Walter Thieme

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Walter Hans Otto Thieme, eigentlich Walter Johannes Otto Thieme[1] (* 18. November 1878 in München; † 27. April 1945 in Berlin) war ein deutscher evangelischer Theologe, Stadtmissionsdirektor und Pfarrer.

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thieme schrieb sich nach Ablegung der Reifeprüfung am Luitpold-Gymnasium im Juni 1898 ab dem 2. November desselben Jahres als Student der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München ein.[2] Nach dem Wintersemester wechselte er ab 28. April 1899 zur Universität Greifswald, um dort evangelische Theologie zu studieren. Von Oktober 1899 bis Anfang März 1901 setzte er an der Theologischen Fakultät der Berliner Universität sein Studium fort. In Berlin hörte er u. a. kirchengeschichtliche Vorlesungen bei Adolf von Harnack. An der Erlanger Universität beendete Thieme das Theologiestudium mit dem Erhalt des Abgangszeugnisses vom 15. Juli 1902. Die erste theologische Prüfung legte er in Ansbach ab. Für ein halbes Jahr gewährte ihm die bayerische Landeskirche Bildungsurlaub, damit er die Arbeit der Berliner Stadtmission in einem Praktikum kennen lernen sowie sein Wunsch in Erfüllung gehen konnte, nach England zu reisen, um sich dort mit den kirchlichen Verhältnissen vertraut zu machen. Die praktische theologische Ausbildung im Vikariat (evangelisch) absolvierte Thieme in Freiburg im Breisgau. Thieme wurde in einem Gottesdienst in Bayreuth am 16. Oktober 1903 für den Pfarrdienst gesegnet. Nach dieser Ordination hielt sich Thieme bis zu seiner Berufung als Hilfsgeistlicher in einer Vorstadt von Augsburg erneut in England auf und nutzte einen Teil der viermonatigen Überbrückungszeit für einen Aufenthalt in den Bodelschwingschen Anstalten Bethel, um sich als Hilfskrankenpfleger ausbilden zu lassen. Nach diesem Ausbildungsabschnitt wurde er 1906 zweiter Hausgeistlicher der Diakonissenanstalt Augsburg. Am 1. Oktober 1907 trat Thieme in den hauptamtlichen Dienst der Berliner Stadtmission als ordinierter Pastor und Inspektor. Nach dem Tod von Stoecker ist er in Vorstand der Berliner Stadtmission gewählt worden.[3] Er wurde 1933 Leiter der Stadtmission nach dem Tod von Wilhelm Philipps (1859–1933), nachdem er bereits zuvor als stellvertretender Vereins-Vorsitzender tätig war.[4] An der Spitze der Berliner Stadtmission stand Thieme bis zu seinem erzwungenen Rücktritt durch das NS-Regime. Von 1942 bis zu seiner Berentung wirkte Thieme als Vereinsgeistlicher der Frauenmission Malche e. V. in Bad Freienwalde (Oder).

Wirken in der Berliner Stadtmission[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu seinen Aufgaben als Pastor und Inspektor zählten die Betreuung der weiblichen Mitarbeitenden, die seelsorgerliche Hilfe für Frauen in Gefängnissen und Evangelisationsreisen. Die zielbewusste Arbeit Thiemes erregte die Aufmerksamkeit der Gestapo. Sie verbot ihm im Herbst 1939 „die weitere Ausübung seiner priesterlichen Pflichten“.[5] In Erinnerung blieb bei seinen Mitarbeitenden ein Ausspruch Wilhelm Löhes, den er ihnen gegenüber gern zitierte: „Wer eher vom Elenden weicht als Gott und seine heiligen Engel, der weicht zu früh und seiner Seele zum Schaden.“[6]

Thieme war ehrenamtlich mehrmals als Vorsitzender des 1920 gegründeten Verbandes der deutschen evangelischen Stadtmissionen tätig, zuletzt 1937, und sein Geschäftsführer war in jenem Jahr der Pfarrer und Inspektor der Berliner Stadtmission Richard Kindler (* 1864; † 1964).[7] Zuvor war Thieme zusätzlich zu seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Pastor und Inspektor der Berliner Stadtmission nebenamtlicher Geistlicher des Berliner Frauenbundes.[8]

Chronist der Berliner Stadtmission bis zu ihrem 50-jährigen Bestehen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thieme ist Herausgeber und Mitautor der Jubiläumsschrift der Berliner Stadtmission anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens,[9] die 25 Jahre nach der Darstellung der Geschichte der Berliner Stadtmission von Pastor Evers erschien. Ausführlich werden von Thieme die „Geschichte der Gründung und Entwicklung in alten Zeiten“ und ihr Zustand in der Weimarer Republik bis 1927 dargestellt sowie „das Verhältnis von Stadtmission und Kirche“ beschrieben. Thieme weist dabei auf die satzungsgemäßen engen Beziehungen zur „Kirchenbehörde“ hin und auf die darauf beruhende erforderliche Zustimmung des Konsistoriums bei der Anstellung[10] eines leitenden Pfarrers, der vor allem im Fachbereich Mission (Verkündigung, Seelsorge, Gemeinschaft) arbeitet und bis Ende des 20. Jahrhunderts als „Inspektor“ bezeichnet wurde.

Pastor der Bekennenden Kirche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thieme war Teilnehmer der Bekenntnissynoden der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen 1934, in Berlin-Dahlem 1934, in Augsburg 1935 in Bad Oeynhausen 1936 und besuchte den Deutschen Lutherischen Tag 1935 in Hannover vom 2. bis 5. Juli 1935.[11] Auf der Barmer Synode vertrat Pastor Thieme den Standpunkt der Inneren Mission und wies auf die historisch entstandene Spannung zwischen verfassten Kirchengemeinden zur Inneren Mission hin und bat die Synode, diese Spannung anzuerkennen.

Er wird als Pfarrer der Bekennenden Kirche zu dem Personenkreis gezählt, der Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime in den Jahren 1933 bis 1945 leistete.[12] Bischof Scharf würdigte die eindeutige Haltung Thiemes und der Berliner Stadtmission während der „nationalsozialistischen Herrschaft“ und betonte, dass sich das von ihm geleitete Werk „klar für die Bekennende Kirche entschieden“ hatte.[13]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Walter Thieme stammt aus einer kinderreichen Familie in München. Er wurde als sechstes Kind geboren.[14] Ein Familienfoto[15] zeigt den etwa 13-Jährigen im Kreis all seiner Geschwister sowie Halbgeschwister im Freien – vermutlich im elterlichen Garten in München in der Georgenstraße 7.[16] Das Atelier Therese[17] hatte die Kinder bzw. jungen Erwachsenen Anfang der 1890er Jahre fotografiert und zwar zusammen mit dem Vater Carl Thieme, einem Münchner Versicherungskaufmann, der 1914 vom bayerischen König geadelt wurde, und dessen zweiter Ehefrau Else, geborene „von Witzleben“ (1861–1946), die er als Witwer zwei Jahre nach dem Tod von Walters Mutter, Marie, geborene Vondernahmer/von der Nahmer (1845–1883) geheiratet hatte. Zu den langjährigen Arbeitskollegen seines Vaters gehörte der damalige Büroleiter und spätere Versicherungs-Direktor in London[18] sowie Versicherungsvorstand Carl Schreiner, in dessen Tochter Hertha sich Walter Thieme als junger Theologe verliebte und sie am 20. Juni 1907 heiratete.[19] Aus der Ehe ging mehrere Kinder hervor.[20]

In Berlin, im Stadtmissionshaus und der dazugehörigen noch nicht kriegszerstörten Kirche, konnten beide 1942 ihre Leinwandhochzeit begehen, bevor sie unmittelbar vor Kriegsende auf tragische Weise ums Leben kamen[21]. Beide Eheleute starben laut Sterbeurkunde durch "Feindeinwirkung" in ihrem gemeinsamen Haus An der Heerstraße 15 (heute Heerstraße 78)[22], in dem sie seit 1938 wohnten[23]. Er starb am 27. April 1945[24] und sie am 2. Mai 1945[25].

Ihre Grabstätte fanden Walter Thieme und seine Frau auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin unter einem schlichten Holzkreuz.[26][27]

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lobsängerin der Gnaden Gottes. Das Lebensbild der Schwester Eva von Tiele-Winckler. Im Auftrage des Diakonissenhauses „Friedenshort“[28] in Miechowitz/Oberschlesien, Berlin 1932, mit einem Vorwort von Walter Thieme, geschrieben im Stadtmissionshaus in Berlin im September 1932; danach erschien Thiemes Werk unter dem Titel Mutter Eva, die Lobsängerin der Gnaden Gottes. Leben und Werk von Schwester Eva von Tiele-Winckler; Gütersloh 1938; 4., ergänzte Auflage, Bad Wildbad 2007, ISBN 978-3-939075-04-2.
  • 50 Arbeits-Jahre im Dienste des Glaubens und der Liebe. 1877–1927. Jubiläumsschrift der Berliner Stadtmission, Vaterländische Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1927.
  • Heiliger Sieg. Religiöse Vorträge. Berlin 1916. DNB 361756313
  • Die Entthronung des Geldes. Vaterländische Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1921.
  • Die geheimnisvollen Kräfte des Gebetes. Vaterländische Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1921.
  • Unter dem Diadem der Demut. Berlin 1925.
  • Die Nachfolge Jesu. Berlin 1930.
  • Unser Täglich Brot. Zum Erntedankfest 1936. Wichern-Verlag, Berlin 1936

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Laut Auszug aus dem Geburts-Haupt-Register des Standesamtes München I vom 13. Januar 1898; Original in: Akte 14/24512 ELAB (Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin)
  2. Akte 14/24512 ELAB (Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin) mit Originalbelegen für die folgenden Ausführungen.
  3. Mitteilung in: Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und verwandte Fächer, Band 77 (1910); Journal für Buchdruckerkunst, Nr. 6, S. 44 f.
  4. Pfarralmanach für die Kirchenprovinz Mark Brandenburg. Herausgegeben vom Evangelischen Konsistorium der Mark Brandenburg. Nach dem Stande vom 1. April 1939. (Änderungen nach der Drucklegung nach Möglichkeit berücksichtigt). Trowitzsch & Sohn, Berlin 1939, S. 440.
  5. Max Dietrich: Fünfundsiebzig Jahre Berliner Stadtmission 1877. 9. März 1952. Herausgegeben von der Berliner Stadtmission, Berlin 1952, S. 58.
  6. Max Dietrich: Fünfundsiebzig Jahre Berliner Stadtmission 1877. 9. März 1952. Herausgegeben von der Berliner Stadtmission, Berlin 1952, S. 59
  7. Handbuch der deutschen evangelischen Kirchen 1918 bis 1949. Organe–Ämter–Verbände–Personen. Band 1: Überregionale Einrichtungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-525-55784-6, S. 416.
  8. Pfarralmanach für Berlin und die Provinz Brandenburg, Berlin 1913, „Abschnitt VI. Geistliche der äußeren und inneren Mission“, unter „Verein für Berliner Stadtmission“, S. 279
  9. 50 Arbeitsjahre im Dienste des Glaubens und der Liebe. Jubiläumsschrift der Berliner Stadtmission; DNB 579103153
  10. 50 Arbeitsjahre im Dienste des Glaubens und der Liebe. Jubiläumsschrift der Berliner Stadtmission. Vaterländische Verlags- und Kunstanstalt, Berlin (1927) [Hrsg.: Walter Thieme], (23–28) S. 27
  11. Hans Meiser, Hannelore Braun: Verantwortung für die Kirche. Sommer 1933 bis Sommer 1935. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1985, ISBN 3-525-55751-5, S. 565.
  12. Klaus Keim, Oliver Reschke, Günter Wehner: Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933 bis 1945. Ein biographisches Lexikon. Band 8, 2. Auflage, trafo, Berlin 2012, ISBN 978-3-89626-908-9, S. 56 f.
  13. Kurt Scharf: Berlin und die Stadtmission. In: Siegfried Dehmel (Red.): Gott liebt diese Stadt. 100 Jahre Berliner Stadtmission. 1877–1977. Berliner Stadtmission, Berlin 1977, S. 10–12.
  14. Lebenslauf von Walter Thieme (maschinenschriftlich) in: Akte 14/24512 ELAB (Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin)
  15. Johannes Bähr, Christopher Kopper: Munich Re. Die Geschichte der Münchener Rück 1880–1980. C.H.Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-68361-9, S. 88, Abb. 12 (laut Bildnachweis ist es im Bestand des Münchner Stadtmuseums unter der Inventar-Nummer M-99/22 archiviert).
  16. Adressbuch von München für das Jahr 1892, S. 434 (online).
  17. Auf der Rückseite der Fotografie befindet sich ein „runder Aufkleber“ des damaligen Fotoateliers Therese, wie das Münchner Stadtmuseum (Sammlung Angewandte Kunst) am 13. November 2015 auf Anfrage Schudi 45 mitteilte.
  18. Lebenslauf von Walter Thieme (maschinenschriftlich) in: Akte 14/24512 ELAB (Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin)
  19. Johannes Bähr, Christopher Kopper: Munich Re. Die Geschichte der Münchener Rück 1880–1980. C.H.Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-68361-9, S. 86.
  20. Lebenslauf von Walter Thieme (maschinenschriftlich) in: Akte 14/24512 ELAB (Evangelisches Landeskirchenarchiv in Berlin)
  21. Hannelore Braun, Gertraud Grünzinger: Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 978-3-525-55761-7, S. 256.
  22. HistoMap. Vergleiche Plan von 1941 mit aktuellem Plan. Abgerufen am 30. April 2021.
  23. Thieme, Walter, Pfarrer. In: Berliner Adreßbuch, 1943, Teil I, S. 3056. „An der Heerstraße 15“.
  24. StA Charlottenburg von Berlin, Sterbeurkunde Nr. 236/1945
  25. StA Charlottenburg von Berlin, Sterbeurkunde Nr. 237/1945
  26. Abbildung der damaligen Grabstätte in: Max Dietrich: Fünfundsiebzig Jahre Berliner Stadtmission 1877. 9. März 1952. Herausgegeben von der Berliner Stadtmission, Berlin 1952, S. 59.
  27. Paul Gerhardt Möller, in: Siegfried Dehmel (Red.): Gott liebt diese Stadt. 100 Jahre Berliner Stadtmission. 1877–1977. Berliner Stadtmission, Berlin 1977, S. 105.
  28. Diakonissenhaus Friedenshort, Gedenkweg in Miechowice (Miechowitz), Polen