Jochen Gerz

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Jochen Gerz (* 4. April 1940 in Berlin) ist ein international renommierter deutscher Künstler.

Er ist in erster Linie Konzeptkünstler. Seine Ausstellungen präsentieren nie einzelne künstlerische Disziplinen, sondern sind in erster Linie als Environments zu verstehen; darin sind hauptsächlich die Medien Fotografie, Video, Künstlerbuch, Skulptur bzw. Plastik, aber auch Performance enthalten.

Jochen Gerz lebt seit 1967 in Frankreich, bis 2000 in Paris und seither im angrenzenden Ivry-sur-Seine.

Werdegang

Der 1940 in Berlin geborene Gerz kam von der Literatur zur Kunst, er begann als Schriftsteller (Konkrete Poesie) und war Auslandskorrespondent einer deutschen Presseagentur. Er blieb zunächst in der Nähe seiner Heimat-Stadt Düsseldorf. In Köln studierte er Germanistik, Anglistik, Sinologie, später dann in Basel Archäologie und Urgeschichte. Es kam zu keinem Studienabschluss.

Arbeiten im öffentlichen Raum

Gerz wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch seine durchweg heftig diskutierten Aktionen, die in der Regel gemeinsam mit anderen erarbeitet wurden; einige Beispiele sind:

Harburger Mahnmal gegen Faschismus

Das Denkmal, das er 1986 zusammen mit Esther Shalev-Gerz entwarf, steht im Hamburger Stadtteil Harburg und ist eine ein Meter breite und 12 Meter hohe Säule mit einem dünnen Bleimantel. Neben dieser Säule gab es vier Griffel und eine Tafel, die in sieben Sprachen auf dieses Denkmal gegen den Faschismus hinwies und Passanten dazu einlud zu unterzeichnen. Sobald die erreichbare Fläche beschrieben war, sollte die Säule um dieses Stück abgesenkt werden. In der ursprünglichen Vorstellung der Künstler sollte also ein Denkmal in der Interaktion mit den Menschen entstehen, bei der eine Liste mit Namen eingraviert werden würde, und das gleichzeitig bei dieser Vollendung im Boden verschwunden wäre. Nur durch eine kleine Glasscheibe sollte ein Einblick auf einen Teil der Säule möglich sein, deren Inschrift ähnlich wie auf vielen anderen Denkmalen des Holocaust als eine lange Liste von Namen erschiene, mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier im Gegensatz zu Listen der Namen von Opfern lebende Menschen, und zwar von diesen selbst geschrieben, zu lesen wären. Jochen Gerz sprach bei seinen Arbeiten von „einem neuen Typus von Denkmälern, die die traditionell angestrebte kurze Betroffenheit des Betrachters ersetzt durch seine bleibende Mitautorenschaft und Mitverantwortung.“ [1]

Nach kurzer Zeit zeigte sich aber ein anderes Bild: die Säule war überzogen von einer ganzen Schicht von Namen und Sprüchen (x liebt y oder „Ausländer raus!“) und deren Durchstreichungen sowie Bildern und Graffiti. Im Laufe der Absenkungen sind bis zur letztendlichen Versenkung Schussspuren an der Bleiummantelung gefunden worden; es wurde auch versucht, am Fuße der Säule die ganze Ummantelung zu entfernen – schließlich wurden auch Hakenkreuze eingeritzt.

Der Künstler selbst kommentierte dies so: „Denn die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmäler.“[1] An anderer Stelle vermerkte er: „Als Spiegelbild der Gesellschaft ist das Monument im doppelten Sinn problematisch, da es die Gesellschaft nicht nur an Vergangenes erinnert, sondern zusätzlich – und das ist das Beunruhigendste daran – an die eigene Reaktion auf diese Vergangenheit.“ [2]

Mahnmal gegen Rassismus (Saarbrücken, Schlossplatz)

Im April 1990 wurden alle 66 jüdischen Gemeinden in Deutschland (und der damaligen DDR) eingeladen, die Listen ihrer Friedhöfe zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit acht Studenten entfernte Gerz in einer nächtlichen Aktion Pflastersteine des Saarbrücker Schlossplatzes, gravierte auf die Unterseite der Steine die Namen von jüdischen Friedhöfen, auf denen bis zur nationalsozialistischen Diktatur bestattet wurde, und setzte die Steine wieder ein. Die Zahl der von den jüdischen Gemeinden genannten Friedhöfe wuchs bis Herbst 1992 auf 2146. Sie gab dem Mahnmal den Namen: 2146 Steine - Mahnmal gegen Rassismus Saarbrücken. Diese Arbeit korrespondierte mit dem (mittlerweile) unsichtbaren Mahnmal von Hamburg-Harburg, das über die Jahre in den Boden versenkt wurde. Der Saarbrücker Schlossplatz heisst heute Platz des Unsichtbaren Mahnmals.

Bremer Befragung - SINE SOMNO NIHIL

Hierbei handelt es sich um eine Skulptur, die zwischen 1990 und 1995 in Zusammenarbeit mit 232 Bremer Bürgern (von 50.000 Befragten) entstand, die die Fragen beantworteten:

  1. Zu welchem Thema sollte die Arbeit Stellung nehmen?
  2. Glauben Sie, dass sich Ihre Vorstellungen mit Hilfe von Kunst verwirklichen lassen?
  3. Möchten Sie an dem Kunstwerk mitarbeiten?

Die an der Auftragsarbeit der Stadt Beteiligten entschieden in sechs öffentlichen Seminaren, dass die Skulptur kein materielles Objekt sein musste.

Das Lebende Monument von Biron (Frankreich)

Mit Studenten der Ecole des Beaux Arts aus Bordeaux arbeitete Gerz 1996 in Biron an einer neuen Skulptur im öffentlichen Raum. Der Auftrag des französischen Kultusministeriums lautete, das in den Zwanziger Jahren erbaute Denkmal für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs zu ersetzen. Empfänger der Skulptur ist die Gemeinde Biron. Die Stadt liegt in einer Region Frankreichs, der Dordogne, die 1943/44 unter deutschen Kriegsverbrechen zu leiden hatte.

Platz der Grundrechte, Karlsruhe

Im Auftrag der Stadt Karlsruhe soll seit 2002 ein Kunstwerk für den öffentlichen Raum entstehen. Ausgangspunkt war die Idee der Stadt, die eigene Beziehung zum Recht und zu den Karlsruher Gerichten, vor allem zum Bundesverfassungsgericht, zu thematisieren, zu vertiefen und sichtbar zu machen. Jochen Gerz stellt im ersten Teil der Arbeit den Karlsruher Gerichtspräsidenten, einigen anderen Juristen, aber auch prominenten Bürgern der Stadt Fragen über den Beitrag des Rechts zur Gesellschaft. Danach wendet er sich mit seinen Fragen an Autoren von Straftaten, Bürger, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, aber auch an einige, die keine berufliche oder existenzielle Vorstellung von Recht und Unrecht haben. So entstehen zweimal 24 Aussagen. Je eine Antwort der beiden befragten Gruppen wird auf die Vorder- und Rückseite eines Straßenschilds emailliert. Realisiert werden insgesamt 24 Straßenschilder mit 48 Aussagen zum Recht, jedes auf einen Metallpfosten montiert.

woherwohin - ein Kunstprojekt für das Internationale Bodenseefestival

Im Auftrag des Internationalen Bodenseefestivals und ausgehend von dessen grenzüberschreitenden Aktivitäten stellt der Künstler 2004 den Bewohnern um den See die Frage nach Herkunft und Wunschort, dem Ort an dem sie am liebsten sein und leben würden. Im Bodenseeraum wird die Bevölkerung, unabhängig von Staatsgrenzen und Nostalgien, nach den Wurzeln ihrer Identität befragt.

Weitere Projekte

Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen

Einer der wichtigsten Beiträge von Jochen Gerz war 1979 auf der 37. Biennale in Venedig zu sehen, zu der Klaus Gallwitz neben Joseph Beuys und Reiner Ruthenbeck den damals 36jährigen eingeladen hatte. Der neun Meter hohe und sieben Meter lange Zentaur, eine Holzkonstruktion, war durch die Zwischenwand des Raumes geteilt. Der etwas größere Teil war unten mit einer Klappe versehen, durch die Gerz in den Raum, in dem er sich mehrere Tage aufhielt, gelangen konnte. Im größeren der beiden Säle standen sechs Pulte, versehen mit 48 karierten Papierbögen, beschrieben mit rotbrauner Abdeckfarbe in Spiegelschrift, Fotos und Zeichnungen.

Wie in anderen ›Griechischen Stücken‹ macht Gerz die griechische Mythologie zum Ausgangspunkt seiner irritierenden, verwirrenden und die Wirklichkeit konterkarierenden Aktionen, Installationen und Performances. Er treibt die antike Sage jedoch nicht weiter als humanistisches Bildungsgut voran, sondern verweist auf den Apparat Kultur als etwas vom wirklichen Leben Trennendes. Der Zentaur von Jochen Gerz ist, so Karlheinz Nowald »natürlich der Kulturmensch, der Schwierigkeiten hat, von seiner Zivilisation loszukommen«.

Ein originalgetreuer Nachbau dieser Installation befindet sich heute im Museum Wiesbaden.

Exit/Dachau

Auf ein Museum besonderer Art wies Gerz 1974 mit diesem Projekt hin. Gegenstand der Arbeit war das Museum des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Laut Detlef Bluemler wollte er damit die Verharmlosung durch das Abbilden kritisieren, indem er verschiedene Hinweisschilder anbrachte. »Wenn heute das der Bequemlichkeit dienende Museumsstichwort ›Exit-Ausgang‹ an den Türen hängt«, so Gottfried Knapp, »die einst direkt und unausweichlich in den Tod geführt haben, dann bekommt die unbedachte, durch Diskrepanz verzerrte Analogie der Verweisungssysteme eine makabre Dimension.« Weitere Begriffe, die Gerz zu einer konkreten Poesie zusammensetzte, waren ›Fortsetzung‹, ›Rauchen verboten‹ oder ›Es wird gebeten, die Ausstellungsstücke nicht zu beschädigen‹. Dazu präsentierte er einen fensterlosen, dämmrigen Raum. Aus nackten Glühlampen fällt fahles Licht auf streng angeordnete Tische und Stühle, die aus grob bearbeitetem Holz gezimmert sind. Über Lautsprecher ist das Stöhnen eines Mannes zu hören, sowie Schreibmaschinengeklapper - eine mögliche Deutung wäre, dass dies die Dokumentation des Schreckens symbolisieren soll. Die Stühle sind zur Wand hin ausgerichtet, auf den Tischen liegt je ein Fotoalbum – festgeschraubt. In den Alben befinden sich Fotografien, solche, die das Leiden der KZ-lnsassen festhalten, und andere, die die Teilnahmslosigkeit des Umgangs mit diesem ›Kulturabschnitt‹ fixieren: KZ-Verordnungen, Museums-Verordnungen, Regeln, Verbote, Warnungen und Zeichen, die dem reibungslosen Kanalisieren von Besucherströmen dienen.

Gerz scheint den Besucher zu zwingen, über die Parallelität der Konzepte KZ und Museum nachzudenken. Sein Credo könnte lauten: zeigen, dass unser Handeln, vor allem aber die Art, wie es dargestellt wird, »gar nichts mit unserem Leben zu tun hat, dass wir nicht eins damit sind«.[2]

Prometheus

Ein anderes seiner ›Griechischen Stücke‹ lief so ab: mit Hilfe eines Spiegels lenkt Gerz Sonnenlicht auf das Objektiv einer Video-Kamera, die in einer Entfernung von 50 Metern stehend ihn filmt. Durch die Überbelichtung wird nach und nach das aufgenommene Bild gelöscht. »Das Medium blenden mit Licht«, schreibt Gerz zu dieser Performance. Oder auch: »P. im Stock von D. ist der Mann, der sich dagegen wehrt, abgebildet zu werden.« Er will nicht, dass man ein Bild von ihm macht. Möge man sich eines von sich selbst machen. Denn »es gibt nur ein echtes Bild«, so Gerz, »und das sind wir selbst«.

Ausstellung von Jochen Gerz neben seiner fotografischen Reproduktion

1972 stellte sich Gerz in Florenz zwei Stunden lang neben eine an einer Hauswand klebende Fotografie seiner selbst. Doch die vorbeiflanierenden Passanten betrachteten nicht etwa das ›Original‹, sondern interessierten sich vielmehr für das Abbild. Damit, so eine Interpretation von Detlef Bluemler, zeige Gerz, wie abgelenkt vom Wesentlichen wir durch die tagtäglich über uns hereinbrechende Bilderflut der Medien sind. Sein Diktum ›Mach dir kein Bild von mir‹ sei ein weiteres mal erfüllt worden. »Den Medien den Rücken kehren«, hat Gerz in seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen notiert, »man kann es nicht.«

Performance 79

Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe in der Münchner Städtischen Galerie im Lenbachhaus installierte er 1979 zwei Videokameras bzw. -monitore und ein Gummiseil, das den Raum in zwei Hälften teilte. Das eine Ende des Seils war in der Wand verankert, das andere, für das Publikum nicht sichtbar, in Schlingenform um den Hals von Gerz gelegt. Zog jemand an dem Seil, zog sich die Schlinge zu. Auf den Monitoren war die jeweilige Wirkung zu sehen. In der Wiederholung von 1980 im Frankfurter Kunstverein war, so Amine Haase, »entweder das Erkennen verlangsamt, oder die Brutalität des seilziehenden Publikums war eiskalt: Gerz musste die Aktion abbrechen«.

Eine naheliegende Interpretation wäre, dass der Mensch einen anderen offenbar deshalb bereitwillig stranguliert, weil die Reaktion des Opfers nur via ›Television‹ ankommt. Darüber befragt, wie diese Performance von Gerz denn ihrer Meinung nach zu sehen sei, antwortete ein großer Teil des (Münchner) Publikums: Sinnbild des Leidens. Im Zusammenhang mit seiner inhaltlich ähnlich angelegten Performance ›Rufen bis zur Erschöpfung‹ äußerte sich Gerz: »... man kann ja heute gar nicht von uns als dem Leiden reden. [...] Wir gucken uns ja jeden Tag 25 Tote an.«

Literarische Arbeiten

In den philologischen Hörsälen wurden Gerz Zweifel an der Sprache injiziert. Die Nürnberger Prozesse nennt er als Beispiele dafür, »was man mit Sprache anrichten kann«, wie »man mit Sprache lügen kann«. Ein »Auslaufen der Literatur als Avantgarde« hat bewirkt, dass die Literatur der Nachkriegszeit für ihn »nie interessant gewesen« ist. Seine Literatur war und ist beispielsweise die der Engländer oder der Amerikaner Ezra Pound, James Joyce, Malcolm Lowry oder des Italieners Italo Svevo.

Obwohl seine Literatur eher einen der Kunst dienenden Charakter hat, wird sie auch für sich genommen hoch eingeschätzt. »Das umfangreichste und reichste dieser Bücher«, schreibt Petra Kipphoff, »(das parallel zum Venedig-Projekt entstandene Buch ›Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen‹) ist Reflexion und Rechenschaftsbericht einerseits, eine Aphorismensammlung andererseits, die in der Verzweigtheit der filigranen Formulierungen in der zeitgenössischen Literatur nicht ihresgleichen hat.«

Die Spiegelschrift spielt in vielen seiner Werke eine Rolle, so etwa bei der Installation ›Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen‹, bei der die 48 an Pulten befestigten Papierbögen spiegelbildlich beschrieben waren. Gerz selbst verweist darauf, er sei als Linkshänder geboren und habe sich, da es am Ende des Krieges keine Schulen gegeben habe, zunächst mit der linken Hand das Schreiben beigebracht. Außerdem gibt er in einem jener künstlerisch-literarischen Gedankengänge mit kulturkritischem Hintergrund, für die er in den 1970er und 1980er Jahren bekannt war, zu Protokoll: »Man kann mit der linken Hand schreiben, ohne auch gleichzeitig die Spiegelschrift lesen zu können. Wenn einer links schreibt, aber nicht links liest, kann er noch nicht einmal lesen, was er geschrieben hat. [...] Wenn man nicht lesen kann, muss man sich mehr auf das Gedächtnis verlassen. [...] Das, was man aufschreibt, wird nach und nach etwas von der Geilheit der Wörter verlieren, gelesen zu werden. (Denn das Geschriebene kann sich keine Hoffnung machen, so bald gelesen zu werden. In Wirklichkeit ist jedes Wort wohl zuerst darauf aus, gelesen zu werden und dann erst dem Zusammenhang zu dienen, in dem es steht.)« Gerz treibt die Linksschreibung noch einen Schritt weiter, indem er sie inhaltlich in das ›Zentaur‹-Thema flicht: »Das Pferd von Troja ist selbst eine Linksschreibung innerhalb der Rechtsschreibung von Troja. Doch im Pferd drinnen ist zur Rechtsschreibung des Pferds die Linksschreibung des Outis und seiner Leute.«

Fotografische Projekte

Gerz bedient sich bei der Fotografie/Text-Kombination keinerlei ästhetischer Gestaltung. Anordnung der Fotos und gleichermaßen korrespondierende wie scheinbar unpassende Texte gestatten dem Betrachter, sich selbst eine Ästhetik der Aussage zu formulieren. ›Le grand amour‹ nennt Gerz seinen zweiteiligen Zyklus, in dem grobkörnige Porträts der sterbenden Mutter den Bildern der ›großen Liebe‹ gegenübergestellt werden.

Mit der Kamera sucht Gerz keine Motive, seine Fotos wirken eher beiläufig und alltäglich. Die 196 Fotos der Serie ›Das Rauchen‹ sagen nichts aus über die Zeitfolge des Belichtens oder über die Empfindung des Fotografen angesichts des Bildes. Gerz präsentiert eine scheinbar sinnlose Reihung von Abbildern. »Schon vom Einsatz der Mittel her«, so Herbert Molderings, »wird deutlich, dass es nicht darum gehen kann, dem bestehenden Reservoir an Reproduktionen der Welt wieder neue, wieder andere ästhetisch ausgewogene und symbolisch verdichtete Fotos hinzuzufügen, sondern dass hier die Tätigkeit des Fotografierens selbst und ihr Platz im alltäglichen kulturellen Verhalten (die ›Verstrickung in seine eigene Beziehung zum Apparat‹) zu denken geben.«

Oft ist dem Betrachter der Text/Foto-Kombinationen unklar, welchen Bezug der Text zum Bild hat. Die Sehgewohnheit verlangt vom Text eine zusätzliche Erläuterung der Abbildung. Doch dies, so Detlef Bluemler, verhindere den eigenen Gedanken dazu, der Bewusstseinsprozess werde aufgehalten. Gerz jedoch wolle diesen mit seiner Kunst fördern.

Rezeption

Auffallend ist, dass Jochen Gerz selbst unter Kennern seiner Arbeit gelegentlich Verwirrung und Irritationen auslöst. So beendet Georg Jappe seine Besprechung von Gerz' ›Das zweite Buch – Die Zeit der Beschreibung‹ mit den Worten: »Dies durchlesend stelle ich fest, dass es mir vermutlich nicht gelungen ist, Jochen Gerz näherzubringen. Was ihm auch nicht entspräche.«

Ähnlich erging es Ulrich Raschke bei der Rezension des ersten Gerzschen (Druck-)Werkes ›Annoncenteil – Arbeiten auf/mit Papier‹, erschienen 1971: »Beim Überlesen des vorangegangenen Absatzes: Das stimmt ja gar nicht, das hat mit Gerz überhaupt nichts zu tun. [...] Die Gewöhnung an Dinge, die eigene Erfahrung spielen einem einen Streich, man ist auf Kammerton a eingestimmt, und dabei bleibt es.« 

»Künstler«, so Georg Jappe, »halten Jochen Gerz gern für einen Literaten, sie vermissen Materialität und Form; Literaten halten Jochen Gerz gern für einen Künstler, sie vermissen Inhalt, Ordnungskategorien, Stil.«

Einzelnachweise

  1. a b Jochen Gerz: Rede an die Jury des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. 14. November 1997
  2. a b James E. Young: Formen des Erinnerns (The texture of Memory). Wien 1997, S. 68

Auszeichnungen und Preise

Texte über Jochen Gerz

  • Ulrich Raschke: Einweg-Buch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. November 1971.
  • Georges Schlocker: Ein Museum wird ausgestellt. Deutsches Allg. Sonntagsblatt, Hamburg, 25. Mai 1975.
  • Gottfried Knapp: Peinliche, peinigende Doppeldeutigkeit. Süddeutsche Zeitung, München, 12. Oktober 1977.
  • Georg Jappe: Die Unsichtbarkeit des Wirklichen. Die Zeit, Hamburg, 5. August 1977.
  • Jürgen Hohmeyer: AIs wenn es gar nicht geschrieben wäre. Kat. J. G., Kestner-Gesellschaft, Hannover 1978.
  • Herbert Molderings: Foto/Texte von Jochen Gerz. J. G., Kestner-Gesellschaft, a. a. O.
  • Petra Kipphoff: Trau keinem Bild. Die Zeit, Hamburg, 15. September 1978.
  • Amine Haase: Eine Kluft trennt das Leben von der Kunst. Kölner Stadtanzeiger, 9./10. Februar 1980.
  • Rudolf Krämer-Badoni: Der Künstler als Lorelei. Die Welt, Hamburg, 5. Februar 1980.
  • Karlheinz Nowald: Griechische Stücke, Kulchor Pieces. Kat. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen; Heidelberger Kunstverein 1984.
  • Interview mit Jean Francois Chevrier. Galeries Magazine, Paris Juni/Juli 1989, o. S.
  • Detlef Bluemler: Weitermachen gegen das Aufhören. In: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 6, München 1989.
  • Doris von Drateln: Im Zweifel schwebend. Die Zeit (Hamburg), Nr. 45, 4. November 1990.
  • Günter Metken: Die Kunst des Verschwindens. Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken (Stuttgart), Nr. 534, Juni 1994.
  • Robert Fleck: In einer Welt voll Bilder ist die Kunst unsichtbar. Art (Hamburg), Nr.1 2, 1995.
  • Harald Fricke: Die Zeit der Schlachtordnung ist vorbei. Die Tageszeitung (Berlin), 17. Juli 1996.

Texte von Jochen Gerz

  • Jochen Gerz: Footing. Paris/Gießen 1968.
  • Jochen Gerz: Die Beschreibung des Papiers. Darmstadt/Neuwied 1973.
  • Jochen Gerz: Texte. Bielefeld 1985.

Ausstellungskataloge/Dokumentationen

  • Jochen Gerz: Foto, Texte, The French Wall & Stücke ; Badischer Kunstverein, Karlsruhe 1975.
  • Jochen Gerz: Die Schwierigkeiten des Zentaurs beim vom Pferd steigen. Kunstraum München 1976.
  • Jochen Gerz: Exit / Das Dachau Projekt. Frankfurt 1978.
  • Jochen Gerz: Ausstellungskatalog Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1988.
  • Jochen Gerz: Life after humanism. - Stuttgart 1992.
  • Jochen Gerz: 2146 Steine - Mahnmal gegen Rassismus. Ostfildern 1993.
  • Jochen Gerz: Das Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz. Ostfildern 1994.
  • Jochen Gerz: Die Bremer Befragung: sine somno nihil, 1990-95. Ostfildern 1995.
  • Jochen Gerz: Gegenwart der Kunst. Regensburg 1996.
  • Jochen Gerz: Performances, Installationen und Arbeiten im öffentlichen Raum. Werkverzeichnis. Nürnberg 1999.