Shanty

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Ein Shanty [ˈʃæntɪ] ist eine Form des Seemannsliedes. Diese Liedgattung gehört zum Seemannsbrauchtum.

Geschichte

Der heute geläufige Name Shanty (engl. Sea Shanty) tauchte erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Er wurde vermutlich vom englischen ‚chant‘ = ‚singen/Gesang‘ und dem französischen ‚chanter‘ = ‚singen‘ abgeleitet, bzw. von ‚chantez‘, wie es die französisch sprechenden schwarzen Schauerleute von New Orleans gebrauchten.[1]

Erste Hinweise auf „Arbeitslieder der Matrosen“ finden sich im Werk des Dominikanermönches Felix Fabri aus Ulm, der 1493 auf einer Galeere nach Palästina segelte. Im Complayant of Scotland (1549) finden sich die frühesten bekannten Texte solcher Arbeitslieder.[2] Shantys waren also dem Ursprung nach Arbeitslieder zur Zeit der Großsegler. Man sang sie auf den Handels- und Fischfangschiffen, zur Unterstützung und Koordination körperlich anspruchsvoller Arbeiten, die nur in gemeinsamer Kraftanstrengung erledigt werden konnten, wie Anker hieven, Segel setzen, Segel und Netze einholen, Taue durchholen, Aufziehen der Rahen, die Arbeit an Winden und Pumpen, aber auch beim Be- und Entladen der Schiffe. Da Großbritannien zur Blütezeit der Shantys im 19. Jahrhundert die führende Seefahrtnation war, sind viele der uns heute überlieferten Shantys in englischer Sprache. Es war allerdings meist kein reines Englisch. Da die Schiffsbesatzungen oft aus unterschiedlichen Ländern stammten, war es eher ein Sprachgemisch, sogenanntes Pidgin-Englisch, unfein und melodisch unstimmig. Nicht das Singen stand im Vordergrund, sondern die Tätigkeit.

Mitte 16. Jahrhundert bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschwanden viele Shantys wieder aus dem Bordleben. Grund dafür war wohl die Zwangsrekrutierung vieler britischer Seeleute in die Kriegsmarine. Shantys waren dort verboten, denn Kommandos auf den Kriegsschiffen wurden durch Pfeifen weitergegeben. Die neu angeheuerten Schiffsbesatzungen der britischen Handelsschiffe jedoch, sie stammten vorwiegend aus anderen Nationen, hatten zum traditionellen Shanty keinen Bezug mehr.[3]

Zur Zeit der frachtfahrenden Großsegler klangen Shantys anders als heute. Auf die in Form eines Wechselgesangs laut gegen Wind und Wetter herausgebrüllten Befehle des Shantyman antworteten die Matrosen mit ihrem Gesang, der meist mit einem Haul (wie im Deutschen „Hau-ruck“) und dem Zug am Tau endete. So ist es auch nicht verwunderlich, dass erste Berichte über Shantys von „wilden Schreien“ auf Deck der Segelschiffe berichten. Und den heute üblichen Einsatz von Instrumenten gab es nicht. Allein die Stimmen von Shantyman und Mannschaft waren zu hören. Lediglich bei ruhigeren Arbeiten wie am Gangspill sowie in der abendlichen Freizeit kam es gelegentlich zum Einsatz von Mundharmonika, Fidel oder Banjo.

Mit Beginn der Industriellen Revolution wurden schnellere Schiffe gebraucht. Die breitbauchigen Ostindienfahrer verschwanden und wurden durch Klipper und Fregatten ersetzt. Mit der Eröffnung des Suez-Kanals verdrängten die aufkommenden Dampfschiffe viele Frachtsegler auf den Routen nach Ostasien und Australien. Dies führte letztlich dazu, dass die Shantys ihren praktischen Nutzen für die Seefahrt nach und nach verloren und nur noch in der Freizeit und zur Unterhaltung gesungen wurden.

Viele Shantys entstanden auch durch Übernahme von (Volks-)Liedern der afro-amerikanischen und karibischen Hafenarbeiter, die beim Beladen der Schiffe in den Südstaaten der USA eingesetzt waren. Aber auch die schottischen und nordeuropäischen Walfänger- und Fischfangflotten nahmen großen Einfluss auf die Entwicklung der Shantys, genauso wie die Besatzungen der Handelsschiffe (Kauffahrer) auf den Fernrouten nach Übersee. Aber auch die Lieder aus den jeweils besuchten Ländern bzw. Herkunftsländern der Matrosen spielten eine Rolle, denn man kannte keine Scheu bei der Übernahme fremder Melodien. Gesungen wurde, was gefiel, und die Texte wurden einfach verändert oder angepasst. Selbst Kinderlieder wurden adaptiert (etwa Down by the sea, where the watermellows grow).

Zweck der Shantys

Der ursprüngliche praktische Zweck des Shanty als Arbeitslied stand bei den Seeleuten immer an erster Stelle. Sprachliche und musikalische Aspekte spielten dagegen kaum eine Rolle. Es war allein wichtig, dass der Shanty die Arbeit unterstützte. Der Shantyman konzentrierte sich darauf, den Arbeitstakt zu bestimmen und die Matrosen mit seinen improvisierten Texten anzuspornen und zu unterhalten.

Typen

Die Einteilung der verschiedenen Arten des Shanty wird, je nach Sichtweise und Erfahrung, unterschiedlich interpretiert. Recht hilfreich ist es, grundsätzlich in drei Hauptgruppen einzuteilen, wobei in den nachfolgenden Auflistungen über den jeweiligen Zweck der Shantys, jedoch nur die bekanntesten Shantyarten erfasst sind.

  • Shantys, die beim Ziehen eingesetzt wurden (hauling actions, pulling actions)
  • Shantys, die beim Drücken eingesetzt wurden (heaving actions, pushing actions).
  • Shantys, die zur Unterhaltung / in der Freizeit gesungen wurden.

Shantys mit Arbeitszweck Ziehen

  • Der Halyard-Shanty (Long-drag-shanty) wurde bei Aktionen mit längerer Dauer eingesetzt (z. B. große Segel setzen),
  • der Short-drag-shanty war für Aktionen mit kurzer Dauer, aber großem Kraftaufwand bestimmt (z. B. dem Wechsel der Segelrichtung),
  • der Hand-over-hand-shanty bei Arbeiten die im Wechsel mit linker und rechter Hand erledigt wurden (z. B. Setzen kleinerer Segel, Durchholen von Tauen).
  • Beim Stamp-and-go-shanty (Walk-away-shanty) wurde meist die komplette Decksmannschaft zum Ziehen eingesetzt.

Shantys mit Arbeitszweck Drücken

  • Capstan-Shantys wurden beim Anker lichten an der Ankerwinde (Spill/Capstan) gesungen.
  • Windlass-Shantys wurden bei der Bedienung des pumpenähnlichen Windlass gesungen.
  • Pump Shantys wurden bei Pumparbeiten gesungen (z. B. Abpumpen des Leckagewassers).

Shantys zur Unterhaltung/Freizeit

  • Hierzu zählen die Pollerlieder oder Forebitter (‚Fore-bitts‘ = ‚Poller‘, die pilzförmigen Eisenköpfe zum Festmachen der Taue). Pollerlieder beschreiben meist romantisierend das harte und entbehrungsreiche Leben auf See. Man sang sie gerne abends in der Freizeit auf den Pollern sitzend, aber auch bei bestimmten Anlässen und Ritualen, wie etwa dem Überqueren des Äquators oder des Polarkreises.
  • Auch die Homeward-bound-Shantys mit ihren erzählenden Texten von Erlebnissen und Sehnsüchten wurden meist in der Freizeit gesungen.

Chöre und Interpreten

Das traditionelle Liedgut der Shantys wird heutzutage von „Shanty-Chören“ gepflegt, die sich verstärkt in der Nähe von Hafen- oder Küstenstädten bildeten, aber oftmals auch im Binnenland aus Segel- und Marinevereinen[4] hervorgingen. Shanty-Chöre bestehen meist vollständig oder überwiegend aus Männern. In Norddeutschland an der Waterkant gehört der Auftritt von „Shanty-Chören“ zum Kulturgut, gilt inzwischen aber auch als Bestandteil des dortigen touristischen Angebots.

Aber nicht nur echte Shantys werden gesungen, sondern auch Filmmusik wie aus Große Freiheit Nr. 7 oder dem Dokumentarfilm Windjammer (1958) sind heute im Repertoire vieler Chöre zu finden.

Als Solisten sind ausschließliche Shanty-Interpreten eher selten anzutreffen; hierzu zählen zum Beispiel der Bremerhavener Günther Bockelmann (1945–2009) und der polnische Shanty-Sänger und -Texter Jerzy Porebski (* 1939). Shantys gehören jedoch zum Repertoire einiger Liedermacher, etwa Achim Reichel oder Hannes Wader, und teils auch von Schlagersängern wie Sven Jenssen oder Peter Petrel.

Seit 2012 ist die deutsche Band Santiano, die sich nach einem Shanty benannt hat, mit einer Mischung aus Shantys und anderen Stilrichtungen erfolgreich.

Auch in den Nachbarländern Deutschlands wird der Shanty-Gesang gepflegt, besonders in den Anrainer-Staaten von Nord- und Ostsee.[5][6]

In der Popkultur

In Film und Fernsehen

In Videospielen

Hörbeispiele

Literatur

  • Gilbert Obermair (Hrsg.): Shanties. Die rauen Gesänge der alten Fahrensleute. Heyne, München 1983, ISBN 3-453-41528-0.
  • Stan Hugill: Shanties from the Seven Seas. Shipboard Work-Songs and Songs Used from the Great Days of Sail. Mystic Seaport Museum Publications, Mystic, Conn. 2003, ISBN 0-913372-70-6 (Nachdr. d. Ausg. Routledge, London 1984).[7]
  • Stan Hugill: Windjammerlieder. Das rauhe Leben und die lustigen Lieder der alten Fahrensleute. Claassen Verlag, Düsseldorf 1978, ISBN 3-546-44893-6.
  • Hermann Strobach, Jens Gerlach: Shanties. Nachdichtungen englischer und skandinavischer Lieder. Delius Klaing, Bielefeld 1978, ISBN 3-7688-0084-9 (Nachdr. d. Ausg. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M. 1971).
  • Konrad Tegtmeier: Alte Seemannslieder und Shanties. E. Hauswedell & Co., Hamburg 1951.
  • Richard R. Terry: Sailor Shanties. II. In: Music & Letters, Bd. 1 (1920), Heft 3, S. 256–268, ISSN 0027-4224

Weblinks

Commons: Shanty-Chöre und -Sänger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Shanty – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Elisabeth Peters, ISSA, Shanty-Referat http://www.flinthoerners.de/cms/images/downloads/ShantyReferat.pdf
  2. Stan Hugill: Windjammerlieder. Claassen Verlag, Düsseldorf, ISBN 3-546-44893-6, S. 10, 1. Spalte
  3. Stan Hugill: Windjammerlieder. S. 10, 3. Spalte
  4. Shanty im Deutschen Marinebund http://www.dmb-shanty.de/
  5. ISSA International Shanty and Seasong Association http://www.shanty.org/de/
  6. Niederländische Shanty-Chöre http://www.shantykoren.eu/
  7. Die Bibel des Shanty, Erstauflage 1961, Nachdruck 1966, 1979, 1984; zweite Auflage (gekürzt) 1984, 1987, 1994!