„Erbkrankheiten beim Adel“ – Versionsunterschied

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== Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Inzucht und Auftreten von Erbkrankheiten ==
== Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Inzucht und Auftreten von Erbkrankheiten ==


[[Inzucht beim Menschen|Inzucht]] kann bei Adeligen und Nicht-Adeligen „als Effekt geringer Größe oder starker Abgeschlossenheit einer Bevölkerung – etwa auf einer kleinen Insel, in einem Gebirgstal oder gar in einem sozialen Ghetto“ auftreten.<ref name="fas">[http://www.faz.net/aktuell/politik/verwandtenehen-darueber-spricht-und-forscht-man-nicht-1655064.html ''Darüber spricht (und forscht) man nicht.''] Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. Juni 2011</ref> Das Risiko, dass [[rezessiv]] vererbbare Krankheiten zum Ausbruch kommen, ist bei extremem [[Ahnenverlust|Ahnenschwund]] stark erhöht.
[[Inzucht beim Menschen|Inzucht]] kann bei Adeligen und Nicht-Adeligen „als Effekt geringer Größe oder starker Abgeschlossenheit einer Bevölkerung – etwa auf einer kleinen Insel, in einem Gebirgstal oder gar in einem sozialen Ghetto“ auftreten.<ref name="fas">{{Internetquelle | url=http://www.faz.net/aktuell/politik/verwandtenehen-darueber-spricht-und-forscht-man-nicht-1655064.html | titel=Darüber spricht (und forscht) man nicht | autor=Antje Schmelcher | werk=[[Frankfurter Allgemeine Zeitung#FAZ.NET|FAZ.net]] | datum=2011-06-06 |zugriff=2015-01-09}}</ref> Das Risiko, dass [[rezessiv]] vererbbare Krankheiten zum Ausbruch kommen, ist bei extremem [[Ahnenverlust|Ahnenschwund]] stark erhöht.


Der Schauspieler und Schriftsteller [[Gregor von Rezzori]] (1914-1998) schrieb in einem 1962 veröffentlichten Buch u.a.:<ref>Gregor von Rezzori, Idiotenführer durch die Deutsche Gesellschaft, Band 1: Hochadel; Band 2: Adel. Rowohlt Verlag (1962)</ref>
Der Schauspieler und Schriftsteller [[Gregor von Rezzori]] (1914-1998) schrieb in einem 1962 veröffentlichten Buch u.a.:<ref>Gregor von Rezzori: ''Idiotenführer durch die Deutsche Gesellschaft.'' Band 1: Hochadel; Band 2: Adel. Rowohlt Verlag (1962)</ref>


{{Zitat|Der Adel weist zweifellos mehr Degenerations-Erscheinungen auf als zum paradoxen Beispiel der Hochadel. Aber Fürsten reisten eben mehr. Sie holten sich ihre Frauen bisweilen auch aus einem andern Lande. Auch ist der hohe Adel in der Mehrzahl katholisch, wurde also durch die kanonischen Ehegesetze, die Heiraten zwischen eng Blutsverwandten verbieten, vor dem Schlimmsten bewahrt. Der alte landansässige kleine Adel indes war auf die Nachbarschaft verwiesen, mit der er schon durch die Jahrhunderte hin blutsverwandt gewesen war. Aber über Prognathie und sonderbare Schädelformen, Plattfüße, die sehr verbreitet sind, Charakterköpfe schon in früher Jugend und ähnliche harmlose Verbildungen geht selbst beim kleinen Adel die Auswirkung der großen Inzucht nicht hinaus. Gewiß, es ist wohl zu vermuten, daß Vetter und Cousine, die denselben Blödian zum Großvater haben, wenn sie miteinander copulieren, eher einen gleichen Blödian als ein Genie zur Welt bringen werden. Indes, auch da können sich Rechenfehler einschleichen. Und ist auch der Prozentsatz an Blödianen im Adel sehr hoch, so doch nicht höher als im gemeinen Volke. Das adelige Milieu, in jedem Fall, war stets und ist auch heute noch von einem scharfen Zusatz Pferdedunst gekennzeichnet.}}
{{Zitat|Der Adel weist zweifellos mehr Degenerations-Erscheinungen auf als zum paradoxen Beispiel der Hochadel. Aber Fürsten reisten eben mehr. Sie holten sich ihre Frauen bisweilen auch aus einem andern Lande. Auch ist der hohe Adel in der Mehrzahl katholisch, wurde also durch die kanonischen Ehegesetze, die Heiraten zwischen eng Blutsverwandten verbieten, vor dem Schlimmsten bewahrt. Der alte landansässige kleine Adel indes war auf die Nachbarschaft verwiesen, mit der er schon durch die Jahrhunderte hin blutsverwandt gewesen war. Aber über Prognathie und sonderbare Schädelformen, Plattfüße, die sehr verbreitet sind, Charakterköpfe schon in früher Jugend und ähnliche harmlose Verbildungen geht selbst beim kleinen Adel die Auswirkung der großen Inzucht nicht hinaus. Gewiß, es ist wohl zu vermuten, daß Vetter und Cousine, die denselben Blödian zum Großvater haben, wenn sie miteinander copulieren, eher einen gleichen Blödian als ein Genie zur Welt bringen werden. Indes, auch da können sich Rechenfehler einschleichen. Und ist auch der Prozentsatz an Blödianen im Adel sehr hoch, so doch nicht höher als im gemeinen Volke. Das adelige Milieu, in jedem Fall, war stets und ist auch heute noch von einem scharfen Zusatz Pferdedunst gekennzeichnet.}}
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{{Zitat|Schon im Mittelalter führten die Kreuzzüge viele Ritter in ferne Länder, in der Frühen Neuzeit gingen zahlreiche junge Edelleute auf Kavalierstour. Adelige dienten als Offiziere, aber auch als zivile Amtsträger fremden Fürsten – nicht nur wenn sie sich aufgrund der politischen Verhältnisse in ihrer Heimat zur Emigration veranlasst sahen. Da Adel grundsätzlich Zutritt bei Adel hatte, entstanden so vielfältige Kontakte, die zu Ehen führen konnten.}}
{{Zitat|Schon im Mittelalter führten die Kreuzzüge viele Ritter in ferne Länder, in der Frühen Neuzeit gingen zahlreiche junge Edelleute auf Kavalierstour. Adelige dienten als Offiziere, aber auch als zivile Amtsträger fremden Fürsten – nicht nur wenn sie sich aufgrund der politischen Verhältnisse in ihrer Heimat zur Emigration veranlasst sahen. Da Adel grundsätzlich Zutritt bei Adel hatte, entstanden so vielfältige Kontakte, die zu Ehen führen konnten.}}


Der [[Historiker]] David Sabean<ref>[http://www.history.ucla.edu/people/faculty/faculty-1/faculty-1?lid=60 Homepage]</ref> wies 2010 darauf hin, dass Heiraten mit Cousinen und Cousins ersten oder zweiten Grades in Europa zwischen 1740 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gesellschaften in den besitzenden Bevölkerungsgruppen, also von Bauern über Bürgerliche bis hin zum Adel, sehr häufig waren.<ref>David Warren Sabean: [http://science.orf.at/stories/1647353/ ''Vom Wandel des Inzests'']. Online auf: Science.orf.at, Kulturanthropologie, 17. Mai 2010, abgerufen am 9. März 2013.</ref>
Der [[Historiker]] David Sabean<ref>{{Internetquelle|url=http://www.history.ucla.edu/people/faculty/faculty-1/faculty-1?lid=60 |titel=Welcome to UCLA's History Department: David Warren Sabean |autor= |werk=history.ucla.edu |datum= |zugriff=2015-01-09}}</ref> wies 2010 darauf hin, dass Heiraten mit Cousinen und Cousins ersten oder zweiten Grades in Europa zwischen 1740 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gesellschaften in den besitzenden Bevölkerungsgruppen, also von Bauern über Bürgerliche bis hin zum Adel, sehr häufig waren.<ref>David Warren Sabean: [http://science.orf.at/stories/1647353/ ''Vom Wandel des Inzests'']. Online auf: Science.orf.at, Kulturanthropologie, 17. Mai 2010, abgerufen am 9. März 2013.</ref>


Der [[Genealoge]] ''Hans Peter Stamp'' untersuchte 12.531 europäische, vor allem hochadelige Vollgeschwistergruppen aus 17 Jahrhunderten und kam im Jahre 1999 zu dem Schluss, dass selbst bei dieser Untergruppe des Adels stärkere Inzucht „eher die Ausnahme und nicht der Regelfall“ sei. „Von den 12531 Gruppen hatten 10587 einen [[Inzuchtkoeffizient]]en von weniger als 1 %, eine Mehrheit von ihnen sogar 0 %.“<ref>Dr. Hans Peter Stamp: [http://www.drstamp.de/inzucht/index.html ''Inzucht im europäischen Adel, 12531 Vollgeschwistergruppen im Test.''] Abgerufen am 26.&nbsp;Mai 2011.</ref>
Der [[Genealoge]] ''Hans Peter Stamp'' untersuchte 12.531 europäische, vor allem hochadelige Vollgeschwistergruppen aus 17 Jahrhunderten und kam im Jahre 1999 zu dem Schluss, dass selbst bei dieser Untergruppe des Adels stärkere Inzucht „eher die Ausnahme und nicht der Regelfall“ sei. „Von den 12531 Gruppen hatten 10587 einen [[Inzuchtkoeffizient]]en von weniger als 1 %, eine Mehrheit von ihnen sogar 0 %.“<ref>Hans Peter Stamp: [http://www.drstamp.de/inzucht/index.html ''Inzucht im europäischen Adel, 12531 Vollgeschwistergruppen im Test.''] Abgerufen am 26.&nbsp;Mai 2011.</ref>


Eine Studie unter der Leitung des [[Genetik]]ers Francisco Ceballo aus dem Jahr 2013 befasst sich mit der Theorie, dass es in den Jahren 1450 bis 1800 trotz Inzucht zu einer Reduktion der [[Inzuchtdepression]] kam („[[Purging]]“), weil viele der Betroffenen bereits im Kinder- und Säuglingsalter verstarben und somit nie selbst ein zeugungsfähiges Alter erreichten. Die Erkenntnisse der Studie belegen laut Ceballo, dass Purging die negativen Auswirkungen auf einige „fitness components“ durch Inzucht beseitigt haben könnte.<ref>Francisco Ceballos: Royal dynasties as human inbreeding laboratories: the Habsburgs (2013), veröffentlicht u.A. in Heredity, (10 April 2013) | doi:10.1038/hdy.2013.25</ref>
Eine Studie unter der Leitung des [[Genetik]]ers Francisco Ceballo aus dem Jahr 2013 befasst sich mit der Theorie, dass es in den Jahren 1450 bis 1800 trotz Inzucht zu einer Reduktion der [[Inzuchtdepression]] kam („[[Purging]]“), weil viele der Betroffenen bereits im Kinder- und Säuglingsalter verstarben und somit nie selbst ein zeugungsfähiges Alter erreichten. Die Erkenntnisse der Studie belegen laut Ceballo, dass Purging die negativen Auswirkungen auf einige „fitness components“ durch Inzucht beseitigt haben könnte.<ref>F. C. Ceballos, G. Alvarez: ''Royal dynasties as human inbreeding laboratories: the Habsburgs.'' In: ''Heredity.'' Band 111, Nummer 2, August 2013, {{ISSN|1365-2540}}, S.&nbsp;114–121, {{DOI|10.1038/hdy.2013.25}}. PMID 23572123. {{PMC|3716267}}.</ref>


== Hochadel ==
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== Haus Habsburg ==
== Haus Habsburg ==


Eine Studie unter der Leitung des [[Genetik]]ers Gonzalo Alvarez, Santiago de Compostela, aus dem Jahre 2008 befasste sich mit der historischen Hypothese, dass Inzucht der Grund für das Aussterben der spanischen Habsburger (1516–1700) gewesen sei und kam nach der Untersuchung von mehr als 3000 Individuen aus 16 Generationen zu dem Ergebnis, dass der Inzuchtkoeffizient der spanischen Habsburger von 0,025 für König [[Philipp I. (Kastilien)|Philipp I.]], dem Begründer der Dynastie, auf 0,254 für [[Karl II. (Spanien)|Karl II.]] immer weiter anstieg und dass gegen Ende der Dynastie mehrere Mitglieder einen Inzuchtkoeffizienten von über 0,20 hatten.<ref name="alvarez">Gonzalo Alvarez: The Role of Inbreeding in the Extinction of a European Royal Dynasty (2009), veröffentlicht u.A. in PLoS ONE 4(4): e5174. doi:10.1371/journal.pone.0005174</ref>
Eine Studie unter der Leitung des [[Genetik]]ers Gonzalo Alvarez, Santiago de Compostela, aus dem Jahre 2008 befasste sich mit der historischen Hypothese, dass Inzucht der Grund für das Aussterben der spanischen Habsburger (1516–1700) gewesen sei und kam nach der Untersuchung von mehr als 3000 Individuen aus 16 Generationen zu dem Ergebnis, dass der Inzuchtkoeffizient der spanischen Habsburger von 0,025 für König [[Philipp I. (Kastilien)|Philipp I.]], dem Begründer der Dynastie, auf 0,254 für [[Karl II. (Spanien)|Karl II.]] immer weiter anstieg und dass gegen Ende der Dynastie mehrere Mitglieder einen Inzuchtkoeffizienten von über 0,20 hatten.<ref name="alvarez">G. Alvarez, F. C. Ceballos, C. Quinteiro: ''The role of inbreeding in the extinction of a European royal dynasty.'' In: ''PloS one.'' Band 4, Nummer 4, 2009, {{ISSN|1932-6203}}, S.&nbsp;e5174, {{DOI|10.1371/journal.pone.0005174}}. PMID 19367331. {{PMC|2664480}}.</ref>
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Alvarez kam zu dem Ergebnis, dass dieser hohe Inzuchtkoeffizient nicht nur für das äußere Erscheinungsbild der Vertreter dieser Linie der Habsburger (unter anderem „[[Habsburger Lippe]]“) verantwortlich war sondern auch für [[Unfruchtbarkeit]] und eine erhöhte [[Mortalität]]; letztendlich verantwortlich für das endgültige Aussterben der spanischen Habsburger war laut der Studie das „Zusammentreffen“ von zwei Erbkrankheiten bei [[Karl II. (Spanien)|Karl II.]]<ref name="alvarez" /> Karl verstarb ohne Kinder; es folgte der [[Spanischer Erbfolgekrieg|Spanische Erbfolgekrieg]].
Alvarez kam zu dem Ergebnis, dass dieser hohe Inzuchtkoeffizient nicht nur für das äußere Erscheinungsbild der Vertreter dieser Linie der Habsburger (unter anderem „[[Habsburger Lippe]]“) verantwortlich war sondern auch für [[Unfruchtbarkeit]] und eine erhöhte [[Mortalität]]; letztendlich verantwortlich für das endgültige Aussterben der spanischen Habsburger war laut der Studie das „Zusammentreffen“ von zwei Erbkrankheiten bei [[Karl II. (Spanien)|Karl II.]]<ref name="alvarez" /> Karl verstarb ohne Kinder; es folgte der [[Spanischer Erbfolgekrieg|Spanische Erbfolgekrieg]].
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[[Leopold, 1. Duke of Albany|Leopold]] (1853–1884), Sohn von [[Victoria (Vereinigtes Königreich)|Königin Victoria von Großbritannien]] und [[Albert von Sachsen-Coburg und Gotha|Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha]], war der erste Angehörige der [[Britische Königsfamilie|Britischen Königsfamilie]], der von der [[Bluterkrankheit]], hier Hämophilie B, betroffen war.
[[Leopold, 1. Duke of Albany|Leopold]] (1853–1884), Sohn von [[Victoria (Vereinigtes Königreich)|Königin Victoria von Großbritannien]] und [[Albert von Sachsen-Coburg und Gotha|Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha]], war der erste Angehörige der [[Britische Königsfamilie|Britischen Königsfamilie]], der von der [[Bluterkrankheit]], hier Hämophilie B, betroffen war.


Fälle gab es auch im [[Haus Hessen]]. Der Zarensohn [[Alexei Nikolajewitsch Romanow|Alexej]] (1904–1918) war Bluter. [[Alfons Pius de Borbón|Alfons]] (1907–1938) und [[Gonzalo Manuel de Borbón y Battenberg|Gonzalo]] (1914–1934), Söhne des spanischen Königs [[Alfons XIII. (Spanien)|Alfons XIII.]], litten ebenso unter Hämophilie. Betroffen waren die preußischen Prinzen [[Waldemar von Preußen (1889–1945)|Waldemar]] (1889–1945) und sein Bruder Heinrich Viktor Ludwig Friedrich (1900–1904). Grund ist eine Spontanmutation, die vermutlich auf [[Königin Victoria]] zurückgeht.<ref>Spiegel ([http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43364541.html online])</ref>
Fälle gab es auch im [[Haus Hessen]]. Der Zarensohn [[Alexei Nikolajewitsch Romanow|Alexej]] (1904–1918) war Bluter. [[Alfons Pius de Borbón|Alfons]] (1907–1938) und [[Gonzalo Manuel de Borbón y Battenberg|Gonzalo]] (1914–1934), Söhne des spanischen Königs [[Alfons XIII. (Spanien)|Alfons XIII.]], litten ebenso unter Hämophilie. Betroffen waren die preußischen Prinzen [[Waldemar von Preußen (1889–1945)|Waldemar]] (1889–1945) und sein Bruder Heinrich Viktor Ludwig Friedrich (1900–1904). Grund ist eine Spontanmutation, die vermutlich auf [[Königin Victoria]] zurückgeht.<ref name="spiegel-43364541">{{Der Spiegel|ID=43364541 |Titel=Viktorianisches Leiden |Autor= |Jahr=1961 |Nr=25 |Datum=14.&nbsp;Juni 1961 |Seiten=}}</ref>


Hämophilie B ist eine X-chromosomal vererbbare Erkrankung und hängt nicht mit einem [[Ahnenverlust|Ahnenimplex]] zusammen.
Hämophilie B ist eine X-chromosomal vererbbare Erkrankung und hängt nicht mit einem [[Ahnenverlust|Ahnenimplex]] zusammen.
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== Porphyrie ==
== Porphyrie ==


Macalpine und Hunter vermuteten 1966, [[Georg III. (Vereinigtes Königreich)|George III.]] habe unter der Erbkrankheit [[Porphyrie]] gelitten, die die Häuser [[Haus Stuart|Stuart]], [[Haus Hannover|Hannover]] und [[Haus Preußen|Preußen]] betroffen hätten.<ref>{{Cite journal|author=Macalpine I, Hunter R |title=The "insanity" of King George 3d: a classic case of porphyria |journal=[[Br Med J]] |volume=1 |issue=5479 |pages=65–71 |year=1966 |month=January |pmid=5323262 |pmc=1843211 |doi= 10.1136/bmj.1.5479.65|url=}}</ref><ref>{{Cite journal|author=Macalpine I, Hunter R, Rimington C |title=Porphyria in the royal houses of Stuart, Hanover, and Prussia. A follow-up study of George 3d's illness |journal=Br Med J |volume=1 |issue=5583 |pages=7–18 |year=1968 |month=January |pmid=4866084 |pmc=1984936 |doi= 10.1136/bmj.1.5583.7|url=}}</ref> Zumindest bei seinem Nachfahren [[Wilhelm von Gloucester]] wurde diese Krankheit in der Ausprägung [[Porphyria variegata]] nachgewiesen.<ref>http://books.google.com/books?id=OckqbM7hcGAC&pg=PA21</ref><ref name="Macalpine">{{cite journal |author=Macalpine I, Hunter R| year=1966 |title=The "Insanity" of King George III: a Classic Case of Porphyria |journal=[[British Medical Journal]] |volume=1 |issue=5479 |pages=65–71 |doi=10.1136/bmj.1.5479.65 |url=http://www.bmj.com/content/1/5479/65.full.pdf |accessdate=2011-04-28 |pmid=5323262 |pmc=1843211}}</ref>
Macalpine und Hunter vermuteten 1966, [[Georg III. (Vereinigtes Königreich)|George III.]] habe unter der Erbkrankheit [[Porphyrie]] gelitten, die die Häuser [[Haus Stuart|Stuart]], [[Haus Hannover|Hannover]] und [[Haus Preußen|Preußen]] betroffen hätten.<ref name="Macalpine">I. Macalpine, R. Hunter: ''The "insanity" of King George 3d: a classic case of porphyria.'' In: ''British medical journal.'' Band 1, Nummer 5479, Januar 1966, {{ISSN|0007-1447}}, S.&nbsp;65–71, PMID 5323262. {{PMC|1843211}}.</ref>
</ref><ref>{{Cite journal|author=Macalpine I, Hunter R, Rimington C |title=Porphyria in the royal houses of Stuart, Hanover, and Prussia. A follow-up study of George 3d's illness |journal=Br Med J |volume=1 |issue=5583 |pages=7–18 |year=1968 |month=January |pmid=4866084 |pmc=1984936 |doi= 10.1136/bmj.1.5583.7|url=}}</ref> Zumindest bei seinem Nachfahren [[Wilhelm von Gloucester]] wurde diese Krankheit in der Ausprägung [[Porphyria variegata]] nachgewiesen.<ref name="books-OckqbM7hcGAC-21">Martin Warren: ''Tetrapyrroles.'' Springer Science & Business Media, 2009, ISBN 978-0-387-78518-9, S.&nbsp;21 ({{Google Buch|BuchID=OckqbM7hcGAC|Seite=21}}).</ref><ref name="Macalpine" />


== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 9. Januar 2015, 20:50 Uhr

Erbkrankheiten beim Adel gehören zu Erscheinungen, die in einigen Stammbäumen des Adels nachgewiesen sind. Sie sind auch Gegenstand einzelner wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei spielen die Endogamie im Adel und Verwandtenheirat eine gewisse Rolle.

Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Inzucht und Auftreten von Erbkrankheiten

Inzucht kann bei Adeligen und Nicht-Adeligen „als Effekt geringer Größe oder starker Abgeschlossenheit einer Bevölkerung – etwa auf einer kleinen Insel, in einem Gebirgstal oder gar in einem sozialen Ghetto“ auftreten.[1] Das Risiko, dass rezessiv vererbbare Krankheiten zum Ausbruch kommen, ist bei extremem Ahnenschwund stark erhöht.

Der Schauspieler und Schriftsteller Gregor von Rezzori (1914-1998) schrieb in einem 1962 veröffentlichten Buch u.a.:[2]

„Der Adel weist zweifellos mehr Degenerations-Erscheinungen auf als zum paradoxen Beispiel der Hochadel. Aber Fürsten reisten eben mehr. Sie holten sich ihre Frauen bisweilen auch aus einem andern Lande. Auch ist der hohe Adel in der Mehrzahl katholisch, wurde also durch die kanonischen Ehegesetze, die Heiraten zwischen eng Blutsverwandten verbieten, vor dem Schlimmsten bewahrt. Der alte landansässige kleine Adel indes war auf die Nachbarschaft verwiesen, mit der er schon durch die Jahrhunderte hin blutsverwandt gewesen war. Aber über Prognathie und sonderbare Schädelformen, Plattfüße, die sehr verbreitet sind, Charakterköpfe schon in früher Jugend und ähnliche harmlose Verbildungen geht selbst beim kleinen Adel die Auswirkung der großen Inzucht nicht hinaus. Gewiß, es ist wohl zu vermuten, daß Vetter und Cousine, die denselben Blödian zum Großvater haben, wenn sie miteinander copulieren, eher einen gleichen Blödian als ein Genie zur Welt bringen werden. Indes, auch da können sich Rechenfehler einschleichen. Und ist auch der Prozentsatz an Blödianen im Adel sehr hoch, so doch nicht höher als im gemeinen Volke. Das adelige Milieu, in jedem Fall, war stets und ist auch heute noch von einem scharfen Zusatz Pferdedunst gekennzeichnet.“

Der Historiker Walter Demel schrieb 2005, der Adel habe sich „durch ein hohes Maß an geographischer Mobilität“ ausgezeichnet:[3]

„Schon im Mittelalter führten die Kreuzzüge viele Ritter in ferne Länder, in der Frühen Neuzeit gingen zahlreiche junge Edelleute auf Kavalierstour. Adelige dienten als Offiziere, aber auch als zivile Amtsträger fremden Fürsten – nicht nur wenn sie sich aufgrund der politischen Verhältnisse in ihrer Heimat zur Emigration veranlasst sahen. Da Adel grundsätzlich Zutritt bei Adel hatte, entstanden so vielfältige Kontakte, die zu Ehen führen konnten.“

Der Historiker David Sabean[4] wies 2010 darauf hin, dass Heiraten mit Cousinen und Cousins ersten oder zweiten Grades in Europa zwischen 1740 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gesellschaften in den besitzenden Bevölkerungsgruppen, also von Bauern über Bürgerliche bis hin zum Adel, sehr häufig waren.[5]

Der Genealoge Hans Peter Stamp untersuchte 12.531 europäische, vor allem hochadelige Vollgeschwistergruppen aus 17 Jahrhunderten und kam im Jahre 1999 zu dem Schluss, dass selbst bei dieser Untergruppe des Adels stärkere Inzucht „eher die Ausnahme und nicht der Regelfall“ sei. „Von den 12531 Gruppen hatten 10587 einen Inzuchtkoeffizienten von weniger als 1 %, eine Mehrheit von ihnen sogar 0 %.“[6]

Eine Studie unter der Leitung des Genetikers Francisco Ceballo aus dem Jahr 2013 befasst sich mit der Theorie, dass es in den Jahren 1450 bis 1800 trotz Inzucht zu einer Reduktion der Inzuchtdepression kam („Purging“), weil viele der Betroffenen bereits im Kinder- und Säuglingsalter verstarben und somit nie selbst ein zeugungsfähiges Alter erreichten. Die Erkenntnisse der Studie belegen laut Ceballo, dass Purging die negativen Auswirkungen auf einige „fitness components“ durch Inzucht beseitigt haben könnte.[7]

Hochadel

Beim europäischen dynastischen Hochadel bestanden restriktive Heiratsregeln. Das überzogene Gebot der Ebenbürtigkeit und eine über Familienbeziehungen betriebene Außenpolitik sollten dabei helfen, politischen Einfluss und ökonomische Potenz innerhalb der Familie zu bewahren. Zudem durften lange Zeit Ehen nur innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft geschlossen werden, so dass zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert mehr oder weniger geschlossene katholische, lutherische und reformierte „Heiratszirkel“ existierten. Ideologisch wurden diese restriktiven Heiratsregeln durch den Glauben an eine „göttliche Kraft“ „guten Blutes“ überhöht, die, so meinte man, durch Eheschließung und Fortpflanzung mit Inhabern gleichen oder gleichrangigen „edlen“ Geblütes verstärkt werde. Auf diese auch vom Volk geglaubte Ideologie gehen heute noch benutzte Ausdrücke wie „von adeligem Geblüt“ oder von „blauem Blut“ zurück.

Das kanonische Recht der katholischen Kirche verbot zwar Eheschließungen zwischen engen Verwandten; sie machte jedoch bei Angehörigen des Hochadels fast immer von ihrer Prärogative einer Ausnahmegenehmigung (Päpstlicher Dispens) Gebrauch und hob das Ehehindernis auf.

Die bekanntesten unter dem europäischen Hochadel verbreiteten Erbkrankheiten sind die Hämophilie (Bluterkrankheit)[8] und die geistige Behinderung. Die hohe Zahl von Ehen im engen und engsten Verwandtschaftskreis wird als Ursache für das Aussterben einiger großer europäischer Dynastien (insbesondere des spanischen Zweiges des Hauses Habsburg) angenommen.[9]

Haus Habsburg

Eine Studie unter der Leitung des Genetikers Gonzalo Alvarez, Santiago de Compostela, aus dem Jahre 2008 befasste sich mit der historischen Hypothese, dass Inzucht der Grund für das Aussterben der spanischen Habsburger (1516–1700) gewesen sei und kam nach der Untersuchung von mehr als 3000 Individuen aus 16 Generationen zu dem Ergebnis, dass der Inzuchtkoeffizient der spanischen Habsburger von 0,025 für König Philipp I., dem Begründer der Dynastie, auf 0,254 für Karl II. immer weiter anstieg und dass gegen Ende der Dynastie mehrere Mitglieder einen Inzuchtkoeffizienten von über 0,20 hatten.[9] </ref>

Alvarez kam zu dem Ergebnis, dass dieser hohe Inzuchtkoeffizient nicht nur für das äußere Erscheinungsbild der Vertreter dieser Linie der Habsburger (unter anderem „Habsburger Lippe“) verantwortlich war sondern auch für Unfruchtbarkeit und eine erhöhte Mortalität; letztendlich verantwortlich für das endgültige Aussterben der spanischen Habsburger war laut der Studie das „Zusammentreffen“ von zwei Erbkrankheiten bei Karl II.[9] Karl verstarb ohne Kinder; es folgte der Spanische Erbfolgekrieg.

Bluterkrankheit im britischen Königshaus

Leopold (1853–1884), Sohn von Königin Victoria von Großbritannien und Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, war der erste Angehörige der Britischen Königsfamilie, der von der Bluterkrankheit, hier Hämophilie B, betroffen war.

Fälle gab es auch im Haus Hessen. Der Zarensohn Alexej (1904–1918) war Bluter. Alfons (1907–1938) und Gonzalo (1914–1934), Söhne des spanischen Königs Alfons XIII., litten ebenso unter Hämophilie. Betroffen waren die preußischen Prinzen Waldemar (1889–1945) und sein Bruder Heinrich Viktor Ludwig Friedrich (1900–1904). Grund ist eine Spontanmutation, die vermutlich auf Königin Victoria zurückgeht.[10]

Hämophilie B ist eine X-chromosomal vererbbare Erkrankung und hängt nicht mit einem Ahnenimplex zusammen.

Porphyrie

Macalpine und Hunter vermuteten 1966, George III. habe unter der Erbkrankheit Porphyrie gelitten, die die Häuser Stuart, Hannover und Preußen betroffen hätten.[11] </ref>[12] Zumindest bei seinem Nachfahren Wilhelm von Gloucester wurde diese Krankheit in der Ausprägung Porphyria variegata nachgewiesen.[13][11]

Literatur

  • Hans-Joachim Neumann: Erbkrankheiten in europäischen Fürstenhäusern: Habsburg, Hohenzollern, Romanow, Welfen, Wettiner, Bourbonen. Bechtermünz, 2002

Einzelnachweise

  1. Antje Schmelcher: Darüber spricht (und forscht) man nicht. In: FAZ.net. 6. Juni 2011, abgerufen am 9. Januar 2015.
  2. Gregor von Rezzori: Idiotenführer durch die Deutsche Gesellschaft. Band 1: Hochadel; Band 2: Adel. Rowohlt Verlag (1962)
  3. Walter Demel: Die Spezifika des europäischen Adels. Erste Überlegungen zu einem globalhistorischen Thema: „Ständischer Adel“ In: Zeitenblicke 9, Nr. 3/2005, 13. Dezember 2005. Abgerufen am 26. Mai 2011.
  4. Welcome to UCLA's History Department: David Warren Sabean. In: history.ucla.edu. Abgerufen am 9. Januar 2015.
  5. David Warren Sabean: Vom Wandel des Inzests. Online auf: Science.orf.at, Kulturanthropologie, 17. Mai 2010, abgerufen am 9. März 2013.
  6. Hans Peter Stamp: Inzucht im europäischen Adel, 12531 Vollgeschwistergruppen im Test. Abgerufen am 26. Mai 2011.
  7. F. C. Ceballos, G. Alvarez: Royal dynasties as human inbreeding laboratories: the Habsburgs. In: Heredity. Band 111, Nummer 2, August 2013, ISSN 1365-2540, S. 114–121, doi:10.1038/hdy.2013.25. PMID 23572123. PMC 3716267 (freier Volltext).
  8. DNA Identification Of Czar’s Children Available. ScienceDaily, 27. Februar 2009, abgerufen am 21. Juni 2013.
  9. a b c G. Alvarez, F. C. Ceballos, C. Quinteiro: The role of inbreeding in the extinction of a European royal dynasty. In: PloS one. Band 4, Nummer 4, 2009, ISSN 1932-6203, S. e5174, doi:10.1371/journal.pone.0005174. PMID 19367331. PMC 2664480 (freier Volltext).
  10. Viktorianisches Leiden. In: Der Spiegel. Nr. 25, 1961 (online).
  11. a b I. Macalpine, R. Hunter: The "insanity" of King George 3d: a classic case of porphyria. In: British medical journal. Band 1, Nummer 5479, Januar 1966, ISSN 0007-1447, S. 65–71, PMID 5323262. PMC 1843211 (freier Volltext).
  12. Macalpine I, Hunter R, Rimington C: Porphyria in the royal houses of Stuart, Hanover, and Prussia. A follow-up study of George 3d's illness. In: Br Med J. 1. Jahrgang, Nr. 5583, Januar 1968, S. 7–18, doi:10.1136/bmj.1.5583.7, PMID 4866084, PMC 1984936 (freier Volltext).
  13. Martin Warren: Tetrapyrroles. Springer Science & Business Media, 2009, ISBN 978-0-387-78518-9, S. 21 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).