Ismail Kosan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ismail Hakki Kosan (1995)

Ismail Kosan oder Ismail Hakkı Koșan (* 26. Oktober 1948, Pülümür, Türkei) ist ein deutscher Politiker und Mitbegründer der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) in West-Berlin,[1][2] die 1993 mit dem Bündnis 90 zum Bündnis 90/Die Grünen fusionierte. Der studierte Diplom-Bauingenieur zog als Kandidat der AL (später Die Grünen) im Jahr 1992 in das Abgeordnetenhaus von Berlin ein und war bis 1999 Ausländerpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Berliner Landtag.[3][4]

Leben und Beruf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kosan wuchs in Pülümür und später in Erzincan im Osten der Türkei auf. Er absolvierte das dortige Gymnasium und bewarb sich anschließend um ein Stipendium bei Senator Robert F. Kennedy, Bruder des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Trotz einer Zusage entschied sich Kosan nach dem Tod des US-Senators dafür, in Deutschland zu studieren.[5]

1969 immatrikulierte Kosan sich für das Fach Bauingenieurwesen an der Technischen Universität (TU) in West-Berlin und wurde kurz darauf zum Vorsitzenden des Studentenvereins der Türkei gewählt.[5] Bereits während seines Studiums organisierte Kosan diverse politische Aktionen und wurde Mitglied des Ausländerkomitees Berlin e.V. Nach seinem Studienabschluss mit dem Titel Dipl.-Ing. war Kosan als Bauingenieur tätig, bevor er, nach Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft, 1990 für die AL zur Wahl in das Abgeordnetenhaus von Berlin aufgestellt wurde.[5]

Politische Laufbahn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1972 bis 1974 war Kosan Vorstandsmitglied des Studentenvereins der Türkei, 1973 bis 1976 Vorsitzender der Vista e.V. (Vereinigung für Internationale Studentenarbeit e.V.), 1978 bis 1979 Vorstandsmitglied des Ausländerkommittee Berlin e.V., ab 1993 Mitglied von Pro Asyl e.V., Mitglied des Vereins Gegen Vergessen – für Demokratie e.V., Mitinitiator der Kampagne für das Kommunale Wahlrecht für Ausländer (1979) sowie Initiator der Doppelten Staatsbürgerschaftskampagne (1993).[1]

1990 wurde Ismail Kosan von seiner Partei, der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), auf den 15. Listenplatz für die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin gesetzt. Mit dem Rücktritt von Marlis Dürkop, die zur Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) gewählt wurde, rückte er 1992 in das Berliner Parlament nach.[4][5] Nach der Fusion der AL mit dem Bündnis 90 zum Bündnis 90/ Die Grünen wurde Kosan 1995 erneut zur Wahl aufgestellt und zog auf dem Listenplatz 9 in das Abgeordnetenhaus von Berlin ein.[1][6] Während seiner Amtszeit war Kosan im Ausschuss für Inneres, Medien und Soziales aktiv.

Die wichtigste Errungenschaft Kosans war die deutschlandweit umstrittene Kampagne zur Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft.[7][8] Als Ausländerpolitischer Sprecher seiner Fraktion engagierte sich Kosan besonders für die Themen Integration und Flüchtlingspolitik.[9] Sein Einsatz für die Verbesserung der Lebensumstände von Geflüchteten in Abschiebehaft und seine Kritik an der deutschen Ausländer- und Flüchtlingspolitik machten ihn zu einer wichtigen Figur der Berliner Politik.[10][11][12][13][14][15] Mit dem Einzug von Ismail Kosan in das Abgeordnetenhaus von Berlin wurde die Flüchtlingspolitik umgekrempelt.

Zu den politischen Zielen Kosans gehörte die Bekämpfung von systemischem und Alltagsrassismus.[16][17][18] Kosan vertrat während seiner politischen Karriere eine globale Friedenspolitik.[19][20] Er setzte sich für die Emanzipation der Frau ein[21] und verfolgte eine allübergreifende Antidiskriminierungskampagne, indem er sich für alle Minderheiten der Gesellschaft politisch engagierte.[22][23][24] Ökopolitische Aktionen zum Schutz von Mensch und Umwelt gehörten ebenfalls zu seinen Kernthemen.[25][26]

2001 trat Ismail Kosan aus dem Landesverband der Grünen aus,[27] blieb aber weiterhin politisch aktiv.[28][29][30][31][32]

Pressestimmen über Ismail Kosan[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die New York Times verfasste ein Porträt über Kosan und schrieb 1993, kurz nach seinem Einzug in das Abgeordnetenhaus von Berlin: „In Deutschland ist Herr Kosan noch eine Rarität“.[5] Weiterhin sei Ismail Kosan „der einzige im Ausland geborene Bürger, der das unausgesprochene Tabu gegen ausländische Politiker [in Deutschland] erfolgreich in Frage gestellt hat“.[5]

Im Porträt mit der New York Times sagte Kosan über sich: „Die Nationalität ist nicht wichtig, [...] Ich betrachte mich nicht als türkischen Politiker, sondern als einen Menschen, der in der Politik arbeiten will und zufällig in Berlin lebt. Wenn ich nach Amerika gegangen wäre, hätte ich dasselbe getan. Ich akzeptiere diese Gesellschaft. Ob sie mich akzeptiert, ist eine andere Sache.“[5]

In ihrem Buch „Cosmopolitan Anxieties: Turkish Challenges to Citizenship and Belonging in Germany“ schrieb Ruth Mandel 2008 über Kosan: „[...] in den 1990ern wurde eine viel beachtete Kampagne von Ismail Koşan, einem eingebürgerten Deutschen aus der Türkei und Mitglied der Grünen (Bündnis 90) im Abgeordnetenhauses von Berlin, angeführt. Die Kampagne sammelte eine Million Unterschriften für die Legalisierung der doppelten Staatsbürgerschaft. In der Erklärung wurden andere europäische und nordamerikanische Beispiele angeführt, in denen die doppelte Staatsbürgerschaft legal ist, und das deutsche Gesetz als anachronistisch und als ‚Volksrelikt‘ bezeichnet. Die Bewegung forderte die Aufhebung von Artikel 116 sowie des Jus Sanguinis.“[33]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ismail Kosan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Werner Breunig, Andreas Herbst (Hrsg.): Biografisches Handbuch der Berliner Abgeordneten 1963–1995 und Stadtverordneten 1990/1991 (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 19). Landesarchiv Berlin, Berlin 2016, ISBN 978-3-9803303-5-0, S. 219.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Abgeordnetenhaus von Berlin (Hrsg.): Abgeordnetenhaus Berlin Handbuch 13. Wahlperiode. 1. Auflage. Ergänzungslieferung. Berlin Juni 1998, S. 97.
  2. Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (Hrsg.): Alternative Liste - Wahlprogramm zu den Neuwahlen am 10. Mai 1981. West-Berlin 1981.
  3. Redaktion nd-aktuell.de: Immigrant rückt bei Bündnis 90 nach. Abgerufen am 3. Februar 2024.
  4. a b BÜNDNIS 90/GRÜNE: Türkischer Nachrücker für Marlis Dürkop. In: Die Tageszeitung: taz. 18. August 1992, ISSN 0931-9085, S. 17 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  5. a b c d e f g Stephen Kinzer: Berlin Journal; Stepson of German Politics: Is Fatherland Proud? In: The New York Times. 22. Februar 1993, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  6. Severin Weiland: Die Sensation nach der Sensation. In: Die Tageszeitung: taz. 22. Mai 1995, ISSN 0931-9085, S. 23 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  7. sabine am orde: Noch nie so schnell so viele Unterschriften. In: Die Tageszeitung: taz. 21. Oktober 1993, ISSN 0931-9085, S. 3 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  8. usche: „Rädelsführer“ in Einzelhaft. In: Die Tageszeitung: taz. 25. November 1995, ISSN 0931-9085, S. 34 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  9. dorothee winden: Kids in Abschiebehaft. In: Die Tageszeitung: taz. 30. September 1994, ISSN 0931-9085, S. 26 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  10. frank kempe: Unmenschliche Haftbedingungen. In: Die Tageszeitung: taz. 30. Juni 1994, ISSN 0931-9085, S. 21 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  11. Berliner Telegramm: Hungerstreik türkischer Häftlinge beendet. In: Die Tageszeitung: taz. 9. November 1996, ISSN 0931-9085, S. 34 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  12. schulz: Zwangsverhör beim Generalkonsulat. In: Die Tageszeitung: taz. 28. Februar 1995, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  13. Marina Mai: Runder Tisch in Grünau ist gescheitert. In: Die Tageszeitung: taz. 7. November 1998, ISSN 0931-9085, S. 27 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  14. Olaf Bünger: Heckelmann: Angolaner müssen gehen. In: Die Tageszeitung: taz. 15. Januar 1994, ISSN 0931-9085, S. 33 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  15. jgo: Treptower Heimleiter muss gehen. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Juli 1994, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  16. Ulrich Jonas: Rassismus im Gefängnis. In: Die Tageszeitung: taz. 23. Juli 1993, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  17. Philipp Gessler: Einsätze türkischstämmiger Polizisten umstritten. In: Die Tageszeitung: taz. 11. Januar 1999, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  18. ga: Pro Asyl fordert Lumpenausschuß. In: Die Tageszeitung: taz. 13. April 1996, ISSN 0931-9085, S. 29 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  19. Karen Heinrichs: Krieg kriegt keinen hinterm Ofen hervor. In: Die Tageszeitung: taz. 4. November 1999, ISSN 0931-9085, S. 27 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  20. Karen Heinrichs: Das Bild vom rachsüchtigen Tschetschenen. In: Die Tageszeitung: taz. 16. November 1999, ISSN 0931-9085, S. 19 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  21. aku: Kurden gegen Tansu Ciller. In: Die Tageszeitung: taz. 22. September 1993, ISSN 0931-9085, S. 17 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  22. Gesa Schulz: Identische Ziele, getrennte Wege. In: Die Tageszeitung: taz. 19. Juli 1995, ISSN 0931-9085, S. 17 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  23. Dorothee Winden: Hoffnung auf ein breites Minderheitenbündnis. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Juni 1996, ISSN 0931-9085, S. 30 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  24. Dorothee Winden: Das Coming-out beim Gemüsehändler. In: Die Tageszeitung: taz. 11. September 1995, ISSN 0931-9085, S. 21 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  25. Uwe Rada: Symbolische Barrikade. In: Die Tageszeitung: taz. 4. Oktober 1999, ISSN 0931-9085, S. 19 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  26. Dorothee Winden: Vom Parlament auf die Straße. In: Die Tageszeitung: taz. 28. Februar 1997, ISSN 0931-9085, S. 28 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  27. Grüner Austritt. In: Die Tageszeitung: taz. 3. Juli 2001, ISSN 0931-9085, S. 20 (taz.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  28. Berliner Mieterverein: Aus Hüttenwegsiedlung wird Parkviertel Dahlem – Kündigung auf kaltem Weg. In: Berliner Mieterverein e.V. 28. September 2005, abgerufen am 3. Februar 2024.
  29. Berliner Mieterverein: Hüttenwegsiedlung – Modernisierung nach Schicki-Micki-Art? In: Berliner Mieterverein e.V. 28. Juni 2005, abgerufen am 3. Februar 2024.
  30. Parkviertel Dahlem: Initiative sucht noch Mitstreiter - WELT. 15. November 2011, abgerufen am 3. Februar 2024.
  31. Berlin: Ohne Balkon wird’s billiger. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).
  32. FUNKE Mediengruppe: Hüttenweg-Siedlung: Streit zwischen Mietern und Bund. 28. September 2004, abgerufen am 3. Februar 2024.
  33. Ruth Mandel: Cosmopolitan Anxieties: Turkish Challenges to Citizenship and Belonging in Germany. Duke University Press, 2008, ISBN 978-0-8223-4193-2 (google.de [abgerufen am 3. Februar 2024]).