Giralgeldschöpfung

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Durch die Giralgeldschöpfung (auch Buchgeldschöpfung) entsteht Giralgeld in Form von Sichteinlagen bei Banken, über das jederzeit z. B. per Scheck oder Überweisung verfügt werden kann, insofern Anspruch auf Zentralbankgeld darstellt und daher als derivates (abgeleitetes) Geld zu verstehen ist.

Aktive Giralgeldschöpfung („Aktiv-Passiv-Mehrung“)

Exkurs zu den Buchungszusammenhängen bei Kreditgewährung (im Gleichschritt)
Bilanzbilder zu Kreditgewährungen (Hans Gestrich 1936/2016)

Bei einzelwirtschaftlicher Betrachtung:

  1. Räumt eine Kreditbank einem Kunden Kredit ein, bucht sie dem Kreditnehmer auf seinem Kreditkonto die Kreditsumme gut. Damit entstehen der Kreditbank Verbindlichkeiten gegenüber dem Kreditnehmer (in der Bankbilanz eine Erhöhung der Position Sichtdepositen auf der Passivseite). Gleichzeitig bucht die Kreditbank in gleicher Höhe (monetäre) Forderungen gegenüber dem Kreditnehmer (Position Debitoren) auf der Vermögensseite ihrer Bilanz (Aktiva).
  2. Überweist der Kreditnehmer nun seine gutgeschriebene Kreditsumme an einen Empfänger, der sein Konto bei einer anderen Bank führt, verringern sich einerseits die Verbindlichkeiten der Kreditbank gegenüber dem Kreditnehmer, andererseits entsteht nun eine Verbindlichkeit an Zentralbankgeld (bzw. Verringerung des Notenbankguthabens) gegenüber der empfangenden Kreditbank. Innerhalb des täglichen Clearings müssen die offenen Salden (an Zentralbankgeld) unter den Kreditinstituten ausgeglichen werden.[1] In beispielhaftem Fall wird das Notenbankguthaben der kreditgewährenden Bank in der Höhe des vom Kreditnehmer transferierten Betrages zu Gunsten eines anderen Kreditinstitutes belastet.

Bei Kreditgewährung im Gleichschritt:

  • Im idealen Modellfall des Gleichschritts heben sich die offenen Salden der kreditgewährenden Kreditbanken am Ende des Tages (Nettoclearing) untereinander auf. Letztlich ergeben sich in der weltweiten Praxis aber zwei Gruppen von Banken.
  • Kreditbanken, die per Saldo über permanenten Liquiditätsabfluss (auch aus ihren Kreditgewährungen) an andere Banken in anderen Staaten (negative Zahlungsbilanz) leiden, benötigen für Kreditgewährungen an ihre Kunden freilich selbst (Zentralbank-[2] oder Interbanken-)Kredit. Dieser Gruppe ist also eine unabhängige „Geldschöpfung aus dem Nichts“ nicht möglich. Umgekehrt ist die andere Gruppe der (großen) Kreditbanken grundsätzlich in der Lage (auch Interbanken-)Kredit zu vergeben[3] (dementsprechend existieren in Offshore-Oasen keine Zentralbanken).

Durch die aktive Buchgeldschöpfung schaffen die Geschäftsbanken zusätzliches Geld in Form von Buchgeld. Hauptquelle der Geldschöpfung ist heute die Kreditgewährung der Geschäftsbanken. Voraussetzung für die Kreditvergabe ist jedoch, dass die Geschäftsbanken über ausreichend Eigenkapital und über eine ausreichende (Zentralbankgeld-)Reserve (in Relation zu kurzfristigeren Einlagen) verfügen.

Verfügen Geschäftsbanken nicht über ausreichende (bare, unbare) Reserven, verschaffen sie sich diese durch Refinanzierung bei der Zentralbank.[4]

Bilanztechnisch und per Saldo entstehen gesamtwirtschaftlich durch aktive Geldschöpfung keine zusätzlichen Nettogeldvermögen (= Forderungen minus Verbindlichkeiten). Nur wenn die gleichzeitig gebuchten Verbindlichkeiten gegenüber den Kreditinstituten vernachlässigt werden, kann von vorübergehend zusätzlich geschöpftem Giral- bzw. Kreditgeld gesprochen werden. Wenn also generell von Geldmenge und -expansion ausgegangen wird, ist dies nur insofern korrekt, als Aktiva (Kreditforderungen) der Monetären Finanzinstitute (MFI)[5] dabei ausgeklammert werden[6] – da Kreditgeld definitionsgemäß Verbindlichkeiten (Geldschuld in gleicher Höhe) gegenüberstehen,[7] die sich damit gegenseitig aufheben.

Sofern Gutschriften aus vergebenen Krediten nicht bar gehortet werden, gelangen diese gänzlich in das Bankensystem zurück – z. B. wenn ein Kreditnehmer der Bank A für die Kreditsumme einen Gebrauchtwagen kauft und auf das Konto des Verkäufers bei der Bank B überweist. Gewähren die Kreditinstitute im Gleichschritt Kredite, bleiben diese liquide.[8][9][10]

Ankauf von Aktiva

Geschäftsbanken ist es erlaubt, Anlagevermögen (Aktiva), wie z. B. Immobilien und Wertpapiere, anzukaufen und dem Verkäufer im Gegenzug eine Gutschrift in Höhe des Kaufpreises zu buchen. Dabei wird Buchgeld geschöpft (Bilanzverlängerung). Sofern die angekauften Wertpapiere notenbankfähig sind, können diese bei der Zentralbank gegen Zentralbankgeld (Refinanzierung) verpfändet werden. Verkauft eine Geschäftsbank Aktiva aus ihrem Bestand und belastet den Kaufpreis dem Guthaben des Käufers, verschwindet das von ihr zuvor geschöpfte und nun aus dem Bestand des privaten Erwerbers (zurück) erhaltene Buchgeld wieder aus dem Geldkreislauf (Bilanzverkürzung).

Limitierung

Viel mehr als durch die Mindestreserveverpflichtung, werden die Kreditinstitute bei der Gewährung von Darlehen (im weitesten Sinne) durch die sogenannten Eigenkapitalquoten limitiert.

Beispiel

Beispiel zu Eigenkapitalquoten auf Basis von 8 % nach Basel II sowie Basel III (Forderungen an Staaten) je nach Risikohöhe:

Basis EK-Quote: 8 % AAA bis AA- / ECA 1 A+ bis A- / ECA 2 BBB+ bis BBB- / ECA 3 BB+ bis B- / ECA 4 bis 6 Unter B- / ECA 7 Unbeurteilt
Von 8 Prozent 0 % 20 % 50 % 100 % 150 % 1250 %
Absolute Prozent 0 % 1,6 % 4 % 8 % 12 % 100 %

Grundvoraussetzung der Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken

Ohne Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbank, ist die Kredit(geld)ausweitung nur unter der Bedingung der Kreditgewährung im Gleichschritt möglich.[11] Bei Betrachtung einer offenen Volkswirtschaft (ohne Bereitstellung von Zentralbankgeld), ist die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken durch eine negative Devisenbilanz freilich eingeschränkt[12] (innerhalb einer Währungszone freilich durch eine negative Zahlungsbilanz).

Passive Giralgeldschöpfung („Passivtausch“)

Als passive Geldschöpfung werden Vorgänge bezeichnet, bei denen ein Bankkunde Bankeinlagen, die nicht zu einer vordefinierten Geldmenge zählen (wie Termineinlagen mit Laufzeit von mehr als zwei Jahren, Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist von mehr als drei Monaten, Schuldverschreibungen mit Laufzeit von mehr als zwei Jahren), in solche Einlageformen (wie täglich fällige) umschichtet, die Bestandteil jener Geldmenge sind. Von passiver Geldschöpfung wird gesprochen, weil die Bank buchhalterisch nur Passiva tauscht, also eine Verbindlichkeit gegen eine andere.

Finanzierungssalden

Unter Berücksichtigung der Mechanismen der Kreditgewährung wird ersichtlich, dass die Höhe der gesamtsektoralen Nettokreditaufnahme die Höhe der Ersparnisse (unverbrauchte Einnahmeüberschüsse) finanziert.[13][14][15]

Die Summe des gesamten Bankkreditvolumens steigt nicht zwangsläufig mit jedem (neuen) Bankkredit.[16][17]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Gabler Bank-Lexikon (Hrsg. Jürgen Krumnow, Ludwig Gramlich). Wiesbaden 2000, S. 378, EBA-Clearing: „Euro-Clearingsystem unter Verantwortung der Banking Association Clearing Company in Zusammenarbeit mit SWIFT Service Partners S. A. (als Betreiber des Netting Computers) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB), über die der tägliche Saldoausgleich erfolgt. Die am Clearingsystem beteiligten Banken senden ihre Zahlungsaufträge an den Netting Computer bei SWIFT. SWIFT errechnet zur Cut-Off-Time die jeweiligen Nettingsalden für jede am Clearing teilnehmende Bank und teilt diese den Clearingbanken, der EBA Clearing Company sowie der EZB mit.“
  2. Im Fall griechischer Banken und im Notfall etwa auch das Instrument Emergency Liquidity Assistance bzw. einfach mittels Offenmarkt-Operationen.
  3. Vgl. Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Tübingen 2011, S. 27: „So muß z. B. eine kleine Bank damit rechnen, dass die Überweisungen ihrer Kreditnehmer aus den ihnen eingeräumten Krediten vollständig bei anderen Banken landen, Kreditgewährung also zu einem gleichgroßen Liquiditätsverlust führt [...]. Eine größere Bank mit weit verstreutem Filialnetz kann bereits damit rechnen, dass ein Teil der Überweisungen ihrer Kreditnehmer auf den Konten von anderen eigenen Kunden landet, deren Einlagen erhöhen oder deren Kreditinanspruchnahme verringern. [...] Infolgedessen führt nahezu jede Schmälerung der flüssigen Mittel bei einer einzelnen Bank zu einer Vermehrung der flüssigen Mittel anderer Banken dieser Gesamtheit (Größenmechanik).“
  4. Olivier Blanchard, Gerhard Illing: Makroökonomie. (5. Auflage) München 2009, S. 136 (online).
  5. Gabler Wirtschaftslexikon: Definition Monetäre Finanzinstitute (MFI) Abgerufen am 1. August 2013.
  6. Vgl. Rolf-Dieter Grass, Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftslehre. (2. Auflage) München 1988.
  7. Ewald Nowotny: Gründe und Grenzen der öffentlichen Verschuldung. In: Ökonomie in Theorie und Praxis. Berlin und Heidelberg 2002. (online) S. 261:
    „Die Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung, die die Einnahmen- und Ausgabenüberschüsse (Finanzierungssalden) der einzelnen Sektoren der Volkswirtschaft erfasst – dabei gilt, dass die Summe der Finanzierungssalden der einzelnen Sektoren (Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben) Null ergeben muss.“
  8. Otmar Issing: Einführung in die Geldtheorie. (15. Auflage) München 2011. S. 80:
    „Das Problem lässt sich wie folgt skizzieren: Die Auffüllung der Zentralbankguthaben bildet den Brennpunkt des Liquiditätsproblems der Banken, denn Zentralbankguthaben sind für all diejenigen Zahlungen notwendig, die die Banken insgesamt nicht auf eigenen Konten ausführen können, sondern für die sie, ebenso wie für die Erfüllung der Mindestreservevorschriften Zahlungsmittel benötigen, die sie nicht selbst schaffen können.“
  9. Vgl. Leonhard Gleske: Die Liquidität in der Kreditwirtschaft. Frankfurt 1954.
  10. Siehe auch Liquiditätssaldokonzept (nach Claus Köhler 1970/77).
  11. Manfred Borchert: Geld und Kredit. Einführung in die Geldtheorie und Geldpolitik. 8. Auflage. München 2003. S. 71:
    „Damit ist eine beliebige Geldmengenausweitung im Mehrbankensystem nur noch bei Kredit[ge]währung im Gleichschritt — also bei gleichmäßiger gegenseitiger Verschuldung aller Banken untereinander — möglich!“
  12. Wilhelm Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952. S. 76: „In einer Volkswirtschaft, die im freien Warenaustausch und Zahlungsverkehr mit dem Auslande steht, wird die Liquidität des inneren Kreditsystems durch die Devisenbilanz bestimmt.“
  13. Wolfgang Cezanne: Allgemeine Volkswirtschaftslehre. (6. Auflage) München 2005. S. 452-454.
  14. Leonhard Gleske: Die Liquidität in der Kreditwirtschaft. Frankfurt 1954. S. 41:
    „Der Bankkreditbegriff hat in diesem Zusammenhang einen weiteren Inhalt. Er umfaßt nicht allein kurzfristige Wechsel- und Kontokorrentkredite, sondern auch die langfristigen Ausleihungen und Anlagen jeder Art in den Bankbilanzen, soweit ihnen Depositen und nicht aus der Emission von Wertpapieren entstandene Verpflichtungen der Banken gegenüberstehen. In diesem Sinne zählen also zu den Bankkrediten auch die auf der Aktivseite der Bankbilanz aufgeführten Hypotheken und Wertpapiere, im besonderen Pfandbriefe, Industrie- und Kommunalobligationen, Staatsanleihen und Aktien. Es ist zwar nicht üblich Wertpapiere in das Bankkreditvolumen mit einzuordnen, aber sofern sie sich im Besitz des Banksystems befinden, läßt ihr wirtschaftlicher Charakter eine solche Interpretation zu.“
  15. Wilhelm Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952. S. 34: „Um den Gegensatz zur traditionellen Theorie besonders hervortreten zu lassen, kann man den Tatbestand pointiert so ausdrücken: es wird nicht die Investition durch die Ersparnisse, sondern umgekehrt die Ersparnis durch die Investition bestimmt: Die Ersparnis ist ein reiner Verteilungsbegriff. Das Sparen entscheidet nicht über die Gesamtgröße der Investitionen sondern nur über den Anteil der Wirtschaftssubjekte an dem Vermögenszuwachs den die Volkswirtschaft durch die Investition erfährt.“
  16. Wilhelm Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952. (PDF) S. 48: „Leistet ein Kreditor an einen Debitor, so schrumpft die Kreditsumme, leistet ein Debitor oder einer, der durch die Zahlung Debitor wird, an einen, der nicht Debitor ist, so erhöht sich die Kreditsumme. Sie bleibt aber gleich, wenn ein Debitor an einen anderen Debitor oder ein Kreditor an einen anderen Kreditor leistet.“
  17. Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Nachdruck der 2. Auflage. Tübingen 2011. S. 216:
    „Für das Verhältnis zwischen Neuausleihungen pro Periode und den Veränderungen des Bankkreditvolumens kommt es nun ausschließlich darauf an, wie sich der [...] Strom von Neuausleihungen in die [...] beiden Ströme „Kreditrückzahlung“ und „Neueinlagen“ aufteilt.“

Weblinks