbeeinflussung bis hin zum Selbstmanagement als Anleitung zum eigenen Therapeuten.[2]

Selbstregulation bei psychischen Erkrankungen

Menschen unterscheiden sich in den Fähigkeiten und im Stil der Selbststeuerung. Bei verschiedenen psychischen Störungen wie Abhängigkeit (Sucht), Zwangsstörungen, der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind die Selbstregulationskompetenzen eingeschränkt, mit der Folge, dass eine eigenständige Lebensführung z. T. erheblich beeinträchtigt wird.

Psychologische Theorien zur Selbstregulation

  • Das Belohnungsaufschubs-Paradigma von Mischel
  • Theorie der Selbstregulation nach Bandura
  • PSI-Theorie nach Kuhl
  • In Fritz Heiders Balancetheorie besagt das homöostatische Prinzip, dass Personen ihre Einstellungen je nach Zuneigung/Abneigung an ihren Kommunikationspartner angleichen bzw. nicht.
  • Die Gestalttherapie geht davon aus, dass der menschliche Organismus in der Lage ist, innerhalb seiner Umgebung (des „Feldes“) alle Prozesse, die zu seiner Erhaltung und für sein Wachstum wichtig sind, selbst zu regulieren. Dabei greift die Gestalttherapie auf Ergebnisse der Gestaltpsychologie und auf die Arbeiten des Neurologen Kurt Goldstein zurück und überträgt sie auf den Bereich des Organismus. Goldstein betont, dass für den Organismus in der Auseinandersetzung mit der Umwelt die Notwendigkeit besteht, dass „jede, durch die Umweltreize gesetzte Veränderung des Organismus in einer bestimmten Zeit sich wieder ausgleicht, so dass der Organismus wieder in jenen ,mittleren‘ Zustand der Erregung, der seinem Wesen entspricht, diesem ,adäquat‘ ist, zurückgelangt.“ (Goldstein: Aufbau des Organismus, 1934, S. 75)
  • Volition (Psychologie)

Neurobiologische Befunde

Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub wurde beim Menschen durch Vergleich von Ausfällen nach Gehirnverletzungen (z. B. Schlaganfall) und durch bildgebende Verfahren bei Gesunden untersucht. Beteiligt ist demnach ein Netzwerk verschiedener Gehirnregionen, bei dem jedoch der mediale orbitofrontale Cortex (mOFC) eine zentrale Rolle spielt. Schäden in diesem Bereich führen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass eine sofortige, kleine Belohnung gewählt wird. Es wird vermutet, dass dieser Gehirnbereich an der Folgenabschätzung oder zukunftsbezogenem Vorstellungsvermögen beteiligt ist.[3]

Siehe auch

Literatur

  • Baumeister, Roy F. und Vohs, Kathleen D. (Hrsg.), Handbook of Self-Regulation, Guilford Press, 2004
  • Eichhorn, C. (2002): Souverän durch Self-Coaching. Ein Wegweiser nicht nur für Führungskräfte. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. ISBN 3-525-49004-6.
  • Geißler, Peter (Hrsg): Was ist Selbstregulation? Eine Standortbestimmung, Gießen 2004, Psychosozial-Verlag.
  • Ronald Grossarth-Maticek: Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit. Krankheitsfaktoren und soziale Gesundheitsressourcen im sozio-psycho-biologischen System, Walter de Gruyter, 2003, ISBN 3-11-017495-2
  • Kanfer, F.H., Reinecker, H & Schmelzer, D. (2012). Selbstmanagement-Therapie: Ein Lehrbuch für die klinische Praxis (5., korr. und durchges. Aufl.). Berlin, New York: Springer. ISBN 978-3-642-19365-1
  • Walter Mischel: Der Marshmallow-Test: Willensstärke, Belohnungsaufschub und die Entwicklung der Persönlichkeit. Deutsche Übersetzung von Thorsten Schmidt, Siedler Verlag, München 2015, ISBN 9783641119270.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ronald Grossart-Maticek: Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit. Krankheitsfaktoren und soziale Gesundheitsressourcen im sozio-psycho-biologischen System, Walter de Gruyter, 2003, ISBN 3-11-017495-2, S. 38
  2. Christian Reimer u. a.: Psychotherapie, 3. Auflage. Heidelberg 2007
  3. Manuela Sellitto, Elisa Ciaramelli, Giuseppe di Pellegrino: The neurobiology of intertemporal choice: insight from imaging and lesion studies. In: Reviews in the Neurosciences. Band 22, Nr. 5, 2011, ISSN 0334-1763, S. 565–574, doi:10.1515/RNS.2011.046, PMID 21967518.