Domitiopolis

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Koordinaten: 36° 44′ 44″ N, 32° 44′ 54″ O

Reliefkarte: Türkei
marker
Domitiopolis

Domitiopolis (auch Dometiopolis, Domitiupolis, Dimitiopolis) war eine antike und mittelalterliche Stadt in der Landschaft Selentis in der kleinasiatischen Landschaft Isaurien, die häufig zu Kilikien gerechnet wurde, genauer zu Kilikia Tracheia, dem rauen oder gebirgigen Teil Kilikiens. Sie lag am Fluss Arymagdos beim heutigen Ort Katranlı im Bezirk Ermenek der türkischen Provinz Karaman. Da keinerlei archäologische Überreste der Stadt erforscht und auch keine Inschriften oder Münzen von dort bekannt sind, lässt sich die Geschichte des Ortes nur aufgrund der gelegentlichen Erwähnungen in der antiken Literatur rekonstruieren. Dem Namen nach zu urteilen, könnte es sich um eine Gründung aus der Zeit der Römischen Bürgerkriege handeln, die nach dem Politiker Gnaeus Domitius Ahenobarbus benannt wurde. In der byzantinischen Zeit war der Ort Sitz eines Bischofs. Die späteste Erwähnung der Stadt stammt aus der Zeit um 1200, als die Region zum Königreich Kleinarmenien gehörte.

Gründung der Stadt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Denar des Gnaeus Domitius Ahenobarbus aus dem Jahr 41 v. Chr.

Da keine archäologischen Überreste der antiken Stadt bekannt oder erforscht sind, lässt sich die Geschichte des Ortes nur durch schriftliche Quellen rekonstruieren. Auffällig ist diesbezüglich vor allem der Ortsname Domitiopolis, der sich von dem römischen Familiennamen Domitius herleitet. Daraus lässt sich erschließen, dass die Stadt zu Ehren eines Römers benannt wurde; in der Forschung war jedoch lange unklar, um wen es sich dabei handelt. William Mitchell Ramsay schlug 1894 vor, darin den späteren Kaiser Nero zu sehen, dessen Geburtsname bis zu seiner Adoption durch seinen Stiefvater, den Kaiser Claudius, „Lucius Domitius Ahenobarbus“ lautete. Demnach hätte der kilikische Lokalfürst Antiochos IV. in den 40er Jahren n. Chr. eine Stadt in seinem Herrschaftsgebiet zu Ehren des Stiefsohnes des römischen Monarchen gegründet oder zumindest eine bestehende Ortschaft nach ihm benannt.[1] Dagegen spricht allerdings, dass der spätere Nero bis zu seiner Adoption im Alter von 12 Jahren kaum politisch bedeutsam oder berühmt war und zudem in späteren Jahren nur noch ungern an seinen früheren Namen Domitius erinnert wurde, sodass die Stadt Domitiopolis in diesem Szenario wahrscheinlich in „Neronia“ umbenannt worden wäre. Eine alternative Erklärung für den Stadtnamen stammt von Ronald Syme und wurde durch Arnold Hugh Martin Jones erstmalig publiziert.[2] Die beiden Forscher verweisen darauf, dass der gebirgige Teil Kilikiens zu den Landstrichen zählte, die der römische Politiker Marcus Antonius in den 30er Jahren v. Chr. an seine Geliebte, die ägyptische Königin Kleopatra VII., verschenkte. Diese könnte dort Städte gegründet oder umbenannt haben, um bedeutende Unterstützer des Marcus Antonius zu ehren und für sich zu gewinnen. So ließe sich nicht nur der Name Domitiopolis auf Antonius’ wichtigen Gefolgsmann Gnaeus Domitius Ahenobarbus zurückführen, sondern auch die nahegelegene Stadt Titiopolis auf Marcus Titius, einen weiteren wichtigen Unterstützer des Politikers. Da sowohl Titius als auch Domitius Ahenobarbus noch vor der entscheidenden Schlacht bei Actium zwischen Antonius und Octavian zu Letzterem überliefen, bestand für Octavian nach seinem Sieg auch kein Grund, die Namen der beiden Städte abzuändern.[3] Diese Erklärung des Namens und der Entstehung von Domitiopolis wird mittlerweile in der Forschung allgemein anerkannt.[4]

Eroberung durch ein sassanidisches Heer um 260[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karte der kilikischen Küstenlandschaft aus dem Jahr 1903 mit den Küstenstädten Selinus und Seleucia (= Seleukeia am Kalykadnos) in der linken Bildhälfte; Domitiopolis (auf der Karte nicht eingetragen) befindet sich zwischen den beiden ersten Buchstaben des Schriftzuges „Cilicia“

Zur weiteren Geschichte der Stadt sind kaum Informationen bekannt. Nach 260 wurde der Ort vom sassanidischen Herrscher Schapur I. erobert und erscheint in diesem Zusammenhang in dessen Tatenbericht, den Res Gestae Divi Saporis. Von der Stadt heißt es in diesem Zusammenhang (wie bei den meisten dort erwähnten isaurischen Städten), dass sie mitsamt ihrem Umland zerstört worden sei. Dies ist der einzige Beleg dafür, dass der Kriegszug Schapurs über die Küstenstädte Kilikiens hinaus in das isaurische Bergland vorstieß.[5] Allerdings hat die Reihenfolge, in der die Städte in dem Tatenbericht aufgeführt sind, in der Forschung zu Irritationen geführt, da sie sich geographisch nicht sinnvoll zur Route eines einzigen Kriegszuges verbinden lassen.[6]

Daher wurden verschiedene Rekonstruktionen vorgenommen, nach denen mehrere sassanidische Heere parallel zueinander unterschiedliche Routen genommen und die dort liegenden Städte eingenommen hätten. So nahm Martin Sprengling an, Domitiopolis sei auf dem Rückweg vom südwestlich an der Mittelmeerküste gelegenen Selinus durch eine Teilgruppe der Sassaniden erobert worden, die anschließend nach Südosten wieder an die Küste gezogen und sich in Seleukeia am Kalykadnos mit dem restlichen Heer vereinigt hätte (oder aber von Domitiopolis weiter nach Nordosten ins Landesinnere gezogen sei und die Landschaft Lykaonien erreicht habe).[7] Erich Kettenhofen und Philip Huyse dagegen nehmen an, dass das Heer geschlossen von Selinus nach Seleukeia am Kalykadnos zurückgekehrt sei und von dort aus zwei Abteilungen unterschiedliche Wege ins Landesinnere genommen hätten, eine nach Nordwesten gen Domitiopolis (und von dort weiter nach Lykaonien), die andere nach Nordosten in Richtung Kappadokien.[8] Karl Strobel wiederum, der eine klare Unterteilung der Städteliste nach den Eroberungen der verschiedenen Heeresteile annimmt, löst die Problematik, indem er annimmt, das dort gemeinte Domitiopolis habe sich nicht in Isaurien beim heutigen Dindebol befunden und liege weiter im Osten.[9]

Spätrömische und byzantinische Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Spätantike gehörte Domitiopolis zur römischen Provinz Isaurien. In der Städteliste des Hierokles aus dem 6. Jahrhundert fehlt der Ort zwar (vielleicht schlicht aufgrund eines Versehens des Autors), in der entsprechenden Aufstellung des Georgios Kyprios aus dem frühen 7. Jahrhundert ist er dann jedoch unter den Städten Isauriens aufgeführt.[10] Zudem wurde Domitiopolis Bischofssitz, was unter anderem dadurch bezeugt ist, dass der Bischof Orentius von Dimitiopolis (auch Orentio[11]) 458 einen Brief des Basileios von Seleukeia an den byzantinischen Kaiser Leo I. mitunterschrieb. Als Suffraganbistum gehörte Dimitiopolis zunächst zum Patriarchat von Antiochien, ab dem 7. Jahrhundert zu Konstantinopel und nach 969 wieder zu Antiochia. Im Byzantinischen Reich wurde der Ort zu einer Gruppe von zehn Städten in Isaurien („isaurische Dekapolis“) gezählt.[12]

1198 oder 1199 erscheint der Ort in der Liste der Adeligen, die bei der Krönung des Königs Leo I. von Kleinarmenien anwesend waren, in der Schreibweise Tmitupawlis als Lehen eines Xrsawfawr (Christophoros).[13] Über die weitere Geschichte der Stadt liegen keine Quellen vor. In der Neuzeit lebte ihr Name allerdings im Titularbistum Domitiopolis der katholischen Kirche weiter.

Quellenlage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Quellenlage zur Geschichte von Domitiopolis ist äußerst dürftig und beschränkt sich auf gelegentliche Erwähnungen in schriftlichen Quellen. Archäologische Befunde liegen nicht vor; der antike Ort ist heute anscheinend vollständig vom modernen Katranlı überbaut. In einer Felswand über dem Ort ist allerdings eine Nekropole mit Felsengräbern erhalten.[14]

Aufgrund dieser Spärlichkeit der archäologischen Zeugnisse blieben bisherige Forschungsreisen an den Ort weitgehend ergebnislos. Die britischen Epigraphiker George Ewart Bean und Terence Bruce Mitford versuchten bei ihrem Aufenthalt in den 1960er Jahren inschriftliche Zeugnisse des antiken Domitiopolis aufzufinden, da sie gerüchteweise von deren Existenz im Bereich des modernen Ortes Dindebol/Katranlı gehört hatten. Ihre Suche blieb allerdings ergebnislos.[15] Ebenso auffällig wie das Fehlen antiker oder mittelalterlicher Inschriften ist, dass keinerlei Münzen bekannt sind, die von der Stadt Domitiopolis geprägt wurden, obwohl solche städtischen Lokalprägungen (sogenannte Provinzialprägungen) gerade in Kleinasien während der Römischen Kaiserzeit allgemein üblich waren. Allerdings sind auch die Prägungen anderer Städte des kilikischen Berglandes ausgesprochen selten, sodass das Fehlen von Münzen der Stadt Domitiopolis auch auf einen Überlieferungszufall zurückgehen könnte.[16]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. William Mitchell Ramsay, in: Revue Numismatique. 1894, S. 169 Anm. 2.
  2. A. H. M. Jones: The Cities of the Eastern Roman Provinces. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1971, S. 439, Anmerkung 30; siehe auch Ronald Syme: Isauria in Pliny. In: Anatolian Studies. Band 36, 1986, S. 159–164, hier S. 161 mit Anmerkung 13.
  3. A. H. M. Jones: The Cities of the Eastern Roman Provinces. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1971, S. 207 f. und S. 439, Anmerkung 30.
  4. Noel Lenski: Assimilation and Revolt in the Territory of Isauria, from the 1st Century BC to the 6th Century AD. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient. Band 42, Nummer 4, 1999, S. 413–465, hier S. 435; Karl Feld: Barbarische Bürger. Die Isaurier und das Römische Reich. Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-018899-6, S. 29.
  5. Res Gestae Divi Saporis 27; siehe Karl Feld: Barbarische Bürger. Die Isaurier und das Römische Reich. Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-018899-6, S. 29 und 121 f.
  6. Überblick über die antiken Quellen und die moderne Forschungsliteratur bei Katarzyna Maksymiuk: Geography of Roman-Iranian wars. Military operations of Rome and Sasanian Iran. Uniwersytetu Przyrodniczo-Humanistycznego w Siedlcach, Siedlce 2015, ISBN 978-83-62447-13-8, S. 40–43 (online).
  7. Martin Sprengling: Third century Iran: Sapor and Kartir. Oriental Institute, University of Chicago, Chicago 1953, S. 105 f. Sprenglings Rekonstruktion ist in sich nicht ganz konsistent, siehe Erich Kettenhofen: Die römisch-persischen Kriege des 3. Jahrhunderts n. Chr. nach der Inschrift Sãhpuhrs I. an der Kabe-ye Zartost (SKZ) (= Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients. Reihe B, Nummer 55). Reichert, Wiesbaden 1982, ISBN 3-88226-149-8, S. 115 f. und 121.
  8. Erich Kettenhofen: Die römisch-persischen Kriege des 3. Jahrhunderts n. Chr. nach der Inschrift Sãhpuhrs I. an der Kabe-ye Zartost (SKZ) (= Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients. Reihe B, Nummer 55). Reichert, Wiesbaden 1982, ISBN 3-88226-149-8, S. 115–117; Philip Huyse: Die dreisprachige Inschrift Šābuhrs I. an der Kaʿba-i Zardušt (ŠKZ) (= Corpus Inscriptionum Iranicarum. Teil 3, Band 1,1). Teilband 2, School of Oriental and African Studies, London 1999, ISBN 0-7286-0306-3, S. 93 f.
  9. Karl Strobel: Das Imperium Romanum im „3. Jahrhundert“: Modell einer historischen Krise? Zur Frage mentaler Strukturen breiterer Bevölkerungsschichten in der Zeit von Marc Aurel bis zum Ausgang des 3. Jh. n. Chr. (= Historia Einzelschriften. Band 75). Franz Steiner, Stuttgart 1993, ISBN 3-515-05662-9, S. 215, Anmerkung 200.
  10. Georgios Kyprios, Descriptio orbis Romani, p. 43 in Heinrich Gelzers Ausgabe (Digitalisat); siehe A. H. M. Jones: The Cities of the Eastern Roman Provinces. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1971, S. 214 und 517.
  11. Wilhelm Enßlin: Orentio. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XVIII,1, Stuttgart 1939, Sp. 959.
  12. Konstantin Porphyrogennetos, De thematibus 13 (p. 77); siehe Karl Feld: Barbarische Bürger. Die Isaurier und das Römische Reich. Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-018899-6, S. 27 f.
  13. Dweezil Vandekerckhove: Medieval Fortifications in Cilicia. The Armenian Contribution to Military Architecture in the Middle Ages (= History of Warfare. Band 128). Brill, Leiden/Boston 2020, ISBN 978-90-04-40008-5, S. 68 f. (mit Datierung auf 1198); Friedrich Hild, Hansgerd Hellenkemper: Kilikien und Isaurien. Teilband 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990, ISBN 3-7001-1811-2, S. 242 und zur Datierung der Quelle auf das Jahr 1199 auch S. 76.
  14. Friedrich Hild, Hansgerd Hellenkemper: Kilikien und Isaurien. Teilband 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990, ISBN 3-7001-1811-2, S. 242.
  15. George Ewart Bean, Terence Bruce Mitford: Journeys in Rough Cilicia 1964–1968 (= Tituli Asiae Minoris. Ergänzungsband 3). Hermann Böhlau, Graz/Wien/Köln 1970, S. 210.
  16. A. H. M. Jones: The Cities of the Eastern Roman Provinces. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1971, S. 212.