Stadtkirche St. Wenceslai

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Blick vom Markt in Wurzen durch die Wenceslaigasse zur Wenceslaikirche
Die Wenceslai-Kirche zur Abendstunde mit innenbeleuchteter Turm-Uhr – Blick vom Domplatz
St. Wenceslai, Süd-Ost-Ansicht
Das leere Kirchenschiff, gelegentlich Ort für Ausstellungen – auf der Empore die Orgel (Ausschnitt)
Trennwand zwischen Kirchenschiff und Altarraum, dahinter die so genannte „Winterkirche“
Datei:Wenceslai-Wurzen12.jpg
Glasmosaikfenster hinter dem Altar in der Winterkirche

Die evangelisch-lutherische Stadtkirche St. Wenceslai in Wurzen ist eine dreischiffige Hallenkirche, deren heutiges Erscheinungsbild aus den Jahren 1663 bis 1673 stammt. Ihr Namenspatron ist Wenzel von Böhmen. Vor allem mit ihrem markanten Kirchturm gehört sie fest zum Stadtbild.

Geschichte

Die Wenceslaikirche steht auf dem Sperlingsberg. Erstmals wurde dort eine Kirche in einer Urkunde aus dem Jahr 961 benannt. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde sie als Wenceslaikirche geweiht.

Zwischen 1509 und 1513 ließ Bischof Johann VI. von Saalhausen den Altarraum anbauen, dessen Rippenzellengewölbe auch heute noch besteht. Auch der Kirchturm wurde in dieser Zeit vollendet.[1] 1499 brannte die Kirche vollständig nieder und wurde 1513 im spätgotischen Stil errichtet.

Mit Hilfe von Kurfürst Johann Friedrich wurde am 12. September 1539 der Seelsorger Johann Hofmann aus Thammenhain erster evangelisch-lutherischer Pfarrer an St. Wenceslai, seitdem ist das Gotteshaus protestantisch.[2]

Im Dreißigjährigen Krieg - konkret in der „Wurzener Marterwoche“ im März 1637 - wurde sie erneut zerstört. 1663 begannen die Bürger Wurzens mit ihrem Wiederaufbau. 1673 wurde St. Wenzeslai als nachgotische Hallenkirche mit vierjochigem Schiff und achteckigen Pfeiler vollendet.[3]

1673 schlug ein Blitz in den Kirchturm, und ein Teil stürzte ein. Daraufhin wurde er bis 1679 auf Glockenstuhlhöhe gekürzt, als Achteck wieder aufgebaut und mit barocker, schiefergedeckter Haube samt Laterne, Turmspitze und Turmknauf gestaltet.[4]

Nach der umfassenden Renovierung in den Jahren 1873 und 1874 bot die Kirche, auch weil ihre Empore mit zwei Sitzreihen ausgestattet worden war, Platz für 880 Menschen – eine Zahl, die für die damals prosperierende Kleinstadt mit aufstrebender Wirtschaft und hoher Zugehörigkeitsquote der Einwohnerschaft zur evangelisch-lutherischen Konfession angemessen war. Die nächste größere Renovierung erfolgte im Zeitraum von 1926 bis 1927.[5]

Jüngere Vergangenheit und Gegenwart

Wegen zahlreicher Bauschäden, Schwammbefall und Fäulnis, für deren Beseitigung zur DDR-Zeit die Mittel fehlten, konnte der Sakralbau nur noch eingeschränkt genutzt werden; am Heiligabend 1975 fand der vorläufig letzte Gottesdienst statt.[6]

Um das Bauwerk trotz aller Widrigkeiten wenigstens teilweise weiter nutzen zu können, entschloss sich die Kirchgemeinde zu einem umstrittenen Schritt: Sie ließ zwischen Kirchenschiff und Altarraum eine Mauer einziehen und schuf im Altarraum eine fußbodenbeheizte, so genannte „Winterkirche“ mit Chor-Empore, die seit Oktober 1989 von Herbst bis Frühjahr genutzt wird[7] (von Frühjahr bis Herbst wird der Gottesdienst im Dom St. Marien zu Wurzen gefeiert). In dem hellen Saal mit farbigen Mosaikglas-Fenstern finden ganzjährig verschiedene Veranstaltungen statt.[8]

Kirchturm

Der Kirchturm ist mit seiner Höhe von 54 Meter weithin zu sehen und prägt die Stadt-Silhouette mit. In ihm sind der Glockenstuhl, die Türmer-Wohnung und die Turm-Uhr untergebracht.

Glocken

Das aktuelle Geläut besteht aus drei Glocken aus Eisenhartguss mit den Tönen des´, f´ und as´ aus dem Jahr 1918, gegossen von Schilling & Lattermann.[9]

Die Kirche hatte zuvor drei Bronzeglocken aus dem Jahr 1678, sie wurden in Dresden in der Glockengießerwerkstatt Herold gegossen.[10] Sie mussten im Ersten Weltkrieg als „Metallspende“ beziehungsweise im Zweiten Weltkrieg im Jahr 1942 als „Glockenspende[11] abgegeben werden.

An ihre Stelle kamen drei Klangstahlglocken der Firma Schilling & Lattermann aus Apolda. Gestiftet wurden sie vom Drahtseilwerk-Besitzer August Wilhelm Kaniß (1847 – 1927) aus Wurzen. Die große Glocke hat die Inschrift Gott zur Ehr, den Nachkommen zu Lehr, die mittlere Erz gab ich, Eisen empfing ich, und die kleine Gott schütze und segne Deutschland.[12] Das Geläut wurde am 31. Juli  1919 in Dienst genommen. Die große Glocke misst 190 Zentimeter in der Höhe und wiegt 2,7  Tonnen, die mittlere ist 148  Zentimeter hoch und wiegt 1,25  Tonnen, die kleine ist 124 Zentimeter hoch und hat ein Gewicht von 700  Kilogramm.[13]

Diese Stahlglocken sollen wegen ihrer Beschädigungen und des altersbedingten Verschleißes wieder von Bronzeglocken ersetzt werden; eine Spendensammel-Aktion für dieses Ziel begann im Jahr 2015 zum Tag der Sachsen in Wurzen. Mit der künstlerischen Gestaltung der neuen Kirchenglocken wurde der Künstler Peter Luban[14] beauftragt. Die Kosten für die drei neuen Glocken, den Glockenstuhl aus Eichenholz sowie für Planung und Ausführung betragen voraussichtlich 165.000 Euro. 50.000 Euro kommen von der Landeskirche als Zuschuss; die Spendensammlung für das Vorhaben lag im Dezember 2016 bei 43.000 Euro. Offen war noch die Summe von 72.000 Euro.[15]

Dank eines Hauptsponsors, der ungenannt bleiben will, konnten im August 2017 die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde und der Kirchen-Förderverein die Glocken-Sammelaktion beenden. Die Gemeinde hofft, 2018 die Glockenweihe feiern zu können.[16]

Türmer-Wohnung

Im Kirchturm oberhalb der Glocken gibt es eine Türmer-Wohnung, in der jahrhundertelang Wurzens Türmer mit ihren Familien wohnten. Sie wurde bis 1911 genutzt und steht regelmäßig für Besucher offen.

Turm-Uhr

Der Turm hat eine großformatige, mechanische Turm-Uhr mit vier nachts beleuchteten Zifferblättern für alle Himmelsrichtungen und mit Stundenschlag sowie Viertelstundenschlag.

Die Turm-Uhr ist Eigentum der Stadt Wurzen, die sie im Jahr 1913 vom damaligen Stadtverordneten Gustav Lieder als Geschenk erhielt. Damit ist die Stadt bis heute für Instandhaltung, Wartung und Reparaturen der Turm-Uhr zuständig. 1958 konnte die Kirchgemeinde die städtische „Zwangs-Schenkung“ der Uhr, mit der sich die damaligen Stadtoberhäupter der mit der Uhr verknüpften Verpflichtungen entledigen wollten, gerade noch verhindern.[17]

Orgeln

Jemlich-Orgel von 1902 (Foto vom September 2017)
Spieltisch der Jemlich-Orgel von 1902 – Zustand September 2017
Orgel-Spruch „Singet dem Herrn ein neues Lied“ an der seit 1975 stummen Jemlich-Orgel

Seit 1706 hatte die Kirche eine Orgel. 1874 wurde eine Orgel der Firma Bernecker aus Leipzig eingebaut. Ab 1902 erklang eine Jehmlich-Orgel mit 2 Manualen, Pedal, 40 Registern und 2.800 Pfeifen.[18][19] Diese Orgel im Kirchenschiff ist noch nahezu im Originalzustand vorhanden, jedoch nicht mehr spielbar. 2017 wurde der Motor der Windmaschine saniert und wieder angeschlossen. Zum Tag des Offenen Denkmals am 10. September 2017 ließ Kantor Johannes Dickert sie kurzzeitig erklingen, um so für die Idee der Restaurierung dieser Orgel zu werben, deren Kosten auf 150.000 bis 200.000 Euro geschätzt werden. Die Orgel hat folgende Disposition[20]:

I Hauptwerk C–a3
1. Bourdun 16′
2. Prinzipal 8′
3. Fugara 8′
4. Conzertflöte 8′
5. Quintatön 8′
6. Salizional 8′
7. Gedackt 8'
8. Dolce 8′
9. Oktave 4′
10. Rohrflöte 4′
11. Gemshorn 4′
12. Rauschquinte II 223′, 2′
13. Mixtur IV 2′
14. Cornett III–IV
15. Trompete 8′
II Schwellwerk C–a3
16. Gedackt 16′
17. Geigenprinzipal 8′
18. Gambe 8′
19. Hohlflöte 8′
20. Rohrflöte 8′
21. Äoline 8′
22. Vox coelestis 8′
23. Violine 8'
24. Oktave 4′
25. Harmonieflöte 4′
26. Quinte 223(seit 1941)
27. Piccolo 2′
28. Sifflöte 1′ (seit 1941, früher Salicet 4')
29. Mixtur IV 113
30. Oboe 8′
Pedal C–f1
31. Prinzipalbaß 16′
32. Violonbaß 16′
33. Subbaß 16′
34. Gedacktbaß 16′
35. Oktavbaß 8′
36. Flötenbaß 8′
37. Cello 8′
38. Oktavbaß 4′
39. Posaunenbaß 16′
40. Trompetenbaß 8′
  • Koppeln: II/I, I/P, II/P, Superoktavkoppel I

Auf der Nordempore des 1981 als Winterkirche abgeteilten Chorraums steht eine 1999 erbaute Eule-Orgel (2 Manuale, Pedal, 18 Register, 5 Transmissionen; Opus 626).[21] Die Eule-Orgel wurde nach dem Klangkonzept einer französischen Orgel des 18. Jahrhunderts gestaltet. Das dritte Manual funktioniert als Koppelmanual, das Pedalwerk hat neben der selbständigen Posaune 16′ vier Transmissionsregister aus dem Hauptwerk. Die Orgel hat folgende Disposition:[22]

I Manual C–g3
1. Grand Bourdun 16′
2. Montre 8′
3. Bordun 8′
4. Prestant 4′
5. Doublette 2′
6. Fourniture III 113
7. Cornet V (ab g)
8. Trompete 8′
II Positiv C–g3
9. Bordun 8′
10. Salicional 8′
11. Prestant 4′
12. Flûte 4′
13. Nazard 223
14. Flûte conique 2′
15. Tierce 135
16. Larigot 113
17. Cromorne 8′
Tremulant
Pedal C–f1
Soubasse (aus Nr. 1) 16′
Octavbasse (aus Nr. 2) 8′
Flûte (aus Nr. 3) 8′
Prestant (aus Nr. 4) 8′
Trompete (aus Nr. 8) 8′
18. Basson 16′
  • Koppeln: II/I, I/P, II/P, Pedaltenorkoppel I (alle Koppeln als Züge und Tritte in Wechselwirkung)

Namenspatron

Kassettendecke, Säulen und Orgel-Oberteil (Detail)
Epitaph 2

Die Kirche ist dem Heiligen Wenzel, einem böhmischen Märtyrer, gewidmet.

Literatur

  • Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Herausgeber: Förderverein zur Erhaltung der Wurzner Stadtkirche. Wurzen 1999. (Dokumentation ist im Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Wurzen verfügbar)
  • Cornelius Gurlitt: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler in Sachsen. Bd. 19. Amtshauptmannschaft Grimma. Dresden 1897. (Digitalisat)
Glocken
  • David Waechtler: Was uns die Glocken erzählen. In: Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Herausgeber: Förderverein zur Erhaltung der Wurzner Stadtkirche, Wurzen 1999, S. 25–38. (Dokumentation ist im Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Wurzen verfügbar)
Zeitungsbeiträge
Commons: Wenceslaikirche Wurzen – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 1.
  2. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 3.
  3. http://www.domkantorei-wurzen.de/html/stadtkirche.html
  4. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 5.
  5. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 9 + 10
  6. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 12.
  7. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 19
  8. Holger Zürch im Beitrag über die Wenceslai-Kirche in seiner zehnteiligen Serie über Wurzen in der Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung zum Tag der Sachsen, 28. August 2015.
  9. Rainer Thümmel in: Glocken in Sachsen – Klang zwischen Himmel und Erde. Leipzig 2015, ISBN 978-3-374-02871-9, S. 371.
  10. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 7,
  11. Ein entsprechendes Dekret an die Reichsminister war bereits am 23. Februar 1940 ergangen. In diesem Dekret von Generalfeldmarschall Hermann Göring heißt es: „Im letzten Weltkrieg ist die Erfassung von Metallgegenständen so spät eingeleitet worden, dass das Sammlungsergebnis nicht in dem erforderlichen Umfange für die Zwecke der Kriegsführung eingesetzt werden konnte. Ich ordne deshalb an, dass bereits jetzt beschleunigt alle Gegenstände aus Kupfer, Zinn, Nickel, Blei und deren Legierungen, die sich in Verwaltungs- und Unterrichtsgebäuden, Bibliotheken, staatlichen Krankenhäusern, Erholungsheimen usw. der öffentlichen Hand als deren Eigentum befinden (...), auszusondern und (...) zur unentgeltlichen Ablieferung an die vom Reichswirtschaftsminister zu benennenden Stellen bereitzuhalten sind.“ – Zitiert aus: David Waechtler: Was uns die Glocken erzählen. In: Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Herausgeber: Förderverein zur Erhaltung der Wurzner Stadtkirche. Wurzen 1999, S. 25–38. Zitat von Seite 33. (Die Dokumentation ist im Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Wurzen verfügbar.)
  12. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 33.
  13. http://www.lvz.de/Region/Wurzen/Wurzener-Gotteshaus-erhaelt-2018-drei-neue-Glocken-aus-Bronze, abgerufen am 18. August 2017.
  14. Website von Peter Luban
  15. Gemeindebrief der Kirchgemeinden St. Wenceslai Wurzen und Kühren-Burkartshain, Ausgabe Dezember 2016 und Januar 2017, Seite 16–17.
  16. [1], abgerufen am 18. August 2017.
  17. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 14.
  18. Jutta Heller, Fanny Wuttke: Die Geschichte der Pfarrkirche St. Wenceslai zu Wurzen. Wurzen 1999, S. 9
  19. http://www.lvz.de/Region/Wurzen/Hast-du-Toene-Orgel-von-Wurzener-St.-Wenceslai-bricht-nach-40-Jahren-ihr-Schweigen
  20. Infoblatt Die Orgel im Kirchenschiff der Stadtkirche St. Wenceslai Wurzen, erbaut 1902, Jehmlich Dresden, pneumatische Spiel- und Registertraktur, Kegelladen zum Tag des Offenen Denkmals, 10. September 2017; Vorlage
  21. http://www.domkantorei-wurzen.de/mehr___.html
  22. http://leipzig.region.travel/de/LEIPZIG-REGION/Kultur/Orgeln-Kirchen/Faszination-Orgel/Orgelbaukunst/Eule/Orgel-in-der-Stadtkirche-St-Wenceslai-Wurzen_1116.html?regiopoi5513.id=291&regiopoi5513.fmd=1

Koordinaten: 51° 22′ 3″ N, 12° 44′ 6,4″ O