Benutzer:Pfeiffer3f/Jüdisches Leben in Gunzenhausen

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Jüdisches Leben in Gunzenhausen ist seit dem 13. Jhdt. dokumentiert. Blütezeiten hatte es im 17. Jhdt., als die Stadt Rabbinatssitz war, und in der ersten Hälfte des 19. Jhdts., als über 10 % der Einwohner Gunzenhausens jüdischen Glaubens waren. Im Januar 1939 meldete sich dagegen die Stadt als „judenfrei“ nach Berlin.

Geschichtlicher Überblick[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gunzenhausen heute, von Westen

Gunzenhausen ist eine kleine Stadt in Mittelfranken, Bayern. Sie liegt an der Altmühl ca. 25 km südöstlich Ansbachs und 45 km südwestlich Nürnbergs.

Bis 17. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jüdische Einwohner Gunzenhausens sind als von dem sog. Rintfleisch-Pogrom im Jahr 1298 betroffen dokumentiert. Auch Urkunden aus den Jahren 1334, 1343 und 1344 nennen Gunzenhauser Bürger jüdischen Glaubens. Im Zuge der Judenverfolgungen zur Zeit der Pest-Epedemien Mitte des 14. Jhdts. wurde die Gemeinde 1349 zerstört. In der “Judeninstruktion” von 1374 ist von einem jüdischen Friedhof in Gunzenhausen die Rede. Im Verzeichnis der jüdischen Gemeinden im Bistum Eichstätt von 1480 heißt es, in Gunzenhausen seien viele jüdische Familien ansässig.

In den Jahren 1539 und 1560 wurden Teile der Juden Gunzenhausens vertrieben. 1593 sind in der Bürgerliste der Stadt nur zwei Juden verzeichnet. Es fand aber Zuzug jüdischer Bürger statt, auch gefördert von den Landesherren durch Ausstellung von Schutzbriefen.

Während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Gunzenhausen eine der bedeutenderen jüdischen Gemeinden im Fürstentum Ansbach. Die jüdische Gemeinde in Gunzenhausen spielte damals auch im Rahmen der sog. “Landjudenschaft” eine wichtige Rolle. 1603 werden zwei Gunzenhäuser Juden unter den sechs Gemeindevertretern aufgeführt, die an den Verhandlungen um einen allgemeinen Schutzbrief für alle Juden des Landes beteiligt waren. Im Gemeindebuch von Gunzenhausen wird erstmals von festen “Ratstagen” berichtet, zu denen Vertreter der Landjudenschaft zusammenkamen. Vertreter der Gemeinde Gunzenhausen waren auch aktive Teilnehmer an den Versammlungen des “Kleinen Rats” der Landjudenschaft in Ansbach.

Nach der Vertreibung der Juden aus dem fränkischen Herrieden 30 km altmühlauwärts im Jahre 1681 ließen sich einige der Vertriebenen in Gunzenhausen nieder.

Rabbinatssitz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der ersten Hälfte des 17. Jhdts. wurde Gunzenhausen der erste Sitz des Landrabbiners. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts residierte in Gunzenhausen womöglich eine Zeitlang auch das vereinigte Rabbinat von Ansbach-Würzburg. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert fungierten die Rabbiner von Gunzenhausen auch als Rabbiner für einige umliegende Gemeinden wie Cronheim und Markt Berolzheim.

Bekannte in Gunzenhausen amtierenden Landrabbiner waren Salomo b. Todros Joseph, Samuel David ben Jakob Grunam (1659-1675), Jeremia ben Juda Lejb Grump (1680-1693) und der Kabbalist Simon Akiba ben Joseph Bär (1698-1724), der als Gemeinderabbiner und Vorsitzender des rabbinischen Gerichtshofs („Bet Din“) im ganzen Distrikt amtierte.

Mit dem Tod Juda Lejb Grumps im Jahr 1693 wechselte das Landrabbinat von Gunzenhausen nach Schnaittach. Gunzenhausen blieb aber Sitz der “Landrichter”.

18. und 19. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahre 1711 stammten zwei der acht “Verwalter der Landjudenschaft“ aus Gunzenhausen. 1739 versah Abraham Wolf aus Gunzenhausen das Amt des “Landschreibers”. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts war die Gemeinde gewachsen. 1714 wohnten in Gunzenhausen 28 steuerpflichtige jüdische Familien, 1755 waren es 55. Im Jahr 1732 waren 16 Wohnhäuser in Gunzenhausen im Besitz jüdischer Bürger.

Die Bewohner der Stadt sahen den jüdischen Zuwachs ungern, sie versuchten die Zahl der in Gunzenhausen ansässigen Juden zu verringern. Sie beschwerten sich bei der Obrigkeit, der jüdische Handel sei eine Konkurrenz, der sie wirtschaftlich gefährde. In den Jahren 1740 und 1760 bis 1764 waren unter den Besuchern der Leipziger Messe Juden aus Gunzenhausen.

Das Buch der Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa) wurde 1741 angelegt, das Buch des Totengedenkens 1745.

Rabbiner Abraham Lejb Boeheim (1821-1845) war der letzte Rabbiner des Distrikts Gunzenhausen, zu dem damals auch die Juden in Altenmuhr, in Weimersheim und in Cronheim gehörten. Nach seinem Tod im Jahr 1845 wurde das Distriktsrabbinat Gunzenhausen aufgehoben, und die Gemeinde schloss sich dem Rabbinatsdistrikt Schwabach an.

Das wirtschaftliche Betätigungsfeld vieler jüdischer Bürger in Gunzenhausen war damals der Handel, besonders mit Vieh, Getreide und Textilien. Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde war Arzt (seit 1900).

Schulen, Synagoge, Friedhof[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Synagoge in Gunzenhausen, rechts daneben die jüdische Schule

Schon in Urkunden aus dem Jahre 1583 ist eine “Judenschule” in Gunzenhausen erwähnt, damals auch ein umgangssprachliches Wort für eine Synagoge. Dazu ist aber nichts weiter bekannt.

1827 eröffnete die jüdische Gemeinde eine Volksschule für die 36 schulpflichtigen Kinder am Ort. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Rabbiner Abraham Lejb Boeheim (1821-1845) bestand in Gunzenhausen auch eine kleine Jeschiwa (Talmudfachschule).

1875 wurde der neue jüdische Friedhof in Gunzenhausen an der Leonhardsruhstraße eingeweiht. Bis dahin hatten die Juden von Gunzenhausen ihre Toten auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Bechhofen beigesetzt.

1882/1883 errichtete die jüdische Gemeinde Gunzenhausens an der Bühringerstraße eine Synagoge. 1894 hatte die zugehörige Schule 35 Schüler. Seit 1898 wurde sie von der Stadt mitfinanziert.

1900 bis 1932[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1927 wurde der jüdische Friedhof in Gunzenhausen auch von den Gemeinden Altenmuhr und Heidenheim benützt. Im Januar 1931 trat in Gunzenhausen die Synode der “Freien Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums” zusammen, bei der es um wirtschaftliche, religiöse und soziale Belange der jüdischen Landgemeinden in Bayern ging. 1932 wurden Synagoge und Judenbad (Mikwe, ein Tauchbad für rituelle Zwecke) renoviert.

Noch bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war Gunzenhausen eine der Hochburgen des Antisemitismus in Bayern. In Wahlen vor 1933 hatte die NSDAP in Gunzenhausen markant überdurchschnittliche Werte. 1928 wurden die Synagogenfenster eingeschlagen, und im Dezember 1929 wurde der jüdische Friedhof geschändet - 18 Grabsteine wurden herausgerissen und zerschlagen. Im Februar 1929 wurde der jüdische Lehrer am städtischen Gymnasium, Arnold Kurzmann, durch eine seiner Schülerinnen – flankiert von einer Veröffentlichung in der nationalsozialistischen Zeitung “Der Stürmer” – beschuldigt, die christliche Religion verunglimpft zu haben. Die Sache kam vor Gericht, das den Lehrer freisprach und dem Redakteur des Stürmer eine Geldstrafe auferlegte.

NS-Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Besonders nach der Machtergreifung der NSDAP Ende Januar 1933 brachen sich in Gunzenhausen antisemitische Tendenzen öffentlich freie Bahn. Gleich im März 1933 wurden jüdische Bürger auf der Straße angegriffen. Ein Bub wurde dabei schwer verletzt. Die Übergriffe waren über die Jahre anhaltend und massiv und machten das Leben der jüdischen Mitbürger in vielerlei Hinsicht zur Qual.

Pogrom 25. März 1934 und Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die örtliche SA-Gruppe unter Führung des 22-jährigen fanatischen Obersturmführers Kurt Bär, Neffe des Dritten Bürgermeisters Gunzenhausens, zettelte am 25. März 1934 Unruhen und verbrecherische Übergriffe an, in deren Verlauf viele Hundert Gunzenhäuser auf die Straßen gingen und bei denen viele jüdische Bürger geschlagen und verletz wurden und zwei von ihnen ums Leben kamen. 35 jüdische Bürger kamen für einen Tag ins Gefängnis, was als „Schutzhaft“ deklariert wurde.

Das Pogrom erregte weltweit Aufsehen und wurde z. B. auf S. 14 der New York Times vom 30. März 1934 erwähnt. Die bayerischen Behörden untersuchten die Vorfälle. Bär und 20 andere SA-Mitglieder wurden angeklagt. Bär erhielt schließlich eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, einige andere Freiheitsstrafen zwischen drei und sieben Monaten, einige wurden freigesprochen. Die Haftstrafen wurden aber nicht vollstreckt. Wenige Wochen später erschoss Bär einen der Zeugen, der im Prozeß gegen ihn ausgesagt hatte, und verletzte dessen Vater schwer. Bär trug diese Tat eine lebenslange Freiheitsstrafe ein. Er wurde aber nach drei Jahren freigelassen.

Synagoge, jüdischer Friedhof[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 8. November 1938, dem Tag vor der sog.“Reichskristallnacht“, verkaufte die jüdische Gemeinde die vorher säkularisierte Synagoge an die Stadt Gunzenhausen. Gleichwohl wollten SA-Angehörige sie zwei Tage später niederbrennen. Der örtliche Feuerwehrkommandant verweigerte aber mit der Begründung, dass ein Übergreifen der Flammen auf umgebende Gebäude nicht sicher vermieden werden kann, seine Mitwirkung. Vielleicht steckte dahinter auch der Gedanke, dass Eigentum der Stadt nicht gebrandschatzt werden sollte. Eine Woche später wurden die markanten Zwiebeldächer der Türme der Synagoge während einer öffentlichen „Feier“ unter Vorsitz des Bürgermeisters Johann Appler abgebrochen. Danach wurde das Gebäude gewerblich genutzt.

Zur gleichen Zeit wurde der jüdische Friedhof geschändet und weitgehend zerstört.

Exodus der jüdischen Bürger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entwicklung seit 1933 führte dazu, dass bis 1938 sehr viele Juden von Gunzenhausen fortzogen. Die Säkularisierung der Synagoge erlebten nur noch wenige von ihnen. In den ersten Tagen des Jahres 1939 verließen die letzten drei jüdischen Bürger Gunzenhausen. Die Stadt meldete sich daraufhin im Januar 1939 als „judenfrei“ nach Berlin.

Wenige Tage nach Goebbels Sportpalastrede am 18. Februar 1943 wurde eine Gruppe von Kindern aus dem nahe Gunzenhausen gelegenen Dorf Arberg zu einem Ausflug zu dem in Gunzenhausen gelegenen Hitler-Denkmal beordert. Ein daran teilnehmendes Kind war das damals zehn Jahre alte jüdische Mädchen Charlotte Neuland, heute Knobloch, das getarnt als vermeintlich uneheliches christliches Kind der Arberger Bauerstochter Kreszentia Hummel von 1942 bis 1945 in Arberg vor dem Zugriff der NS-Schergen versteckt worden war und im Rahmen ihrer Teillnahme am dörflichen Leben auch den Ausflug zum Gunzenhäuser Hitlerdenkmal mitmachte[1].

Nachkriegszeit bis heute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit 1938 sind keine in Gunzenhausen dauerhaft lebenden Bürger jüdischen Glaubens mehr bekannt.

Die ehemalige Synagoge wurde nach dem Krieg gewerblich genutzt und 1981 abgerissen. Auf dem Grundstück befindet sich heute eine Tiefgarage mit darüberliegender Gewerbe- und Wohnbebauung.

Der jüdische Friedhof an der Leonhardsruhstraße wurde 1948 instandgesetzt, soweit die vorhandenen Relikte dies zuließen, und exisitiert bis heute.

Zahlen, Statistik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bürger jüdischen Glaubens in Gunzenhausen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Konfessionsverteilung in Gunzenhausen 1933[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Schülern und Lehrern der Stephani-Mittelschule Gunzenhausen unwurde das Leben der jüdischen Bürger Gunzenhausens bis zum Genozid an den Juden während der NS-Zeit und auch das Leben ihrer Nachfahren erforscht und mit einer Website öffentlich einsehbar dokumentiert.

Projektverlauf, Quellen, Methodik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Projekt beruht auf einer Idee des ehemaligen Rektors Franz Müller der Stephani-Schule in Gunzenhausen und wurde ab 2000 über viele Jahre von Schülern der Schule unter Federführung der Lehrerin Emmi Hetzner ausgeführt. Der wesentliche Teil des Projekts war etwa 2010 abgeschlossen. Neu bekannt werdende Tatsachen werden aber nachgetragen. Anfang 2018 ging die Projektverantwortlichkeit einvernehmlich auf die Stadt Gunzenhausen über.

Bei der Arbeit am Projekt griffen die Beteiligten für die Zeit bis zum 19. Jahrhundert auf Quellen der lokalen Geschichtsschreibung und auf Quellen der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem zurück, insbesondere dort die gesammelten Aufzeichnungen über jüdische Gemeinden in Europa (Pinkas haKehillot), Bayern, Mittelfranken, S. 288 – 293, übersetzt aus dem Hebräischen von Dr. Dafna Mach, Jerusalem, und Auszüge betreffend Gunzenhausen aus den Einträgen im „Book of the Lost Communities“, übersetzt aus dem Hebräischen von Tammy Pre-El. Für die Vorgänge im 20. Jahrhundert wurden das Melderegister und das Grundbuch der Stadt ausgewertet.

Daneben wurden Museen und Universitäten angegangen und die wenigen noch vorhandenen Zeitzeugen befragt. Internetrecherchen führten zu Namen Hinterbliebener im In- und Ausland, die ihrerseits weitere Informationen zu Vorgängen, Personen und Liegenschaften beitragen konnten.

Dokumentationsinhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Dokumentation enthält unterschiedliche Teile:

  • Eine allgemeine geschichtliche Darstellung liefert einen Abriss des jüdischen Lebens in Gunzenhausen seit dem 13. Jahrhundert bis heute. Sie ist unterteilt in die Zeit bis 1933 und die NS-Zeit.
  • Personen und Familien, ihre Beziehungen und Zu- und Wegzüge teils seit dem späten 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit hinein sind beschrieben, soweit die Tatsachen ermittelt werden konnten.
  • Häuser, die im Eigentum jüdischer Mitbürger waren, sind mit den Eigentumsübergängen dazu dargestellt.
  • Die Dokumentation enthält eine Auflistung der Stätten, an denen Gunzenhäuser Juden während der NS-Zeit ermordet wurden, soweit diese bekannt sind.
  • Aufgelistet sind auch die Örtlichkeiten, an denen Nachfahren Gunzenhäuser Juden ermittelt werden konnten.
  • Auch Resonanzen auf das Projekt sind dargestellt.

Resonanz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die bei der Arbeit am Projekt gewonnen Erkenntnisse führten zu einigen Vernetzungen Hinterbliebener im In- und Ausland und zu wechselseitigen Besuchsreisen aus und nach Gunzenhausen.

Die an der Dokumentation Arbeitenden empfanden zum allergrößten Teil die Arbeit daran als fachlich und persönlich äußerst bereichernd.

Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet:

In der Anfangsphase gingen aber auch Drohbriefe in der Stephsani-Schule ein.

Website[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Dokumentation ist im Internet bei www.jl-gunzenhausen.de zu finden.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. * Charlotte Knobloch: In Deutschland angekommen DVA, München 2012, ISBN 978-3-421-04477-8