Stigmatisation

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Der hl. Franziskus von Assisi empfängt die Stigmata, 13. Jahrhundert

Stigmatisation (von griechisch στíγμα stigma ‚Stich‘, ‚Stigma‘, ‚Zeichen‘; lat. für ‚Brandmal‘) bezeichnet das Auftreten der Wundmale Christi am Körper eines lebenden Menschen. Die entsprechenden Wundmale werden als Stigmata (singular: Stigma), Menschen, bei denen Stigmatisation auftritt, als Stigmatisierte bezeichnet.

In der Antike bezeichnete man mit στíγμα ein Malzeichen, das auf die Stirn oder die Hand eingebrannt wurde.

Geschichte

Biblische Erwähnung

Bereits im Brief des Apostels Paulus an die Galater werden die Wundmale Christi erwähnt: „Ich trage die Zeichen (στíγμα) Jesu an meinem Leib.“ (Gal 6,17 EU), wobei allerdings die Deutung dieser „Zeichen“ unsicher ist und sie vermutlich nicht äußerlich sichtbar waren.

Träger der Wundmale Christi

Die hl. Katharina erleidet eine Ohnmacht, als sie die Stigmata empfängt. Altarbild von Robert Kuven in St. Pantaleon im elsässischen Munchhausen.

Der erste anerkannte Fall von Stigmatisation ist der des hl. Franz von Assisi. Seine Stigmatisation soll sich am 17. September 1224 ereignet haben. Die erste Frau, die Stigmata erhielt, soll die selige Christina von Stommeln (1242–1312) gewesen sein, derenReliquien sich heute in Jülich befinden; am Schädel der Seligen sind Spuren einer Dornenkrone zu sehen.

In der Folgezeit gibt es vermehrt Berichte über Stigmatisationen, die seither einen wichtigen Bestandteil von körperlichen Erfahrungen der christlichen Mystik darstellen. Die Zahl der bekannten Stigmatisierten schwankt je nach Autor zwischen 100 und über 330, da genaue Kriterien fehlen, was unter Stigmatisation zu verstehen ist (innere und äußere Stigmatisation). Die Anzahl der Träger mit den sichtbaren und spontan blutenden Wundmalen Christi dürfte 100 nicht überschreiten; der Arzt Franz Lothar Schleyer wies 1948 für eine medizinische Studie knapp 70 gesicherte Fälle nach.[1]

Zu den bekannten Stigmatisierten der neueren Zeit zählen die selige Anna Katharina Emmerick, Therese Neumann aus Konnersreuth, der hl. Pater Pio und Marthe Robin.

Der Arzt Wolfgang Garvelmann erstellte eine vergleichende Studie über die Visionen dreier Stigmatisierter (Anna Katharina Emmerick, Therese Neumann und Judith von Halle).

13 Stigmatisierte wurden von der römisch-katholischen Kirche heilig- und einige weitere seliggesprochen. Die katholische Kirche wertet eine Stigmatisation nicht automatisch als übernatürlich oder als Erweis von Heiligkeit. Bei Selig- und Heiligsprechungen wurden Stigmata entweder nicht oder nur am Rande erwähnt.

Einige der neuzeitlichen Stigmatisierten mussten sich mehrfach medizinischen Untersuchungen von weltlicher und kirchlicher Seite unterziehen, um eine Selbstbeibringung ihrer Wunden auszuschließen. Beispielsweise wird berichtet, Handwunden von Anna Katharina Emmerick seien fest verbunden und von einer Kommission Tag und Nacht beobachtet worden, ohne dass sich an ihren Blutungen etwas geändert habe. Louise Lateau ist einer der am besten dokumentierten Stigmatisationsfälle; ihre Stigmata sollen an Freitagen geblutet haben. Rudolf Virchow, der allerdings das Angebot, sie persönlich zu untersuchen, ablehnte, hielt sie für eine Betrügerin. Die heilige Veronica Giuliani, die am Karfreitag 1697 an Händen, Füßen und Herzen stigmatisiert wurde, trug nur die Wundmale an den Händen und Füßen, nicht aber an der Seite. Bei der Sektion nach ihrem Tode durch zwei Ärzte in Gegenwart zahlreicher Zeugen fand man angeblich jedoch ihr Herz ganz durchstochen.

Erklärungsversuche

Fresko der Stigmatisation des hl. Franz von Assisi in St. Katharinen in Lübeck

Einige Mediziner und Theologen gehen von einer überwiegend natürlichen, psychogenen Ursache der Stigmatisation aus. Andererseits gelang es dem ehemaligen Zauberkünstler und Privatdetektiv Joe Nickell nicht, auch nur einen einzigen Fall zu finden, in dem das Einsetzen von Blutungen beobachtet werden konnte. Eine aus der Psychiatrischen Klinik der Universität München stammende aktuelle Interpretation eines Untersuchungsberichtes aus dem Jahre 1927 über Therese Neumann kommt zu dem Ergebnis, dass die Stigmata im Rahmen einer psychosomatischen Symptombildung auf dem Hintergrund intensiver religiöser Phantasien spontan, d. h. ohne Manipulation, entstanden seien.[2] Untersuchungen zeigten, dass durch Hypnose immer wiederkehrende Unterhautblutungen entstehen und nicht heilende Wunden wieder verschwinden können.

Möglicherweise ist die Stigmatisation verwandt mit dem Blutschwitzen und Blutweinen, bei denen eine natürliche Ursache gesichert scheint. Bei diesen Phänomenen treten allerdings keine offenen Wunden auf, sondern das Blut tritt direkt über die unverletzte Haut aus, so wie es auch bei einigen Stigmatisierten von Blutungen der Stirn- und Kopfhaut berichtet wird.

Umstritten sind allerdings psychische Mechanismen. Beispielsweise wird behauptet, dass offene Wunden über viele Jahre hinweg (bei Pater Pio sogar 50 Jahre lang) nicht heilten, sich aber auch nicht entzündeten oder eiterten und dies medizinisch nicht erklärt werden könne. Aus der medizinischen Anwendung von Dauerkathetern ist bekannt, dass die Infektionsanfälligkeit bei dauerhaften, tiefen Verletzungen der Haut von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ist. Es gibt Fälle, bei denen über Jahre oder Jahrzehnte hinweg keinerlei entzündliche Veränderungen auftreten. Für einen Blutfluss entgegengesetzt der Schwerkraft, wie es z. B. bei Anna Katharina Emmerick berichtet wird, sowie ähnliche paranormale Phänomene fehlen objektive Beweise.

Handstigmata sind in der Regel auf der Handinnenseite oder dem Handrücken zu sehen. Es gilt heute jedoch als wahrscheinlich, dass bei Kreuzigungen der Nagel in der Nähe der Handwurzel zwischen Elle und Speiche des Unterarms eingeschlagen wurde. Interessant hierbei ist, dass die Wunden bei Stigmatisierten meist so auftreten, wie diese in diesem Kulturkreis bekannt sind. Zeigt ein Kulturkreis also Stigmata am Handrücken, dann haben die Personen dort Wunden am Handrücken. Werden hingegen Wunden an den Gelenken dargestellt, treten sie dort auf.

Filme

Das Thema der Stigmatisation wurde in mehreren Filmen aufgegriffen:

Literatur

  • René Biot: Das Rätsel der Stigmatisierten (= Bibliothek Ekklesia. Bd. 4, ZDB-ID 526704-3). Pattloch, Aschaffenburg 1957.
  • Irmtraud Götz von Olenhusen (Hrsg.): Wunderbare Erscheinungen. Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Schöningh, Paderborn u. a. 1995, ISBN 3-506-76178-1.
  • Michael Hesemann: Stigmata. Sie tragen die Wundmale Christi. Silberschnur, Güllesheim 2006, ISBN 3-89845-125-9.
  • Johannes Maria Höcht: Träger der Wundmale Christi. Eine Geschichte der Stigmatisierten. Herausgegeben und ergänzt von Arnold Guillet. 6. Auflage, 17.–19. Tausend. Christiana-Verlag, Stein am Rhein 2004, ISBN 3-7171-0596-5.
  • Wolfgang Garvelmann: Sie sehen Christus. Erlebnisberichte von der Passion und der Auferstehung Christi. Anna Katharina Emmerich, Therese Neumann, Judith von Halle. Eine Konkordanz. Verlag am Goetheanum, Dornach 2008.
  • Ingrid Malzahn: Pater Pio von Pietrelcina. Wunder, Heilungen und von der Kraft des Gebets. Grasmück, Altenstadt 2001, ISBN 3-931723-12-7.
  • Joe Nickell: Looking for a Miracle. Weeping, Icons, Relics, Stigmata, Visions & Healing Cures. Prometheus Books, Buffalo NY 1993, ISBN 0-87975-840-6.
  • Franz L. Schleyer: Die Stigmatisation mit den Blutmalen. Biographische Auszüge und medizinische Analyse. Schmorl & von Seefeld, Hannover 1948.
  • Oktavian Schmucki: Stigmatisation. In: Josef Höfer, Karl Rahner (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Auflage. Band 9. Herder, Freiburg im Breisgau 1964.
  • Otmar Seidl: Zur Stigmatisation und Nahrungslosigkeit der Therese Neumann (1898–1962). In: Der Nervenarzt. Bd. 79, Nr. 7, 2008, S. 836–844, doi:10.1007/s00115-008-2475-5.

Weblinks

Wiktionary: Stigmatisation – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. F. L. Schleyer: Die Stigmatisation mit den Blutmalen. 1948, S. 45 ff.
  2. O. Seidl: Zur Stigmatisation und Nahrungslosigkeit der Therese Neumann. 2008, S. 836–844.