Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften

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Die Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen war ein Enzyklopädieprojekt der mathematischen Wissenschaften (im weitesten Sinn) samt Anwendungen, das beim B.G. Teubner Verlag in Leipzig 1898 bis 1935 erschien.

Die Idee für das Projekt war auf einer Harzreise von Felix Klein, Heinrich Weber und Wilhelm Franz Meyer 1894 entstanden. An ihm nahmen führende Mathematiker und Physiker der Zeit um die Jahrhundertwende bis in die 1920er Jahre teil, koordiniert insbesondere von Felix Klein. Die Beteiligung war international, so kamen z. B. auch Beiträge aus Italien, England und Frankreich. Beteiligt waren die Akademien in München, Leipzig, Göttingen und Wien (nicht Berlin). In Frankreich gab es zur gleichen Zeit eine französische Ausgabe (1904 bis 1916 bei Gauthier-Villars erschienen, Herausgeber Jules Molk), deren Artikel (besonders zur reellen Analysis) teilweise in die deutsche Encyklopädie übernommen wurden.[1] Die Artikel der Encyklopädie liefern noch heute wertvolle mathematikhistorische Informationen. Einige der Artikel sind Klassiker, z. B. der von Wolfgang Pauli über die Relativitätstheorie, von Tatjana und Paul Ehrenfest über statistische Mechanik und der von Max Dehn und Poul Heegaard über Topologie. Der ursprüngliche Plan, möglichst konzise Übersichtsartikel zu verfassen, löste sich aber schon mit den Beiträgen von Alfred Pringsheim teilweise auf, der seine eigenen Forschungen zur Funktionenlehre in die Encyklopädie einbrachte. Einen kleinen Einblick in die Organisation gab Ludwig Boltzmann.[2]

Neben Mathematik (Teilbände 1,2 und für Geometrie 3) wurden auch z. B. Physik, Maschinenbau, Hydrodynamik, Geodäsie und Astrophysik behandelt (Mechanik in den Reihen 4, Physik in 5, Geophysik und Astrophysik in Reihe 6). Arnold Sommerfeld betreute die Physik-Bände, bei denen berühmte theoretische Physiker wie Hendrik Antoon Lorentz mitarbeiteten und in denen auch schon die Quantentheorie behandelt wurde (Smekal 1925).

In den Bänden der Encyklopädie findet sich auch der Anfang des Siegeszugs der Vektor-Notation, wie Karin Reich darlegte.[3]

Ab 1939 bis in die 1950er Jahre wurde auch das Projekt einer neuen Enzyklopädie begonnen, das dann aber aufgegeben wurde. Obwohl man sich auf die reine Mathematik beschränkte, war aufgrund der großen Zunahme des mathematischen Wissens (gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg) und der Verschiebung der Schwerpunkte mathematischer Forschung in andere Länder als das deutschsprachige Mitteleuropa die Zeit für ein solches Vorhaben abgelaufen. In den 1970er Jahren begann in der Sowjetunion unter Leitung von Iwan Matwejewitsch Winogradow ein ähnliches Projekt, die Matematicheskaya entsiklopediya, ab den 1990er Jahren in erweiterter und aktualisierter englischer Fassung als Encyclopaedia of Mathematics beim Kluwer Verlag (später Springer), allerdings ohne den breiten Begriff von Anwendungen, den insbesondere Felix Klein in das Enzyklopädieprojekt einbrachte.

  • Bd. 2-2: William Fogg Osgood Allgemeine Theorie analytischen Funktionen einer und mehrerer komplexer Variabler (1901), Wilhelm Wirtinger Algebraische Funktionen und ihre Integrale (1901), Robert Fricke Elliptische Funktionen (1913, unter Benutzung von Vorlagen von James Harkness, Wilhelm Wirtinger), Automorphe Funktionen mit Einschluß der elliptischen Modulfunktionen (1913), Emil Hilb Differentialgleichungen im komplexen Gebiet, Nichtlineare Differentialgleichungen (1916), Adolf Krazer, Wilhelm Wirtinger Abelsche Funktionen und allgemeine Thetafunktionen (1920).
  • Bd. 3-1-1: Federigo Enriques Prinzipien der Geometrie (1907), Hans von Mangoldt Die Begriffe Linie und Fläche (1906), Max Dehn/Poul Heegaard Analysis Situs (1907), Gino Fano Gegensatz von analytischer und synthetischer Geometrie in seiner historischen Entwicklung im 19. Jahrhundert (1907), Gino Fano: Kontinuierliche geometrische Gruppen – Die Gruppentheorie als geometrisches Einteilungsprinzip (1907), Arthur Schoenflies Projektive Geometrie (1909), Ernst Steinitz Konfigurationen der Projektiven Geometrie (1910), Emil Müller Die verschiedenen Koordinatensysteme (1910), Erwin Papperitz Darstellende Geometrie (1909).
  • Bd. 3-2-1: Friedrich Dingeldey Kegelschnitte und Kegelschnittsysteme (1903), Ernst Otto Staude Flächen 2. Ordnung und ihre Systeme und Durchdringungskurven (1904), Hieronymus Zeuthen Abzählende Methoden (1905), Luigi Berzolari Allgemeine Theorie der höheren ebenen algebraischen Kurven (1906), Gustav Kohn Ebene Kurven dritter und vierter Ordnung (1908), Gino Loria Spezielle ebene algebraische Kurven von höherer als 4. Ordnung (1914), Guido Castelnuovo, Enriques Grundeigenschaften der algebraischen Flächen (1908), Die algebraischen Flächen vom Standpunkt der birationalen Transformationen (1914),
  • Bd. 3-2-2a: Corrado Segre Mehrdimensionale Räume (1912), Luigi Berzolari/Karl Rohn Algebraische Raumkurven und abwickelbare Flächen (1926), Konrad Zindler Algebraische Liniengeometrie (1921).
  • Bd. 3-2-2b: Spezielle algebraische Flächen: Wilhelm Franz Meyer Flächen 3. Ordnung (1928), Flächen vierter und höherer Ordnung (1930), Luigi Berzolari Algebraische Transformationen und Korrespondenzen (1932).
  • Bd. 3-3: Differentialgeometrie: Hans von Mangoldt Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Kurven und Flächen (1902), Reinhold von Lilienthal Die auf einer Fläche gezogenen Kurven (1902), Besondere Flächen (1903), Georg Scheffers Besondere transzendente Kurven (1903), Heinrich Liebmann Berührungstransformationen (1914), Geometrische Theorie der Differentialgleichungen (1914), Aurel Voss Abbildung und Abwicklung zweier Flächen aufeinander (1903), Erich Salkowski Dreifach orthogonale Flächensysteme (1920), Roland Weitzenböck Neuere Arbeiten zur algebraischen Invariantentheorie – Differentialinvarianten (1921), Ludwig Berwald Differentialinvarianten in der Geometrie – Riemannsche Mannigfaltigkeiten und ihre Verallgemeinerungen (1923).
  • Bd. 5-2: Arnold Sommerfeld, Richard Reiff Elektrizität und Optik – Standpunkt der Fernwirkung, Elementargesetze (1902), Hendrik Antoon Lorentz Maxwells elektromagnetische Theorie (1902), Weiterbildung der Maxwellschen Theorie –Elektronentheorie (1903), Richard Gans Elektrostatik und Magnetostatik (1906), Friedrich Pockels Die Beziehung zwischen elektrostatischen und magnetostatischen Zustandsänderungen einerseits und elastischen und thermischen andererseits (1906), Peter Debye Stationäre und quasistationäre Felder (1909), Max Abraham Elektromagnetische Wellen (1906), Rudolf Seeliger Elektronentheorie der Metalle (1921), Wolfgang Pauli Relativitätstheorie (1920).

Digitalisierte Ausgabe

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Encyclopédie des sciences mathématiques pures et appliquées

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Die französische Ausgabe der Enzyklopädie erschien bei Gauthiers-Villars. Der Verlag hatte sich mit Teubner auf dem Internationalen Mathematikerkongress 1900 in Paris auf eine französische Ausgabe geeinigt, die gleichzeitig entstand, aber keine bloße Übersetzung sein sollte, sondern von führenden französischen Mathematikern bearbeitet. Ein Nachdruck erschien in den 1990er Jahren bei der Éditions Jacques Gabay. Herausgeber war neben Jules Molk für einige Bände auch Paul Appell. Sie erschien 1904 bis 1916 in 8 Bänden jeweils mit Teilbänden. Nachdem einzelne Kapitel schon durch den Ersten Weltkrieg beeinträchtigt waren, wurde die Gesamtedition 1916 wegen des Kriegs abgebrochen. Wie in der deutschen Ausgabe erschienen die Teilbände teilweise in Fortsetzungsheften.

Die Zusammenarbeit des Autors der deutschen Ausgabe und des französischen Autors erfolgte brieflich. Zunächst sandte der Autor des deutschen Originals mit seinem Text Ergänzungsvorschläge an den französischen Autor, der ergänzte und bearbeitete und den Text an den Ursprungsautor zurückschickte usw. Molk organisierte auch ein Mitteilungsblatt, in dem Kommentare zu allen Artikeln platziert werden konnten. In wenigen Fällen (so bei Paul Langevins Bearbeitung von Max Abraham) entstand ein völlig neuer Text.[5][6] Einige der Beiträge der deutschen Ausgabe, besonders in der Analysis, stammten auch schon ursprünglich von französischen Mathematikern.

Neuauflage ab 1939 bei Teubner

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Ab 1939 wurde von den Akademien der Wissenschaften in Göttingen, Berlin, Wien und Heidelberg und vom Verlag B.G.Teubner eine Neuauflage geplant. Als Herausgeber fungierten Helmut Hasse, Erich Hecke, Max Deuring, Emanuel Sperner. Davon sind folgende Bände erschienen:

Die Bände stehen online als Digitalisat in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen) der Georg-August-Universität Göttingen zur Verfügung.[26]

Eine Darstellung der Theorie der Algebren (damals Hyperkomplexe Zahlen genannt) des in der Zeit des Nationalsozialismus nach Kanada emigrierten Richard Brauer, das 1936 im Manuskript vorlag und eigentlich schon zur Publikation akzeptiert war, erschien nie.

  • Walther von Dyck: Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften. Vortrag in Vertretung Felix Kleins auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Rom 1908, Jahresbericht DMV.
  • Hélène Gispert: Les Débuts de l’histoire des mathématiques sur les scènes internationales et le cas de l’entreprise encyclopédique de Felix Klein et Jules Molk. Historia Mathematica, Band 26, 1999, S. 344–360.
  • Hélène Gispert, Jean-Luc Verley (Herausgeber): L’Encyclopédie des sciences mathématiques pures et appliquées, (1904–1916), traduire ou adapter l’entreprise de Felix Klein. Springer-France, 2000 (Beiträge u. a. von Gispert, Catherine Goldstein, Renate Tobies).
  • Hélène Gispert: The German and French Editions of the Burkhardt–Molk Encyclopedia: Images of the Mathematical Sciences at the Dawn of the Twentieth Century. In: Amy Dahan, Umberto Bottazzini (Hrsg.): Changing Images of Mathematics in History. Reading, UK: Harwood Academic, 1999.
  • David E. Rowe: Klein, Hilbert, and the Göttingen Mathematical Tradition, Osiris (2) 5 (1989), 186–213.
  • Jules Tannery: L’Encyclopédie des sciences mathématiques. Bulletin des sciences mathématiques 35 (1911), 296–297.
  • Paul Tannery: Encyclopédie des sciences pures et appliquées, notes historiques (1904–1906). Mémoires scientifiques, Paris-Toulouse, 1930.

Einzelnachweise

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  1. Encyclopédie des sciences mathématiques pures et appliquées. Ein detaillierter Vergleich der deutschen und französischen Ausgaben von Hélène Gispert und Catherine Goldstein ist in Vorbereitung (2004).
  2. Ludwig Boltzmann: Reise eines deutschen Professors ins Eldorado. In: Populäre Schriften. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1905, S. 403–435, dort S. 405–407.
  3. Karin Reich: Die Rolle Arnold Sommerfelds bei der Diskussion um die Vektorrechnung, dargestellt anhand der Quellen im Nachlass des Mathematikers Rudolf Mehmke. (Memento vom 13. Januar 2021 im Internet Archive) Aus: Joseph W. Dauben (Hrsg.) History of Mathematics: states of the art. San Diego 1996, S. 319–341.
  4. Nabl, 1876–1953, Assistent von Boltzmann.
  5. Jean Dhombres: Vicissitudes in Internationalization: International Networks in Mathematics until the 1920s. In: Christophe Charle, Jürgen Schriewer, Peter Wagner (Hrsg.): Transnational intellectual networks. Campus Verlag, 2004, 81–114.
  6. Jean Dhombres: Nationale Bedingungen mathematischer Kultur in Deutschland und Frankreich in den Jahren um 1900. In: Lothar Jordan, Bernd Kortländer: Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Niemeyer, Tübingen 1995, S. 312–333.
  7. Raymond Le Vavasseur, wurde 1893 an der Sorbonne promoviert (Sur le système d’équations aux dérivées partielles simultanées auxquelles satisfait la série hypergéométrique à deux variables). Veröffentlicht 1908 in den Annales de l´université de Lyon über Zahlentheorie und 1904 über Gruppentheorie. In dieser Zeit war er Maitre de conférences an der Universität Lyon.
  8. Versicherungsmathematiker bei der Lebensversicherung Compagnie L'Union in Paris, er starb 1913.
  9. Gallica.
  10. Gallica.
  11. Gallica.
  12. Gallica.
  13. BNF, Gallica.
  14. Armand Lambert (1880–1944), Astronom, Chef des Service Méridien des Pariser Observatoriums. In Auschwitz ermordet.
  15. Sauveur Carrus (* 1873), wurde 1906 in Paris promoviert (Familles de surfaces à trajectoires orthogonales planes) und war danach 1907 bis 1909 in Lille. War Examinator an der Ecole Polytechnique und später Professor für Analysis in Algier. Veröffentlichte 1931/32 ein zweibändiges Analysis-Lehrbuch (Cours de Calcul Différentiel et Intégral. Méthode de formation au raisonnement mathématique, Eyrolles, Paris).
  16. Auguste-Clément Grévy (* 1. Juli 1865 in Paris – 1930), studierte an der Ecole Normale Superieure und promovierte 1894 bei Gabriel Koenigs in Paris mit einer Arbeit über Iteration komplexer Funktionen (beschrieben in Daniel Alexander A history of complex dynamics, Aspects of Mathematics, 1994 – nach Alexander sind seine diesbezüglichen vier Arbeiten von 1892 bis 1897 fast sein ganzer Beitrag zur mathematischen Forschung). Schrieb Schulbücher über Algebra (Paris, Vuibert 1905), Trigonometrie (1929), Arithmetik (1917) und Geometrie (Géométrie théorique et pratique, Complements de géométrie 1905). Er war von 1897 bis zu seinem Tod Lehrer (Professor) am Lycée Saint-Louis.
  17. Lucien Lévy (1853–1912), Professor für Mathematik am Lycée Louis-le-Grand, Examinator an der Ecole Polytechnique, Vater von Paul Lévy.
  18. Fascicule 1, Gallica.
  19. Fascicule 2, Gallica.
  20. Gallica.
  21. Frédéric Marie Emmanuel Vallier (* 23. Dezember 1849 in Versailles), Artillerieoffizier, korrespondierendes Mitglied der Academie des Sciences, Autor mehrerer Bücher über Ballistik.
  22. Camille Benoît (* 27. Oktober 1856 in Maule), Offizier der Artillerie (ab Februar 1917 Oberleutnant). Gab als General 1931 Histoire Militaire de L’Afrique Occidentale Française heraus.
  23. Hubert Cassien Fernand François Gossot (1853–1935), General.
  24. Roger Liouville, Examinator an der Ecole Polytechnique. Befasste sich mit Differentialgleichungen und Mechanik und gab postum die Arbeit von Pierre-Henri Hugoniot über Stosswellen heraus.
  25. Band 4-1 in der Ed. Gabay.
  26. Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen), abgerufen am 27. März 2019.