Ira Rischowski

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Ira Rischowski (geboren 1899 in Breslau als Irene Rischowski; gestorben 27. Januar 1989[1]) war eine deutsch-britische Elektroingenieurin.[2] Sie engagierte sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Gruppe Neu Beginnen, bevor sie 1936 über Prag nach England flüchtete. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war sie über Jahrzehnte in England als Ingenieurin in führender Stellung tätig. Außerdem engagierte sie sich für die britische Women’s Engineering Society, in deren Vorstand sie fast dreißig Jahre war. 1919 war sie die erste Elektrotechnikstudentin der Technischen Hochschule Darmstadt und 1928 die erste Diplom-Ingenieurin in Elektrotechnik der Technischen Hochschule Breslau.

Leben und Wirken

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Rischowskis Eltern waren Ida, geborene Salomonsohn, (1867–1943)[3] und Albert Rischowski (1848–1932).[4] Ihr Vater war Direktor der Reederei eines der größten deutschen Kohle- und Erzhandelsunternehmen. Die Familie lebte in Breslau. Irene (Ira) Rischowski war das erste von vier Kindern, sie hatte zwei Brüder, Hans Günther und Guido Hellmuth Rischowski sowie eine Schwester, Edith Nowak. Die Brüder wurden später Ingenieure, die Schwester studierte Kunstgeschichte und war als Kunsthandwerkerin tätig.[5] Trotz der jüdischen Herkunft der Eltern wurden die Kinder getauft.[2]

Nach dem Abitur in Breslau, im Jahr 1919, begann Ira Rischowski an der Technischen Hochschule Darmstadt Elektrotechnik zu studieren, nachdem sie ein sechsmonatiges Praktikum in der Spezialwerkstatt eines Unternehmens für Landwirtschaftsmaschinen absolviert hatte.[6] Sie war die erste Studentin an dieser Hochschule in einem anderen Ingenieurfach als Architektur. 1921 legte sie ihr Vordiplom ab.[7] Im Jahr 1923, kurz vor ihrer Diplomprüfung, wurde sie schwer krank, so dass sie ihr Studium nicht abschließen konnte. Sie verbrachte mehrere Monate in einem Sanatorium. Kurz vor dem Studienabbruch hatte sie ihren Studienkollegen Bruno Karthäuser geheiratet, doch in der Zeit der Hyperinflation 1923 fand auch er, trotz abgeschlossenem Diplom, keine dauerhafte Stelle. So zog Rischowski zunächst zu ihren Eltern nach Breslau, zumal sie schwanger mit ihrem ersten Kind war.

Ira Rischowski nahm dort das Elektrotechnikstudium an der Technischen Hochschule Breslau wieder auf und konnte 1928 als erste Frau das Diplom in diesem Fach machen. Nachdem ihr Mann in Berlin eine dauerhafte Position bei Siemens-Schuckert gefunden hatte, zog die Familie gemeinsam dorthin. 1930 bekamen sie ein zweites Kind. Ab 1932 begann sie halbtags im gleichen Unternehmen wie ihr Mann zu arbeiten. 1933 ließ sich das Paar scheiden.[8]

Tätigkeit im Widerstand

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Ab 1932 engagierten sich Rischowski und ihr Mann für die marxistische Widerstandsgruppe Neu Beginnen. Rischowski schmuggelte Berichte, Manuskripte und Briefe für die Gruppe. Sie arbeitete für die Organisation als Sekretärin in der Zentrale („Kreis“ genannt) und war enge Mitarbeiterin von Walter Löwenheim.[9] 1935 wurde sie bei einer Übergabe von der Gestapo verhaftet, wurde jedoch wieder freigelassen. Sie emigrierte umgehend nach Prag, auch um der Judenverfolgung im NS-Staat zu entkommen. Ihre beiden Kinder blieben bei ihrer Mutter, die inzwischen in Berlin lebte.[8]

1936 erhielt sie ein Visum für die Arbeit als Hausangestellte in England und emigrierte dorthin.[10][11][8] Die Women’s Employment Federation unterstützte sie in ihren Bemühungen, ihre Kinder nachzuholen, was ihr 1938 schließlich gelang. Ihr früherer Ehemann emigrierte 1936 ebenfalls nach England, wo er ein Unternehmen gründete. Ihre Mutter wurde deportiert und starb 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt.[3]

Emigration und Leben nach dem Krieg

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Ab 1939, nach Erhalt der Arbeitserlaubnis, arbeitete Ira Rischowski als Ingenieurin für das Unternehmen ihres geschiedenen Mannes. 1940 wurde sie als Deutsche als „feindliche Ausländerin“ im zivilen Frauenlager Rushen Internment Camp auf der Isle of Man interniert, wo sie eineinhalb Jahre verbrachte. Eine Zeit lang leitete sie dort die von Minna Specht aufgebaute Lagerschule.[8][2]

Ab Januar 1942 war sie als Konstrukteurin im Zeichenbüro eines Werkzeugmaschinenherstellers tätig. Nach zwei Jahren wechselte sie zu einem Unternehmen, das automatische Kesselregelungen und Prozessregelungen entwarf und fertigte. Nach zwei Jahren wurde sie Stellvertreterin des Chefs des Konstruktionsbüros, allerdings nicht seine Nachfolgerin, als er die Stelle wechselte. Daraufhin ließ sie sich in die Projektabteilung versetzen, wo die Kontrollschemen entworfen, die Kosten geschätzt und die Angebote ausgearbeitet wurden. Einige Jahre später wurde sie die Leiterin der zwölfköpfigen Abteilung. Nach einer Unternehmensfusion verlor sie die Abteilungsleitung. Diesmal ließ sie sich in die Entwicklungsabteilung versetzen. Nach ihrer Pensionierung war sie als beratende Ingenieurin (Consultant) für das gleiche Unternehmen tätig. Bis 1977 arbeitete sie als Assistentin der Geschäftsleitung in der Produktentwicklung des von ihrem Mann gegründeten Unternehmens.[8]

Engagement für Berufsverbände

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1930 wurde sie Mitglied des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), doch als der VDI 1933 eine Frauengruppe gründete, beteiligte sie sich dort nicht, weil diese bereits gleichgeschaltet war.[6]

Über die Organisation Women’s Employment Federation kam sie Anfang der 1940er Jahre in Kontakt mit der britischen Women’s Engineering Society (WES). 1948 wurde sie in deren Vorstand gewählt.[12] Diese Funktion übte sie bis 1976 aus.[13] Sie war Teil des Organisationskomitees, das 1967 die 2. International Conference of Women Engineers and Scientists (ICWES2)[14] in Cambridge organisierte.[15] Von 1972 bis 1976 war sie Redakteurin der Vierteljahreszeitschrift The Woman Engineer der Women’s Engineering Society.[16][17][18] 1976 ernannte die WES sie zum Ehrenmitglied.[19] Bis Ende ihres Lebens blieb sie für die WES aktiv.[8] Als sie starb, erinnerte die WES-Vorsitzende Dorothy Hatfield mit Bewunderung an Ira Rischowskis Arbeit als wichtige Organisatorin der zweiten ICWES und daran, dass sie „eine Inspiration für uns alle“ gewesen sei.[6]

Die Technische Universität Darmstadt hat ihr Stipendienprogramm für internationale Master-Studentinnen nach Ira Rischowski benannt. Das Programm unterstützt Studentinnen und Wissenschaftlerinnen in der Kernphysik, nuklearen Astrophysik, Beschleunigerphysik und nuklearen Photonik.[20]

Die in Dänemark lebende französische Designerin Clara Isaksson[21] und Robin Isaksson entwickelten eine nach Ira Rischowski benannte Schriftart.[22]

Der die Women’s Engineering Society betreffende Nachlass sowie Publikationen Rischowskis befinden sich in der The Women’s Library im Archiv der London School of Economics and Political Science.

Veröffentlichungen (Auswahl)

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  • Women Engineers Overseas. In Germany. In: The Woman Engineer. Band 5, Nr. 2, 1940, S. 28 (theiet.org).
  • Women Engineers in Pre-War Germany. In: The Woman Engineer. Band 5, Nr. 10, 1942, S. 151–153 (theiet.org).
  • Women Engineers in Germany. In: The Woman Engineer. Band 9, Nr. 7, 1962, S. 5–7 (theiet.org).
  • News from Germany. In: The Woman Engineer. Band 10, Nr. 10, 1968, S. 1–6 (theiet.org).
  • Ira Rischowski: Wie ich Ingenieur wurde. In: Gisela Dischner (Hrsg.): Eine stumme Generation berichtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-23727-0, S. 87–111.
  • Stuart Parkes: „In the Exile of Internment“ or „Von Versuchen, aus einer Not eine Tugend zu machen“: German-Speaking Women Interned by the British during the Second World War. In: William Niven, James Jordan (Hrsg.): Politics and Culture in Twentieth-century Germany. Reihe: Studies in German Literature Linguistics and Culture. Boydell & Brewer, Woodbridge 2003, ISBN 978-1571132239, S. 43–62.
Commons: Ira Rischowski – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. News of the Members. In: The Woman Engineer. Band 14, Nr. 6, 1989, S. 18 (theiet.org).
  2. a b c Rischowski, Ira (Oral history). In: Imperial War Museums. 2. Februar 1979, abgerufen am 24. Juni 2020 (englisch).
  3. a b Holocaust Survivors and Victims Database -- Ida Rischowski. Abgerufen am 13. August 2024.
  4. Ira Rischowski: Wie ich Ingenieur wurde. In: Gisela Dischner (Hrsg.): Eine stumme Generation berichtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-23727-0, S. 103.
  5. Ira Rischowski: Wie ich Ingenieur wurde. In: Gisela Dischner (Hrsg.): Eine stumme Generation berichtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-23727-0, S. 87.
  6. a b c Graeme Gooday: Ira Rischowski: refugee engineer. In: Electrifying Women. 19. September 2019, abgerufen am 25. Januar 2020 (britisches Englisch).
  7. Marianne Viefhaus: Frauen an der Technischen Hochschule Darmstadt. In: Brigitte Emig (Hrsg.): Frauen in der Wissenschaft. Dokumentation der Ringvorlesung vom Wintersemester 1985/86 an der Technischen Hochschule Darmstadt (= THD-Schriftenreihe Wissenschaft und Technik. Band 38). Präsident der Technischen Hochschule Darmstadt, Darmstadt 1988, S. 35–61 (Diese Angabe stammt aus den Archiven der Technischen Hochschule Stuttgart. In Ira Rischowskis Erinnerung war es 1923.).
  8. a b c d e f Ira Rischowski: Wie ich Ingenieur wurde. In: Gisela Dischner (Hrsg.): Eine stumme Generation berichtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-23727-0, S. 87–111.
  9. Hans-Reiner Sandvoß: Neu Beginnen: Aktive und Aktivitäten. In: Informationszentrum Berlin/Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hrsg.): Widerstand in Steglitz und Zehlendorf. Reihe: Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945. Band 2, 1986, ISSN 0175-3592, S. 83 (gdw-berlin.de [PDF; 6,6 MB; abgerufen am 13. August 2024]).
  10. Rose Holmes: Love, labour, loss: women, refugees and the servant crisis in Britain, 1933–1939. In: Women's History Review. Band 27, Nr. 2, 2018, ISSN 0961-2025, S. 288–309, doi:10.1080/09612025.2017.1327096.
  11. Mario Cacciottolo: Scrubbing floors to escape from Hitler. In: BBC News. 8. März 2012 (bbc.com [abgerufen am 24. Juni 2020]).
  12. The Twenty-Sixth Annual Conference. In: The Woman Engineer. Band 6, Nr. 13, 1948, S. 219–221, hier S. 221 (theiet.org).
  13. Members of Council. In: The Woman Engineer. Band 12, Nr. 2, 1976, S. 20 (theiet.org).
  14. ICWES 2 Proceedings (1967). In: Electrifying Women. Abgerufen am 13. August 2024 (britisches Englisch).
  15. Second International Conference of Women Engineers and Scientists. In: The Women's Engineer. Band 10, Nr. 6, 1967, S. 3 (theiet.org).
  16. The Woman Engineer journal. In: The Institution of Engineering and Technology. Abgerufen am 13. August 2024 (englisch).
  17. Titel. In: The Woman Engineer. Band 11, Nr. 6, 1972, S. 1 (theiet.org).
  18. Titel. In: The Woman Engineer. Band 12, Nr. 2, 1976, S. 1 (theiet.org).
  19. Council meeting. In: The Woman Engineer. Band 12, Nr. 6, 1976, S. 12 (Online [abgerufen am 16. August 2024]).
  20. Ira-Rischowski-Stipendium. In: Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt. Abgerufen am 20. August 2024.
  21. Clara Isaksson – Portfolio. In: claraisaksson.com. Abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  22. Clara und Robin Isaksson: Rischowski – New typeface! In: rischowski.com. Abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).