Media vita in morte sumus
Media vita in morte sumus („Mitten im Leben sind wir im Tod“) ist der Beginn eines gregorianischen Chorals,[2] der Notker I. zugeschrieben wird, aber wahrscheinlich schon um das Jahr 750 im Westfrankenreich entstanden ist.[3] Der Text beginnt mit einer lapidaren Beschreibung der Conditio humana und wird dann zum Gebet und zum Sündenbekenntnis.
Ein früher Nachweis einer Übertragung ins Deutsche mit dem Text „In mitten unsers lebens zeyt“ findet sich im Reichenauer Tonar von 1080.[4] Verwendung fand es zudem in Hartmanns von Aue mittelhochdeutscher Verserzählung „Der arme Heinrich“ (v. 93f.). Martin Luther formte daraus das Lied Mitten wir im Leben sind. Das Media vita steht für den Vergänglichkeitsgedanken, der sich in der Barock-Zeit mit dem Vanitas-Motiv verband.
Text und Übertragungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Lateinisches Original
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Text besteht aus zehn verschieden langen Versen. Die Zeilen 7 bis 9 erinnern an den Antwortgesang der großen Improperien, das Trisagion: „Sanctus deus, Sanctus fortis, Sanctus immortalis, miserere nobis“.
Media vita |
Mitten im Leben |
Luthers Lied „Mitten wir im Leben sind“
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Antiphon wurde von Martin Luther 1524, im Anschluss an ältere Vorlagen, unter dem Titel Mitten wir im Leben sind ins Deutsche übertragen und um zwei parallel gebaute Strophen ergänzt, sodass jede Zeile die entsprechende Zeile der anderen beiden Strophen vertieft und auslegt. Das Lied findet sich im Evangelischen Gesangbuch unter Nr. 518. Die 1. Strophe wurde in das katholische Gotteslob (2013) unter Nr. 503 (GLalt 654) aufgenommen.
Die drei einander auslegenden Strophen lauten in der heute gebräuchlichen Form:
Mitten wir im Leben sind |
Mitten in dem Tod anficht |
Mitten in der Hölle Angst |
Übersetzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ins Dänische übersetzt findet sich „Men vi leve paa iorden her …“ im dänischen Gesangbuch Rostock 1529, Nr. 14, und danach im dänischen Gesangbuch von Ludwig Dietz, dem Salmebog, Kopenhagen 1536 sowie im dänischen Gesangbuch von Hans Tausen, En Ny Psalmebog, 1553, nach Luthers Text von 1524 und nach dem lateinischen „Media vita“ mehrfach als „Men wi leffue paa Jorden her …“ und „Wi som leffue paa jorden her …“ (dort ebenso das lateinische „Media vita“, das bereits 1514 ins Dänische übersetzt wurde). 1931 nach einer Fassung von 1528 bearbeitet, findet es sich im dänischen Kirchengesangbuch Den Danske Salmebog, Kopenhagen 1953 unter der Nummer 442 und unverändert in Den Danske Salme Bog, Kopenhagen 1993, unter der Nummer 442 als „Midt i livet er vi stedt udi dødens våde …“[6]
Catherine Winkworth übersetzte Luthers Lied 1862 unter dem Titel In the Midst of Life ins Englische.[7]
Melodie und musikalische Bearbeitungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der gregorianische Gesang ist im Deuterus plagalis (vierter Kirchenton, hypophrygisch) komponiert. Die Melodie zu Martin Luthers deutschem Text ist daraus entwickelt und steht im selben Kirchenton. Sie findet sich zuerst in Johann Walters Geistlichem Gesangbüchlein (Wittenberg 1524) und stammt vermutlich von Walter selbst.[8]
Während sich im Werk Johann Sebastian Bachs ein schlichter vierstimmiger Chorsatz findet (BWV 383), der auf der Melodie des Luther-Chorals beruht, legte Felix Mendelssohn Bartholdy den Liedtext seiner achtstimmigen, expressiven c-Moll-Motette opus 23,3 zugrunde.
Weitere Vertonungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Arnold von Bruck (1500–1554): Mitten wir im Leben sind, aus 121 neue Lieder von Hans Ott, Nr. 13 (1534)[9]
- Nicolas Gombert (1495–1560): Media vita, aus Motetti del frutto a sei voci, Nr. 8 (1539)[10]
- Jacobus de Kerle (1531–1591): Media vita in morte sumus, aus Selectae quaedam cantiones sacrae (1571)[11]
- Orlando di Lasso (1532–1594): Media vita, zweiteilige Motette, aus Patrocinium musices cantionem prima pars, Nr. 15 (1573)[12]
- John Sheppard (um 1515–1558): Media vita a 6, aus The Baldwin Partbooks, Nr. 118 (um 1575)[13]
- Peter Philips (1561–1628): Media vita in morte sumus, aus Cantiones Sacrae Quinis vocibus (1612)
- Henri Dumont (1610–1684): Media vita in morte sumus[14]
- Wilhelm Berger (1861–1911): Mitten wir im Leben sind, aus Vier geistliche Lieder und Gesänge op. 54, Nr. 1 (1894)[15]
Varia
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die bayerischen Guglmänner verwenden die Phrase als ihren Wahlspruch.
Ein Echo dieses Gedankens findet sich auch in Rilkes berühmtem, oft als Grabspruch verwendeten Kurzgedicht Schlußstück („Der Tod ist groß […] Wenn wir uns mitten im Leben meinen | wagt er zu weinen | mitten in uns“).[16]
Steht über dem Eingangsportal der Senckenbergischen Pathologie in Frankfurt am Main der Goethe-Universität in Niederrad.
„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen …“ steht an der Gedenkstätte der Flugzeugkollision von Überlingen.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gerhard Hahn (T.), Martin Rößler (M.): 518 – Mitten wir im Leben sind. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 9. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-50332-6, S. 69–78.
- Peter Wagner: Das Media vita. In: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft. Bd. 1, 1924, S. 18–40, (Digitalisat).
- Wilhelm Lucke: Mitten wir im Leben sind. In: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Band 35, Weimar 1923 (Digitalisat ).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gemeinfreie Noten von Media vita in morte sumus in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- Der Wochenliederpodcast zu Luthers Mitten wir im Leben sind
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ cantus.uwaterloo.ca
- ↑ Die Gattung ist unklar. Im „Processionale monasticum“ (Solesmes, 1893) wurde der Choral als Responsorium bezeichnet (p. 45), im Nachdruck desselben 1983 als Antiphon.
- ↑ Gerhard Hahn: 518 – Mitten wir im Leben sind. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 9. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-50332-6, S. 69–78.
- ↑ Wolfgang Schoberth: „Mitten im Leben ...“ Systematisch-theologische Bemerkungen zur Wahrnehmung des Todes im Mittelalter, Erlangen, in: Gott und Tod: Tod und Sterben in der höfischen Kultur des Mittelalters, Band 10 von Bayreuther Forum TRANSIT - Kulturwissenschaftliche Religionsstudien, LIT Verlag, Münster 2011, ISBN 978-3-643-10868-5, S. 291–308.
- ↑ Luther: „Wen suchen wir, der Hilfe tu“
- ↑ Vgl. Otto Holzapfel: Liedverzeichnis: Die ältere deutschsprachige populäre Liedüberlieferung mit weiteren Hinweisen = Online Update Januar bis März 2022 = Germanistik im Netz / GiNDok [UB Frankfurt/M] = http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/ files = Liedverzeichnis = Update 2023 "www.ebes-volksmusik.de" (obere Adressleiste des Browsers).
- ↑ Media vita in morte sumus auf CPDL.org.
- ↑ Neudruck von 1878; Melodie im Tenor
- ↑ Gemeinfreie Noten von Mitten wir im Leben sind (Arnold von Bruck) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ Gemeinfreie Noten von Media vita (Nicolas Gombert) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ Gemeinfreie Noten von Media vita in morte sumus (Jacobus de Kerle) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ Gemeinfreie Noten von Media vita (Orlando di Lasso) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ Gemeinfreie Noten von Media vita a 6 (John Sheppard) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ Gemeinfreie Noten von Media vita in morte sumus (Henri Dumont) in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- ↑ List of works by Wilhelm Berger - IMSLP/Petrucci Music Library: Free Public Domain Sheet Music. Abgerufen am 7. August 2017 (englisch).
- ↑ Schlußstück in Wikisource