Carrosserie Georges Gangloff

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Carrosserie Georges Gangloff
Rechtsform Kommanditgesellschaft
Gründung 1903
Auflösung 1936
Sitz Genf, Zürich, Bern (Schweiz), Colmar (Elsass, Frankreich)
Leitung Georges Gangloff
Branche Metallverarbeitung, Karosseriebau

Carrosserie Georges Gangloff war ein Schweizer Karosseriebauunternehmen. Aus dem 1936 erloschenen Unternehmen ging die bis 2015 aktive Gangloff AG in Bern hervor.

Unternehmensgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pic-Pic mit Limousinen-Aufbau von Gangloff (1911)

Die Wurzeln des Unternehmens reichen bis 1830 zurück, als der Bau von Kutschenkomponenten wie Rädern und Naben[1] und kompletten Fahrzeugen[2] aufgenommen wurde. 1878 wurde der Stellmacherbetrieb in Genf formell eingerichtet und von den Brüdern Georges und John Gangloff geleitet. Daraus ging 1903 die Carrosserie Gangloff hervor, mit welchem die Gangloffs in den wachsenden Markt für PKW-Aufbauten eintraten.[3][4][5] Für die Genfer Automobilhersteller Société d’Automobiles à Genève (SAG) und Piccard-Pictet (Pic-Pic) war Gangloff der Hauptlieferant.[4][5] Bald darauf trennten sich die Brüder. Während Georges den Betrieb alleine weiterführte und im Genfer Quartier Sécheron größere Anlagen bezog, eröffnete John in Lausanne eine eigene Karosseriewerkstatt, J. Gangloff & Cie.[3] Es ist bekannt, dass auch sein Unternehmen für Pic-Pic Karosserien anfertigte; sein Betrieb wurde indes bereits 1912 von F. Borgatta & Fils übernommen.[5]

Der Genfer Betrieb wurde nach der Trennung von John als Georges Gangloff SA reorganisiert.[3] Mit 120 Angestellten gehörte er bereits 1914 zu den größten Betrieben seiner Art in der Schweiz und zu den wenigen, die auch internationale Aufmerksamkeit genossen. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich das Unternehmen zu einem führenden Spezialisten für PKW-Karosserien in Einzel- und Kleinserienfertigung. 1928 wurde der neue Schweizer Hauptsitz in Bern bezogen.

Colmar[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bugatti Type 57 Cabriolet «Stelvio» (1934). Dies ist eine «Werkskarosserie» nach einem Entwurf von Jean Bugatti; Gangloff baute fast alle dieser Zweisitzer und hatte grosse Freiheiten bei deren Umsetzung

Um besser am bedeutenden französischen Markt für Sonderkarosserien teilnehmen zu können, fasste Gangloff bereits 1919 in Frankreich Fuss und richtete eine zunehmend selbständig tätige Niederlassung in Colmar (Elsass) ein, wo nicht benötigte Räumlichkeiten der dort ansässigen Carosserie Wiederkehr zugemietet wurden. 1927 wurden Gottlieb Moor und Paul Horlacher gemeinsam Geschäftsführer der Carrosserie Gangloff (Colmar); beide waren schon zuvor im Schweizer Betrieb tätig gewesen. Dieses Unternehmen wurde durch die stattliche Anzahl an Karosserien für Bugatti international schliesslich bekannter als das Mutterhaus. So hat Gangloff Colmar mehr Bugatti Type 57 karossiert als alle anderen unabhängigen Karosseriebauer zusammen. Das Design in Colmar wurde unabhängig von jenem in der Schweiz entwickelt; vieles war, wenn auch nur skizziert, von Jean Bugatti vorgegeben. 1930 wurde die Carosserie Wiederkehr übernommen.

Den Niedergang von Bugatti nach dem Zweiten Weltkrieg verkraftete Gangloff Colmar nicht. Es wurde zwar versucht, auf Chassis anderer Hersteller auszuweichen, doch auch diese – allen voran Delage, Delahaye, Hotchkiss, Salmson oder Talbot-Lago – überlebten den Zusammenbruch des Luxusautomarktes in Frankreich als Folge der wirtschaftlichen Lage, einer Steuerreform in Frankreich und der technischen Entwicklung nicht. Ausländische Marken wie Rolls-Royce oder Bentley stellten nicht genügend Fahrgestelle her, um alle, insbesondere französische Anbieter im Geschäft zu halten. Gangloff Colmar war noch kurze Zeit im Nutzfahrzeug- und Omnibus-Bereich aktiv, ehe die Produktion in den 1960er Jahren endete.[2]

Innovationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Georges Gangloff entwickelte ein Türscharnier- und Haltesystem, durch das deutlich schmalere Türsäulen verwendet werden konnten. Alle Scharniere hingen an der B-Säule. Ziel waren elegantere Aufbauten mit besserer Rundumsicht und mehr Licht im Innenraum. Über Gangloff Colmar wurden diese Beschläge auch in Frankreich bekannt, wo sie von verschiedenen Carrossiers in Lizenz verwendet wurden.[6]

Clear Vision[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Packard 640 Deluxe Eight 4 Door Convertible von Larkins mit Murphy Clear Vision Türsystem (1929)

Der US-Automobildesigner Frank Spring (1893–1959) brachte das Gangloff-Patent in die USA, wo es von seinem damaligen Arbeitgeber, der Walter M. Murphy Company in Pasadena (Kalifornien), verbessert und als Clear Vision angeboten wurde. Murphy verwendete es vor allem für Limousinen, viertürige Cabriolets ("Convertible Sedan") und Coupé de Villes.[7] Es wurde – etwas übertrieben – behauptet, dass eine Clear-Vision-A-Säule schmaler sei als der Abstand der Augen des Fahrers voneinander und dass die Säule daher gar nicht wahrgenommen werde. Zweifellos war sie aber ein Fortschritt gegenüber den üblicherweise wuchtigen Säulen in geschlossenen Fahrzeugen und liess auch eine elegantere Formgebung mit einem leichter wirkenden Dach zu.[6][8][7] Murphy baute auch Rohkarosserien ("In the White"; d. h. ohne Lackierung und Innenausstattung) für andere Hersteller.

C. & R. Geissberger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1929 übernahm Gangloff die ebenfalls 1903 gegründete Carrosserie C. & R. Geissberger in Zürich. Dieses Unternehmen war vor dem Ersten Weltkrieg einer der grössten Schweizer Karosseriebauer und belieferte insbesondere Martini und Saurer.[9][10] Es scheint, dass an allen drei Standorten komplette Gangloff-Karosserien angefertigt wurden.

Niedergang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Martini FU-Serie Pullman-Limousine Stil Weymann, wahrscheinlich karossiert von Gangloff (1927)

Gangloff zeigte an den Genfer Automobilsalons 1931 und 1932 jeweils einen Talbot mit Schiebetüren; zumindest 1931 als Cabriolet.[11] Die schwere Wirtschaftskrise führte 1933 dazu, dass Gangloff den Karosseriebau im Personenwagenbau praktisch ganz aufgeben musste; vereinzelt wurden Aufträge auf Bestellung durchgeführt.[Anm. 1] Zwar gab es Massnahmen der Schweizer Regierung im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die einen möglichst hohen inländischen Produktionsanteil an Automobilen vorschrieben und der Import von Fahrzeugen mit ausländischen Sonderaufbauten war sehr eingeschränkt. Als 1936 die Hausbank in Konkurs ging und Gangloff eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllen konnte, kam es zur Liquidation des solide geführten Unternehmens.[4][5][11]

In dessen Anlagen in Genf entstand im gleichen Jahr die Carrosserie de Sécheron SA, benannt nach dem Genfer Standort-Quartier. Gründer waren zwei Gangloff-Kaderleute, der ehemalige technische Leiter Robert Grau und Edouard Fischer, zuvor für Gangloffs Finanzen zuständig.[4][5][11] Sécheron baute einige sehr elegante Aufbauten, überwiegend Cabriolets, für Delahaye und Jaguar. Das Unternehmen bestand bis 1967.[12][13]

Die Niederlassung in Bern wurde von Dr. R. von Muralt gekauft und als Neue Carrosserie Gangloff AG selbständig.[11] Heute ist sie als Gangloff Trailers Teil der Gangloff AG und stellt Nutzfahrzeugaufbauten und LKW-Anhänger her.[4][5]

Verwendete Fahrgestelle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

SAG als Doppel-Phaeton von Gangloff (1906)
Pic-Pic mit Torpedo-Aufbau von Gangloff (1911)

Gangloff fertigte die meisten Karosserien der Schweizer Hersteller SAG und Pic-Pic sowie eine grössere Anzahl für Martini. Von Gangloff hergestellte Aufbauten sind weiter bekannt auf Fahrgestellen von Ansaldo, Delage, Hispano-Suiza, Hudson, Isotta Fraschini, Mercedes-Benz, Minerva, Rolls-Royce, Terraplane, Voisin und auch einige von Bugatti, wenngleich von diesen ungleich mehr in der Niederlassung in Colmar gebaut wurden.[4][5]

Trivia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ferdinand Hediger: Schweizer Carrossiers 1890-1970, 1. Auflage 2013, SwissClassics Publishing AG, Bäch SZ (Schweiz); ISBN 978-3-9524171-0-2, Hardcover
  • Katalog zur Sonderausstellung Die Schweizer Carrossiers. im Pantheon Basel vom 27. Oktober 2013 – 6. April 2014.
  • Ferdinand Hediger: Klassische Wagen 1919–1939. Hallwag-Verlag, Ostfildern 1998, ISBN 3-444-10348-4.
  • Roger Gloor: Nachkriegswagen. Personenautos 1945–1960. 2. Auflage. Hallwag-Verlag, Bern/ Stuttgart 1982, ISBN 3-444-10263-1.
  • Roger Gloor: Personenwagen der 60er Jahre. 3. Auflage. Hallwag-Verlag, Ostfildern 1998, ISBN 3-444-10307-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Carrosserie Georges Gangloff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gangloff-Aufbauten sind z. B. auf einem Terraplane-Fahrgestell von 1934 und einem Hudson Super Six von 1935 (beide als viertürige Cabriolets) bekannt, daher kann das Produktionsende 1933 nicht so absolut gelten, wie im Swiss Car Register dargestellt.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. zwischengas.com: Swiss Car Register mit Gangloff Sonderschau am OTM Fribourg
  2. a b Bonhams Auktionen: Paris Expo 2008; Lot 168; Bugatti T57 Coach Gangloff #57546
  3. a b c Hediger: Schweizer Carrossiers (2013), S. 41
  4. a b c d e f Swiss Car Register: Georges Gangloff
  5. a b c d e f g Katalog zur Sonderausstellung Die Schweizer Carrossiers im Pantheon Basel, S. 33 (Gangloff)
  6. a b coachbuilt.com: Walter M. Murphy Co.
  7. a b coachbuilt.com: Frank Spring (1893–1959)
  8. coachbuilt.com: Larkins & Co.
  9. Swiss Car Register: C.R. Geissberger
  10. Katalog zur Sonderausstellung Die Schweizer Carrossiers im Pantheon Basel, S. 36 (Geissberger)
  11. a b c d Hediger: Schweizer Carrossiers (2013), S. 47
  12. Katalog zur Sonderausstellung Die Schweizer Carrossiers im Pantheon Basel, S. 111 (Sécheron)
  13. Swiss Car Register: Sécheron
  14. François Vanaret: L'Âge d'or de la carrosserie française; Carrosseries Saoutchik