Grayanotoxine

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Leucothoe grayana, eine Traubenheide, aus der Grayanotoxin erstmals extrahiert wurde.[1]

Grayanotoxine sind eine Gruppe von neurotoxischen Tetracyclophytanen, die von verschiedenen Pflanzen produziert werden. Sie werden teils als Genussmittel genutzt, sorgen jedoch auch für unbeabsichtigte Vergiftungen. Grayanotoxine kommen sowohl im Labrador Tea als auch in Pontischem Honig vor.

Vorkommen und Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grayanotoxin R1 R2 R3
Grayanotoxin I OH CH3 Ac
Grayanotoxin II CH2 H
Grayanotoxin III OH CH3 H
Grayanotoxin IV CH2 Ac

Ac = acetyl

Der Pontische Rhododendron (Rhododendron ponticum), Namensgeber des Grayanotoxin enthaltenden Pontischen Honigs.
Kalmia angustifolia, eine Lorbeerrose, enthält ebenfalls Grayanotoxin.

Der erste bekannte Vertreter der Grayanotoxine ist Grayanotoxin I.[2] Es ist ebenfalls bekannt als Andromedotoxin oder Rhodotoxin und wurde im Jahr 1934 als aktive Komponente in einem Extrakt aus Leucothoe grayana, einer Pflanze aus der Gattung der Traubenheiden, beschrieben.[1] Grayanotoxine kommen in zahlreichen Vertretern der Familie der Heidekrautgewächse vor, außerdem in der Schmalblättrigen Lorbeerrose Kalmia angustifolia oder der Rosmarinheide. Sie aktivieren Natriumionenkanäle und wirken daher neurotoxisch.[3] Es sind aktuell (Stand 2016) mehr als 60 chemische Verbindungen bekannt, die auf Grund ihrer chemischen Struktur zu den Grayanotoxinen gezählt werden.[4]

Gewinnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grayanotoxine können mit für pflanzliche Diterpene üblichen Methoden aus Pflanzenmaterial extrahiert und aufgereinigt werden. Grayanotoxine sind gut in heißem Wasser, Essigsäure, Ethanol und Methanol löslich.[2] Üblich sind die Extraktion mit heißem Methanol und ein Aufreinigen durch Chromatographie.[5] Alternativ kann der methanolische Extrakt eingedampft und der Rückstand mit Chloroform ausgewaschen werden. Nach Abdampfen des Chloroforms verbleibt ein öliger Rückstand, aus dem Grayanotoxin mit Ethylacetat auskristallisiert werden kann.[4]

Biosynthese und chemische Synthese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Biosynthese der Grayanotoxine ist nicht vollständig geklärt, jedoch bewiesen Experimente mit radioaktiven Markern einen Syntheseweg über Mevalonsäure.[5]

Die Totalsynthese ist durch die ungewöhnliche tetracyclische Struktur und das dichte Arrangement von Hydroxygruppen herausfordernd und erfordert zahlreiche Schritte. Jedoch ist die Totalsynthese aufgrund der potentiellen pharmakologischen Relevanz dieser Verbindungsklasse interessant.[6]

Vergiftungserscheinungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Informationen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom Mai 2023 kam es in Deutschland seit dem Jahr 2010 zu mindestens fünf Vergiftungsfällen nach dem Verzehr grayanotoxinhaltigen Honigs. In allen dem BfR bekannten Vergiftungsfällen handelte es sich um Honig, der entweder nicht in Deutschland im Handel erhältlich oder dessen Herkunft unklar ist.[7] Vergiftungen mit Grayanotoxin sind selten tödlich.[8] Die üblichen Symptome sind starker Speichelfluss, Schwitzen, Übelkeit, Schwindel, Schwäche und niedriger Blutdruck.[9] Nur selten ist eine Behandlung der Symptome mit Atropin nötig. Auch bei Tieren sind Vergiftungserscheinungen bekannt, die durch den Konsum von grayanotoxinhaltigen Pflanzen verursacht wurden.[10]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor allem Pontischer Honig, der aus dem Nektar der Grayanotoxin enthaltenden Pflanze Rhododendron ponticum stammt, ist Ursache zahlreicher Vergiftungen. Grayanotoxinen wird die Wirkung eines Aphrodisiakums nachgesagt und so kommt es zu Vergiftungen, wenn Pontischer Honig bewusst als Genussmittel konsumiert wird.[11][12] Außerdem nutzen die Gurung, ein Volk in Nepal, Grayanotoxin enthaltenden Honig auf Grund seiner halluzinogenen Eigenschaften.[13] Wegen seiner berauschenden Wirkungen wurde Pontischer Honig darüber hinaus im Europa des 18. Jahrhunderts verschiedenen Getränken beigegeben.[14]

Labrador Tea, ein Kräutertee, der von Athabasken und Eskimos genossen wird, wird unter anderem aus den Blättern des Sumpfporsts und des Grönländischen Porsts bereitet. Er enthält Grayanotoxin und kann in größeren Mengen die typischen Vergiftungserscheinungen auslösen.[15]

Grayanotoxin als Waffe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der griechische Autor und General Xenophon nahm an einem Feldzug hauptsächlich griechischer Söldner des persischen Prinzen Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes II. teil, wie er in der Anabasis berichtet. Nachdem Kyros in der Schlacht bei Kunaxa 401 v. Chr. fiel, zogen sich die griechischen Söldner und Xenophon zurück und nahmen auf dem Rückweg in der Gegend um Trapezus Honig zu sich, der zu den typischen Symptomen führte.[16][17] Da solcher Honig nur im Sommer zu finden ist, könnte die Blütezeit der Azaleen zur genaueren Datierung des Ereignisses genutzt werden.[18]

Eine absichtliche Vergiftung mit Grayanotoxin und eine anschließende militärische Niederlage hat etwa 1500 römische Soldaten unter Gnaeus Pompeius Magnus um das Jahr 67 v. Chr. während der Mithridatischen Kriege das Leben gekostet. Grayanotoxin wird daher auch als „antike Biowaffe“ bezeichnet.[8][14] Berichte aus der Zeit stammen von Strabon, der schreibt:[17]

„Die Heptacometae erschlugen drei Manipel von Pompeius Armee, als sie durch das bergige Land marschierten; denn sie bereiteten Schalen des verrückten Honigs vor, der von den Ästen der Bäume stammt, stellten die Schalen an die Straße, und als die Soldaten ihn zu sich nahmen und ihre Sinne verloren, griffen sie an und vernichteten sie.“

Strabon: Geographika 12,3,18

Darüber hinaus berichten auch Plinius der Ältere und sein Zeitgenosse Lucius Iunius Moderatus Columella über die Wirkung solchen Honigs.[17]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b S. Miyajima, S. Takei: The active constituents of Leucothoe grayana Max. In: Journal of the Agricultural Chemical Society of Japan. Band 10, 1934, S. 1093–1103.
  2. a b David G. Spoerke Jr., Susan C. Smolinske: Toxicity of Houseplants. CRC Press, Boca Raton/Ann Arbor/Boston 1990, ISBN 978-0-8493-6655-0, S. 25–28 (online).
  3. S. Ito, Y. Nakazato, A. Ohga: Further evidence for the involvement of Na+ channels in the release of adrenal catecholamine: the effect of scorpion venom and grayanotoxin I. In: British journal of pharmacology. Band 72, Nummer 1, Januar 1981, S. 61–67, PMID 6261866, PMC 2071538 (freier Volltext).
  4. a b T. Terai, K. Osakabe, M. Katai, K. Sakaguchi, I. Narama, T. Matsuura, J. Katakawa, T. Tetsumi: Preparation of 9-hydroxy grayanotoxin derivatives and their acute toxicity in mice. In: Chemical & pharmaceutical bulletin. Band 51, Nummer 3, März 2003, S. 351–353, PMID 12612430.
  5. a b Tetsuya Masutani, Masayuki Hamada, Eiko Kawano, Junkichi Iwasa, Zenzaburo Kumazawa, Hiroo Ueda: Biosynthesis of Grayanotoxins in Leucothoe grayana Max.Incorporation of Mevalonic Acid and (—)-Kaurene into Grayanotoxin-III. In: Agricultural and Biological Chemistry. Band 45, Nummer 5, 1981, S. 1281–1282, doi:10.1080/00021369.1981.10864694 (PDF; 142 KB).
  6. T. Kan, S. Hosokawa, S. Nara, M. Oikawa, S. Ito, F. Matsuda, H. Shirahama: Total Synthesis of (-)-Grayanotoxin III. In: The Journal of Organic Chemistry. Band 59, Nummer 19, 1994, S. 5532–5534, doi:10.1021/jo00098a009.
  7. Ausgewählte Fragen und Antworten zu Grayanotoxinen in Honig - BfR. Abgerufen am 26. Februar 2024.
  8. a b A. Demircan, A. Keleş, F. Bildik, G. Aygencel, N. O. Doğan, H. F. Gómez: Mad honey sex: therapeutic misadventures from an ancient biological weapon. In: Annals of emergency medicine. Band 54, Nummer 6, Dezember 2009, S. 824–829, doi:10.1016/j.annemergmed.2009.06.010, PMID 19683834.
  9. P. M. Scott, B. B. Coldwell, G. S. Wiberg: Grayanotoxins. Occurrence and analysis in honey and a comparison of toxicities in mice. In: Food and cosmetics toxicology. Band 9, Nummer 2, April 1971, S. 179–184, PMID 5559997.
  10. B. Puschner, D. M. Holstege, N. Lamberski: Grayanotoxin poisoning in three goats. In: Journal of the American Veterinary Medical Association. Band 218, Nummer 4, Februar 2001, S. 573–575, 527, PMID 11229512.
  11. M. Yarlioglues, M. Akpek, I. Ardic, D. Elcik, O. Sahin, M. G. Kaya: Mad-honey sexual activity and acute inferior myocardial infarctions in a married couple. In: Texas Heart Institute journal. Band 38, Nummer 5, 2011, S. 577–580, PMID 22163140, PMC 3231547 (freier Volltext).
  12. S. A. Jansen, I. Kleerekooper, Z. L. Hofman, I. F. Kappen, A. Stary-Weinzinger, M. A. van der Heyden: Grayanotoxin poisoning: 'mad honey disease' and beyond. In: Cardiovascular toxicology. Band 12, Nummer 3, September 2012, S. 208–215, doi:10.1007/s12012-012-9162-2, PMID 22528814, PMC 3404272 (freier Volltext) (Review).
  13. Hallucinogen honey hunters 2011.
  14. a b Cheryll Williams: Medicinal Plants in Australia. Band 1: Bush Pharmacy. Rosenberg Publishing, Dural 2010, ISBN 978-1-925078-05-3, S. 223– (online).
  15. A. Dampc, M. Luczkiewicz: Labrador tea–the aromatic beverage and spice: a review of origin, processing and safety. In: Journal of the science of food and agriculture. Band 95, Nummer 8, Juni 2015, S. 1577–1583, doi:10.1002/jsfa.6889, PMID 25156477 (Review).
  16. Adrienne Mayor: Mad Honey. In: Archaeology. Band 46, Nummer 6, S. 32–40 (online).
  17. a b c James A. Kelhoffer: The Diet of John the Baptist: „Locusts and Wild Honey“ in Synoptic and Patristic Interpretation (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Band 176). Mohr Siebeck, Tübingen 2005, ISBN 978-3-16-148460-5, S. 88–92 (online).
  18. Shane Brennan: Mind the gap: A „snow lacuna“ in Xenophon’s Anabasis? In: Fiona Hobden, Christopher Tuplin (Hrsg.): Xenophon: Ethical Principles and Historical Enquiry. Brill, Leiden 2012, ISBN 90-04-22437-8, S. 330– (online).