Tag von Potsdam
Als Tag von Potsdam wird eine Zusammenkunft am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche bezeichnet. Am 5. März 1933 war ein neuer Reichstag gewählt worden. Die Abgeordneten mit Ausnahme derjenigen von SPD und KPD trafen sich zu einem Festakt, an dem auch Reichspräsident Paul von Hindenburg teilnahm. Damit ähnelte die Zusammenkunft dem Empfang der neuen Reichstagsabgeordneten beim Kaiser, wie es vor 1918 der Brauch gewesen war; die eigentliche konstituierende Sitzung des Reichstags fand nicht in der Garnisonkirche, sondern erst später in der Berliner Kroll-Oper statt, die wegen des Reichstagsbrands einen knappen Monat zuvor als Ersatz für das Reichstagsgebäude diente.
Zu diesem Zeitpunkt war Adolf Hitler von den Nationalsozialisten zwar bereits fast zwei Monate Reichskanzler, seine diktatorische Herrschaft war aber noch nicht gefestigt. Seine Koalitionsregierung mit den konservativen Deutschnationalen hing vor allem vom Vertrauen des Reichspräsidenten ab. Daher plante das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels publikumswirksam den „Tag von Potsdam“, der konservativ und monarchisch eingestellten Menschen – wie Reichspräsident Hindenburg – gefallen sollte. Der Tag sollte die Verbindung von „alter Größe und der jungen Kraft“ des Nationalsozialismus sichtbar machen.
Vorgeschichte
Am 5. März 1933 war ein neuer Reichstag gewählt worden. Vor dem Hintergrund des Reichstagsbrandes in der Nacht auf den 28. Februar 1933, für den die Nationalsozialisten die Kommunisten verantwortlich machten, stärkten die Wahlergebnisse die NSDAP, allerdings verfehlte sie die absolute Mehrheit (siehe Reichstagswahl März 1933). Um eine regierungsfähige Koalition bilden zu können, war die NSDAP daher auf die rechtsnationalistische DNVP angewiesen.
Außerdem plante die Führung der NSDAP, dem Reichstag das Ermächtigungsgesetz vorzulegen. Dazu war allerdings zunächst, wie für alle verfassungsändernden Gesetze in der Weimarer Republik, eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag notwendig. Um diese zu erreichen, sollten die Reichstagsabgeordneten vor allem der Zentrumspartei überzeugt werden.
Von Seiten der Kirchenvertreter und auch von Präsident Hindenburg gab es Vorbehalte gegenüber der Potsdamer Garnisonkirche, da diese einen kontroversen politischen Akt mit der Würde des Gotteshauses nicht für vereinbar hielten. So wurde das Ereignis der Regierungskonstituierung an diesem Tag dreigeteilt. In der Garnisonkirche fand zunächst der Festakt und im Anschluss dann die Gottesdienste für die verschiedenen Konfessionen statt. Die konstituierende Sitzung selbst sollte dann ursprünglich aber direkt nebenan im Langen Stall stattfinden, welcher in der Kürze der Zeit aber nicht mehr angemessen umzugestalten war. Statt dessen verlegte man sich für dieses Ereignis deshalb wieder zurück nach Berlin, in die Kroll-Oper vis-a-vis dem ausgebrannten Reichstagsgebäude.[1]
Ablauf
Das Programm sah nach dem Staatsakt in der Garnisonkirche für den Reichspräsidenten und die evangelischen Abgeordneten einen Gottesdienst in der Nikolaikirche vor, für die katholischen einen in der Peter-und-Paul-Kirche und, nach einem Triumphmarsch durch die Stadt, den anschließenden Festakt in der Garnisonkirche. Kommunistische Abgeordnete waren bereits verhaftet und die Sozialdemokraten weigerten sich, an der Veranstaltung in Potsdam teilzunehmen. Im Rundfunk wurde das Geschehen in voller Länge übertragen. Es gab außerdem lokale Veranstaltungen für Bürger ohne Rundfunkempfangsgerät.
Nach dem Staatsakt in der Garnisonkirche gab es vor der Militärparade eine kurze Ansprache des Reichspräsidenten und danach eine des Reichskanzlers. Hitler behauptete wahrheitswidrig, die Rechte der Staatsorgane wie Reichspräsident, Reichstag und Reichsrat sollten nicht angetastet werden. Tatsächlich diente das bereits geplante Ermächtigungsgesetz dazu, dass Reichstag und Reichsrat nicht mehr für die Gesetzgebung benötigt wurden. Als Hindenburg im August 1934 starb, übernahm Reichskanzler Hitler zugleich auch die Befugnisse des Reichspräsidenten (vgl. auch Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs).
Propagandaminister Goebbels wollte dem Tag eine nationalsozialistische Form geben, doch im Stadtbild dominierten die alten Farben Schwarz-Rot-Gold statt der nationalsozialistischen Hakenkreuzflagge. Hitler und Goebbels nahmen am (katholischen) Festgottesdienst nicht teil, sondern legten stattdessen in Berlin Kränze an den Gräbern von SA-Männern ab. Dies konnte durchaus als Affront gesehen werden.
Aus der Familie des ehemaligen Kaisers nahmen die Prinzen August Wilhelm, Oskar und Eitel Friedrich an der Veranstaltung teil.[2]
Nach dem Festakt in der Garnisonskirche und vor der folgenden Militärparade verabschiedeten verschiedene Honoratioren vor der Garnisonkirche den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, darunter auch der Reichskanzler Adolf Hitler. Von dieser Begegnung gibt es Filmaufnahmen sowie ein bekanntes Foto des Fotografen Theo Eisenhart der New York Times. Dieses Foto, das eine tiefe Verneigung Hitlers ziviler Kleidung in Cut und Zylinder vor Hindenburg zeigt, war dem Historiker Martin Sabrow zufolge ein Schnappschuss und kein geplanter Vorgang der Propaganda. Das Foto sei im Rahmen der Verabschiedung entstanden, während der offizielle Händedruck von Reichspräsident und Reichskanzler bereits vorher in der Kirche stattfand. Hitlers Verneigung sei den Funktionären der NSDAP „zu tief und deshalb peinlich“ gewesen. Daher sei das Foto entgegen heute weit verbreiteten Annahmen von der NS-Propaganda nicht verwendet worden. Es wurde bis 1945 nur vereinzelt in Zeitungen verwendet. Erst nach dem Krieg sei es als Propagandabild verstanden worden und zum Beispiel bis heute in Schulbüchern ein vermeintlich ikonisches Foto der NS-Propaganda.[3][1][4]
Ziel der Veranstaltung
Die Hoffnung der Nationalsozialisten bestand darin, mit dem Tag von Potsdam einen symbolischen Fortlauf der preußisch-deutschen Geschichte aufzuzeigen, bei dem sich Hitler in einer Reihe mit Friedrich dem Großen, Bismarck und Hindenburg präsentierte.
Die Stadt Potsdam war dabei bewusst ausgewählt worden. Sie sollte als ehemalige Residenzstadt der preußischen Könige Sinnbild eines glorifizierten Deutschlands früherer Tage sein, an welches das NS-Regime nun vorgab anknüpfen zu wollen. Der 21. März bot sich an, weil sich im Jahr 1871 an diesem Datum der erste Reichstag des Deutschen Kaiserreichs konstituiert hatte. Die Veranstaltung gilt als die erste größere Inszenierung des kurz zuvor ernannten Propagandaministers Joseph Goebbels.
Der Handschlag von Reichspräsident und Reichskanzler sollte den Anschein erwecken, dass Hitler sich und die Nationalsozialisten dem beliebten Landesvater Hindenburg unterstelle und von Hitler keine Gefahr mehr ausgehe. Die Geste symbolisierte ferner eine Kontinuität vom Kriegshelden Hindenburg zum einfachen Soldaten Hitler, der nun Verantwortung auch für die Armee übernahm.
Folgen
Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz
Die SPD nahm an der Veranstaltung demonstrativ nicht teil, die Mitglieder der KPD sowie einige Führungsmitglieder der SPD waren laut Wilhelm Frick, Reichsminister des Innern, „durch nützliche Arbeiten in den Konzentrationslagern“ am Erscheinen gehindert. Als sich dann später der neue Reichstag am 23. März 1933 zur Beratung und Abstimmung über ein Ermächtigungsgesetz zusammenfand, stimmten alle Abgeordneten dem Gesetz zu, mit Ausnahme der anwesenden Sozialdemokraten. In den Reden vor der Abstimmung wurde häufig auf die zwei Tage zuvor durchgeführte Veranstaltung Bezug genommen. Wichtiger als der Tag von Potsdam war die katholische Zentrumspartei, auf deren Stimmen es ankam, die Hoffnung, mit dem Gesetz Hitlers Machtdrang in geregelte staatliche Bahnen leiten zu können.
Geschichtsbild
Die NS-Propaganda wollte bewusst die preußische Geschichte für den Nationalsozialismus vereinnahmen. Dazu eignete sich der Tag von Potsdam vorzüglich, auch gegenüber dem Ausland.
Historiker und Journalisten wie Sebastian Haffner versuchten in den letzten Jahrzehnten das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild vom preußischen Staat zu verändern. Sie konnten beispielsweise darlegen, dass Preußen im Wesentlichen eine rechtsstaatliche Tradition gehabt hatte, die von Hitler nach seiner „Machtergreifung“ zunichtegemacht wurde. Heinrich August Winkler schreibt über die Illusion des Tages von Potsdam:[6]
„Als Reichspräsident Hindenburg in der Garnisonkirche allein in die Gruft zum Sarg Friedrich des Großen hinunterstieg, um stumme Zwiesprache mit dem König zu halten, trat bei vielen Deutschen die gleiche patriotische Rührung ein, die seit Jahren die Fridericus-Filme aus Alfred Hugenbergs ‹Ufa› hervorriefen. Doch das alte Preußen erlebte am 21. März 1933 keine Auferstehung. Die neuen Machthaber nahmen nur seinen Mythos in Dienst, um ihrer Herrschaft den Schein einer noch höheren Legitimation zu verschaffen als jener, die sie am 5. März durch die Wähler empfangen hatten.“
Literatur
- Martin Sabrow: Der „Tag von Potsdam“. Zur Karriere eines politischen Symbols Vortrag 2003 (online)
- John Zimmermann: Der Tag von Potsdam. In: Michael Epkenhans, Carmen Winkel (Hrsg.): Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Rombach, Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-7930-9729-7, S. 69–90.
Weblinks
- Adolf Hitler, Rede bei der Eröffnung des neu einberufenen Reichstags ("Tag von Potsdam"), 21. März 1933. Mit einer Einführung von Martin Sabrow, in: 1000dokumente.de
Einzelnachweise
- ↑ a b Martin Sabrow: Der „Tag von Potsdam“ – Zur Geschichte einer fortwährenden Mythenbildung
- ↑ Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und Hitler. Cicero Juli 2005, online
- ↑ Matthias Schulz: Können Steine schuldig sein?, in Der Spiegel, 22/2017, S. 102
- ↑ Guido Berg: Die Gretchenfrage der Garnisonkirche, in Potsdamer Neueste Nachrichten
- ↑ Gemäß der „Bekanntmachung über die Ausprägung von Reichssilbermünzen im Nennbetrage von 2 und 5 Reichsmark vom 16. März 1934“, Information des documentArchiv.de
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Band 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung. C.H. Beck, München 2010, S. 11–12.