Lateinschule Schlettstadt

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Die Lateinschule Schlettstadt war eine im Mittelalter gründende Einrichtung der Reichsstadt Schlettstadt, mit größter Blüte in der Zeit des Übergangs zur frühen Neuzeit, als sie ein Zentrum des Humanismus am Oberrhein war.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Lateinschule von Schlettstadt bestand seit dem hohen Mittelalter und bereitete wie andere Schulen in Passau, Braunschweig oder Heilbronn auf einen geistlichen Beruf oder ein späteres Studium an einer Universität vor. Die Erfolge der Schüler einer Lateinschule brachten einer Stadt Ruhm und Prestige ein. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts drang der Ruf der Reichsstadt Schlettstadt als bedeutende Ausbildungsstätte begabter Schüler und als Gelehrtenzentrum und Zentrum humanistischen Denkens weit über die Grenzen der Region hinaus.

Humanismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1441 ernannten der Magistrat und der örtlich zuständige Pfarrer von Schlettstadt, Johannes von Westhuss, den gebürtigen Westfalen Ludwig Dringenberg zum Leiter der Lateinschule. Die Ernennung erwies sich als Glücksgriff. Dringenberg zeigte sich als begabter und engagierter Pädagoge, der den geistigen Strömungen der Zeit offen gegenüberstand. Er war einer modernen Pädagogik verpflichtet, die sich aus der Devotio moderna ableitete und die Schüler an das Studium klassischer lateinischer Texte heranführte. Unter ihm wurde die Lateinschule die erste Schule am Oberrhein, in der humanistisches Denken gepflegt wurde. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war die Lateinschule Schlettstadt eine der berkanntesten des Reiches. 1510 soll sie etwa 900 Schüler gehabt haben.[1]

Die Nachfolger von Dringenberg, Craft Hofman (1477–1501), Hieronymus Gebwiler (1501–1509) und Hans Sapidus (1510–1525) verstanden es, das Ansehen der Schule noch weiter zu mehren. Sie bildete so eine ganze Generation elsässischer Humanisten heran. Diese und weitere Gelehrte standen in regelmäßigem Kontakt zueinander und bildeten so ein Netzwerk, das Quellen der Antike erschloss und Nachwuchs für die Verwaltung von Kirche und Landesherrschaften ausbildete, Sekretäre, Ratgeber, Juristen, Übersetzer und Schatzmeister.

Die meisten Schüler aus Schlettstadt, die ihre Ausbildung mit einem Universitäts-Studium fortsetzten, absolvierten oder promovierten in Basel, Heidelberg, Straßburg oder Freiburg, wo einige von ihnen anschließend auch lehrten. Auch außerhalb des oberrheinischen Raums studierten manche Schüler der Lateinschule, so in Paris oder Krakau.

In seinem Loblied Encomium selestadii carmine elegiaco[2] von 1514 drückt Erasmus von Rotterdam seine Bewunderung für Schlettstadt als Ausbildungsstätte, anregenden Aufenthaltsort und Treffpunkt für zahlreiche namhafte Gelehrte und kluge Köpfe aus.

Durch diese teilweise in Schlettstadt geborenen oder dort zugezogenen Denker, Pädagogen oder Theologen, sowie durch die Funktionsträger im Dienst von Reich und Landesherrschaften, die an der Lateinschule ausgebildet worden waren, machte sich die Reichsstadt einen Namen. Als Sekretäre oder juristische Experten hatten ehemalige Schüler dieser Lateinschule einen unmittelbaren Einblick vom damaligen politischen Geschehen oder gestalteten es mit.

Bibliothek[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schulheft des Beatus Rhenanus aus der Lateinschule, heute in der der Humanistenbibliothek in Schlettstadt

Zur Schule gehörte auch eine Bibliothek, die durch eine Stiftung des Pfarrers Johannes von Westhuss begründet wurde, der 1452 seine Bücher der Pfarrkirche St. Georg vermachte.[3] Durch weitere Stiftungen und Schenkungen nahm die Bibliothek stetig an Umfang zu. Zum größten Teil ist sie heute noch erhalten und gehört zum Bestand der Humanistenbibliothek in Schlettstadt. Ein Teil dieser Bibliothek, die ehemals Beatus Rhenanus gehörte, ist heute Weltdokumentenerbes der UNESCO.[4]

Leiter der Lateinschule[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schüler[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jakob Wimpfeling und seine Schüler im Gespräch mit Thomas Murner

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Benjamin Fendler: Bibliothèque Humaniste – Schatz der Renaissance. Bibliothèque Humaniste, Sélestatt [vor 2023]. Ohne ISBN

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Fendler, S. 12.
  2. C. Reedijk (Hg.): The Poems of Disiderius Erasmus. Leiden 1956, S. 314–316, Gedicht Nr. 98 mit Fußnoten (books.google.fr).
  3. Fendler, S. 8.
  4. Beatus Rhenanus Library. In: Memory of the World - Register. UNESCO, 2011, abgerufen am 5. Juli 2013 (englisch).
  5. Er wird als hervorragender Naturforscher bezeichnet, siehe die Webseite der Universität Basel.
  6. Johann Friedrich Franz: Thomas Plater, Versuch einer Darstellung seines Lebens, als Beitrag zur Gelehrten-Geschichte aus den Zeiten der Schweizer-Reformation, zunächst für Deutschlands studierende Jünglinge bearbeitet. Band 1. Huber, St. Gallen 1812, S. 190–191.
  7. In vielen Quellen zuerst als bekannter Drucker erwähnt, nach dem Konkurs seiner Druckerei bekam er die Leitung der Lateinschule auf Empfehlung von Protais Gebwiler, Sohn des ehemaligen Rektors. Unter anderen in: Percy Stafford Allen: The Age of Erasmus Lectures Delivered in the Universities of Oxford and London. Tredition classics, 2012, Kap. V, S. 155 (books.google.fr).
  8. Luigi Firpo: Les Utopies à la Renaissance: colloque international, Presses universitaires de Bruxelles. 1963, S. 119, wird Kapsar Stiblin als „Utopist der Renaissance“ bezeichnet.
  9. Isabel-Dorothea Jahn (Hg.): Caspar Stiblin: Commentariolus de Eudaemonensium Republica (Basel 1555) = Philosophie und Theologie, Theorie und Forschung, Band 21. S. Roderer, Regensburg 1994. ISBN 9783890737379
  10. Fendler, S. 27.
  11. Er beglaubigte zum Beispiel Urkunden auf dem Reichstag zu Worms 1521, siehe: Paul Kalkoff: Der Wormser Reichstag von 1521: biographische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte. R. Öldenburg, München/Berlin 1922.
  12. Théodore-François-Xavier Hunkler: Histoire des saints d’Alsace. Levrault, Strasbourg 1837, S. 423.