Johann Friedrich Reichardt

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Johann Friedrich Reichardt

Johann Friedrich Reichardt (* 25. November 1752 in Königsberg in Preußen; † 27. Juni 1814 in Giebichenstein bei Halle) war ein deutscher Komponist, Musikschriftsteller und -kritiker.

Biografie

Reichardt war Sohn des Stadtmusikus Johann Reichardt und wurde von Kind an in der Musik und besonders im Violinspiel ausgebildet. Als er zehn Jahre alt war, unternahm der Vater mit seinem „Wunderknaben“ Konzertreisen in Ostpreußen. Auf Betreiben von Kant studierte er von 1769 bis 1771 in seiner Vaterstadt und in Leipzig Jurisprudenz und Philosophie. 1771 allerdings entging er einer bürgerlichen Berufswahl durch eine unter „Sturm und Drang“-Zeichen stehenden Virtuosenreise. 1774 kehrte er nach Königsberg zurück und wurde Kammersekretär in Ragnit. 1775 ernannte ihn Friedrich II., dem er seine Oper Le feste galanti als Probestück gesandt hatte, an Grauns Stelle zum königlich-preußischen Hofkapellmeister. Bereits nach zwei Jahren zog er sich zurück, heiratete die Sängerin, Pianistin und Liederkomponistin Juliane Benda (*14. Mai 1752 in Berlin; † 9. Mai 1783 ebendort) und konzentrierte sich auf die Schriftstellerei und die Komposition von Liedern und Instrumentalwerken.

Auf dem Rückweg von seiner ersten Italienreise 1783 machte er in Wien Station, wobei er Kaiser Joseph II. und Gluck kennenlernte. Weitere Kunstreisen nach Frankreich und England führten nicht zu dem erhofften nachhaltigen Anklang – widerwillig kehrte er zurück nach Berlin. Ab 1786 entwickelte er engere Beziehungen zu Goethe, Herder, Schiller und Hamann. Weitere Versuche (1788), in Paris Fuß zu fassen, scheiterten, jedoch war Reichardt von den Ideen der Revolution begeistert. Nach Erscheinen seiner Vertrauten Briefe (1792) wurde er 1794 als Revolutionssympathisant ohne Pension aus seinem Amt als Hofkapellmeister entlassen und lebte darauf erst in Hamburg, wo er das Journal Frankreich herausgab, dann seit 1794 in Giebichenstein bei Halle (Saale). 1796 wurde er begnadigt und zum Salinendirektor in Halle ernannt, von wo er öfters nach Berlin ging, um die Aufführungen seiner Kompositionen zu leiten.

Das von ihm erworbene „Kästnersche Kossätengut“ zu Giebichenstein wurde zur „Herberge der Romantik“. Eine weitere Reise nach Paris (1803) dämpfte seine Begeisterung für die Franzosen und ihre Politik erheblich: Reichardt wurde zu einem Gegner Napoléons. Als vier Jahre später sein Gut durch französische Truppen geplündert wurde, floh er nach Danzig und wurde zum Patrioten und Freiheitskämpfer. Napoléons Bruder Jérôme in Kassel ernannte 1807 den verarmt Zurückgekehrten zum Theaterdirektor. Dieses Zwischenspiel dauerte nur zirka neun Monate. Im November 1809 suchte er Erfolg in Wien. Das Erleben von Haydn, Mozart und Beethoven machte ihn – verspätet – für die Wiener Klassik aufgeschlossen. Er zog sich aber bald nach Giebichenstein zurück, wo er am 27. Juni 1814 an den Folgen eines Magenleidens einsam starb. Sein Grab befindet sich auf dem Hof der Kirche St. Bartholomäus in Halle.

Reichardt war ständig auf Reisen: 1783 in Italien, der Schweiz, Wien und Hamburg; 1785 und 1792 in London; 1785/86/87, 1792, 1802/03 in Paris; 1790 in Italien; 1793 in Kopenhagen und Stockholm. Die Zeitgenossen vergaßen ihn und sein Werk rasch.

Der erste Sohn, Wilhelm (1777–1782), verstarb früh. Seine Tochter Luise Reichardt (* 11. April 1779 in Berlin, † 17. November 1826 in Hamburg) hat sich ebenfalls durch Liederkompositionen bekannt gemacht.

Werk

Komponistenruf hat sich Reichardt besonders durch seine Kompositionen zu Goethe’schen Liedern erworben, in denen er seine Individualität mit voller Freiheit entfalten konnte, nicht minder aber durch seine Singspiele, eine Kunstgattung, die er ebenfalls mit Goethes Beistand in dessen Claudine von Villa Bella (1789), Erwin und Elmire (1790), Jery und Bätely (1790) zu veredeln gewusst hat. Er vertonte auch 49 Lieder J. G. Herders.

Seine schriftstellerischen Arbeiten sind durchweg von bleibendem Wert, namentlich die Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend (1774–76); Über die deutsche comische Oper (1774); Musikalisches Kunstmagazin (1781–1792); Studien für Tonkünstler und Musikfreunde (1793); Vertraute Briefe aus Paris (1804); Vertraute Briefe aus Wien (1810) und andere.

Die Gedichtsammlung Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Arnim ist – im Nachwort – Reichardt gewidmet. Dies wohl in der Erwartung, dass Reichardt die Texte vertonen werde. Dazu kam es jedoch nicht mehr.

Werkverzeichnisse gibt es von Hanns Dennerlein (1929, Klavierwerke, DenR, Brook 1038), Rolf Pröpper (1965, Bühnenwerke, PröR, Brook 1039) und Swantje Köhnecke (1998, Lieder, KöhR, Brook deest).

Literatur

  • Hans Michael Schletterer: Reichardt, Johann Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 27, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 629–648.
  • Johann Friedrich Reichardt. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 295 f. (Digitalisat).
  • Die Musik in Geschichte und Gegenwart – Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Bärenreiter Kassel, Basel, London, New York 1963.
  • Günter Hartung: Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) als Schriftsteller und Publizist. Dissertation 1964.
  • Dietrich Fischer-Dieskau: Weil nicht alle Blütenträume reiften. Johann Friedrich Reichardt – Hofkapellmeister dreier Preußenkönige. DVA, Stuttgart 1992, ISBN 3-421-06531-4.
  • Walter Salmen: Johann Friedrich Reichardt. Komponist, Schriftsteller, Kapellmeister und Verwaltungsbeamter der Goethezeit. Atlantis, Freiburg im Breisgau und Zürich 1963, Neudruck: Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002.

Quellen

  • Weihnachts-Cantilene von Mathias Claudius, in Musik gesetzt von Johann Friederich Reichardt, Königl. Preuß. Capellmeister. Berlin, Auf Kosten des Autors, 1786.