Fucosidose

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Klassifikation nach ICD-10
E77.1 Defekte beim Glykoproteinabbau (inkl. Fucosidose)
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Fucosidose, häufig auch Fukosidose geschrieben oder als α-L-Fucosidase-Mangel bezeichnet, ist eine sehr seltene autosomal-rezessiv vererbte lysosomale Speicherkrankheit aus der Gruppe der Oligosaccharidosen.

Ätiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei den von der Fucosidose betroffenen Patienten ist die Aktivität des Enzyms α-L-Fucosidase vermindert. Ursache für diesen Defekt sind Nonsense- oder Missense-Mutationen auf dem für α-L-Fucosidase kodierenden Gen (FUCA1), das sich auf Chromosom 1 Genlocus p34 befindet. Das Enzym katalysiert die Spaltung von L-Fucose und von Glycolipiden und Oligosacchariden, die Fucose enthalten. Das Substrat Fucose ist ein essenzielles Monosaccharid; genauer eine Hexose. Durch die verminderte Enzymaktivität reichert sich nicht metabolisierte Fucose oder fucosehaltige Verbindungen in den Zellen aller Geweben des Körpers an.[1] Diese Ansammlungen führen zu Schädigungen der Zelle und der betroffenen Organe.

Beim Menschen liegt auf Chromosom 2 ein Pseudogen von FUCA1 und auf Chromosom 6 das polymorphe FUCA2-Gen. Das Genprodukt von FUCA2 kontrolliert die Enzymaktivität im Blutserum und in Fibroblasten. Bisher wurden über 20 unterschiedliche Mutationen von FUCA1 gefunden, die eine Fucosidose auslösen können.[2]

Prävalenz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der α-L-Fucosidase-Mangel ist eine sehr seltene Erkrankung, deren Prävalenz etwa bei 1 : 1 Million liegt. Weltweit wurden bisher weniger als 100 Patienten beschrieben, von denen etwa 20 aus Süditalien in den Ortschaften Grotteria und Mammola im Bereich von Reggio Calabria stammen.[3] Eine weitere Patientenhäufung findet sich im Südwesten der Vereinigten Staaten in New Mexico und Colorado. Bei den bisher bekannten 45 betroffenen Familien besteht zu 40 % Blutsverwandtschaft. Die hohe Prävalenz in diesen Populationen lässt sich teilweise durch den Gründereffekt erklären.[2]

Symptomatik und Diagnostik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwei Verlaufsformen der Erkrankung werden unterschieden, deren Übergänge jedoch fließend sind. Der klinisch schwerere Typ 1 beginnt im Alter zwischen 3 und 18 Monaten. Typ 2 beginnt zwischen dem 12. und 24. Monat und ist durch einen weniger progressiven Krankheitsverlauf gekennzeichnet. Die Lebenserwartung bei Typ 2 ist höher als bei Patienten mit Typ 1.[4] Daneben wird ein dritter Typus der Erkrankung diskutiert, der bei zwei niederländischen Patienten beschrieben wurde. Es handelt sich um eine weniger stark ausgeprägte, mehr juvenile Form der Erkrankung, bei der keine Angiokeratome auftreten.[5]

Typische Symptome der Fucosidose sind Deformationen des Gesichts (Gesichtsdysmorphie) und Fehlbildungen des Skeletts, schwere geistige Retardierung, Krampfanfälle, Vergrößerung der Leber (Hepatomegalie), Milz (Splenomegalie) und des Herzens (Kardiomegalie). Daneben sind Gehörlosigkeit und Angiokeratome zu beobachten.[6]

Diagnostisch lässt sich die Fucosidose durch chromatografische Analyse des Urins der Patienten bestimmen. Die Aktivitätsbestimmung der α-L-Fucosidase in den Leukozyten kann im Labor den Befund absichern. Ein Gentest ist in den meisten Fällen nicht notwendig.

Therapie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die bisher einzige, nicht-symptomatische, Behandlung mit kurativem Ansatz ist die Knochenmarkstransplantation. Da bisher weltweit erst zehn Patienten so behandelt wurden, kann dieser Therapieansatz noch nicht abschließend beurteilt werden.[7] Die Methode wurde zuerst an Hunden erfolgreich erprobt.[8]

Prognose[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die ersten 1969 von Paolo Durand und Kollegen beschriebenen Patienten verstarben alle vor Erreichen des fünften Lebensjahrs.[9] In einer späteren Studie mit einer größeren Patientenzahlen verstarben dagegen nur 9 % der Patienten vor dem fünften Lebensjahr und 64 % erreichten die zweite Lebensdekade.[10]

Erstbeschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Fucosidose wurde erstmals 1966 von Paolo Durand und Kollegen bei zwei italienischen Kindern beschrieben und als lysosomale Speicherkrankheit erkannt.[11] H. Loeb und Kollegen stellten drei Jahre später den Mangel an aktiver α-L-Fucosidase als Ursache der Erkrankung fest.[12]

Veterinärmedizin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Veterinärmedizin ist die Canine Fucosidose eine vor allem beim English Springer Spaniel verbreitete Erbkrankheit.[13][14][15][16][17]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • G. Tiberio u. a.: Mutations in fucosidosis gene: a review. In: Acta Genet Med Gemellol (Roma), 44, 1995, S. 223–232. PMID 8739734 (Review)
  • H. Cragg u. a.: Fucosidosis: genetic and biochemical analysis of eight cases. In: J Med Genet, 34, 1997, S. 105–110; PMID 9039984; PMC 1050861 (freier Volltext).
  • P. Durand u. a.: A new glycolipid storage disease. In: Pediat Res 1, 1967, S. 416.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. P. Durand u. a.: Fucosidosis. (Letter) In: The Lancet, Band 291, 1968, S. 1198.
  2. a b P. J. Willems u. a.: Spectrum of mutations in fucosidosis. In: Eur. J. Hum. Genet., Band 7, 1999, S. 60–67. PMID 10094192.
  3. S. Sangiorgi et al.: Genetic and demographic characterization of a population with high incidence of fucosidosis. In: Hum. Hered., Band 32, 1982, S. 100–105. PMID 7095811.
  4. B. G. Kousseff et al.: Fucosidosis type 2. In: Pediatrics, Band 57, 1976, S. 205–213. PMID 814528.
  5. H. C. Schoonderwaldt et al.: Two patients with an unusual form of type II fucosidosis. In: Clin Genet., Band 18, 1980, S. 348–354. PMID 7460371.
  6. M. Zenker u. a.: Fukosidose bei zwei deutschen Patienten – Klinik und Molekulargenetik. In: Kinderheilkunde, 146, 1998, S. 323–327. doi:10.1007/s001120050276
  7. Fucosidose. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  8. R. M. Taylor u. a.: Enzyme replacement in nervous tissue after allogeneic bone-marrow transplantation for fucosidosis in dogs. In: The Lancet, 328, 1986, S. 772–774. PMID 2876234
  9. P. Durand u. a.: Fucosidosis. In: J Pediat, 75, 1969, S. 665–674. PMID 4241464
  10. P. J. Willems u. a.: Fucosidosis revisited: a review of 77 patients. In: Am J Med Genet, 38, 1991, S. 111–131. PMID 2012122 (Review)
  11. P. Durand u. a.: New mucopolysaccharide lipid-storage disease. In: The Lancet, 2, 1966, S. 1313–1314. doi:10.1016/S0140-6736(66)91718-1
  12. H. Loeb u. a.: Biochemical and ultrastructural studies in a case of mucopolysaccharidosis F (fucosidosis). In: Helv Paediat Acta, 24, 1969, S. 519–537. PMID 4247654
  13. B. J. Skelly u. a.: Genomic screening for fucosidosis in English Springer Spaniels. In: Am J Vet Res, 60, 1999, S. 726–729. PMID 10376901
  14. N. G. Holmes: A PCR-based diagnostic test for fucosidosis in English springer spaniels. In: Vet J, 155, 1998, S. 113–114. PMID 9564263
  15. M. O. Smith u. a.: Fucosidosis in a family of American-bred English Springer Spaniels. In: J Am Vet Med Assoc, 209, 1996, S. 2088–2090. PMID 8960193
  16. B. J. Skelly u. a.: The molecular defect underlying canine fucosidosis. In: J Med Genet, 33, 1996, S. 284–288; PMID 8730282; PMC 1050576 (freier Volltext).
  17. Canine Fucosidosis sesss.org; abgerufen am 22. Oktober 2009