Rassismus gegen Weiße

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Rassismus gegen Weiße, auch anti-weißer Rassismus genannt, beschreibt die Aussage, dass ein bestimmtes Verhalten gegenüber Menschen mit heller Hautfarbe („Weißen“) Rassismus darstellt, wie dies auch gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen vorkommt. Als Schlagwort wird es von konservativen und politisch rechten Kreisen in der westlichen Welt verwendet, um Maßnahmen zur Gleichstellung von People of Color zu bekämpfen oder Migration zu kritisieren.[1][2][3][4] Der Begriff findet in Deutschland und international Verwendung.[5]

Sicht der Kritischen Weißseinsforschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rassismus geht aus Sicht der Critical Race Theory und der Kritischen Weißseinsforschung stets mit einer strukturellen Diskriminierung von People of Color einher. Demnach bestehe eine gesellschaftspolitische Ordnung, die die dominante Position und Privilegierung weißer Menschen sowie die Unterordnung von People of Color in sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht erwirke, auch „weiße Vorherrschaft“ genannt. In dieser Sichtweise meint Rassismus nicht jegliche Benachteiligung und nicht jegliche abwertende Handlung und Äußerung gegenüber Personen anderer Hautfarben bzw. Ethnien, sondern nur solche, die aus einem Kontext einer Machtposition innerhalb der gesellschaftspolitischen Ordnung stattfinden. Nach dieser Rassismusdefinition kommt „Rassismus gegen Weiße“ in der westlichen Welt nicht vor, da es keine äquivalente gesellschaftspolitische Ordnung zum Nachteil von Weißen gibt. Sprecher, die einen „Rassismus gegen Weiße“ unterstellen, gehen stattdessen von einem individuellen Verständnis von Rassismus aus, das nicht mit gesellschaftlichen Strukturen zusammenhängt bzw. lehnen die strukturelle Interpretation von Rassismus ab.[6][7][8][9] Zu beachten ist außerdem, dass strukturelle Vorherrschaft bzw. Privilegien sich auf gesellschaftliche Gruppen beziehen. Innerhalb einer Gruppe kann es weitere Merkmale geben, die auf eine Person wirken (Intersektionalität). Weiße Menschen, die in der westlichen Welt beispielsweise von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, sind nicht aufgrund ihrer Hautfarbe strukturell benachteiligt, sondern aufgrund anderer Merkmale wie die soziale Klasse.[10][11]

Gebrauch als Kampfbegriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Rassismus gegen Weiße“ wird von Rechten und Konservativen als Kampfbegriff gebraucht.[1] Zunächst zirkulierte die Behauptung eines angeblich gegen Weiße gerichteten Rassismus in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen, in Frankreich etwa ab den 1980ern durch die rechtsextreme Organisation AGRIF („Allianz gegen Rassismus und für die Achtung der französischen und christlichen Identität“). In Deutschland wurde der Vorwurf mit dem Begriff der Deutschenfeindlichkeit verbunden, bei der unterstellt wird, Deutsche seien Opfer von Feindseligkeit bzw. „Rassismus“ durch muslimische Migranten. Später wurde der Vorwurf auch vom Mainstream aufgegriffen, etwa in überregionalen Zeitungen und von konservativen Parteien zu Wahlkampfzwecken.[4] Oft wird der Begriff „Rassismus gegen Weiße“ auch im Sinne einer angeblichen „umgekehrten Diskriminierung“ gebraucht, bei der dann behauptet wird, antirassistische Maßnahmen würden eigentlich Weiße benachteiligen.[4][2] Die ultrarechte Alt-Right nutzt den Kampfbegriff „Rassismus gegen Weiße“, um die Inklusion von People of Color in den USA in Frage zu stellen.[3]

Gebrauch in sonstigen Kontexten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mitunter werden persönliche Ausgrenzungserlebnisse oder Vorgänge aus afrikanischen Ländern als „Rassismus gegen Weiße“ beschrieben, beispielsweise Feindseligkeiten gegenüber weißen Touristen oder Mugabes Landespolitik in Simbabwe. Die Afrikawissenschaftlerin Susan Arndt warnt jedoch davor, Reaktionen auf weiße Privilegien mit Rassismus zu verwechseln oder den historischen Werdegang zu vernachlässigen.[12]

Die Historiker Hans Christian Petersen und Jannis Panagiotidis kritisieren, dass insbesondere in der US-amerikanischen Debatte mit dichotomen Kategorien gearbeitet werde, die den deutschen Kontext unzureichend beschrieben. Im Holocaust und darüber hinaus seien sowohl osteuropäische als auch jüdische „weiße“ Menschen zu Opfern von Rassismus geworden. Aus ihrer Sicht gebe es durchaus einen „Rassismus gegen Weiße“, das sei allerdings ein „Rassismus, der die Menschen nicht trifft, weil sie ‚weiß‘ sind, sondern weil andere rassistische Hierarchisierungen äußerlich ‚weiße‘ Menschen treffen.“[13]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow: Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag, 2016, ISBN 978-3-7344-0156-5, S. 247 (google.com).
  2. a b Roger Hewitt: White Backlash and the Politics of Multiculturalism. Cambridge University Press, 2005, ISBN 978-1-139-44352-4, S. 31 f. (google.com).
  3. a b Ipsita Chatterjee: Alt-Right Movement: Dissecting Racism, Patriarchy and Anti-immigrant Xenophobia. SAGE Publishing India, 2021, ISBN 978-93-5388791-9, S. 64 (google.com).
  4. a b c Mathias Möschel: Law, lawyers and race: critical race theory from the United States to Europe. Routledge, New York 2014, ISBN 978-1-138-68587-1, S. 119 ff.
  5. Simon Strick: Rechte Gefühle. transcript, Bielefeld 2021, S. 102.
  6. Derek Egan Anderson: Metasemantics and intersectionality in the misinformation age: truth in political struggle. Palgrave Macmillan, Cham 2021, ISBN 978-3-03073339-1.
  7. Jacqueline K. Nelson, Maria Hynes, Scott Sharpe, Yin Paradies, Kevin Dunn: Witnessing Anti-White ‘Racism’: White Victimhood and ‘Reverse Racism’ in Australia. In: Journal of Intercultural Studies. Band 39, Nr. 3, 4. Mai 2018, ISSN 0725-6868, S. 339–358, doi:10.1080/07256868.2018.1459516.
  8. Darron T. Smith, Cardell K. Jacobson, Brenda G. Juárez: White Parents, Black Children: Experiencing Transracial Adoption. Rowman & Littlefield, 2011, ISBN 978-1-4422-0762-2, S. 105 (google.com).
  9. Kathleen Belew, Ramon A. Gutierrez: A Field Guide to White Supremacy. Univ of California Press, 2021, ISBN 978-0-520-38252-7, S. xi (google.com).
  10. Sophie Washburne: Racism and Racial Justice. Cavendish Square Publishing, LLC, 2020, ISBN 978-1-5026-5752-7, S. 25 (google.com).
  11. Walter Benn Michaels, Adolph Reed Jr: No Politics but Class Politics. ERIS, 2023, ISBN 978-1-912475-57-5, S. 107 (google.com).
  12. Susan Arndt: Rassismus begreifen: Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen. C.H.Beck, 2021, ISBN 978-3-406-76556-8, S. 38 ff. (google.com).
  13. Hans Christian Petersen und Jannis Panagiotidis: Rassismus gegen Weiße? Für eine Osterweiterung der deutschen Rassismusdebatte. In: Geschichte der Gegenwart. 23. Februar 2022, abgerufen am 4. Oktober 2023.