Anita Augspurg

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Anita Augspurg, Fotografie des
Atelier Elvira, München 1902
Anita Augspurg (unten rechts) auf einem Kongress in London, 1909

Anita Augspurg (* 22. September 1857 in Verden (Aller); † 20. Dezember 1943 in Zürich) war eine deutsche Juristin, Aktivistin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung sowie Pazifistin.

Leben

Die Tochter eines Anwalts arbeitete bis zur Volljährigkeit in der Kanzlei ihres Vaters. In Berlin absolvierte sie eine Ausbildung für das Lehramt an höheren Mädchenschulen und nahm parallel Schauspielunterricht. Von 1881 bis 1882 gehörte sie als Elevin zum Ensemble des Meininger Hoftheaters und nahm an den Gastspielreisen der Meininger teil.

Nach einer fünfjährigen Tätigkeit als Schauspielerin ging sie mit ihrer Freundin Sophia Goudstikker nach München, um sich dort gemeinsam als Fotografinnen ausbilden zu lassen. Im Jahr 1887 eröffneten sie ein Fotostudio, das Hofatelier Elvira. 1892 war Augspurg in der Veterinärstr. 5 gemeldet.[1] Die beiden Frauen galten mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren öffentlichen Bekenntnissen für den Kampf der Frauenbefreiung und ihrem freien Lebensstil als zwei auffällige Erscheinungen ihrer Zeit. Aufgrund ihres ungewöhnlichen Äußeren war Augspurg zeitlebens weit mehr als andere Persönlichkeiten der Frauenbewegung persönlichen Angriffen von Antifeministen ausgesetzt. Durch Augspurgs Kontakte zur Bühne wurde das Fotoatelier in München sehr schnell bekannt, so dass schließlich gar die bayerische Königsfamilie zu den Kunden gehörte.

Augspurg und ihre Gefährtinnen vom Verband für Frauenstimmrecht, von links nach rechts: Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker, Fotografie des Atelier Elvira, München um 1896

Spätestens 1891 begann Augspurg, sich in der Frauenbewegung zu engagieren und übte sich als öffentliche Rednerin. Ihr Einsatz für Frauenrechte war auch der Grund, warum sie sich nach mehreren Jahren erfolgreicher Arbeit für ein Jurastudium entschied. Sie übersiedelte nach Zürich, weil Frauen in Deutschland noch keinen gleichberechtigten Zugang zu den Universitäten erhielten. Neben Rosa Luxemburg zählte sie dort zu den Mitbegründerinnen des „Internationalen Studentinnenvereins“. Sie schloss ihr Studium mit einer Doktorarbeit ab und war somit die erste promovierte Juristin des Deutschen Kaiserreichs.

Anita Augspurg engagierte sich um die Jahrhundertwende in Berlin für die Rechte der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch: Sie brachte gemeinsam mit ihren politischen Freundinnen Minna Cauer und Marie Raschke Petitionen zum neuen Ehe- und Familienrecht ein, die nur zum Teil Wirkung zeigten. Aufsehen erregte Augspurgs „Offener Brief“ von 1905, in dem sie wegen des damals geltenden patriarchalen Eherechts zur Eingehung „freier Ehen“ unter Verweigerung der staatlichen Eheschließung aufrief. Dies wurde als Aufruf zum „Eheboykott“ gedeutet und löste damals einen Sturm der Entrüstung aus.

Während dieser Zeit trennten sich die radikalen von den konservativen Frauenvereinen; die radikalen Frauen betrachteten das Frauenwahlrecht als vorrangiges Ziel. Augspurg und ihre aus Hamburg stammende Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann engagierten sich gemeinsam im Vorstand des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine. Sie gründeten in Hamburg (1902) den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht und 1907 den Bayerischen Landesverein für Frauenstimmrecht. Ab 1907 gab Anita Augspurg außerdem die Zeitschrift für Frauenstimmrecht heraus, ab 1919 die Zeitschrift Die Frau im Staat, in der feministische, radikaldemokratische und pazifistische Positionen vertreten wurden.

Im Ersten Weltkrieg nahmen Augspurg und Heymann an internationalen Frauen-Friedenskonferenzen teil und hielten illegale Versammlungen in ihrer Münchner Wohnung ab.[2] Gemeinsam mit weiteren Pazifistinnen wie Frida Perlen aus Stuttgart verbreiteten sie Flugschriften gegen den Krieg. Sie waren an der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) beteiligt; Heymann wurde dort Vizepräsidentin. Aufgrund der gemeinsamen pazifistischen Überzeugung bot sich die Zusammenarbeit mit den inzwischen von der SPD getrennten Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) an; die früheren Differenzen mit den sozialistischen Frauen um Clara Zetkin verloren an Bedeutung. Anita Augspurg kooperierte mit Kurt Eisner und wurde nach der Proklamation der Bayerischen Republik 1918 in München Mitglied des provisorischen bayerischen Parlaments. Bei den bald folgenden Wahlen kandidierte sie auf Listen der sozialistischen USPD, erlangte aber kein Mandat.

1933 konnte Augspurg wegen der Machtübernahme der NSDAP nicht von einer Winterreise zurückkehren, weil sie Repressalien befürchtete. Grund: Sie hatte bereits 1923 gemeinsam mit Heymann persönlich beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung beantragt. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt; ihre Aufzeichnungen gingen verloren. Sie lebte fortan gemeinsam mit Heymann im Schweizer Exil. Dort starb sie 1943 wenige Monate nach ihrer Lebensgefährtin, mit der sie mehr als vier Jahrzehnte zusammen gelebt hatte. Wie diese wurde sie auf dem Friedhof Fluntern in Zürich beigesetzt.

Werke

  • Ueber die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England. Knorr & Hirth, München 1898, zugleich: Dissertation, Zürich 1898

Ehrungen

Die Stadt München verleiht seit 1994 jährlich den mit 5100 € dotierten Anita-Augspurg-Preis zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen.[3] Von 2009 bis 2015 vergab die Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein-Westfalen jährlich den Augspurg-Heymann-Preis an couragierte Lesben zur Förderung der Sichtbarkeit von lesbischen Frauen. 2016 wurde nach Diskussion innerhalb des Netzwerkes über eugenisch argumentierende Textpassagen von Anita Augspurg der Name fallen gelassen.[4]

Seit dem Schuljahr 2013/2014 trägt die Städtische Anita-Augspurg-Berufsoberschule für die Ausbildungsrichtung Sozialwesen der Landeshauptstadt München den Namen von Anita Augspurg. Mit der Übernahme des Namens steht die Schulfamilie hinter den politischen und sozialen Zielen von Anita Augspurg.[5]

Literatur von Anita Augspurg

  • Rechtspolitische Schriften. Kommentierte Studienausgabe. Herausgegeben von Christiane Henke. (Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 16). Köln: Böhlau 2013.
  • Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Anita Augspurg, hrsg. von Margrit Twellmann: Erlebtes, Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden. Ulrike Helmer Verlag, Maisenheim am Glan 1972, 2. Auflage, Frankfurt/M. 1992, ISBN 3-927164-43-7 (Autobiographie von L. Heymann und A. Augspurg, geschrieben im Schweizer Exil).

Literatur über Anita Augspurg

  • Christiane Berneike: Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch Nomos VG, Baden-Baden 1995, ISBN 3-7890-3808-3, S. 44–66
  • Angela Dinghaus: Anita Augspurg (1857–1943): Das andere Denken. In: Angela Dinghaus (Hrsg.): Frauenwelten. Biographisch-historische Skizzen aus Niedersachsen. Hildesheim / Zürich / New York 1993, S. 193–209
  • Arne Duncker: Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700-1914. Böhlau, Köln 2003, ISBN 3-412-17302-9 (zu A. Augspurg: S. 359–361, 784-786, 936-950)
  • Christiane Henke: Anita Augspurg. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-50423-5
  • Susanne Kinnebrock: Anita Augspurg (1857–1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie. Centaurus, Herbolzheim 2005, ISSN 0933-0313. (Dazu die Rezension: Eric Neiseke: Über die „Öffentlichkeitsarbeiterin“ Anita Augspurg. In: Querelles-Net. Nummer 18, März 2006.)
  • Sonja Mosick: Anita Augspurg – Idealistin oder Realistin? Eine Analyse ihrer publizistischen Tätigkeit unter besonderer Berücksichtigung ihrer Sicht auf die Frauenfrage. Diplomarbeit, Universität Hildesheim, 1999
  • Augspurg, Anita. In: Sophie Pataky (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Band 1. Verlag Carl Pataky, Berlin 1898, S. 24 f. (literature.at).
  • Margarete Rothbarth: Augspurg, Anita Johanna Theodora Sophie. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 445 (Digitalisat).
  • Hiltrud Schroeder: „Übermächtig war das Gefühl, daß wir vereint sein müssen“. Anita Augspurg (1857–1943) und Lida Gustava Heymann (1868–1943). In: Luise F. Pusch, Joey Horsley (Hrsg.): Berühmte Frauenpaare. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2005, S. 96–136.

Weblinks

Commons: Anita Augspurg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Augspurg Anita photgr. Anstalt (Spez. Kinderaufnahmen) Veterinärstr. 5 Parterre im Gartenhaus. Siehe: [1], S. 11, Sp. 3, aufgerufen am 15. November 2015.
  2. Feministin und Friedenspolitikerin Anita Augspurg. In: Die Zeit, Nr. 8/2014.
  3. Verleihung und Preisvergabe des Anita Augspurg Preises (Memento vom 25. Dezember 2014 im Internet Archive)
  4. Vgl. http://www.augspurg-heymann-preis.de/
  5. Städtische Anita-Augspurg-Berufsoberschule - Ausbildungsrichtung Sozialwesen abgerufen am 16. Mai 2014