Benutzer:MYR67/Artikelwerkstatt Reichsbahnlager Großziethen

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Das Reichsbahnlager Großziethen war ein Internierungs- und Arbeitslager der Deutschen Reichsbahn in Großziethen, einem Ortsteil der Gemeinde Schönefeld in Brandenburg, etwa 18 Kilometer südlich des Stadtzentrums von Berlin, im Landkreis Dahme-Spreewald. Es bestand von Juni 1940 bis mindestens Dezember 1944.

Das 11.110 qm große Gelände des Reichsbahnlagers Großziethen lag in der Buckower Chaussee, in der heutigen Karl-Marx-Straße, nordwestlich des Großziethener Gutes. Auf dem Gelände gab es drei Wohnbaracken, ein Latrinengebäude und einen Feuerlöschteich.

Ab 1938 baute die Deutsche Reichsbahn für den Gütertransport einen Eisenbahnring um Berlin, der zunächste von Teltow über Schönefeld bis Berlin-Friedrichsfelde verlief. Dieser als „kriegswichtig“ geltende Gleisring wurde 1941 bis nach Berlin-Karow erweitert. Im gleichen Jahr wurde der Großziethener Bahnhof in Betrieb genommen. Dort, wo der Gleis-Ring die Landstraße von Alt-Großziethen nach Berlin-Buckow kreuzte (heute: Karl-Marx-Straße), südöstlich der beschrankten Kreuzung, knapp einen Kilometer vom Großziethener Ortskern, lag das Internierungs- und Arbeitslager der Reichsbahn. Die Neubausiedlung „Am alten Bahndamm“ steht teilweise auf dem ehemaligen Lagergelände, wobei die Straße dieses Namens im Süden und Osten ungefähr den Grenzen des früheren Lagers folgt.

Die Reichsbahn pachtete das Gelände zunächst von einer Elisabeth Loth aus Berlin-Marienfelde; nach einem Enteignungsverfahren bekam die Bahn das Land im Mai 1944 zugesprochen. Das Internierungslager wurde offenbar im Juni 1940 in Betrieb genommen. Lagerführer war zunächst (ab Juni 1940) ein Herr Klotz, dann (ab Ende 1941) ein Herr Graebnitz und schließlich ein Herr Rudolph (ab Juni 1942). In dem Lager waren bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zunächst polnische Zwangsarbeiter untergebracht. Bis Ende September 1940 war offenbar nur eine der zuletzt drei Baracken fertiggestellt. Für das Großziethener Reichsbahnlager sind 231 polnische Zwangsarbeiter aktenkundig; ausschließlich Männer. Im Mai 1941 erkrankten 48 Insassen des Lagers mit ruhrartigen Symptomen nach dem Verzehr verdorbenen Fleisches, das ihnen vom Reichsbahnlager Lichtenrade geliefert worden war. Einige polnische Zwangsarbeiter mussten für die Bauunternehmen Pfau & Bielke in der Charlottenburger Bayernallee sowie Otto Conrad in Lichtenrade arbeiten.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überließ die Reichsbahn das Lager Großziethen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zur „Durchführung wichtiger staatspolitischer Aufgaben“: Staatsangehörige der Sowjetunion, die sich zu Beginn des deutschen Russlandfeldzugs auf deutschem Territorium befanden - etwa Matrosen von Handelsschiffen — wurden als Angehörige eines Feindstaates („feindliche Ausländer“) von der Gestapo festgenommen und im Reichsbahnlager Großziethen interniert. 39 Kinder und 267 Erwachsene brachte die Gestapo vom 22. Juni 1941 an für zwei Wochen, bis 5. Juli 1941, als „russische Zivil-Internierte“ in das Internierungslager Großziethen, bevor sie vermutlich in zentrale Zivil-Internierten-Lager weiterdeportiert wurden.

Nach dem 5. Juli 1941 war das Reichsbahnlager Großziethen offenbar zunächst eine Zeit lang unbelegt.

Von November 1941 bis April 1942 war es dann ein stark überfülltes Lager für sowjetische Kriegsgefangene des „Arbeitskommandos 461 Großziethen“. Die 508 sowjetischen Kriegsgefangenen, die auf den Baustellen der Reichsbahndirektion Berlin eingesetzt wurden, lebten dort für knapp ein halbes Jahr unter so erbärmlichen Umständen, dass viele von ihnen verstarben. Auf dem Friedhof in Großziethen befindet sich heute ein langes, von einer Hecke umfriedetes Sammelgrab für rund 200 Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter. Ein Gedenkstein nennt Namen und Sterbedaten von über 100 verstorbenen Sowjetbürgern. Die Todesdaten auf diesem Mahnmal veranschaulichen das drastisch Massensterben um die Jahreswende 1941/42: Allein im Dezember 1941 kamen rund 50 Gefangene in Großziethen um. Sofern in den Akten überhaupt eine Todesursache angegeben ist, lautete diese bei etwa einem Drittel der Verstorbenen „Unterernährung“ und bei zwei Dritteln „Kreislaufschwäche“. Die letzten überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen verließen am 23. April 1942 das Lager.

Um diese Zeit beantragte das Kriegsgefangenenlager Stalag III D in Berlin-Lichterfelde, die kranken „Russen“ (Sowjetbürger) aus verschiedenen Berliner Reichsbahnlagern nach Großziethen zu verlegen, das bereits mit 25 Kranken belegt war. Großziethen wurde also im April 1942 Krankensammellager und blieb es mindestens bis Februar 1944. Von Beginn an war dort der Reichsbahngehilfe Steinemann als Sanitäter eingesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass Kranke aus Großziethen in das Reichsbahnlager Blankenfelde-Nord verlegt wurden, jenem im August 1942 zum Rücktransport schwerkranker und daher „unbrauchbarer“ Ostarbeiter eröffneten Rückkehrer- bzw. Krankensammellager, welches für viele Gefangene zum Sterbelager wurde.

In das Großziethener Reichsbahnlager Mitte 1942 kamen offenbar nicht nur Kranke, sondern auch andere Zwangsarbeiter, vor allem „Ostarbeiter“, viele aus Polen, darunter ganze Familien mit Kindern. Die Bahn verschob die Ausländer je nach ihrem Bedarf von einem ihrer vielen Lager in Berlin und Umland zum anderen. Auf diese Weise kamen Hunderte von Reichsbahn-Zwangsarbeitern nach Großziethen und von dort aus wieder in andere Lager. Eine Liste vom März 1943 enthält 164 Namen von russischen und ukrainischen Zivilisten sowie 10 handschriftliche Nachträge. Im Dezember 1943 wurden 280 neuangekommene Erwachsene sowie 83 Kinder gemeldet. Zwischen Juli 1944 und März 1945 kamen mindestens 275 neue Ausländer im Lager an (wieder mit zahlreichen Kindern), wie aus polizeilichen Anmeldungen hervorgeht. Dies bedeutet, dass von Mitte 1942 bis Kriegsende insgesamt mindestens 812 osteuropäische Zwangsarbeiter im Reichsbahnlager Großziethen interniert waren.

Sicher belegt sind 231 Polen (bis Mitte 1941), 306 Zivilinternierte (Juni/Juli 1941), 506 Kriegsgefangene vom Kommando 461 (November 1941 bis April 1942) und 812 osteuropäische Zivilisten ab Mitte 1942, zusammen also 1.855 Personen. Für eine unbekannte Anzahl Inhaftierter aus den beiden letzten Kriegsjahren liegt keine polizeiliche Anmeldung vor. Außer diesen Reichsbahn-Zwangsarbeitern arbeiteten noch 193 Ausländer zwangsweise für Großziethener und waren außerhalb des Lagers im Ort Großziethen untergebracht. Kriegsgefangene, von der Gestapo internierte „feindliche Ausländer/innen“ und zivile Zwangsarbeiter zusammen waren 2.048 Personen. Kurz vor Kriegsbeginn zählte Großziethen 1.375 Einwohner; dort lebten während des Krieges also deutlich mehr Ausländer als Großziethener.

Bei einem alliierten Bombeangriff auf Berlin, offenbar schon in den ersten Wochen des Jahres 1944, wurde das Reichsbahnlager Großziethen erheblich beschädigt. Die Schäden waren jedoch offenbar nicht so groß, dass das Lager danach aufgegeben werden musste. Auf einer Luftaufnahme vom April 1945 ist noch eine der ursprünglich drei Baracken zu erkennen. Auf dem Lagergelände sind zwei weitere Flächen zu erkennen, eine nördlich der intaktgebliebenen Baracke, eine weitere Fläche parallel zur Straße. Dort haben die beiden anderen Baracken gestanden, die durch den Luftangriff zerstört wurden. Ein Splitterschutzgraben ist im Südosten des Lagergeländes sichtbar – solche Gräben boten den Lagerinsassen nur geringen Schutz gegen Bomben. Außerdem ist auf dem Luftbild ein weiteres Rechteck im Lager erkennbar, möglicherweise der Löschteich, der noch auf einer Luftaufnahme von 1953 – als einziges Überbleibsel des Lagers – erkennbar ist.

Eine nach dem Krieg von der Bürgermeisterin von Großziethen im Auftrag der Alliierten erstellte Liste der auf dem Friedhof beerdigten Ausländer umfasst:

  • rund 100 Kriegsgefangene, die zwischen November 1941 und April 1942 umkamen;
  • 103 ukrainische Zivilisten aus dem Lager, die zwischen 1943 und 1945 verstarben;
  • 13 tot aufgefundene Flieger (4 Engländer, 9 Amerikaner).

Über die weitere Geschichte des Reichsbahnlagers Großziethen gibt es nur vereinzelte Dokumente. So ist in einer Abrechnung vom 7. September 1942 die Rede von 400 Plätzen im Lager. Das Reichsbahnlager war jedenfalls bis Dezember 1944 vermutlich bis Kriegsende im Mai 1945, in Betrieb. Nach dem Krieg wurde das Lager offenbar bald eingeebnet und die Fläche landwirtschaftlich genutzt. Den ehemaligen Löschteich des Lagers hat es noch bis Anfang der 1950er Jahre gegeben. Um die Jahrtausendwende herum wurde das Gelände neu bebaut. Die Neubausiedlung „Am alten Bahndamm“ wurde teilweise auf dem ehemaligen Lagergelände errichtet.

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Hinweis darauf gefunden, dass es in der Karl-Marx-Straße in Großziethen ein Reichsbahnlager gegeben haben sollen, das nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 von der Gestapo einige Wochen lang zur Internierung sowjetischer Zivilisten benutzt worden sein soll: »Bernhard Bremberger fand durch intensive Recherchen heraus, dass sich in der heutigen Karl-Marx-Straße in Großziethen ein Reichsbahnlager befunden hat, in welchem bis zum Überfall auf die Sowjetunion polnische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Einige Wochen wurde es danach von der Gestapo zur Internierung von sowjetischen Zivilisten benutzt. Ab November 1941 war es dann ein total überfülltes Lager für sowjetische Kriegsgefangene...« (Gabriele Großkopf, »Das Erinnern darf nicht aufhören!«, in: Der Uhu, Jahrgang 2, Ausgabe Mai 2015, »Regionales«, S.10, https://docplayer.org/55875194-Kuerzlich-wurde-ich-gefragt-was.html

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»Die Bahn selbst setzte massenhaft Zwangsarbeiter ein — sie war einer der wichtigsten Arbeitgeber. [...] in und um Berlin sind rund einhundert Zwangsarbeiterlager der Bahn bekannt. [...] Das Reichsbahnlager Groß-Ziethen lag in der Buckower Chaussee, nordwestlich des Groß-Ziethener Gutes. Das 11.110 qm große Gelände wurde für 0,80 RM von Elisabeth Loth aus Berlin-Marienfelde gepachtet. Das Lager wurde offenbar im Juni 1940 in Betrieb genommen. Lagerführer war zunächst ein Herr Klotz, dann Herr Graebnitz (ab Ende 1941) und schließlich ein Herr Rudolph (Juni 1942). Näheres über das Lager erfahren wir aus den Akten der Reichsbahnverwaltung im Landesarchiv Berlin: [...] Aus der Korrespondenz erfahren wir, dass das Lager mit Polen belegt und bis Ende September 1940 offenbar nur eine Baracke fertig war: Nach Bau der zweiten Baracke sei auch an eine zweite Arbeitskraft zu denken. Bis zu 200 polnische Zwangsarbeiter lebten bis Mitte 1941 im Lager Groß-Ziethen. Im Mai 1941 erkrankten 48 Insassen des Lagers mit ruhrartigen Symptomen wegen verdorbenen Fleisches, das ihnen vom Reichsbahnlager Lichtenrade geliefert worden war. [...] Am 22. Juni 1941 überließ die Reichsbahn das Lager Groß-Ziethen der Gestapo zur „Durchführung wichtiger staatspolitischer Aufgaben“: Staatsangehörige der Sowjetunion, die sich zu Beginn des Russlandfeldzugs auf deutschem Territorium befunden hatten - etwa Matrosen von Handelsschiffen — waren von heute auf morgen Angehörige eines Feindstaates und wurden festgenommen. 39 Kinder und 267 Erwachsene brachte die Gestapo vom 22. Juni 1941 an für zwei Wochen als „russische Zivilinternierte“ in das Internierungslager Groß-Ziethen, bevor sie vermutlich in zentrale Zivil-Internierten-Lager weiterdeportiert wurden. [...] Das Reichsbahnlager Blankenfelde-Nord wurde als Internierungslager genutzt, ebenso wie das in Groß-Ziethen, das nach dem 5. Juli 1941 offenbar eine zeitlang unbelegt war. Über die 508 sowjetischen Kriegsgefangenen, die danach (Ende November 1941) nach Groß-Ziethen kamen und die auf den Baustellen der Reichsbahndirektion Berlin eingesetzt wurden, steht in den Akten: „Der Bestand verringert sich täglich um einige Kriegsgefangene (Abgang durch Tod).“ [...] Die letzten sowjetischen Kriegsgefangenen verließen am 23. April 1942 das Lager. Doch schon warteten neue Aufgaben auf das Lager Groß-Ziethen: Denn gleichzeitig mit der Räumung des Lagers von sowjetischen Arbeitern beantragte das Stalag III D, die kranken „Russen“ aus verschiedenen Berliner Reichsbahnlagern nach Groß-Ziethen zu verlegen, das bereits mit 25 Kranken belegt war. Groß-Ziethen wurde Krankensammellager. Von Beginn an war der Reichsbahngehilfe Steinemann als Sanitäter eingesetzt. [...] Unklar ist, wie lange Groß-Ziethen ein Krankenlager blieb - mindestens bis Februar 1944 ist diese Funktion nachgewiesen. Doch gibt es auch Hinweise darauf, dass Kranke aus Groß-Ziethen nach Blankenfelde-Nord kamen, jenem im August 1942 zum Rücktransport schwerkranker und daher „unbrauchbarer“ Ostarbeiter eröffneten Rückkehrer- bzw. Krankensammellager, welches sehr bald zum Sterbelager wurde. [...] Die weitere Geschichte des Reichsbahnlagers Groß-Ziethen bleibt noch im Dunkel, es gibt nur vereinzelte Daten. So ist in einer Abrechnung vom 7. September 1942 die Rede von 400 Plätzen im Lager. Es war vermutlich bis Kriegsende in Betrieb: Vor einigen Jahren war eine Dame aus Wolgograd zu Besuch in Berlin, die Mai 1944 in Karow geboren worden war, danach wieder zu ihren Eltern in das Groß-Ziethener Reichsbahnlager kam, von wo aus die Familie später nach Neukölln verlegt wurde. Ein anderer Reichsbahnarbeiter kam noch im Dezember 1944 vom Lager „Am Kanal“ (Eichwalde) nach Groß-Ziethen. So lange war das Reichsbahnlager nachweisbar in Betrieb. [...]

In der letzten Ausgabe des Rudower Magazins wurde das Reichsbahnlager in Großziethen behandelt. Es soll sich an der heutigen Karl-Marx-Straße befunden haben, und zumindest vor einigen Jahren soll der damals für die drei großen Baracken angelegte Wasserlöschteich noch existiert haben. In dem Lager waren bis zum Überfall auf die Sowjetunion polnische Zwangsarbeiter untergebracht, dann wurde es einige Wochen von der Gestapo zur Internierung von hier lebenden Zivilisten aus der Sowjetunion genutzt. Ab November 1941 lebten dort für knapp ein halbes Jahr über 500 sowjetische Kriegsgefangene unter so erbärmlichen Umständen, dass sie massenhaft verstarben. [...] Auf dem Friedhof in Großziethen findet sich ein langes, mit einer Hecke eingefriedetes Sammelgrab für rund 200 Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter. Ein Gedenkstein nennt Namen und Sterbedaten von über 100 verstorbenen Sowjetbürgern. Wenn man sich die Namen und die Todesdaten auf diesem Mahnmal anschaut, so veranschaulicht dies sehr drastisch das Massensterben um die Jahreswende 1941/42. Alleine im Dezember 1941 [...] kamen rund 50 Gefangene in Großziethen um! [...] Wenn man eine Geschichte der Zwangsarbeit in Großziethen schreiben will, dann muss man schon vor dem Zweiten Weltkrieg beginnen. Unklar ist, wie lange schon Häftlinge aus Berliner Gefängnissen als Arbeitskolonnen nach Großziethen kamen und dort schuften mussten. Auch ist noch nicht erforscht, ob dies für das Gut oder einen anderen Auftraggeber geschah. Jedenfalls fand ich einen Bericht, wonach ein 40jähriger (deutscher) Häftling aus dem Gerichtsgefängnis Neukölln im Juni 1939 „zur Verwendung auf einer Außenarbeitsstelle verlegt“ wurde und am 4.11.1939 von Kommando Grossziethen entwichen ist. [...] Es wäre sicher interessant zu erforschen, wann die Zwangsarbeit von Gefangenenkommandos in Großziethen begann und ob sie nach dem Krieg fortgesetzt wurde. [...] Einige polnische Zwangsarbeiter mussten bei der Firma Konrad in Lichtenrade arbeiten. In welchen Lagern waren sie untergebracht? [...]

Näheres zu dem Massengrab und dem Gedenkstein findet sich auch in dem auch online zugänglichen „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Band 2“; https://www.bpb.de/system/files/pdf/0V84HG.zip . Die Akte zu dem Großziethener Gefangenenkommando stammt aus dem Berliner Landesarchiv (A Rep. 369, Nr. 2553), die Neuköllner Patientenakten vom Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen. Kontakt zum Autor: Tel. 6237187, bremberger@gmx.de.

[...] Für das Großziethener Reichsbahnlager sind 231 Polen genannt — es sind nur Männer. Sie mussten für die Bauunternehmen Pfau & Bielke in der Charlottenburger Bayernallee sowie Otto Conrad in Lichtenrade arbeiteten. Dies betrifft aber nur die erste Phase des Reichsbahnlagers und ist daher bloß ein Teil der Wahrheit. Denn in einer zweiten Phase diente das Lager zur Unterbringung von Gefangenen: Ab Juni 1941 brachte die Gestapo 267 Erwachsene und 39 Kinder aus der Sowjetunion als Zivilinternierte in dem Lager unter. Außerdem lebten dort von Ende November 1941 bis April 1942 sowjetische Kriegsgefangene des „Ar-beitskommandos 461 Großziethen“, 508 Personen, von denen nachweisbar rund 100 verstorben sind. Soweit eine Todesursache angegeben ist, steht zu einem Drittel „Unterernährung“ und bei zwei Dritteln „Kreislaufschwäche“. In einer dritten Phase brachte dort wieder die Reichsbahn „ihre“ Zwangsarbeiter unter. Bekanntlich wurde das Großziethener Reichsbahnlager Mitte 1942 zu einem Krankensammellager, aber dorthin kamen offenbar auch andere Zwangsarbeiter — es waren vor allem „Ostarbeiter“, auch Polen, ganze Familien mit Kindern! Die Bahn verschob die Ausländer je nach Bedarf von einem Lager zum anderen. Und deren gab es viele in Berlin und Umgebung! So kamen Hunderte von Reichsbahn-Zwangsarbeitern nach Großziethen und von dort aus wieder in andere Lager. Eine Liste vom März 1943 enthält 164 Namen von russischen und ukrainischen Zivilisten sowie 10 handschriftliche Nachträge. Im Dezember 1943 wurden 280 neuangekommene Erwachsene sowie 83 Kinder gemeldet. „Dieses Lager ist 1944 bei einem Großangriff mit den Büroräumen und den gesamten Unterlagen verbrannt.“ So heißt es in einem Nachkriegsbericht. Genauere Informationen liegen noch nicht vor, das Datum ist noch unklar. Doch die Schaden waren wohl doch nicht so groß, denn das Lager war weiterhin in Betrieb: Zwischen Juli 1944 und März 1945 kamen mindestens 275 neue Ausländer an (wieder mit zahlreichen Kindern), wie aus den polizeilichen Anmeldungen hervorgeht. Dies bedeutet, dass von Mitte 1942 bis Kriegsende mindestens 812 osteuropäische Zwangsarbeiter wenigstens eine Zeit lang im Reichsbahnlager Großziethen leben mussten! Zählen wir die sicher belegten Insassen des Reichsbahnlagers zusammen: - 231 Polen (bis Mitte 1941), - 306 Zivilinternierte (Juni/Juli 1941), - 506 Kriegsgefangene vom Kommando 461 (Nov. 1941 bis April 1942). - 812 osteuropäische Zivilisten ab Mitte 1942

...das macht zusammen 1.855 Peronen. Dazu kommt noch eine unbekannte Anzahl aus den beiden letzten Kriegsjahren, für die keine Anmeldung vorliegt. Wenn zu diesen Reichsbahn-Zwangsarbeitern noch die 193 Ausländer gezählt werden, die für Großziethener arbeiteten und im Ort wohnten, so kommen wir auf 2.048 Ausländer: Kriegsgefangene, Gestapointernierte und zivile Zwangsarbeiter. Kurz vor Kriegsbeginn zählte der Ort 1.375 Einwohner. Wenn man diese beiden Angaben vergleicht, wird deutlich, dass dort während des Krieges wesentlich mehr Ausländer lebten als Großziethener. Übrigens konnte der Ort nach dem Krieg auch über 400 Flüchtlinge aufnehmen!

[...] Eine nach dem Krieg von der Bürgermeisterin erstellte Liste der auf dem Friedhof beerdigten Ausländer umfasst:

- Rund 100 Kriegsgefangene, die zwischen November 1941 und April 1942 umkamen;

- 103 ukrainische Zivilisten aus dem Lager, die zwischen 1943 und 1945 verstarben;

- 13 tot aufgefundene Flieger (4 Engländer, 9 Amerikaner).

Wir wissen so gut wie nichts von den weit über 150 Kindern von Zwangsarbeitern, die im Großziethener Reichsbahnlager einen Teil ihrer Kindheit verbringen mussten. Auch kaum etwas über die Kinder, die mit ihren Müttern bei den Bauern untergekommen waren. Nach dem Krieg wurden Listen erstellt mit den Ausländern, die während des Krieges in Großziethen lebten.

Wo genau befand sich das Großziethener Reichsbahnlager, in dem zwischen 1940 und 1945 fast zweitausend ausländische Kriegsgefangene, Gestapohäftlinge, Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder leben mussten? Lokalisierung des Lagers Ab 1938 baute die Reichsbahn einen Güteraußenring, der von Teltow über Schönefeld bis Berlin-Friedrichsfelde verlief. Der als „kriegswichtig“ anerkannte Ring wurde 1941 bis nach Karow erweitert. Im gleichen Jahr wurde auch der Großziethener Bahnhof in Betrieb genommen, dort, wo der Ring die Landstraße von Alt-Großziethen nach Berlin-Buckow kreuzte (heute: Karl-Marx-Straße). Im südöstlichen Teil der be-schrankten Kreuzung, knapp einen Kilometer vom Großziethener Ortskern, lag das Lager. Die Neubausiedlung „Am alten Bahndamm“ steht teilweise auf dem ehemaligen Lagergelände, gleichnamige Straße entspricht zumindest im Süden und Osten ungefähr der Lagerbegrenzung. 90 Pfennig pro Quadratmeter wollte die Reichsbahn seinerzeit der Besitzerin des 2,1 Hektar großen Grundstücks östlich der Straße zahlen, über das die Bahnlinie verlief und wo das Lager stand. Diese aber hatte höhere Vorstellungen, daher betrieb die Bahn ein Enteignungsverfahren, so dass sie das Land im Mai 1944 zugesprochen bekam. Auf der Luftaufnahme vom April 1945 ist noch eine einzige der drei Baracken zu erkennen. Man sieht aber innerhalb des 11.110 qm großen Lagergeländes zwei weitere Flächen – eine nördlich von der abgebildeten Baracke, eine parallel zur Straße. Dort hatten die beiden anderen Baracken gestanden, die durch einen Luftangriff zerstört wurden, offenbar schon in den ersten Wochen des Jahres 1944. Ein Splitterschutzgraben ist im Südosten des Lagergeländes sichtbar – solche Gräben boten den Lagerinsassen nur geringen Schutz gegen Bomben. Außerdem ist im Luftbild ein weiteres Rechteck im Lager erkennbar – möglicherweise der Löschteich, von dem noch Jahrzehnte später die Rede ist; auf einer Luftaufnahme von 1953 ist er als einziges Überbleibsel des Lagers erkennbar. Dieses wurde offenbar bald nach dem Krieg wieder eingeebnet und die Fläche landwirtschaftlich genutzt. Um die Jahrtausendwende wurde das Gelände neu bebaut.

Im Norden Berlins, im Dörfchen Blankenfelde, gab es ebenfalls ein Sammellager für kranke Zwangsarbeiter. Es weist viele Parallelen zu dem in Großziethen auf: Ursprünglich brachte die Reichsbahn „ihre“ Zwangsarbeiter darin unter, später waren dort Kriegsgefangene, auch die Gestapo nutzte „Blankenfelde-Nord“ nach dem Überfall auf die Sowjetunion, später wurde daraus ein Krankensammellager, in das übrigens auch schwerstkranke Rudower Zwangsarbeiter/innen kamen.

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Literatur und Quellen

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  • Bernhard Bremberger, Zwangsarbeit in Groß-Ziethen (1). Abgang durch Tod - Der Bestand verringert sich täglich, in: Rudower Magazin, 11/2014, S. 42/43
  • Bernhard Bremberger, Zwangsarbeit in Großziethen (2). Reichsbahn und Landwirtschaft: Schon vor dem Weltkrieg waren Häftlinge hier im Einsatz, in: Rudower Magazin, 12/2014, S. 56/57
  • Bernhard Bremberger, Zwangsarbeit in Großziethen (3). Während des Krieges gab es mehr Ausländer als Anwohner, in: Rudower Magazin, 1/2015, S. 40/41
  • Bernhard Bremberger, Zwangsarbeit in Großziethen (4). Zwangsarbeiterkinder: Über 150 lebten in Großziethen, in: Rudower Magazin, 3/2015, S. 34/35
  • Bernhard Bremberger: Zwangsarbeit in Großziethen (5). Großziethener Reichsbahnlager: Standort und Erinnerungsarbeit, in: Rudower Magazin, 5/2015, S. 42/43
  • Klaus Leutner hat die wichtigsten Informationen zu 75 Reichsbahnlagern in Berlin und 32 im Umland zusammengetragen in dem Band von Rainer Kubatzki: Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager. Standorte und Topographie in Berlin und im brandenburgischen Umland 1939 bis 1945. Eine Dokumentation, Berlin 2001.
  • Das umfangreichste Dokument zum Groß-Ziethener Reichsbahnlager ist die Akte A Rep. 080, Nr. 5957, im Landesarchiv Berlin
  • Die Akte zu dem Großziethener Gefangenenkommando stammt aus dem Berliner Landesarchiv (A Rep. 369, Nr. 2553)
  • Aufschlussreiche Akten finden sich im Archiv der Gemeinde Schönefeld (Großziethen Nr. 294) und im Kreisarchiv in Luckau (A-4 Großziethen, Nr. 13)
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