Benutzer:Eckhart Triebel/Wirkung

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Wirkungsgeschichte

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Am 15. April 1329 befiehlt Papst Johannes XXII. dem Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg, die Bulle In agro dominico in seiner Erzdiözese zu veröffentlichen. Diese umfasste ausser Köln die Bistümer Lüttich, Utrecht, Münster und Minden, d.h. den ganzen niederdeutsch-niederländischen Raum. Das die Bulle Sätze aus dem kompletten lateinischen Werk Eckharts und aus einigen seiner Predigten verurteilt (nur die Erfurter Reden fehlen), macht deutlich, dass damit der ganze Eckhart getroffen werden sollte. Eckhart wird aus dem Kanon dominikanischer Schriftsteller entfernt und eine Beschäftigung mit seinen Thesen ist quasi nur noch im Geheimen möglich. Trotzdem werden seine deutschen Predigten und die lateinischen Werke weiter verbreitet. Wohl noch während des Prozesses verteidigt ihn sein Schüler Heinrich Seuse in seinem Büchlein der Wahrheit, wofür er 1330 gemaßregelt wird. Noch im 14. Jahrhundert zitieren Eckhart (wobei er selten als Quelle genannt wird) Johannes Tauler, Jordan von Quedlinburg, Marquard von Lindau u.a. Einige Vertreter der Devotio moderna wie Jan van Ruysbroek und Jan van Leeuwen wenden sich gegen ihn.

Im 15. Jahrhundert findet Eckhart starkes Interesse bei Nicolaus von Cues, der sich eine umfangreiche Abschrift des nahezu vollständigen lateinischen Werkes erstellen lässt, die als einzige Quelle Eckharts lateinische Sermones enthält. Auch Ordenschroniker entdecken ihn wieder. Die Legenden und seine Predigten werden in dominikanischen Nonnenklöstern weiter abgeschrieben und dienen zuweilen als Tischlektüre. 1521/22 erscheinen 55 Predigten (ohne Angabe des Verfassers) in Adam Petris 'Basler Taulerdruck' und in der Nachfolge in weiteren Taulerdrucken. Diese dürften auch Martin Luther vorgelegen haben. Der in Lüttich geborene Daniel Sudermann sucht u.a. in Köln und Straßburg nach Handschriften, die Texte Taulers oder Eckharts enthalten. Im 17. Jahrhundert sammeln Ordensschriftsteller biographische Notizen und sein Ordensbruder Friedrich Steill gedenkt seiner 1691 am 28. Januar.

Im 19. Jahrhundert wird Meister Eckhart von Franz von Baader wiederentdeckt und 1856 durch die mittelhochdeutsche Textausgabe Franz Pfeiffers allgemein bekannt, woran sich viel romantische und idealistische Spekulation knüpft, der der Dominikanerpater Heinrich Denifle einen Dämpfer verpasst, indem er 1886 den „mittelmäßigen Scholastiker“ Eckhart mit seinen lateinischen Schriften vorstellt. Er ediert und kommentiert den 1880 in der Bibliotheca Amploniana in Erfurt entdeckten Codex Fol. 181 (Hs. 'E'). In Trier war er zudem 1885 „in der Bibliothek des Hospitals zu Cues an der Mosel“ fündig geworden (Hs. 'C'). Er kannte auch eine zweite Handschrift aus der Amploniana. Zwei weitere werden 1888 und 1905 gefunden. 1923 ediert Augustin Daniel die bereits 1880 aufgefundene Handschrift in Soest (Hs. 'S'), die die beiden Listen vom 26. September 1326 mit der Responsio Eckharts in lateinischer Sprache enthält.

Das 20. Jahrhundert beginnt auch mit ersten Übersetzungen von Gustav Landauer und Hermann Büttner, wobei letztere Eckhart populär macht und noch bis 1959 in Neuauflagen erscheint. Germanisten wie Max Pahncke (1905) und Adolf Spamer beschäftigen sich intensiv mit ihm. Philipp Strauch gibt 1910 das Trostbuch in neuer Edition heraus. Weitere Predigten werden entdeckt, die Echtheit der Predigten und Traktate der Textausgabe Pfeiffers diskutiert. 1925 veröffentlicht Ernst Diederichs die „Reden der Unterscheidung“ (Erfurter Reden) in Übersetzung. 1927 erscheint Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift (..) von Otto Karrer und Herma Piesch. Auch der Literatur bleibt Eckhart nicht unbekannt. 1925 erhält Paul Gurk für seinen Roman Meister Eckehart den Romanpreis der Stadt Köln. Einen weiteren Roman veröffentlicht 1927 Hans Much. 1931 widmet sich ihm Ludwig Fahrenkrog mit dem Titel Richter Irrwahn.

Im Winter 1932/33 kommt es zu zwei Plänen, von denen der eine eine Vorausgabe des gesamten ungedruckten lateinischen Materials (zu diesem Zeitpunkt waren 8 von heute 15 Handschriften bekannt) noch im Laufe der Jahre 1933/34 fertigstellen will, während der andere eine grosse endgültige Standardedition sämtlicher deutschen und lateinischen Werke ins Auge fasst. Die erste Edition entsteht unter Federführung von Raymond Klibansky, der mit Hilfe aus der Ordenszentrale der Dominikaner in Rom zwei Hefte in Deutschland herausbringen kann, bevor er nach England geht, nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler gewählt wird. Die konkurrierende Eckhart-Edition wird im Herbst 1934 von der deutschen Forschungsgemeinschaft ins Leben gerufen. Josef Quint wird Herausgeber der deutschen und Josef Koch der der lateinischen Edition.

In der Nazizeit treibt der Eckhart-Kult ideologiekonforme Blüten. Als symptomatisch sei Dorothea Fabeck genannt, die in einem 1938 erschienenen Roman Sätze produziert wie: „...so haben zu allen Zeiten gerade Kämpfer und Krieger diese Unterwerfung des eigenen Willens unter Gottes Willen am redlichsten begriffen ... Nur ein Wille darf gelten, der des Feldherrn zum Siege ... So haben denn die tapferen und kämpferischen Menschen Eckharts Predigt verstanden.“ Sie bezieht sich dabei u.a. auf Alfred Rosenberg, der seit 1930 in wiederholten Auflagen von dem „Rassen- und Edelmenschen“ Eckhart schwärmt und in ihm den „Schöpfer einer neuen, völkischen Religion“ sieht, in der „die nordische Seele“ „zum Bewußtsein ihrer selbst“ kommt.

Die Herausgeber der nun einzigen Edition glaubten noch 1938, „in zwei bis drei Jahren ... die fertige Gesamtausgabe des Meisters überreichen zu können.“ Tatsächlich erscheinen bis Kriegsende drei Lieferungen der deutschen und zehn Lieferungen der lateinischen Edition. Inzwischen sind die deutschen Lieferungen auf 59 und die lateinischen auf 55 angewachsen, womit letztere Edition im Wesentlichen abgeschlossen ist.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Anzahl der Veröffentlichungen zu Meister Eckhart (national wie international) exponentiell an (s. Bibliographie), die nun längst nicht mehr von Germanisten und Philologen dominiert wird. Er wird Gegenstand u.a. der psychologischen (C. G. Jung), theologischen (Martin Buber) und philosophischen (Ernst Bloch, Erich Fromm) Forschung sowie des west-östlichen Dialogs (Dürckheim, Suzuki). Aus der marxistischen Interpretation (H. Ley u.a.) erfährt man, Eckhart sei als „Hauptvertreter der antifeudalen und oppositionellen deutschen Mystik“ anzusehen. Die jüngste Forschung hingegen untersucht das Werk Eckharts verstärkt in seinem historischen Kontext. Dabei wird u.a. kontrovers diskutiert, inwieweit und nach welchen Kriterien Eckhart als Mystiker anzusehen ist. Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch bestritt dies vehement auf einer 1984 veranstalteten Eckharttagung auf Kloster Engelberg[1] und in weiteren Publikationen[2]. Die Diskussion dauert noch immer an; es wurden u.a. unterschiedliche Vermittlungsmodelle vorgeschlagen, nach dem Muster: „Mystiker“ ja, aber nur, wenn darunter ... zu verstehen ist. Werner Beierwaltes etwa spricht von „philosophischer Mystik“.

  1. Vgl. dazu u.a. die in Kurt Ruh (Hg.): Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster En­gelberg 1984 (Germanistische Symposien Berichtsband 8), Stuttgart 1986, insb. 932ff. dokumentierte Diskussion
  2. Vgl. u.a. Kurt Flasch: Meister Eckhart. Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten, in: Peter Koslowski (Hg.): Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie, Zürich-München 1988, 94-110 und ders.: Meister Eckhart und die deutsche Mystik. Zur Kritik eines historiographischen Schemas, in: O. Pluta (Hg.): Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert, hrsg. von O. PLUTA (Bochumer Studien zur Philosophie, 10), Amsterdam 1988, 439-463.