Bis(tributylzinn)oxid

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Strukturformel
Struktur von Bis(tributylzinn)oxid
Allgemeines
Name Bis(tributylzinn)oxid
Andere Namen
  • TBTO
  • Bis(tri-n-butylzinn)oxid
  • Bis(tributylzinn)oxid
  • Hexabutyldistannoxan
Summenformel C24H54OSn2
Kurzbeschreibung

farblose Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 56-35-9
EG-Nummer 200-268-0
ECHA-InfoCard 100.000.244
PubChem 16682746
Wikidata Q384794
Eigenschaften
Molare Masse 596,08 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,17 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

< −45 °C[1]

Siedepunkt

220–230 °C (10 hPa)[1]

Löslichkeit
  • sehr schlecht in Wasser (71,2 mg·l−1 bei 20 °C)[1]
  • löslich in den meisten organischen Lösungsmitteln, einschließlich Ethanol, Chloroform und Benzol[2]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[4] ggf. erweitert[3]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301​‐​312​‐​315​‐​319​‐​360FD​‐​372​‐​410
P: 273​‐​280​‐​301+310​‐​305+351+338​‐​314​‐​501[5]
Zulassungs­verfahren unter REACH

besonders besorgnis­erregend: persistent, bio­akkumulativ und toxisch (PBT)[6]

MAK

0,02 mg·m−3[3]

Toxikologische Daten

87 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Tributylzinnoxid (TBTO) ist eine chemische Verbindung, die zu den metallorganischen Verbindungen gehört und hauptsächlich als Unterwasseranstrich (Fungizid) im Schiffbau eingesetzt wurde. Aufgrund der Löslichkeit im Meerwasser und seiner hohen Toxizität (Einfluss auf das Hormonsystem von Mensch und Tieren) führte der Stoff zu einer Störung des Ökosystems im Meer (z. B. bei Meeresschnecken: Zwitterbildung mit großer Gefahr des Aussterbens).

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

TBTO wurde ab 1980 großflächig eingesetzt.[2] Die Verwendung von zinnorganischen Verbindungen wie TBTO in anwuchsverhindernden Anstrichen für Schiffe mit einer Länge von weniger als 25 m, sowie auf Geräten und Einrichtungen jeder Art, die in der Fisch- und Muschelzucht eingesetzt werden, wurde durch die EU-Kommission bereits im Jahre 1989 in der Richtlinie 89/677/EWG verboten.[7] Dem folgte ein Verbot der Verwendung von allen nicht chemisch gebundenen organozinnhaltigen, anwuchsverhindernden Anstrichen für jegliche Anwendung innerhalb der EU ab dem Jahre 2003. Am 17. September 2008 trat eine im Rahmen der internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO (International Maritime Organization) vereinbarte Konvention zum weltweiten Verbot von Organozinn-haltigen Antifouling-Produkten in Kraft.[8] Dabei tragen heute noch viele ältere Schiffe mit einer derartigen Beschichtung bei Betrieb bzw. Verschrottung zur Verbreitung des TBTO in der Umwelt bei.

Gewinnung und Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Gewinnung von Bis(tributylzinn)oxid werden zunächst Zinntetrachlorid SnCl4 und Tri-n-butylaluminium nBu3Al zu Tri-n-butylzinnmonochlorid (nBu3Sn-Cl) umgesetzt.[9]

Durch partielle Hydrolyse mit Wasser und einer Base kann man Bis(tributylzinn)oxid herstellen.[9] Als Base dienen beispielsweise Pyridin, Triethylamin oder wasserfreies Kaliumcarbonat.
(nBu = CH3-CH2-CH2-CH2- ; B=Base).

Aus dem Zwischenprodukt Tri-n-butylzinnmonochlorid lassen sich auch andere Verbindungen, die früher v. a. als Biozide (Fungizide und Bakterizide) Anwendung fanden (z. B. das Tributylzinnbenzoat) herstellen.[9] Heute finden diese Verbindungen jedoch auf Grund ihrer Toxizität nur noch begrenzt Anwendung.

Die Verbindung kann auch durch ein direktes Verfahren hergestellt werden, bei dem Zinn mit n-Butyliodid oder n-Butylchlorid umgesetzt wird, um das entsprechende Tri-n-butylzinnhalogenid in 90%iger Ausbeute zu gewinnen. Dieses Organozinnhalogenid wird zur Gewinnung von TBTO hydrolysiert.[2]

Chemische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

TBTO gehört zur Stoffgruppe der Tributylzinn-Verbindungen (TBT), einer Untergruppe der zinnorganischen Verbindungen, die durch ihre besondere Giftigkeit auffällt. Diese ist wieder eine Untergruppe der metallorganischen Verbindungen. Die Verbindung fördert die Oxidation von sekundären Alkoholen und Sulfiden mit Br2; O- und N-Aktivierungen. Die Verbindung wird häufig bei der Umwandlung funktioneller Gruppen durch Dehydrosulfurierungen ausgenutzt. Ester können durch TBTO unter milden Bedingungen effizient hydrolysiert.[10]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

TBTO wurde häufig als Biozid (in Antifouling-Farben), als Fungizid (zur Konservierung von Holz, Baumwolle, Textilien und Leder), als Schimmelbekämpfungsmittel (in Polyvinylchlorid-Systemen), als Bakterizid (in Urethan-Schaumstoffen und sekundärem Ölförderungs-Injektionswasser) und als Schleimbekämpfungsmittel (in der Papierindustrie) eingesetzt.[2], wobei Haupteinsatzzweck im Unterwasser-Schutzanstrich (Antifoulingfarbe) bei Schiffen und Kühltürmen bestand.[11] Bei Kontakt mit Meerwasser entstehen Tributylzinnchlorid und Tributylzinnhydroxid, die sich heute auch im Sediment finden lassen. Dadurch ist es im Meerwasser weitläufig nachweisbar.[12]

Weiterhin wird TBTO als Pilzgift in Holzschutzmitteln (Wirkstoffgehalte bis ca. 2 %) und als Konservierungsmittel in wasserverdünnbaren Anstrichstoffen eingesetzt.[13]

Alle Tributylzinn-Verbindungen sind Desinfektionsmittel und werden gegen Pilzbefall bei Textilien, Leder, Papier, Holz und dergleichen eingesetzt. Weiterhin dienen sie als Saatbeizmittel im Pflanzenschutz. Manche wirken auch als Fraßhemmstoffe auf Insekten.[14]

Organozinnverbindungen wie TBTO dienen auch als Stabilisatoren für PVC.[15]

Es war von 1978 bis 1994 in der DDR und nachfolgend in der BRD als Pflanzenschutzmittel zugelassen.[16]

Sicherheitshinweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beim Menschen führt Tributylzinnoxid neben Hautreizungen und Irritationen der Atemwege zu Erbrechen, Kopfschmerzen und Sehstörungen.[17] Es entstehen außer Vergiftungserscheinungen an den Kontaktstellen Entzündungsreaktionen bei längerfristigem Kontakt. Der Stoff beeinträchtigt das Immunsystem und erzeugt Störungen des endokrinen Systems.[2]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • US EPA (United States Environmental Protection Agency) (1997) Toxicological review: Tributyltin oxide. Integrated Risk Information System (IRIS) and Documentation and Review of the Oral RfD: Tributyltin oxide (TBTO), Source Document U.S. Environmental Protection Agency, Washington, DC.
  • M. Hümpel, G. Kühne, U. Täuber, P. E. Schulze: Studies on the kinetics of TBTO. Toxicology and Analytics of the Tributyltins: The Present Status. ORTEP Assoc., The Hague, NL 1986, S. 122–142.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f Datenblatt Bis(tributylzinn)oxid bei Merck, abgerufen am 18. Januar 2011.
  2. a b c d e NATIONAL TOXICOLOGY PROGRAM: Executive Summary Bis(tri-n-butyltin) oxide, 30. September 1991, abgerufen am 14. November 2023
  3. a b Eintrag zu Bis(tributylzinn)oxid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 23. Juli 2016. (JavaScript erforderlich)
  4. Nicht explizit in Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP) gelistet, fällt aber mit der angegebenen Kennzeichnung unter den Gruppeneintrag Tributylzinnverbindungen, soweit in diesem Anhang nicht gesondert aufgeführt im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 9. Januar 2017. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  5. Datenblatt Bis(tributylzinn)oxid bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 12. September 2015 (PDF).
  6. Eintrag in der SVHC-Liste der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 17. Juli 2014.
  7. Umweltbundesamt: TBT – Zinnorganische Verbindungen – Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, Dezember 2000, abgerufen am 12. November 2023
  8. H. Rüdel, J. Steinhanses, J. Müller, C. Schröter-Kermani: Retrospektives Monitoring von Organozinnverbindungen in biologischen Proben aus Nord- und Ostsee – sind die Anwendungsbeschränkungen erfolgreich? In: Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung. Band 21, Nr. 3, 2009, S. 282–291, doi:10.1007/s12302-009-0039-3.
  9. a b c Harry H. Szmant: Organic Building Blocks of the Chemical Industry. Wiley, 1989, ISBN 0-471-85545-6, S. 352 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Hiroshi Sano, Bernard Jousseaume: Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. John Wiley & Sons, Ltd, Chichester, UK 2008, ISBN 978-0-471-93623-7, Bis(tributyltin) Oxide, doi:10.1002/047084289x.rb195.pub2.
  11. T.S.S. Dikshith: Hazardous Chemicals. Taylor & Francis, 2013, ISBN 978-1-4398-7820-0, S. 393 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  12. United Nations Environment Programme: Assessment of Organotin Compounds as Marine Pollutants in the Mediterranean. MAP Technical Series No. 33, Mai 1988, abgerufen am 12. November 2023
  13. A. Unger, A.P. Schniewind, W. Unger: Conservation of Wood Artifacts. Springer Berlin Heidelberg, 2013, ISBN 978-3-662-06398-9, S. 238 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  14. Environmental Health Perspectives. U.S. Department of Health, Education, and Welfare, Public Health Service, National Institutes of Health, National Institute of Environmental Health Sciences, 1973, S. 67 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  15. Victor O. Sheftel: Indirect Food Additives and Polymers. CRC Press, 2000, ISBN 978-1-4822-9382-1, S. 363 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  16. Berichte zu Pflanzenschutzmitteln 2009. Springer Basel, 2010, ISBN 978-3-0348-0029-7, S. 27 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  17. Eleonore Blaurock-Busch, Reinhard Strey: Chronische Metallbelastungen. Books on Demand, 2017, ISBN 978-3-7448-3245-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).