Jüdischer Friedhof Battonnstraße

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Ansicht der Südseite
Ansicht von der Battonnstraße (Nordseite)

Der Jüdische Friedhof Battonnstraße (auch: Jüdischer Friedhof Börneplatz) in Frankfurt am Main wurde 1180 erstmals urkundlich erwähnt und bis zum Jahr 1828 genutzt. Nach dem Heiligen Sand in Worms gilt er als zweitältester jüdischer Friedhof Deutschlands.[1] Die frühesten noch verifizierbaren Gräber stammen aus dem Jahr 1272. Bis zum 16. Jahrhundert hatte er überregionale Bedeutung, da er auch jüdischen Gemeinden aus dem Raum zwischen Aschaffenburg in Unterfranken und Wetzlar in Mittelhessen als Begräbnisstätte diente. Trotz wiederholter Schändungen, Entweihungen und Zerstörungen ist er bis heute teilweise original erhalten.[2]

Lage

Lageskizze
1872: Jüdischer Friedhof (rechts), Blick von Osten in Richtung des eingerüsteten Kaiserdomes St. Bartholomäus, links das 1829 von den Rothschilds errichtete Krankenhaus der Israelitischen Männer- und Frauen-Krankenkassen

Die Begräbnisstätte lag zunächst außerhalb der Stadt, östlich der zeitgleich entstehenden Staufenmauer, der romanischen Stadtbefestigung. Ab etwa Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Friedhof von einer neuen Stadtbefestigung umschlossen. Er lag damit im „Judeneck“ genannten Bezirk der Neustadt. Später wurde die Frankfurter Judengasse, das von 1462 bis 1796 bestehende jüdische Ghetto, stadtplanerisch auf die Lage des Friedhofsareals ausgerichtet.

Der mittelalterliche Begräbnisplatz liegt heute im Carrée zwischen Battonnstraße, Lange Straße, Rechneigrabenstraße und Kurt-Schumacher-Straße. Das Museum Judengasse und die Gedenkstätte Neuer Börneplatz schließen direkt an den Friedhof an.[3][4][5]

Zugang

Die historisch belegte Friedhofspforte war immer in der westlichen bzw. südwestlichen Umfriedung und lag ab dem 16. Jahrhundert direkt am Judenmarkt, dem späteren Börneplatz. Der Zugang war ab 1780 über das Fremdenhospital erreichbar, später: Israelitisches Hospital. 1881 musste der Zugang der orthodoxen Börneplatzsynagoge weichen und wurde in die nach Osten verlängerte Schnurgasse verlegt. Mit der Anlage des Neuen Börneplatzes Mitte der 1990er Jahre kam auch die Friedhofspforte wieder an ihren historisch belegten Platz am südwestlichen Teil der Friedhofsmauer zurück.

Geschichte

1552: Friedhofspforte in der südwestlichen und östlichen Friedhofsumfriedung
1572–1618: Ummauertes Areal des Jüdischen Friedhofes östlich von Dominikanerkloster und Staufenmauer mit Mönchsturm, nördlich des Fischerfeldes
1628: Jüdischer Friedhof (ummauertes Areal mit Baumbewuchs und Grabmalen mittig in der rechten Bildhälfte) zwischen westlich gelegenem Dominikanerkloster, Staufenmauer mit Mönchsturm, Judengasse und südöstlicher Bastion "Judeneck"
1811: Frankfurts Jüdischer Friedhof nördlich des ab 1793 trockengelegten Fischerfeldes (Bereich zwischen Friedhof und Main)
um 1840: 1828 letztmals belegter Jüdischer Friedhof auf einem im Vereinigten Königreich herausgegebenen Stadtplan von Frankfurt am Main
1845: Als alter Begräbnisplatz ausgewiesener Jüdischer Friedhof nach dessen Schließung
1852: Judengasse mit Hauptsynagoge, Rothschild'schem Stammhaus, Ludwig Börnes Geburtshaus, Andachtssaal im Compostellhof, Judenmarkt, Israelitischem Schlachthaus, Israelitischem Hospital, Altem Jüdischen Friedhof und Israelitischem Schulgebäude
1862: Alter Israelitischer Begräbnisplatz, nordöstlich des Judenmarktes

Mittelalter

Hochmittelalter bis 1180

Die erste Ansiedlung von Juden in Frankfurt am Main wird in die Zeit um 1150 datiert. Bis zur Anlage des jüdischen Friedhofes wurden sie am Garküchenplatz beerdigt, der östlich direkt an die damalige Salvatorkirche des gleichnamigen Stifts anschloss. Ihre sterblichen Überreste wurden beim Wiederaufbau Frankfurts nach 1945 in großer Zahl dort gefunden und gleich neben der Kreuzigungsgruppe auf dem östlich angrenzenden Friedhof des heutigen Kaiserdoms wieder begraben.

Hochmittelalter ab 1180

Dieser Jüdische Friedhof wird heute als eines der ältesten Zeugnisse jüdischen Lebens in der Stadt Frankfurt am Main angesehen. Er entstand aufgrund der im damaligen Stadtkern herrschenden drangvollen Enge. Seine Größe ist historisch nahezu unverändert. Er wurde am nördlichen Ufer der Braubach angelegt, einem verlandeten Nebenarm des Mains, dessen Verlauf an dieser Stelle später in etwa einem Teilstück des bewässerten Stadtgrabens entsprach. Ab 1233 entstand westlich des Friedhofes hinter der mittelalterlichen Staufenmauer das Dominikanerkloster.

Die Juden, die südlich der Salvatorkirche wohnten, konnten durch die nordöstlich gelegene Bornheimer Pforte der Staufenmauer zu den Grabstellen auf dem Jüdischen Friedhof gelangen.

1241 wurden viele Frankfurter Juden während eines als „Frankfurter Judenschlacht“ bezeichneten Pogroms ermordet und fanden auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe.

Spätmittelalter

Ab dem Jahr 1333 wurde der jüdische Begräbnisplatz von der auf Erlaubnis des Kaisers Ludwig dem Bayern neu gezogenen Stadtmauer um die sogenannte Neustadt eingeschlossen und befand sich seitdem innerhalb des Stadtgebietes im „Judeneck“ und in relativer Nähe des Stadtzentrums, der heutigen Altstadt. In der Folgezeit wurde der Weg vom alten Stadtkern zum jüdischen Friedhof durch mehrere Durchbrüche an der Westseite der alten Staufenmauer verkürzt.

Weitere gegen Juden gerichtete Pogrome entwickelten sich während der ab 1348 grassierenden Pest, die in der Ermordung sämtlicher Frankfurter Juden während der sogenannten 2. Frankfurter Judenschlacht vom 24. Juli 1349 gipfelten. Ihr gesamtes Eigentum verfiel der Stadt, auch ihr Friedhof. Die sterblichen Überreste dieser Juden wurden nicht auf dem Friedhof bestattet, da es keine jüdische Gemeinde mehr gab, die sich darum gekümmert hätte. Ab etwa 1360 siedelten sich zögerlich erneut Juden in Frankfurt an, deren größte Liegenschaft der wieder der Gemeinde übereignete Friedhof war, der zu dieser Zeit an den Kustodiengarten des Bartholomäusstiftes grenzte.

Mehrmals wurde die Mauer des jüdischen Friedhofes aufgrund seiner strategischen Lage am südöstlichen Stadtrand – dem damals so bezeichneten Judeneck – in die Verteidigungsmaßnahmen der Stadt einbezogen. Als Frankfurt bei der Königswahl von 1349 Partei für den Kandidaten Günther von Schwarzburg ergriff und deshalb einem Angriff von Gegenkönig Karl IV. entgegensah, wurden um Altstadt und Judenfriedhof elf Erker mit Schießscharten für Wachtposten angebracht. Auch während des Städtekrieges (1387 – 1389) wurde der jüdische Friedhof für Verteidigungsmaßnahmen vorbereitet.

Ab dem Jahr 1462 erhielten die Frankfurter Juden die städtische Auflage, den von ihnen vornehmlich besiedelten Bereich um die Stiftskirche St. Bartholomäus zu verlassen und sich in der Judengasse (dem Verlauf des früheren Wollgrabens vor der Staufenmauer folgend) anzusiedeln. Die Judengasse verlief außerhalb der Staufenmauer und etwa parallel zu deren nordöstlichem Teil in der Neustadt, in ungefährer Bogenlinie zwischen Bornheimer Pforte und Mönchsturm, lief also auf den jüdischen Friedhof zu (vergl. Stadtansicht v. Georg Braun u. Frans Hogenberg 1572). Diese Nähe zum Friedhof hatten die Stadtherren nicht zufällig bestimmt.

Neuzeit

Frühe Neuzeit

Der Zugang zur jüdischen Begräbnisstätte lag am südwestlichen Ende des Friedhofsgeländes in der Gasse Hinter der Judenmauer, deren Bezeichnung sich direkt auf die Friedhofsmauer bezog. Diese Gasse verlief zwischen dem Wollgraben (bzw. später dem südlichen Ende der Judengasse) und der Allerheiligengasse (s. Vogelschauplan v. Matthäus Merian 1628) am westlichen Abschluss des Friedhofsgeländes sowie entlang der nordwestlichen Friedhofsmauer. Die Gasse Hinter der Judenmauer fand ihre nordöstliche Verlängerung in der Breite Gasse (vergl. Stadtplan v. Johann Hochester 1792, Stadtpläne v. Christian Friedrich Ulrich 1811 u. 1819, Stadtplan v. Julius Eduard Foltz-Eberle 1852, Stadtplan v. Friedrich August Ravenstein 1862). Im Norden, Osten und Süden war der Friedhof unzugänglich, er war dort von Gebäuden bzw. Gärten umschlossen. Zumindest vorübergehend scheint es jedoch eine Pforte an der östlichen Friedhofsmauer gegeben zu haben, möglicherweise im Kontext von Verteidigungsmaßnahmen. Direkt neben dieser Pforte war ein kleines Gebäude, evtl. ein Erker mit Schießscharten für einen Wachtposten. Dies jedenfalls impliziert der Belagerungsplan der Stadt Frankfurt am Main nach Conrad Faber von Creuznach aus dem Jahr 1552.

1780 entstand direkt vor dem Eingang zum Friedhofsgelände das Fremdenhospital (später: Israelitisches Hospital) für die Bewohner des Ghettos Judengasse. Der Zugang zum Friedhof war nun über das Grundstück des Hospitals möglich. Im Zuge der Trockenlegung des Fischerfeldes – der als Neue Anlage bezeichnete Bereich südlich des jüdischen Friedhofes bis zum Main – ab 1793 und der Schleifung der Stadtbefestigungen entstand unmittelbar vor dem südwestlichen Ende des Friedhofes ein größerer Platz, der dem seit dem 16. Jahrhundert abgehaltenen Judenmarkt, auf dem die jüdische Bevölkerung der Stadt und des Umlandes ihre Waren feilbot, deutlich mehr Raum gab.

1806–1871

Am 16. September 1828 fand auf dem restlos überfüllten Friedhof die letzte Beisetzung statt. Danach wurde der gleichzeitig mit dem Hauptfriedhof neu angelegte Friedhof an der Rat-Beil-Straße genutzt, ab 1929 der Neue Jüdische Friedhof an der Eckenheimer Landstraße.[6] Der jeweils ältere Friedhof blieb erhalten; für jüdische Begräbnisstätten gilt eine unantastbare Totenruhe, Auflösungen von Gräbern und Exhumierungen sind ausgeschlossen.

Um 1840 entstand vor der südlichen Friedhofsmauer auf dem Gelände des ehemaligen Holzhofes der Juden (Rechneigrabenstraße 14–16) das Schulhaus der Israelitischen Gemeinde, das seinerzeit als schönstes Gebäude Frankfurts galt. Ab 1845 wurde dieses Gebäude von der Israelitischen Volksschule und dem Philanthropin genutzt, die aus dem Kompostellhof herzogen, der südlich an das Dominikanerkloster grenzte.

1871–1933

Das ehemalige Israelitische Hospital, das auf dem westlichen Teil des Friedhofsgeländes lag und noch im Kontext des Frankfurter Ghettos Judengasse entstanden war, wurde nach mehr als einhundert Jahren zugunsten der in den Jahren 1881/82 errichteten orthodoxen Horovitzsynagoge abgerissen, die nun mit ihrer Rückseite an die dort neu gezogene Friedhofsmauer grenzte. Durch den Bau dieser Synagoge, die wie ein Querriegel vor dem bisherigen Zugang zum Friedhof lag, ergab sich der Bedarf einer neuen Pforte zum jüdischen Friedhof, die in der mittlerweile nach Osten verlängerten Schnurgasse (Teilstück heißt heute Battonnstraße) in die Friedhofsmauer gebrochen wurde.

Um 1900 wurden anlässlich einer Katalogisierung der Grabstein-Inschriften durch Rabbi Markus Horovitz auf dem 11.850 m² großen Friedhofsgelände zwischen Schnurgasse und Börneplatz rund 6.500 Grabstellen erfasst, wie sich ab 1991/92 anlässlich einer neuen Bestandsaufnahme herausstellte, waren dies nicht alle.[7]

1933–1945

Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung forderte der Gauleiter Hessen-Nassau, Jakob Sprenger, von der Stadt die Entfernung der Grabsteine des Alten Jüdischen Friedhofes und empfahl die Umwidmung in einen Volkspark oder Kinderspielplatz. Diesem Ansinnen standen zunächst noch juristische Bedenken im Wege, zeitweise geriet die Angelegenheit in Vergessenheit oder wurde nachrangig behandelt. Lediglich der seit 1885 nach dem gebürtigen Juden Ludwig Börne benannte Börneplatz wurde 1935 in Dominikanerplatz umbenannt. Erst 1978 erhielt er seinen früheren Namen zurück.

Nach den Novemberpogromen 1938 drängte die Stadt Frankfurt die Jüdische Gemeinde im „Judenvertrag“ vom 3. April 1939 unter anderem zu einer Veräußerung des Friedhofsgeländes. 1942 bemühte sich das städtische Bauamt um Freiflächen, um für etwaige Zerstörungen der Altstadt durch Bombenangriffe über einen zentral gelegenen Trümmerschuttabladeplatz zu verfügen. Dabei fasste das Bauamt eine Einebnung des Alten Jüdischen Friedhofes ins Auge. Der Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs erließ daher im November 1942 eine Anweisung zur Zerstörung des Friedhofes und der Grabstellen.

In der Folge wurden ungefähr zwei Drittel der historischen Grabsteine überwiegend maschinell zerschlagen und in Trümmern hinterlassen. Diese sollten ggf. als Bruchsteine für die Wiedererrichtung kriegszerstörter Mauern dienen. Auf dem Friedhofsgelände überall verstreut liegende Glassplitter als Relikte der bei den Luftangriffen auf Frankfurt am Main zerstörten Fenster von Häusern der Altstadt zeugen noch heute von der kurzen Phase als Trümmerschuttabladeplatz. Dazu wurden rund fünfzig Bäume auf dem Friedhofsgelände gefällt und gerodet, Flächen eingeebnet und das ursprüngliche Ensemble auf Dauer zerstört. Immerhin wurde jedoch das Historische Museum angewiesen, bedeutende Grabsteine auszuwählen, um diese zu erhalten. Auf diese Weise gelangten etwa 175 Grabsteine während des Krieges auf den neueren jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße.

1945 bis heute

Diese 175 Grabsteine wurden in den 1950er Jahren anlässlich einer initialen Instandsetzungsphase wieder auf dem Alten Jüdischen Friedhof aufgestellt. Da deren ursprünglicher Standort jedoch nicht kartographiert worden war, stehen sie heute nicht mehr an ihrem Originalplatz. Der Friedhof ist daher jetzt nur noch zu einem sehr geringen Umfang im Originalzustand. Lediglich das östliche Gräberfeld bietet noch den Eindruck eines mittelalterlichen jüdischen Friedhofes.[8][9][10] Grabstein-Trümmer zeugen bis heute von der Zerstörung während der Nazi-Zeit.[11][12][13]

Komplett erhalten sind rund 2.675 Grabsteine, fragmentarisch rund 3.500, von denen mittlerweile 500 virtuell durch den Einsatz von Computertechnik zusammengefügt worden und somit wieder lesbar sind. An ihrer physischen Rekonstruktion wird seit einigen Jahren gearbeitet.[14] Einige Grabsteine sind jedoch so verwittert, dass nur noch wenige hebräische Schriftzeichen erhalten sind und sie eine Identifizierung unmöglich machen. Wichtiges historisches Werk ist dabei der 1901 erschienene Katalog "Die Inschriften des alten Friedhofs der Israelitischen Gemeinde" von Rabbiner Markus Horovitz, der viele damals noch erhaltenen Grabsteine und -inschriften dokumentiert. Ab 1991/92 ließ die Stadt Frankfurt sämtliche heute noch erhaltenen Grabsteine durch das Salomon Ludwig Steinheim-Institut erfassen, betreut durch das Jüdische Museum Frankfurts. Seitdem sind gegenüber der von Markus Horovitz durchgeführten Katalogisierung mehr als 200 zusätzliche Grabmale entdeckt worden.

Außenseite der Friedhofsmauer (2014)

Zwischen 1996 und 2010 wurden an der Außenseite der Friedhofsmauer bislang 11.957 erhaben in den Verputz der Mauer integrierte Steine mit Namen jüdischer Bürger Frankfurts eingelassen, um an deren Schicksale während der Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern.[15][16][17][18][19] Sie sind Teil der 1996 eingeweihten Gedenkstätte Neuer Börneplatz. Darunter befindet sich auch ein Stein für Anne Frank, umgeben von denen für ihre Familienangehörigen.[20][21] Ein weiterer Gedenkstein erinnert an den Frankfurter Jungen Hans Helmut Michel, dessen Biografie in die Handlung des französischen Spielfilms Auf Wiedersehen, Kinder (Original: Au revoir, les enfants) von Louis Malle einfloss. Die Rolle des jüdischen Jungen Kippelstein bzw. Jean Bonnet (Deckname) entspricht der Geschichte von Hans Helmut Michel.[22] Ein Stein wurde ohne Namen und Daten ausgeführt; er steht für alle namenlosen, vergessenen bzw. nicht dokumentierten Schicksale.[23]

Hinter dem Museum wurde am Neuen Börneplatz eine breite moderne Pforte in die Friedhofsmauer integriert, die aus zwei Metalltoren besteht. Beide werden von einem hebräischen Schriftzug durchbrochen: Beth Ha'Chaim – Haus des Lebens.[24] Diese Pforte wurde ganz in der Nähe des historischen Friedhofszugangs positioniert, der dort seit dem Hochmittelalter bestand.

Heute entspricht der Fußweg-Abschnitt entlang der nach Nordwesten gerichteten Friedhofsmauer bis zur Einmündung auf die Battonnstraße noch weitestgehend dem historischen Verlauf der ehemaligen Gasse Hinter der Judenmauer, die auf der gegenüberliegenden Seite dieses Abschnitts dicht mit kleinen Häusern bebaut war (Hausnummern 20-28). Die nordwestliche Ecke der Friedhofsmauer an der Battonnstraße lässt zudem seit dieser Zeit einen markanten Innenwinkel erkennen. Dort war zu Zeiten der Gasse Hinter der Judenmauer ein Haus mit der Nummer 27 angebaut (vergl. Stadtpläne von Christian Friedrich Ulrich, 1811 und 1819, Stadtplan v. Julius Eduard Foltz-Eberle 1852, Stadtplan v. Friedrich August Ravenstein 1862).

Die heutige Friedhofsmauer entspricht in etwa dem früheren Verlauf der Umfriedung, unterlag jedoch durch die Veränderungen im Umfeld (Erker-Anbau zur Stadtverteidigung, Bau des Fremdenhospitals, Verlängerung der Schnurgasse nach Osten, Synagogenbau und -zerstörung usw.) zahlreichen Revisionen, die sich anhand der alten Stadtpläne zum Teil nachvollziehen lassen. Das größte Maß an Veränderung erfuhr die Friedhofsumfriedung an ihrem südwestlichen Ende. An dem Teilabschnitt zum Neuen Börneplatz, an dem sich heute das zweiflügelige Metalltor befindet, wurde 1780 das Fremdenhospital, das spätere Israelitische Hospital, eingerichtet. Dieser breite Friedhofszugang befindet sich in etwa an der historisch über Jahrhunderte belegten Stelle der Friedhofspforte. Der heutige Verlauf der Friedhofsmauer im Norden, Osten und Süden entspricht noch weitestgehend dem historischen Verlauf zumindest des 19. Jahrhunderts. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war die Mauer weitaus schmaler und evtl. höher als heute.[25]

Zeittafel

Datum Ereignis Urheber
1180 Erste urkundliche Erwähnung, Lage am nördlichen Ufer des verlandeten Mainarmes Braubach, westlich der zur gleichen Zeit entstehenden Staufenmauer
1241 Beisetzung der Opfer des Pogroms "Frankfurter Judenschlacht"
Juli 1272 Ältester noch lesbarer Grabstein
1349 Anbau verteidigungsfähiger Erker an der Friedhofsmauer
um 1388 Die Friedhofsmauer dient als Verteidigungslinie im Städtekrieg (1387-89)
bis 16. Jahrhundert Nutzung auch durch jüdische Gemeinden aus dem Raum Aschaffenburg und Wetzlar
1780 Integration des Fremdenhospitals des Frankfurter Ghettos Judengasse in das Friedhofsgelände
16. September 1828 Letzte Beisetzung
1840 Bau des Israelitischen Schulhauses vor der südlichen Friedhofsmauer auf dem ehemaligen Holzhof der Juden
ab 1845 Umzug des Philanthropin in das neue Schulgebäude vor der südlichen Friedhofsmauer
1880/81 Abriss des ehemaligen Israelitischen Hospitals (Fremdenhospital)
1881/82 Anbau der orthodoxen Horovitzsynagoge, Verlegung des Friedhofseingangs in die Schnurgasse
Um 1900 Katalogisierung der Grabsteine und Inschriften durch Rabbi Markus Horovitz, Ergebnis der Zählung: rund 6.500 Grabstellen
April 1933 Forderung von Gauleiter Jakob Sprenger nach Umwidmung des Friedhofes in einen Volkspark oder Spielplatz
3. April 1939 Durch Nötigung erzwungener "Judenvertrag", durch den u. a. das Friedhofsgelände an die Stadt fällt
1942 Das Bauamt der Stadt fokussiert auf das Friedhofsgelände als Schuttabladeplatz für Bombentrümmer der Altstadt
November 1942 Oberbürgermeister Friedrich Krebs erlässt Anweisung zur Zerstörung der Grabstellen, rund fünfzig Friedhofsbäume werden abgeholzt, 175 bedeutende Grabsteine werden vom Historischen Museum ausgewählt und auf dem jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße eingelagert
Oktober 1943 Nach dem schweren Luftangriff vom 4. des Monats werden Trümmer der Altstadt auf dem Friedhofsareal abgeschüttet
20. März 1946 Die Alliierte Militärverwaltung lässt neben dem Friedhofseingang Battonnstraße ein Schild anbringen, das an die am 9. November 1938 zerstörte orthodoxe Synagoge am Börneplatz erinnert
1950er Jahre Die 175 während des Krieges eingelagerten Grabsteine werden wieder zurückgebracht und mangels Kenntnis der Originalstandorte an der inneren Friedhofsmauer positioniert
ab 1991/92 Katalogisierung der Grabsteine und Inschriften durch das Salomon Ludwig Steinheim-Institut, gegenüber dem Katalog von Rabbi Horovitz werden 113 bislang undokumentierte Grabsteine entdeckt
16. Juni 1996 Integration des zugänglichen Teils der Friedhofsaußenmauer in die Gedenkstätte Neuer Börneplatz
1996, 2006, 2010 Anbringung von 11.957 Namenssteinen für die Schicksale Frankfurter Juden während des Dritten Reiches an der äußeren Friedhofsmauer, neue Friedhofspforte am Neuen Börneplatz
aktuell Anlage einer Online-Datenbank mit den hebräischen Inschriften und einer Transkription aller noch lesbaren Grabsteine (siehe Weblinks); virtuelle und physische Rekonstruktion zerstörter Grabsteine

Grabmale

Das historisch weitgehend unversehrte Gräberfeld im südöstlichen Teil des Jüdischen Friedhofes am Börneplatz; rechts im Bild Stapel eines kleinen Teils der von den Nazis zerschlagenen Grabsteine (in der max. Vergrößerung viele Details erkennbar)

Art der Grabstellen

Jüdische Grabsteine (Mazevot) in Frankfurt am Main weisen diverse Besonderheiten auf, die sie regional und international unterscheiden. Die Mehrheit der meist zwischen etwa 100 und 150 cm hohen erhaltenen Grabsteine sind aus dem in Frankfurt am Main üblichen roten Main-Sandstein gefertigt. Die ältesten erhaltenen Grabsteine aus dem Hochmittelalter sind jedoch kleiner. Sie schließen meist mit einem unterschiedlich gestalteten Rundbogen, die Steine vom 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zeigen einen waagerechten Abschluss. Nach dieser Zeit werden eingezogene Rundbögen üblich, bis Anfang des 18. Jahrhunderts auf den Schultern links und rechts mit Rosetten, später mit Voluten verziert.

Eher selten sind die üblichen jüdischen Symbole wie Segnende Priesterhände und Levitenkanne zu sehen, Amtssymbole fehlen ganz. Eine Besonderheit der Grabsteine dieses Friedhofs ist die häufige Darstellung von Hauszeichen seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie bezeichnen das Haus in der Frankfurter Judengasse, in dem die Verstorbenen gelebt haben (z. B. Reuse, Schild, Schuh, Pfanne, Hase und viele mehr). Derartige Hauszeichen sind sonst nur noch auf dem jüdischen Friedhof in Hanau zu finden.

Die hebräischen Inschriften, die zumeist die gesamte Front eines Grabsteines füllen, charakterisieren den Beigesetzten knapp, oft aber auch ausführlich und aufwändig mit Zitaten aus der Traditionsliteratur, Reim, Akrosticha, Chronogrammen und Wortspielen. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts weisen die meisten Grabsteine Kopfzeilen auf, die Namen und Titel des Verstorbenen angeben. Deutsche Inschriften finden sich dagegen auf diesem Friedhof kaum, erst auf den jüngeren jüdischen Friedhöfen Frankfurts werden sie häufiger.

Die Reihung der Grabsteine ist im original erhaltenen Bereich sehr eng und unregelmäßig, wegen sehr dichter Belegung auf dem nicht erweiterungsfähigen Areal typisch für über Jahrhunderte belegte jüdische Friedhöfe. Die Beisetzung erfolgte in Familiengruppen, wobei Frauen – soweit sie aus Frankfurt am Main stammten – nicht bei ihren Ehemännern, sondern neben ihren Vätern begraben wurden. Die Gräber wurden nach Jerusalem hin ausgerichtet, dem Ort der erhofften Wiederauferstehung am Ende der Tage.[26][27]

Persönlichkeiten

Grabmal für Meir Rothschild ben Anschel Rothschild (1744–1812), den Begründer des Bankhauses Rothschild

Zu den bekanntesten Grabstellen des historischen Friedhofsgeländes zählt das Grab von Meir Rothschild ben Anschel Rothschild, des Begründers des Bankhauses Rothschild.[28] Weitere Grabsteine bedeutender Persönlichkeiten wurden auf dem Ehrenhain im südwestlich gelegenen Teil des Friedhofes aufgestellt, zum Beispiel von Nathan ben Simeon ha-Kohen Adler, vom Frankfurter Oberrabbiner Jakob Jehoschua Falk, Pinchas Ben Zwi Hirsch Ha-Levi oder Meir ben Rabbi Yaakov Schiff.

Älteste Grabstelle

Als ältester erhaltener Grabstein des Friedhofes verifiziert (1272)

Der älteste erhaltene Grabstein für Channa bat Alexandern zeigt das Sterbedatum 12. Juli 1272. Er hat die Maße 73 × 63 × 27 cm und wurde an der inneren Friedhofsmauer aufgestellt. Er befindet sich somit nicht mehr an seinem ursprünglichen Platz. Die hebräische Inschrift lautet zeilenweise übersetzt:

Aufgestellt wurde ich, eine Stele,
zu Häupten der Angesehenen,
Frau Channa Tochter des Herrn
Alexandern,
die verschieden (ist) 14. des Mondes
Aw im Jahre 5 Tausend
32 der Zählung. Es sei
ihre Seele im Garten Eden.
A(men) Sela.[29][30]

Inventarisierung

Angesichts der historischen Bedeutung und des Erhaltungsgrades der verbliebenen Grabsteine des Friedhofes ergab sich der Bedarf einer Inventarisierung und epigraphischen Erfassung der Grabinschriften. Diese können in ihrem hebräischen Original und der deutschen Transkription online über eine Datenbank (Epidat) des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts abgerufen werden. Der Verweis findet sich weiter unten bei den Weblinks.

Zugang

Der Friedhof ist dauerhaft geschlossen, der Schlüssel kann jedoch bei Besichtigungswünschen im benachbarten Museum Judengasse gegen Hinterlegung des Personalausweises entliehen werden. Auf Anfrage werden vom Pädagogischen Zentrum des Fritz-Bauer-Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt sachkundige Führungen angeboten.[31]

Video on Demand

Literatur

  • Markus Horovitz: Die Inschriften des alten Friedhofs der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt a.M. J. Kauffmann, Frankfurt am Main 1901.
  • Isidor Kracauer: Geschichte der Juden in Frankfurt a. M. (1150-1824). 2 Bände, J. Kauffmann, Frankfurt am Main 1925/1927.
  • Eugen Mayer: Die Frankfurter Juden. Blicke in die Vergangenheit. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1966.
  • Valentin Senger (Autor), Klaus Meier-Ude (Fotograf): Die jüdischen Friedhöfe in Frankfurt. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-7829-0298-X, S. 10–20 (3. überarbeitete Auflage unter dem Titel: Die jüdischen Friedhöfe in Frankfurt am Main. Fachhochschulverlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-936065-15-2.)
  • Fritz Backhaus (Hrsg.): "Und groß war bei der Tochter Jehudas Jammer und Klage...". Die Ermordung der Frankfurter Juden im Jahre 1241. Jan-Thorbecke-Verlag, Sigmaringen 1995 (Schriftenreihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Band 1), ISBN 3-7995-2315-4.
  • Michael Brocke: Der alte jüdische Friedhof zu Frankfurt am Main. Unbekannte Denkmäler und Inschriften. Jan-Thorbecke-Verlag, Sigmaringen 1996, ISBN 3-7995-2322-7.

Weblinks

Commons: Jüdischer Friedhof Battonnstraße – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Friedhof Battonnstraße auf: jg-ffm.de
  2. Valentin Senger, Klaus Meier-Ude: Die jüdischen Friedhöfe in Frankfurt, Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1985, S. 10-20
  3. Foto: Modell der Judengasse mit Judenmarkt, Israelitischem Hospital, mittelalterlichem jüdischen Friedhof und Israelitischer Krankenkasse, Bildmitte links Dominikanerkloster auf: lilit.de
  4. Foto: Modell der Judengasse, roter Pfeil weist auf Steinernes Haus mit Mikwe, darüber mittelalterlicher jüdischer Friedhof mit Israelitischem Hospital. Häuserzeile und Israelitische Krankenkasse an der Stelle des heutigen Neuen Börneplatzes auf: lilibit.de
  5. Satellitenfoto: Gedenkstätte Neuer Börneplatz auf: lilit.de
  6. Letzte Beisetzung auf dem Alten Jüdischen Friedhof am Judenmarkt auf: steinheim-institut.de
  7. Foto: Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof, 1917 auf: ffmhist.de
  8. Foto: Historische Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof Frankfurt am Main auf: panoramio.com
  9. Foto: Historische Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof Frankfurt am Main auf: alemannia-judaica.de
  10. Foto: Dichte Reihung historischer Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof, Battonnstraße auf: flickr.de
  11. Foto: Aufgehäufte Grabstein-Trümmer auf dem Alten Jüdischen Friedhof Battonnstraße, 1985 auf: ffmhist.de
  12. Der Alte Jüdische Friedhof an der Battonnstraße auf: ffmhist.de
  13. Foto: Grabsteine und Grabstein-Trümmer auf dem Alten Jüdischen Friedhof, Battonnstraße auf: flickr.de
  14. "961 kleine Namenstafeln", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. September 2006 auf: faz.net
  15. Gedenken an den Holocaust: Der kleine Albert. In: Frankfurter Rundschau, 26. Januar 2010 auf: fr-online.de
  16. Foto: Friedhofsmauer mit eingelassenen Gedenksteinen am Börneplatz auf: fotocommunity.com
  17. Foto: Friedhofsmauer mit eingelassenen Gedenksteinen am Börneplatz auf: flickr.de
  18. Foto: Gedenksteine in der Außenmauer des Alten Jüdischen Friedhofes Börneplatz auf: flickr.de
  19. Foto: Außenmauer des Alten Jüdischen Friedhofes Börneplatz auf: flickr.de
  20. Foto: Gedenkstein für Anne Frank in der Außenmauer des Alten Jüdischen Friedhofes Börneplatz auf: flickr.de
  21. Foto: Gedenksteine für die Familie von Anne Frank in der Außenmauer des Alten Jüdischen Friedhofes Börneplatz auf: flickr.de
  22. Hinweis per E-Mail vom 26. Januar 2012 von Dr. Martin Liepach, Liebigschule, Pädagogisches Zentrum Fritz-Bauer-Institut und Jüdisches Museum Frankfurt am Main
  23. Foto: Gedenkstein für die Vergessenen an der Außenmauer des Alten Jüdischen Friedhofes Börneplatz auf: flickr.de
  24. Foto: Eingangspforte zum Alten Jüdischen Friedhof, Neuer Börneplatz auf: flickr.de
  25. Foto um 1900: Blick aus nordöstlicher Richtung von der Schnurgasse (Teilstück heißt heute Battonnstraße) auf den mittelalterlichen jüdischen Friedhof mit orthodoxer Synagoge und Häuserzeile an Stelle des heutigen Neuen Börneplatzes, rechts Dom St. Bartholomäus und Dominikanerkloster mit Klosterkirche auf: lilit.de
  26. Alter Jüdischer Friedhof Frankfurt am Main auf: judengasse.de
  27. Forschungsergebnisse des Salomon Ludwig Steinheim-Institutes an der Universität Duisburg-Essen, Nathanja Hüttenmeister, M. A.)
  28. Transkript der hebräischen Grabsteininschrift von Mayer Amschel Rothschild auf: steinheim-institut.de
  29. Übersetzung der hebräischen Inschrift des ältesten Grabsteins von 1272 auf: steinheim-institut.de
  30. Foto des ältesten Grabsteins auf dem Alten Jüdischen Friedhof Battonnstraße aus dem Jahr 1272 auf: steinheim-institut.de
  31. Die Geschichte der Frankfurter Judengasse und der Jüdische Friedhof Battonnstraße, Führungsangebot auf den Webseiten des Pädagogischen Zentrums Frankfurt am Main.

Koordinaten: 50° 6′ 44,8″ N, 8° 41′ 23,3″ O