Baba Wanga

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Wanga (bulgarisch Ванга, eigentlich Wangelia Pandewa Guschterowa, bulg. Вангелия Пандева Гущерова, geborene Dimitrowa; * 31. Januar 1911 in Ostromdscha,[1][2] Osmanisches Reich (heute Strumica, Nordmazedonien); † 11. August 1996 in Sofia, Bulgarien) war die berühmteste Seherin Bulgariens[3][4] der jüngeren Vergangenheit und wurde als „lebende Heilige“ verehrt.[3] Unter den Bezeichnungen Baba Wanga (bulg. Баба Ванга, dt. etwa Großmutter Wanga, die Alte Wanga oder die Tante Wanga) und die Seherin von Petritsch war sie außer in Bulgarien vor allem in Jugoslawien und in der Sowjetunion bekannt.[5]

Leben und Wirken

Kindheit und Jugend bis 1940

Nach Angabe ihrer Nichte, der Orientalistin Krasimira Stojanowa, waren Wangas Eltern arme Bauern,[6] deren ethnische Herkunft schwierig zu bestimmen ist.[4] Der Vater Pande Surtschew[6] engagierte sich in der probulgarischen Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation gegen die serbische Herrschaft in Makedonien, die Mutter starb früh.[4]

Als Wanga zwölf Jahre alt war, zogen die verarmten Dimitrows von Strumica nach Novo Selo (heute Nordmazedonien),[6] dem nahe gelegenen Heimatdorf des Vaters, und lebten im größeren Familienverband. Dort wurde sie mit 13 Jahren in einem Wirbelsturm schwer verletzt. Trotz medizinischer Behandlung verlor sie zunehmend ihr Augenlicht bis zu ihrer völligen Erblindung im Alter von 16 Jahren. Dieses Ereignis wird gemeinhin als Auslöser ihrer visionären Erfahrungen angesehen.[4]

Während eines zweijährigen Sanatoriumsaufenthalts in Zemun bei Belgrad erlernte sie die für Haushaltsführung nötigen Fähigkeiten wieder. Seit ihrem 18. Lebensjahr führte Wanga das familiäre Hauswesen und zog ihre Geschwister auf,[4] da die Stiefmutter kurz zuvor gestorben war.[6] Als 1940 auch der Vater starb, befand sich die Familie am unteren Ende der sozialen Leiter.[4] Nach Aussagen von Verwandten gab sie seit dieser Zeit an, dass sie mit Heiligen kommuniziere.

Wangas Wohnhaus in Petritsch

Beginn ihrer „Visionen“

Bei ihrer ersten öffentlich gemachten Prophezeiung Anfang April 1941 offenbarte ihr angeblich ein „strahlender Reiter“ in mehreren Visionen, dass bald „schreckliche Dinge“ geschehen würden. Am 6. April begann der Feldzug der deutschen Wehrmacht gegen Jugoslawien, zu dem dieser Teil Makedoniens damals gehörte. Es wird berichtet, dass Wanga sich in der darauf folgenden Zeit stark verändert und begonnen habe, Nachbarn und Verwandten von deren abwesenden Angehörigen im Krieg zu berichten.[7]

Das Gerücht über Wangas angebliche Hellsichtigkeit verbreitete sich, und so wurde sie während des Krieges von Soldaten der bulgarischen Besatzungsmacht und lokalen Kleinbauern als Seherin und Heilerin[8] konsultiert. Einer von ihnen war Dimitar Guschterow, den sie 1942 heiratete. Wanga zog mit ihm in seine rund 50 Kilometer weiter östlich gelegene bulgarische Heimatstadt Petritsch. Unter der Bezeichnung „die Hellseherin von Petritsch“ (petričkata gledarica) erlangte sie rasch Ansehen, sodass sie 1943 auch der bulgarische König Boris III. aufsuchte, dessen vorzeitigen Tod sie angeblich vorhersagte.[9][10]

Repression ab Ende der 1940er Jahre

Ab Ende der 1940er Jahre musste Wanga sich den neuen sozialen Regeln des kommunistischen Regimes anpassen, das nach Modernisierung und nationaler Homogenität strebte. Die lokalen Parteistrukturen versuchten ihre Tätigkeit zu unterbinden; sie wurde von der Polizei überwacht. Um 1950 war Baba Wanga angeblich die beliebteste Person der Region und so bekannt, dass sie Leute aus ganz Bulgarien anzog. Nach dem Tod ihres Mannes 1962 ließ parallel zum familiären Druck auch die polizeiliche Kontrolle nach.[4]

Rehabilitierung und wissenschaftliche Untersuchungen

Während der 1960er Jahre änderten sich die Bedingungen für Wangas Aktivitäten grundlegend. Zunehmend interessierten sich in Bulgarien gebildete Personen und die neue sozialistische Intelligenzija für sie.[11]

Ab 1967 war Wanga Staatsangestellte am Institut für Suggestopädie, das an der bulgarischen Akademie der Wissenschaften eingerichtet worden war. Um die Fähigkeiten von Baba Wanga zu untersuchen, wurde abgeschieden im Gebiet Rupite, 15 Kilometer entfernt von Petritsch, ein Gebäude errichtet, in dem sie die Ratsuchenden empfing.[4] Untersuchungen von Wangas prophetischen Vorhersagen – vor allem beim Auffinden vermisster Angehöriger – ergaben angeblich eine „Trefferquote“ von 80 Prozent,[12] während andere Hellseher nur 20 Prozent erreichen würden.[5]

Die Kirche Sweta Petka Balgarska in Rupite

Das staatliche Management kümmerte sich um den geregelten Ablauf und zog von den, wie Angehörige behaupten, bis zu 100 täglichen Besuchern[13] die Gebühren ein. In den 1980er Jahren war es fast unmöglich, ohne Beziehungen zu Baba Wanga zu gelangen. Die offizielle Wartezeit betrug ungefähr ein Jahr. Während der letzten Jahre des Kommunismus gehörte es vor allem für die Parteielite, die Intelligenzija und Persönlichkeiten aus der Hauptstadt zum guten Ton, sich mit Baba Wanga in der Öffentlichkeit zu zeigen.[4]

Ein Jahr nach dem politischen Wandel gab Baba Wanga ihren Beschluss bekannt, in Rupite eine Kirche bauen zu lassen, die 1994 unter dem Namen Sweta Petka Balgarska geweiht wurde. Wanga starb am 11. August 1996 in Sofia und wurde bei „ihrer Kirche“ begraben.[4] In ihrem Wohnhaus in Petritsch ist seit dem 5. Mai 2008 ein Museum zu ihrem Andenken eingerichtet.[14]

Haltung der bulgarischen und russischen orthodoxen Kirche

Die bulgarische und russische orthodoxe Kirche lehnen das Wirken Wangas strikt ab.[15] Sie habe unter anderem den Glauben an die Wiedergeburt gelehrt, Geister von Verstorbenen gerufen und Formen der Hexerei praktiziert, die unvereinbar mit dem christlichen Glauben seien.

Literatur

  • Galia Valtchinova: State Management of the Seer Vanga: Power, Medicine, and the “Remaking” of Religion in Socialist Bulgaria. In: Bruce R. Berglund (Hrsg.): Christianity and modernity in Eastern Europe. CEU Press, Budapest 2010, ISBN 978-963-9776-65-4, S. 245. (englisch)
  • Galia Valtchinova: Between ordinary pain and extraordinary knowledge : the seer Vanga in the everyday life of Bulgarians during socialism. In: Aspasia. Band 3 (2009), Berghahn Books, New York 2009, ISSN 1933-2882, S. 106–130. (englisch)
  • John R. Eidson (Hrsg.): Frances Pine, Deema Kaneff, Haldis Haukanes: Memory, Politics and Religion. The Past Meets the Present in Europe. In: Halle Studies in the Anthropology of Eurasia. Band 4. Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-8051-6. (englisch)
  • Kasimira Stojanowa: Wanga. Das Phänomen – die Seherin von Petritsch. Aus dem Bulgarischen übersetzt von Ines Sebesta. Ennsthaler, Steyr 2004, ISBN 3-85068-618-3.
  • Helena Verdel, Traude Kogoj, Diana Karabinova, Lojze Wieser (Hrsg.): Die 100 bedeutendsten Frauen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2003, ISBN 3-85129-421-1.
  • Deema Kaneff: Why People Don’t Die „Naturally“ Any More. Changing Relations Between „The Individual“ and „The State“ in Post-Socialist Bulgaria. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute. Bd. 8, Heft 1, Wiley-Blackwell, Oxford, März 2002, ISSN 1359-0987, S. 89–105. (englisch)
  • Ilia Iliev: The Social Construction of a Saintly Woman in Bulgaria. In: A Captured Moment in Time: IWM Junior Visiting Fellows Conferences, Vol. 10, 2000.
  • Sheila Ostrander, Lynn Schroeder: PSI – Die wissenschaftliche Erforschung und praktische Nutzung übersinnlicher Kräfte des Geistes und der Seele im Ostblock. Seite 224 - 241, Scherz Verlag, Bern/ München 1975, ISBN 3-502-13538-X.

Einzelnachweise

  1. Archäologisch-epigraphische Mitteilungen aus Österreich-Ungarn. Band 9-12. C. Gerold's Sohn, 1885, S. 84 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Leonhard Schultze-Jena: Makedonien Landschafts- und Kulturbilder. Verlag Gustav Fischer, 1927, S. 217 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. a b Petko Ivanov, Valentina Izmirlieva: Betwixt and Between: The Cult of Living Saints in Contemporary Bulgaria. In: Folklorica. Journal of the Slavic and East European Folklore Association. Volume VIII, Number 1, Spring 2003, S. 33–53 Link zur Internetausgabe
  4. a b c d e f g h i j Galia Valtchinova: Constructing the Bulgarian Pythia. In: Frances Pine, Deema Kaneff, Haldis Haukanes (Hrsg.): Memory, Politics and Religion. The Past Meets the Present in Europe. Lit Verlag, Münster, 2004, S. 179–183, In: Christopher Hann, Richard Rottenburg, Burkhard Schepel, Shingo Shimada (Genhrsg.): Hall Studies in the Anthropology of Eurasia des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung
  5. a b Diana Karabinova: Wanga Vangelija Pandova Guscherova. In: Lojze Wieser (Hrsg.): Die 100 bedeutendsten Frauen des europäischen Ostens. Wieser Verlag, Klagenfurt 2003, S. 290–296.
  6. a b c d Kasimira Stojanowa: Wanga – Das Phänomen. Ennsthaler Verlag, Steyr 2004.
  7. Kasimira Stojanowa: Wanga – Das Phänomen. Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 19–21.
  8. Claudia Schwamberger: Heilerwesen in Bulgarien: Traditionelle Heilerinnen versus Psychotherapeutinnen. Waxmann Verlag, Münster 2004, ISBN 978-3-8309-8022-3. S. 79–83, 146.
  9. Valtchinova gibt als Quelle an: Kasimira Stojanowa: Vanga. Nauka i Izkustovo, Sofia 1989 und Z. Kostadinova: Prorochestvata na Vanga. Trud, Sofia 1989, S. 12. Laut Valtchinova wird diese Begegnung in unterschiedlichen Berichten während der Jahre des Kommunismus erwähnt, alle setzten Wanga mit der delphischen Pythia gleich.
  10. Kasimira Stojanowa: Wanga – Das Phänomen. Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 21–25.
  11. Valtchinova gibt als Quelle an: Sheila Ostrander, Lynn Schroeder: Psychic Discoveries behinde the Iron Curtain. Bantam Books, Toronto 1971, S. 279.
  12. Ideological Drive Against Paraperception (Memento vom 28. Mai 2012 im Internet Archive) (Web.archiv.org) Radio Free Europe Research, Background Report/60(Bulgaria), 24. März 1983.
  13. Kasimira Stojanowa: Wanga – Das Phänomen. Ennsthaler Verlag, Steyr 2004, S. 8.
  14. Magdalena Rahn: Prophetess Baba Vanga’s Petrich house becomes museum. auf sofiaecho.com, 6. Mai 2008.
  15. За Дънов, Ванга и православния фанатизъмПравославие.БГ. In: Православие.БГ. 17. März 2011 (pravoslavie.bg [abgerufen am 6. August 2018]).