Kreuzfahrerstaaten

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Die Kreuzfahrerstaaten um 1135.
Kleinasien und die Kreuzfahrerstaaten um 1140
Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Wilhelm von Tyrus: Histoire d’Outremer

Die Kreuzfahrerstaaten im engeren Sinne sind die als Ergebnis des Ersten Kreuzzugs in Palästina und Syrien errichteten vier Staaten:

Die ständigen Kriege zwischen den islamischen Mächten ermöglichten es den Kreuzfahrern, das Küstenland an der Levante zu besetzen und für den Nachschub offen zu halten. Das Land wurde auch als Outremer (von altfranzösisch outre mer, oltre mer, jenseits des Meeres‘ bzw. ‚Übersee‘) bezeichnet. Diese Bezeichnung ist insofern passender, als schon nach kurzer Zeit nur wenige der eingewanderten Westeuropäer Kreuzfahrer im eigentlichen Sinn waren. Die in den zeitgenössischen Quellen als Franken bezeichneten Westeuropäer, die sich nach dem Ersten Kreuzzug in der Region ansiedelten, stellten dabei eine privilegierte Minderheit dar, während die Mehrheit der Bevölkerung nicht-katholische Christen, Juden und Muslime umfasste. Obwohl Syrisch, Armenisch und Griechisch in den jeweiligen Teilen der Region verbreitet war, wurde als Verkehrssprache von der einheimischen Bevölkerung Arabisch benutzt. Die „fränkischen“ Siedler sprachen weitgehend Französisch – in der Grafschaft Tripolis vorwiegend Okzitanisch.

Begriffsgeschichte

Im Altfranzösischen wurde der Ausdruck outremer einerseits in der ursprünglichen Bedeutung „jenseits des Meeres, Übersee“ ohne inhaltliche Bindung an ein bestimmtes Meer oder Land gebraucht. Im Einzelfall konnte zum Beispiel Frankreich aus der Sicht Englands gemeint sein, andererseits aber auch das Heilige Land (Terre Sainte) im Allgemeinen und die Kreuzfahrerstaaten im Besonderen.[1] An diese letztere Verwendungsweise knüpft die heutige Forschungsliteratur an.

Daneben wurde im Mittelalter für die vier Kreuzfahrerstaaten auch der aus römischer Zeit stammende Begriff Syria verwendet.

Geschichte

Die Grafschaft Edessa wurde 1098 als erster Kreuzfahrerstaat gegründet. Unter Joscelin II. († 1159) fiel sie schon 1144 gegen den islamischen Herrn von Mosul und Aleppo, was den Zweiten Kreuzzug zur Folge hatte.

Das ebenfalls 1098 errichtete Fürstentum Antiochia wurde unter seinen ersten normannischen Herrschern Bohemund von Tarent († 1111) und dessen Neffen Tankred († 1112) durch Eroberungen gegen die Muslime und Byzanz erweitert. Sie hinterließen einen gefestigten Staat, für den aber Raimund von Poitiers 1137 dem byzantinischen Kaiser huldigen musste. 1268 erlag Antiochia, inzwischen wirtschaftlich verarmt, einem Mamlukenheer des Sultans Baibars von Ägypten.

Nicht viel später (1289) fiel Tripolis, seit Bohemund IV. von den Fürsten Antiochias mitregiert; es war 1109 als letzter der Kreuzfahrerstaaten errichtet und Bertrand von St. Gilles als vasallitische Grafschaft des Königreiches Jerusalem verliehen worden.

Unter Balduin I., dem ersten König von Jerusalem (1100), und seinen nächsten Nachfolgern Balduin II. (1118–1131), Fulko von Anjou (1131–1143) und Balduin III. (1143–1162) konnte das Gebiet erweitert und gegen die Sarazenen behauptet werden. 1187 besiegte Saladin die Kreuzfahrer vernichtend bei Hattin und eroberte anschließend Jerusalem und den Großteil des Königreiches.

Die Christen gewannen 1191 Akkon unter Führung von Richard Löwenherz zurück, der 1192 mit Saladin vertraglich die christliche Herrschaft im Küstenstrich von Tyrus bis Jaffa vereinbarte. Der Deutsche Kreuzzug eroberte 1197 den Küstenstreifen von Tyrus bis Tripolis zurück.

Der Kreuzzug Friedrichs II., der sich 1229 zum König von Jerusalem krönte, brachte auf diplomatischem Wege Jerusalem und weitere Gebiete wieder an die Kreuzfahrer. Theobald von Champagne und Richard von Cornwall konnten im Kreuzzug der Barone 1239–1241 Askalon und die Ländereien westlich des Jordans zurückgewinnen. Jerusalem ging 1244 allerdings endgültig verloren. Akkon, Mittelpunkt des restlichen Königreiches, war durch innere Kämpfe geschwächt und fiel nach der letzten mittelalterlichen Belagerung 1291. Der Rest Palästinas wurde – bis auf die Stadt Gibelet (Byblos) (Eroberung 1298) und die Inselfestung Ruad vor der syrischen Küste (Eroberung 1302) noch im selben Jahr – geräumt (Flucht nach Zypern).

Die aus Palästina/Syrien nach Zypern vertriebenen Johanniter eroberten ab 1306 Rhodos, das sie bis zur Eroberung durch die Osmanen 1522 beherrschten.

Gesellschaft in den Kreuzfahrerstaaten

Einsicht in Alltagsleben und Gesellschaft der Kreuzfahrerstaaten geben verschiedene christliche und islamische Quellen. Insbesondere zu nennen sind Wilhelm von Tyrus, der Erzbischof von Tyrus im Königreich Jerusalem und Kanzler unter König Balduin IV., sowie Fulcher von Chartres, einem Geistlichen und Teilnehmer des ersten Kreuzzugs, auf der christlichen Seite. Auf der islamischen Seite hervorzuheben sind Usama ibn Munqidh, der als Diplomat umfassend Einsicht in die inneren Verhältnisse der Kreuzfahrerstaaten nehmen konnte, sowie Ibn Dschubair, der ausführliche Reiseberichte über seine Pilgerfahrten verfasste und dabei auch die Levante mit den Kreuzfahrerstaaten nicht ausließ.[2]

Zur gesellschaftlichen Stratifikation in den Kreuzfahrerstaaten ist anzumerken, dass die herrschende Schicht der lateinisch-christlichen „Franken“, während des gesamten Bestehens ihrer Herrschaften in der Levante, sehr dünn war und sich auf die Städte, insbesondere die Küstenstädte, sowie Festungen konzentrierte. Zwar wurden auch fränkische Siedler auf dem Land sesshaft, doch scheinen diese zumindest die Gebiete bevorzugt zu haben in denen hauptsächlich Ostchristen und keine Muslime siedelten.[3] Diese beiden Gruppen bildeten, mit verschiedenen regionalen Verteilungen, die Bevölkerungsmehrheit in den Kreuzfahrerherrschaften, insbesondere auf dem Land, außerdem lebte auch eine kleine Minderheit an Juden in diesen Gebieten.[4] Jedoch ist anzumerken, dass die Muslime den Franken regelmäßig Kopfsteuern zahlen mussten und dabei auch die Hälfte ihrer Ernte abgaben. Das Zusammenleben war in Ungerechtigkeit geregelt und trotz allem verwalteten die Franken alles, beispielsweise die Küstenstädte.[5] Außerdem waren die Lebensverhältnisse untereinander verschieden. Dabei spielte auch Aggressivität, Grausamkeit und Ausnutzerei eine Rolle.

Trotz der verschiedenen religiösen, ethnischen und kulturellen Unterschiede zwischen lateinisch-christlichen Kreuzfahrern und den einheimischen Muslimen und Ostchristen entwickelte sich nun unter der Herrschaft der Franken eine Art modus vivendi, eine praktische Kooperation der verschiedenen Gruppen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Dies darf aber nicht mit Toleranz und Integration im modernen Sinne verwechselt werden. Die Franken etwa duldeten die muslimische Bevölkerung und gewährten ihr einige Rechte bei gleichzeitiger Besteuerung, da es einfach nicht genug christliche Siedler (aus Europa) gab um die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Ebenso kooperierten die Franken insbesondere im Bereich des Handels mit den Muslimen, die etwa Karawanen mit Handelsgütern in das christliche Gebiet führten und deren Waren von den Franken mit Zöllen belegt wurden, zu diesem Zweck wurden sogar christliche Beamte eingesetzt die des Arabischen mächtig waren. Auf der anderen Seite kooperierten auch die Muslime mit ihren neuen Herren, zumal sich etwa für die Bauern auf dem Land wohl nicht viel änderte, weiterhin zahlten sie Steuern und Abgaben, bloß nun an neue Herren, ansonsten wurden sie weitestgehend in Ruhe gelassen.[6]

Kreuzfahrerstaaten am Rande der Kreuzzüge

Zu den Kreuzfahrerstaaten wird auch das Königreich Zypern gezählt, das während des Dritten Kreuzzugs gegründet wurde. Richard Löwenherz eroberte die Insel auf seinem Weg ins Heilige Land, die in der Folgezeit das Herrschaftsgebiet der entthronten Könige von Jerusalem bis 1489 wurde.

Ein weiterer christlicher Staat am Rande der Kreuzzüge war das Königreich Kleinarmenien, das sich unter einheimischen Herrschern auf der Flucht vor den Seldschuken einige Jahre zuvor etabliert hatte und sich rund 300 Jahre halten konnte.

Im Vierten Kreuzzug wurde das Byzantinische Reich von den Kreuzfahrern erobert (1204), wobei vier weitere Staaten entstanden:

Die Venezianer schufen darüber hinaus in der Folge des Vierten Kreuzzuges das Herzogtum Archipelagos in der Ägäis.

Thessaloniki und das Lateinische Kaiserreich wurden von den Byzantinern bis 1261 zurückerobert. Nachfolger der Kreuzfahrer regierten in Athen, auf dem Peloponnes und in Morea bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts.

1271 eroberte Karl von Anjou, König von Sizilien, den Norden des Despotats Epirus und gründete 1272 das Königreich Albanien (Regnum Albaniae), welches bis 1368 bestand. Ein weiterer Kreuzfahrerstaat unter Einfluss des Königreiches Neapel war die Pfalzgrafschaft Kefalonia und Zakynthos.

1319 errichtete die Katalanische Kompanie das Herzogtum Neopatria in Mittelgriechenland, das zusammen mit dem Herzogtum Athen Teil der Krone Aragon war.

Siehe auch

Literatur

  • Hans Eberhard Mayer: Geschichte der Kreuzzüge (= Kohlhammer-Urban-Taschenbücher. 86). Kohlhammer, Stuttgart 1965, (10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. ebenda 2005, ISBN 3-17-018679-5).
  • Hans Eberhard Mayer (Hrsg.): Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert. Oldenbourg, München 1997, ISBN 978-3-486-56257-6 (historischeskolleg.de PDF, Volltext)
  • Kenneth M. Setton (Hrsg.): A History of the Crusades. Band 1: Marshall W. Baldwin (Hrsg.): The First Hundred Years. 2nd edition. The University of Wisconsin Press, Madison WI u. a. 1969, S. 368–409: The Foundation of the Latin States, 1099–1118. (digicoll.library.wisc.edu).
  • Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge. Aus dem Englischen übertragen von Peter de Mendelssohn. Sonderausgabe in einem Band ohne Quellen- und Literaturangaben, 33.–35. Tausend der Gesamtauflage. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-39960-6.
  • Elizabeth Yehuda: Im Land der heiligen Kriege. In: Abenteuer Archäologie. 2, 2006, ISSN 1612-9954, S. 52 ff. (Land und Leute, Ergebnisse der Archäologie von einer israelischen Archäologin).
  • Alan V. Murray: Outremer. In: Alan V. Murray (Hrsg.): The Crusades. An Encyclopedia. Band: K–P. ABC-CLIO, Santa Barbara CA u. a. 2006, ISBN 1-57607-862-0, S. 910–912, (siehe auch die dort folgenden Artikel bis S. 928).
  • Rodney Stark: Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in neuem Licht. 1. Auflage der Taschenbuchausgabe. Haffmans Tolkemitt, Berlin 2014, ISBN 978-3-942989-85-5.

Einzelnachweise

  1. David A. Trotter: Medieval French literature and the crusades (1100–1300) (= Histoire des idées et critique littéraire. 256, ISSN 0073-2397). Droz, Genf 1988, Kap. II (The vocabulary of crusdading in Old French.), hier S. 41–43.
  2. Vgl. H. E. Mayer: Geschichte der Kreuzzüge. 10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 2005, S. 186, 191 sowie Francesco Gabrieli: Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht. Aus den arabischen Quellen ausgewählt und übersetzt. Artemis-Verlag, Zürich u. a. 1973, ISBN 3-7608-4503-7, S. 115–126.
  3. Vgl. H. E. Mayer: Geschichte der Kreuzzüge. 10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 2005, S. 186–191.
  4. Vgl. H. E. Mayer: Geschichte der Kreuzzüge. 10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 2005, S. 191–193.
  5. Tagebuch eines Mekkapilgers Muhammad Ibn Dschubair, Stuttgart 1985, S. 224f.
  6. Besondere Einblicke gewährt hier etwa der Reisebericht des Ibn Dschubair: Tagebuch eines Mekkapilgers (= Bibliothek arabischer Klassiker. Band 10). Aus dem Arabischen übertragen und bearbeitet von Regina Günther. Thienemann u. a., Stuttgart 1985, ISBN 3-522-62100-X, S. 223–225. Vgl. weiterhin: H. E. Mayer: Geschichte der Kreuzzüge. 10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 2005, S. 186.