Satz von Cameron-Martin
Der Satz von Cameron-Martin ist ein Resultat aus der Stochastik und Maßtheorie über die absolute Stetigkeit von gaußschen Maßen. Der Satz nennt eine notwendige Bedingung dafür, dass ein durch eine Translation erzeugtes gaußsches Maß absolut stetig zu seinem ursprünglichen gaußschen Maß ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Translation durch ein Element aus einem spezifischen Hilbertraum geschieht, welcher heute als Cameron-Martin-Raum bezeichnet wird. Der Cameron-Martin-Raum ist ein kern-reproduzierender Hilbertraum und der reproduzierende Kern ist die Varianz eines gaußschen Maßes. Die Formel für die Radon-Nikodým-Dichte wird Cameron-Martin-Formel genannt.
Die ursprüngliche Version des Satzes wurde 1943 von den amerikanischen Mathematikern Robert Horton Cameron und William Ted Martin bewiesen. Sie befasste sich mit der absoluten Stetigkeit von Translationen in Funktionen unter dem Integral über dem klassischen Wiener-Raum, dem sogenannten Wiener-Integral. Die moderneren Varianten des Satzes werden aber auf allgemeineren topologischen Räumen formuliert.
In der Literatur existieren einige verwandte Sätze, welche manchmal auch als Satz von Cameron-Martin bezeichnet werden. Diese befassen sich im Kern mit nichtlinearen Transformationen von gaußschen Maßen. Es existiert zum Beispiel eine abstrakte Version des Satzes von Girsanow für abstrakte Wiener-Räume, welche sich mit zufälligen Translationen beschäftigt und eine Verallgemeinerung des Satzes in diesem Kontext darstellt.
Der Satz hat eine wichtige Bedeutung in vielen Gebieten der modernen Stochastik, darunter der Malliavin-Kalkül, die White-Noise-Analysis und die Theorie der stochastischen partiellen Differentialgleichungen.
Satz von Cameron-Martin
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sei ist ein lokalkonvexer Vektorraum über , der hausdorff ist. Mit sei sein topologischer Dualraum notiert und sei die duale Paarung.
Mit notiert man die zylindrische σ-Algebra. Ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf heißt gaußsches Maß, falls für jedes das Bildmaß unter ein gaußsches Maß auf ist. Für ein Maß notiert man die Translation um ein Element durch . Die Notation bedeutet, dass äquivalent zu ist. Im Artikel wird durchgehend diese Notation verwendet.
Geschichte und die ursprüngliche Variante des Satzes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1943 veröffentlichten Cameron und Martin den Satz von Cameron-Martin über die Transformation von Wiener-Integralen, im Sinne des Integrals über den klassischen Wiener-Raum . Die ursprüngliche Variante befasste sich mit der Transformation des Integrals unter der Translation
Der ursprüngliche Satz lautet:
- Die Translation erzeugt genau dann ein absolut stetiges Maß bezüglich des Wiener-Maßes , wenn absolut stetig ist und für die Ableitung gilt .[1]
Der Satz gibt dem Raum absolut stetigen Funktionen mit quadratintegrierbar Ableitung bezüglich des Lebesgue-Maßes
eine zentrale Bedeutung für das Wiener-Maß. Es handelt es sich um den Cameron-Martin-Raum von in .
Reproduzierende Operatoren und ihre Hilberträume
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sei ein in eingebetteter Hilbertraum, das heißt es existiert eine stetige und injektive Abbildung . Nach dem Darstellungssatz von Fréchet-Riesz gilt und der Riesz-Isomorphismus ist stetig.
Für ein definiert man die Restriktion durch für . Da ist, kann die adjungierte Abbildung durch für ein definiert werden, welche wiederum auch stetig ist.
Für und gilt die folgende Beziehung
Die Komposition der beiden Abbildungen ist eine Abbildung der Form und man nennt sie reproduzierender Operator weil er die reproduzierende Eigenschaft
für und erfüllt.
Der Operator ist symmetrisch und positiv, er induziert eine symmetrische Bilinearform auf durch
welche reproduzierender Kern genannt wird.[2][3] Der Hilbertraum zu einem reproduzierender Operator wird kern-reproduzierender Hilbertraum genannt. Laurent Schwartz bewies, dass eine Bijektion zwischen den reproduzierenden Operatoren und deren Hilberträume existiert.[4][5]
Kovarianzoperatoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es sei angenommen, dass gilt, damit nachfolgende Operatoren auch immer existieren. Der Erwartungswert von bezüglich ist definiert als
und eine Abbildung der Form .
Der Kovarianzoperator ist ein reproduzierender Operator definiert durch
für und fixes .
Das bedeutet ist ein Element des Bidualraums , das heißt ein Funktional auf , und es gilt
Die Kovarianz oder der Kovarianzkern ist die bilineare Variante des Operators definiert durch
Entsprechend ist für ein der Operator ein lineares Funktional [6][7]
Der Kovarianzoperator ist die Linearform des -Skalarprodukt
- .
Insbesondere wenn , dann gilt für die Varianz .
Der Cameron-Martin-Raum
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für ein Element definiere die Norm
Der Cameron-Martin-Raum von in ist der Hilbertraum[8]
- .
Betrachte nun die Folgen von zentrierten Variablen für . Der Abschluss der Folgen bezüglich der -Norm notieren wir mit . Das bedeutet, wenn
für ein Grenzwert , dann ist . Der Raum ist ein Hilbertraum und jedes Element ist eine zentrierte gaußsche Zufallsvariable mit Varianz .
Der Kovarianzoperator lässt sich nun auf fortsetzen. Man definiert den Kovarianzoperator durch
für und . Es gilt also
- .
Die Elemente des Cameron-Martin-Raums lassen sich durch den Darstellungssatz von Fréchet-Riesz charakterisieren, welcher sagt, für jedes existiert ein , so dass
Ein ist also genau dann auch ein Element von , wenn ein existiert, so dass gilt. In diesem Fall gilt
- .[9]
Wenn zusätzlich ein Radonmaß ist, dann gilt sogar .
Formulierung des Satzes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Satz von Cameron-Martin lautet in seiner allgemeinen Form:[10]
- Sei ein lokalkonvexer Vektorraum, ein gaußsches Maß darauf und der Cameron-Martin-Raum von in . Falls für ein ein existiert, so dass , dann ist . In diesem Fall gilt und und die Radon-Nikodým-Dichte ist
- Falls , dann sind die beiden Maße singulär.
In einer etwas kompakteren und einfacheren Form:
- Sei ein lokalkonvexer Vektorraum, ein gaußsches Maß darauf und der Cameron-Martin-Raum von . Falls für ein dann gilt . Falls , dann sind die beiden Maße singulär.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wladimir I. Bogatschow: Gaussian Measures. Hrsg.: American Mathematical Society. 1998, ISBN 1-4704-1289-6.
- Daniel W. Stroock: Probability Theory: An Analytic View. Hrsg.: Cambridge University Press. 2010, ISBN 978-1-139-49461-8.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Robert Horton Cameron und William Ted Martin: Transformations of Wiener Integrals under Translations. In: Annals of Mathematics. Band 45, Nr. 2, 1944, S. 386–396, doi:10.2307/1969276.
- ↑ H. H. Kuo: Gaussian Measures in Banach Spaces. In: Springer-Verlag (Hrsg.): Lecture Notes in Mathematics. Band 463.
- ↑ D. Kölzow: A Survey of Abstract Wiener Spaces. In: Academic Press, New York, London (Hrsg.): Stochastic Processes and Related Topics. Vol. 1. Proceedings of the Summer Research Institute on Statistical Inference for Stochastic Processes, 1975.
- ↑ Laurent Schwartz: Sous-espaces Hilbertiens d'espaces vectoriels topologiques et noyaux associés. In: Journal d'Analyse Mathématique. Band 13, 1964, S. 115–256.
- ↑ Erik G. F. Thomas: A Simple Proof of the Cameron-Martin Theorem Making Use of Schwartz Reproducing Kernels. In: Boletin de la Sociedad Matematica Mexicana Vol. 28, No. 2, 1983. Band 28, Nr. 2, 1983.
- ↑ N.N. Vakhania, V. I. Tarieladze: Covariance Operators of Probability Measures in Locally Convex Spaces. In: Theory of Probability & Its Applications. Band 23, Nr. 1, 1978, S. 11–12, doi:10.1137/1123001.
- ↑ Wladimir I. Bogatschow: Gaussian Measures. Hrsg.: American Mathematical Society. 1998, ISBN 1-4704-1289-6, S. 44.
- ↑ Wladimir I. Bogatschow: Gaussian Measures. Hrsg.: American Mathematical Society. 1998, ISBN 1-4704-1289-6, S. 44.
- ↑ Wladimir I. Bogatschow: Gaussian Measures. Hrsg.: American Mathematical Society. 1998, ISBN 1-4704-1289-6, S. 44–59.
- ↑ Wladimir I. Bogatschow: Gaussian Measures. Hrsg.: American Mathematical Society. 1998, ISBN 1-4704-1289-6, S. 59–64.