Ludwig Baumann (Wehrmachtsdeserteur)

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Ludwig Baumann (2014)

Ludwig Baumann (* 13. Dezember 1921 in Hamburg; † 5. Juli 2018 in Bremen[1]) war ein deutscher Wehrmachtsdeserteur und Friedensaktivist.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sohn eines Tabakgroßhändlers trat nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten weder der Hitlerjugend noch einer anderen Organisation der NSDAP bei. Als 19-Jähriger wurde er zur Kriegsmarine eingezogen. Am 3. Juni 1942 desertierte er zusammen mit Kurt Oldenburg bei Bordeaux in Frankreich. Nach dem Krieg erklärte Ludwig Baumann zu seinen damaligen Motiven: „Ich hatte erkannt, dass es ein verbrecherischer, völkermörderischer Krieg war.“

Am Tag nach der Desertion wurden die beiden an der Grenze zum unbesetzten Teil Frankreichs von einer deutschen Zollstreife gestellt. Obgleich Baumann und Oldenburg bei ihrer Festnahme bewaffnet waren, ließen sie sich – aufgrund ihrer gewaltfreien Gesinnung – widerstandslos festnehmen. Am 30. Juni 1942 wurde Baumann wegen „Fahnenflucht im Felde“ zum Tode verurteilt. Davon, dass die Todesstrafe in eine 12-jährige Zuchthausstrafe umgewandelt wurde, erfuhr er erst nach Monaten, die er in Todesangst in der Todeszelle eines Wehrmachtsgefängnisses verbracht hatte. Jeden Morgen rechnete er mit seiner Hinrichtung. Baumann wurde danach im KZ Esterwegen im Emsland inhaftiert und kam später in das Wehrmachtgefängnis Torgau. In Torgau erlebte er, wie andere Deserteure hingerichtet wurden. Laut einer Hochrechnung der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt und Fritz Wüllner wurden in der Zeit des NS-Regimes mindestens 22.750 Deserteure auf Grundlage des Fahnenfluchtparagraphen vom Militärgericht zum Tode verurteilt und 15.000 von ihnen hingerichtet.[2]

Sein Schicksal teilte er im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges mit weiteren Opfern der NS-Militärjustiz, die wie er in die so genannte Bewährungstruppe 500 gezwungen wurden, die an der Ostfront in besonders gefährdeten Abschnitten eingesetzt war. Trotzdem überlebte Baumann den Krieg. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion hatte er es schwer in einer Gesellschaft, in der Deserteure noch immer als „Feiglinge“ geächtet wurden. In kurzer Zeit vertrank er sein Erbe. Als seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes starb, gelang es ihm, vom Alkohol loszukommen. Schließlich begann Baumann, sich in der Friedens- und Dritte-Welt-Bewegung zu engagieren.

Ludwig Baumann beim Gelöbnix 2008 in Berlin
Ludwig Baumann am Denkmal für den unbekannten Deserteur in Bremen-Vegesack

1990 gründete er zusammen mit etwa 40 noch lebenden Wehrmachtsdeserteuren und einigen engagierten Wissenschaftlern und Historikern die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, um eine Aufhebung der Unrechtsurteile gegen Deserteure, „Wehrkraftzersetzer“, Selbstverstümmeler und andere Opfer der NS-Militärjustiz durchzusetzen sowie deren vollständige Rehabilitation zu erreichen. 2002 wurde dieses Ziel mit dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege erreicht.[3] Im Laufe der Anerkennung war Baumann bei mehreren parlamentarischen Debatten und Beratungen in Bundestagsausschüssen aktiv.

Neben diesem Einsatz für Deserteure und andere von der NS-Gerichtsbarkeit Verfolgte setzte er sich in der Friedensbewegung ein. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland im Juli 2011 versuchte er an jedem Einberufungstermin, mit Einberufenen auf dem Weg in die Kaserne ins Gespräch zu kommen. Seine Botschaft lautete: „Leistet Widerstand, wenn ihr Befehle bekommt, denen ihr im zivilen Leben nicht folgen würdet.“

Zur Einweihung der Installation Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg am 8. Mai 2002 in Berlin leitete Baumann seine Rede mit dem Zitat Hitlers ein: „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben.“[4]

Als im November 2015 nach langem Streit das Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg eingeweiht wurde, erinnerte sich Baumann an seinen zum Tode verurteilten Freund Kurt Oldenburg und dessen letzte Worte: „Nie wieder Krieg!“ Er fügte hinzu: „Das ist mir ein Vermächtnis geworden“ und „(für meine Haltung) bin ich beschimpft und von ehemaligen Soldaten verprügelt worden. Ich ging zur Polizei und wurde nochmals zusammengeschlagen“.[5]

Das Grab von Ludwig Baumann auf dem Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde Bremen-Grambke

Ludwig Baumann starb im Juli 2018 im Alter von 96 Jahren in einem Bremer Altenpflegeheim. Er ist auf dem Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde Bremen-Grambke bestattet. Die Trauerrede im Bremer DGB-Haus hielt Wolfram Wette.[6] Nach Baumanns Tod wurde bekannt, dass mit seinem Umzug ins Pflegeheim seine Opferrente um fast die Hälfte gekürzt und in ein „Heimtaschengeld“ umgewandelt wurde. Sein Sohn erhielt daraufhin eine Rückzahlungsforderung über 4100 Euro.[7][8] Im Oktober 2018 gab die zuständige Generalzolldirektion Köln bekannt, dass Baumanns Sohn den Betrag – dabei ging es jedoch um 3453,46 Euro – nun doch nicht an die Bundeskasse zurückzahlen muss. Der Grund dafür wurde nicht genannt.[9] Im Februar 2019 teilte die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz mit, dass solche Kürzungen nach dem Umzug in ein Heim künftig generell nicht mehr vorgenommen werden; außerdem steige der Mindestbetrag von monatlich 345 auf 415 Euro. Dies habe das Bundesfinanzministerium verfügt.[10]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1994 erhielt Ludwig Baumann den Sievershäuser Friedenspreis.
  • 1995 bekam er den Aachener Friedenspreis.
  • 2007 erhielt er den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen.
  • 2010 trug sich Baumann in das Goldene Buch der Stadt Erfurt ein.
  • Am 13. Dezember 2011 würdigte anlässlich des 90. Geburtstages von Baumann der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen dessen Einsatz im Rahmen eines Senatsempfangs.[11] Böhrnsen überreichte Baumann den „Bremer Schlüssel“ als Zeichen der Anerkennung seines unermüdlichen Einsatzes für die Opfer der NS-Militärjustiz.
  • 2014 erhielt Baumann den Franco-Paselli-Friedenspreis der Internationalen Friedensschule Bremen.
  • 2023 soll nach einem Artikel in der taz in Hamburg eine Grünfläche nach Ludwig Baumann benannt werden. Die dafür vorgesehene Grünfläche wird sich in der Nähe der Kurt-Oldenburg-Straße befinden.[12]

Die eigens dafür gegründete Potsdamer Initiative schlug ihn zur Nominierung für den Friedensnobelpreis im Jahre 1996 vor.[13]

Die Annahme des Bundesverdienstkreuzes hat Baumann unter anderem deshalb abgelehnt, „weil ich keinen Orden haben will, den auch ehemalige Nazis tragen“.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Niemals gegen das Gewissen: Plädoyer des letzten Wehrmachtsdeserteurs. Herder, Freiburg im Breisgau 2014, ISBN 978-3-451-30984-7 (unter Mitwirkung von Norbert Joa).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jan Korte, Dominic Heilig (Hrsg.): Kriegsverrat: Vergangenheitspolitik in Deutschland; Analysen, Kommentare und Dokumente einer Debatte. Dietz, Berlin, 2011, ISBN 978-3-320-02261-7.
  • Ulrich Herrmann: Zwei junge Soldaten als Opfer der Wehrmachtsjustiz. In: Ulrich Herrmann (Hrsg.): Junge Soldaten im Zweiten Weltkrieg: Kriegserfahrungen als Lebenserfahrungen. Juventa-Verlag, Weinheim / München, 2010, ISBN 978-3-7799-1138-8.
  • Hannes Metzler: Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich unter Berücksichtigung von Luxemburg. Mandelbaum, Wien, 2007, ISBN 978-3-85476-218-8. Vgl. insb. S. 55, „Ludwig Baumann“ und Interviewauszüge in diesem Buch.
  • Hans-Peter Klausch: Die Bewährungstruppe 500. Stellung und Funktion der BW 500 im System von NS-Wehrrecht, NS-Militärjustiz und Wehrmachtstrafvollzug (Abb., Dok., Lit.) edition Temmen, Bremen, 1995, ISBN 3-86108-260-8 (darin verarb.: Interview des Verf. mit L.B.)
  • Lars G. Petersson: Hitler’s Deserters. When Law Merged with Terror. Fonthill Media, Stroud, 2013, ISBN 978-1-78155-269-8.[14]

Dokumentarfilm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Dokumentation über Baumann, gedreht von der Filmemacherin Annette Ortlieb, kam im November 2023 in die Kinos. Der Film trägt den Titel „Die Liebe zum Leben“ und beschreibt Baumanns Lebensweg, seinen Kampf um Rehabilitation sowie seine Liebe zur Natur.[15]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ludwig Baumann – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Friedenspreisträger Ludwig Baumann ist im Alter von 97 Jahren gestorben. epd-Meldung auf kreiszeitung.de, 5. Juli 2018, abgerufen am 6. Juli 2018.
  2. Ulrich Bröckling, Michael Sikora (Hrsg.): Armeen und ihre Deserteure: vernachlässigte Kapital einer Militärgeschichte der Neuzeit. Vandenhoeck & Ruprecht, 1998, ISBN 978-3-525-01365-6, S. 223.
  3. Vgl. Hannes Metzler: Ehrlos für immer? Wien, 2007.
  4. Thomas Eilenberg: Murellenschlucht. (flash) 14. Januar 2007, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. September 2017; abgerufen am 6. Juli 2018 (auf der linken Seite den Cursor auf den 7. Kreis von oben stellen).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.murellenschlucht.de
    Zum Hitlerzitat und einer ähnlichen Rede Baumanns siehe auch: Endlich: Gedenkstein für die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure der Wehrmacht in Buchenwald enthüllt, „In Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz …“ AG Friedensforschung an der Uni Kassel, 12. Juni 2016, abgerufen am 6. Juli 2018.
  5. Volker Stahl: „Hamburg hat umgedacht“. Die Hansestadt hat nun ein Deserteur-Denkmal. Es ehrt die Opfer der NS-Militärjustiz. In: Neues Deutschland, 26. November 2015, S. 14.
  6. Wolfram Wette: Wiederherstellung seiner Würde. Trauerrede für den letzten überlebenden Wehrmachtsdeserteur, Ludwig Baumann, der im Alter von 96 Jahren gestorben ist. In: Frankfurter Rundschau vom 19. Juli 2018, S. 28.
  7. Georg Ismar und dpa: NS-Opferrente gekürzt: Regierung in der Kritik. Schweriner Volkszeitung (SVZ.de), 5. August 2018, abgerufen am 5. August 2018.
  8. Pascal Beucker: Deutsche Gründlichkeit. Die Tageszeitung (taz.de), 3. August 2018, abgerufen am 6. August 2018.
  9. stg: Opferrente für Deserteur nicht gekürzt. Rückzahlung gestoppt. In: Frankfurter Rundschau, 24. Oktober 2018, S. 4
  10. http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Pressemitteilungen/BVPM20190204AKG-Rili-neufsg.pdf
  11. Senatsempfang zum 90. Geburtstag von Ludwig Baumann. Pressemitteilung der Hansestadt Bremen, 9. Dezember 2011, archiviert vom Original am 8. Juli 2012; abgerufen am 6. Juli 2018.
  12. Klaus Wolschner: In Hamburg wird eine Grünfläche nach dem NS-Deserteur Ludwig Baumann benannt, taz (Nord), 22. Dezember 2021
  13. Karl-Heinz Janssen: Einer, der sich wehrte. In: Die Zeit. 13. Dezember 1996, abgerufen am 6. Juli 2018.
  14. Magnus Koch: L. Peterssen: Hitler’s Deserters. Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. H-Soz-Kult, 25. Juli 2014, abgerufen am 6. Juli 2018.
  15. Sebastian Loskant: Film über Ludwig Baumann: Ein Deserteur kämpft um Anerkennung. In: weser-kurier.de. 18. November 2023, abgerufen am 6. März 2024.