Benutzer:EH⁴²/Kritik an der Religionspolitik in Deutschland

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Kritik an der Religionspolitik in Deutschland wird überwiegend von säkularen und humanistischen Verbänden, Organisationen und Wissenschaftlern geäußert. Gegenstand der Kritik sind unter anderem das geltende Staatskirchenrecht aus der Weimarer Reichsverfassung sowie der sich daraus ergebenen Konsequenzen im Arbeitsrecht, der Sozialpolitik und dem Bildungs- und Hochschulbereich.

EKD und RKK in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland existiert nach Artikel 140 des Grundgesetzes offiziell keine Staatskirche.[1] Dennoch beklagen verschiedene säkulare Organisationen eine Diskriminierung durch eine einseitige Bevorzugung der römisch-katholischen Kirche sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Benachteiligung erfolge „politisch-gesellschaftlich und rechtlich“, so der Rechtswissenschaftler und Mitglied des Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung Gerhard Czermak. Am stärksten wirke sich dies durch eine „nichtneutrale Förderung religiöser Aktivitäten“ im Sozialbereich, im Bildungswesen und in den Medien aus. Außerdem werden die öffentlichen Subventionen an die evangelische und römisch-katholische Kirche, die einen bedeutenden Teil der Kirchenfinanzierung ausmachen, die staatliche Finanzierung der Theologenausbildung, die umfangreichen Steuerbefreiungen und Gehaltszahlungen an Kleriker genannt, welche von Nicht- und Andersgläubigen mitgetragen werden müssten.[2] Der Umfang dieser Begünstigung ist nicht exakt zu ermitteln. Der Politikwissenschaftler Carsten Frerk schätzt, dass zur Kirchensteuer von knapp 10 Milliarden Euro staatliche Mittel an die Kirchen gehen, die alleine „im Jahr 2000 […] 17 Milliarden Euro“ betrugen.[3]

Soziale Einrichtungen und Arbeitsrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) zufolge werden konfessionsfreie Menschen in Deutschland am Arbeitsplatz diskriminiert, z. B. wenn sie im Sozialwesen in einer Einrichtung tätig sein möchten, die von der Kirche getragen wird, wie es beispielsweise beim Deutschen Caritasverband oder vom Diakonischen Werk der Fall ist. Diese haben im Sozialbereich eine nahezu marktbeherrschende Stellung inne,[4] werden jedoch zu 98 % vom deutschen Staat finanziert.[5] Der Einschätzung des IBKA und der gbs schloss sich die Politikwissenschaftlerin Corinna Gekeler in einer vom IBKA finanzierten Studie aus dem Jahr 2012 an. Die Privilegien kirchlicher Arbeitgeber seien diskriminierend und die Sonderrechte gingen „weit über die in Tendenzbetrieben erlaubten Anforderungen an Tendenzträger“ hinaus.[6]

So findet das Betriebsverfassungsgesetz in kirchlichen Einrichtungen keine Anwendung[7] und auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nimmt Beschäftigungsverhältnisse bei Kirchen und ihren Einrichtungen vom Verbot der unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung aus.[8] Dadurch gäbe es bis heute über eine Million Arbeitsplätze, zu denen Nicht- und Andersgläubige keinen Zugang hätten. Dabei ginge es nicht um kirchliche Tätigkeiten im eigentlichen Sinne, wie Seelsorge und Verkündigung, sondern um Ärzte und Kindergärtner, Krankenpfleger und Bürokräfte, Reinigungspersonal und Hausmeister. Wer in kirchlichen Sozialeinrichtungen beschäftigt sei, müsse nicht nur auf das Recht auf Religionsfreiheit verzichten, sondern auch das Privatleben nach den Vorstellungen der Kirche ausrichten. Bei einem Verstoß drohe die Kündigung. Ein Kirchenaustritt oder Wechsel der Glaubensrichtung führe generell zur Entlassung.[9] Gerhard Czermak spricht von einer „Zwangskonfessionalisierung“, welche in Europa weitgehend einzigartig sei.[10]

Die evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen verweist in einer Stellungnahme darauf, dass „wo Kirche draufstehe, auch Kirche drin sein müsse“ und das „kirchliche Krankenhäuser von ihren Angestellten erwarten können müssten, dass sie dem christlichen Glauben offen und nicht ablehnend gegenüberstehen“. Alle Mitarbeiter nähmen „am Verkündigungsauftrag der Kirche teil“ und müssten daher „Werte und Ziele der Kirche teilen“.[11]

Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Infolge der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen forderte die gbs die ersatzlose Streichung des Paragraphen 166 (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) des StGB. Er sei eine klare Einschränkung der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit.[12]

Besondere Behandlung christlicher Feiertage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Humanistische Verband Deutschlands sieht im so genannten „Tanzverbot“, welches öffentliche Veranstaltungen an bestimmten christlichen und säkulären Feiertagen verbietet, eine Benachteiligung von konfessionsfreien und andersgläubigen Menschen und fordert eine Veränderung der Feiertagsgesetze. Dieser Kritik schlossen sich auch der Bund für Geistesfreiheit sowie Teile von Bündnis 90/Die Grünen, der Piratenpartei Deutschland und der Jungen Liberalen an.[13][14][15]

Bildungswesen und Medien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Derzeit finanziert der deutsche Staat mit etwa 650 Millionen Euro die Ausbildung der kirchlichen Theologen an den staatlichen Universitäten und den Unterhalt kirchlicher Fachhochschulen.[16] Der IBKA bemängelt, dass diese ausschließlich der Ausbildung künftiger Kirchenfunktionäre (Geistliche, Religionslehrer und sonstige Mitarbeiter) dienen würden und trotzdem aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Die Kirchen würden zudem eine entscheidende Mitwirkung bei der Ernennung und Entlassung von Professoren, bei der Gestaltung von Lehrplänen und Prüfungsordnungen sowie bei der Durchführung von Prüfungen, Promotionen und Habilitationen beanspruchen. Dies sei nicht nur bei rein theologischen Fakultäten der Fall, sondern auch bei nicht-theologischen Hochschulfächern wie Philosophie, Pädagogik und Soziologie (Konkordatslehrstuhl).[17]

Bei diesen Konkordatslehrstühlen handelt es sich um einen Lehrstuhl an einer staatlichen Universität, der nicht in einer Theologischen Fakultät angesiedelt ist, bei dessen Besetzung die Römisch-Katholische Kirche aber ein Einspruchsrecht hat. Kritiker argumentieren, dass die Kirche somit per Vetorecht ihr unliebsame Bewerber von den Stellen fernhalten könne, beispielsweise wenn diese in ethischen Fragen andere Auffassungen vertreten als die der Kirche, konfessionsfrei bzw. atheistisch sind oder sich als homosexuell „geoutet“ haben. Damit sei der grundgesetzlich garantierte Rechtsanspruch verletzt, dass unabhängig vom religiösen Bekenntnis niemandem aufgrund seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil entstehen dürfe. Eine diesbezüglich am Verwaltungsgericht Ansbach verhandelte Klage einer nicht eingestellten humanistisch orientierten Philosophin wurde jedoch abgewiesen. Bereits 1974 lehnte der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine Popularklage gegen Konkordatslehrstühle mit der Begründung ab, dass die Bayerische Verfassung vom Geist der engen Verbindung von Kirche und Staat durchdrungen sei und Individualrechte im Einzelfall dagegen zurückzustehen hätten.[18][19][20]

Zudem wird die Erteilung des schulischen Religionsunterrichts mit etwa 26.000 vollzeitäquivalenten Religionslehrerstellen geleistet, deren Besoldung ebenfalls aus allgemeinen Steuergeldern erfolgt und somit auch Atheisten, Agnostiker und Andersgläubige belastet. Die Kosten werden auf jährlich etwa 1,6 Milliarden Euro beziffert. Hinzu kommen Aus- und Fortbildungskosten sowie Pensionslasten.[21] Diese Religionslehrer unterliegen, obwohl sie im staatlichen Dienst stehen, dem kirchlichen Arbeitsrecht, was mit tiefen Eingriffen in das Privatleben verbunden ist. Dieses sieht z.B. bei katholischen Religionslehrern bei Zusammenleben zweier Partner grundsätzlich eine (kirchliche) Heirat vor, ebenfalls müssen aus dieser Beziehung hervorgehende Kinder im ersten Lebensjahr zwingend katholisch getauft werden. Dies gilt auch in dem Fall, wenn der Partner einer anderen oder keiner Konfession angehört; bei Nichtbefolgung droht die Entlassung. Kritiker dieses Systems argumentieren, dass der Partner durch diese Praxis de facto auch gegen seinen Willen zur Heirat und ggf. zur katholischen Erziehung seiner Kinder gezwungen würde, was einer Entmündigung gleich käme.[22][23]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Christian Sailer: Hinkende Trennung oder aufrechter Gang? Zum Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland. (PDF; 113 kB) Überarbeiteter Vortrag, gehalten vor der Heinrich-Böll-Stiftung am 19. September 2003.
  2. Fowid: Religiös-weltanschauliche Diskriminierung in Deutschland (2010), S. 7.
  3. Religion. Geheime Parallelwelt. In: Der Spiegel, 14. Juni 2010, S. 66–69. Abgerufen am 12. Juli 2013.
  4. Kirche als Arbeitgeber. Hauptsache Christ . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Dezember 2012. Abgerufen am 5. Januar 2013.
  5. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid): Kirchenquote Kirchliche Wohlfahrtsverbände 2003 (PDF; 43 kB); 9. November 2005.
  6. Gekeler: Loyal Dienen. Kurzzusammenfassung (2012), S. 2
  7. BetrVG § 118, Abs. 2
  8. AGG § 9
  9. Ingrid Matthäus-Maier: Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz . Abgerufen am 4. Januar 2013 (In: Presseabteilung IBKA, 29. Februar 2012).
  10. Fowid: Religiös-weltanschauliche Diskriminierung in Deutschland (2010), S. 8.
  11. Claudia Knepper: Kampagne gegen den besonderen Tendenzschutz in kirchlichen Einrichtungen. Abgerufen am 5. Februar 2014 (In: Materialdienst 5/2012).
  12. Michael Schmidt-Salomon: Offener Brief/Petition der gbs. Abgerufen am 4. Januar 2013 (In: gbs, 6. Februar 2006).
  13. Pressemitteilung zum Hessischen Feiertagsgesetz. Abgerufen am 5. Januar 2013 (In: Humanistischer Verband Deutschlands, LV Hessen).
  14. Piratenpartei ruft zur Tanz-Demo an Karfreitag auf. Abgerufen am 5. Januar 2013 (In: Berliner Kurier, 3. April 2012).
  15. Karin Prummer: Heidenspaß statt Höllenqual. Abgerufen am 5. Januar 2013 (In: Süddeutsche Zeitung, 11. August 2010).
  16. Dieter Potzel: Die milliardenschweren Subventionen des Staates an die Kirchen. Abgerufen am 6. Januar 2013 (In: stop-kirchensubventionen.de, 2. Januar 2013).
  17. Privilegien der Kirchen in Deutschland abschaffen! Abgerufen am 6. Januar 2013 (In: Website des IBKA).
  18. Konkordatslehrstühle. Kirche macht Staat. In: Der Tagesspiegel, 15. Mai 2012. Abgerufen am 6. Januar 2013.
  19. Philosophin reicht Verfassungsklage ein. Wie die katholische Kirche eine Professorin verhinderte . In: Süddeutsche Zeitung, 18. April 2012. Abgerufen am 6. Januar 2013.
  20. Klage gegen Konkordatslehrstuhl gescheitert . In: Bayerischer Rundfunk, 25. Juni 2012. Abgerufen am 6. Januar 2013.
  21. Einzelheiten und Berechnungen in Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen. Wie der Staat die Kirchen finanziert. Aschaffenburg 2010, ISBN 978-3-86569-039-5, S. 147 ff.
  22. Was die katholische Kirche von ihren Religionslehrern verlangt. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25. Dezember 2009. Abgerufen am 6. Januar 2013.
  23. Unnachgiebig, unbelehrbar, maßlos. In: Der Spiegel, 7. Januar 1980. Abgerufen am 6. Januar 2013.