Musik der Roma

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Ektomorf beim Rock The Lake 2007
Fanfare Ciocărlia beim internationalen Weltmusik und Landart Festival „Sheshory-2006“, Ukraine
Gipsy Kings, Konzert im Jahr 2007
Gipsy.cz live beim Pulse Festival in London (2007)
Kocani Orchester mit Beirut Band
78er von Victor des Quintette du Hot Club de France: Swing Guitars (1936)
Datei:Szászcsávási zenekar.jpg
Die Szászcsávás Band, 1998
Taraf de Haïdouks 2008
Marianne Rosenberg auf der Kieler Woche 2009.
Schnuckenack Reinhardt Quintett 1972 in Mainz
Biréli Lagrène (2006)
Adrian Coriolan Gaspar, 2007

Die Musik der Roma ist so verschieden, wie die Lebens- und Kulturräume der Gruppen verschieden sind. Stets ist sie auch beeinflusst von der Musik ihrer mehrheitsgesellschaftlichen Nachbarn.

Die Geschichte der Musik der Roma ist geprägt von der Anpassung an die mehrheitsgesellschaftlichen Musik- und Unterhaltungsbedürfnisse, weil sie stets vor allem dem Lebensunterhalt zu dienen und auf die mehrheitsgesellschaftlichen Hörer einzugehen hatte. So entwickelten Roma-Musiker in eigenen Bearbeitungen vor allem eine allgemein beliebte Unterhaltungsmusik.

Eine in ihren wesentlichen Merkmalen homogene Musik, die typisch für die Gesamtethnie der Roma oder auch nur für eine ihrer Teilgruppen wäre, gibt es demnach nicht.

Allgemeines

„Die Musik der Roma ist derart vielfältig, dass man von einer Roma-Musik nicht sprechen kann. Ähnlich heterogen wie die verschiedenen Roma-Gruppen stellt sich auch deren Musik dar.“[1] Einen gemeinsamen Grundbestand der von Roma komponierten oder gespielten Musik, wie das Romanes als Sprache ihn hat, gibt es nach überwiegender Meinung der Forschung nicht. So ist die Musik der Burgenland-Roma wesentlich von Elementen aus der ungarischen Volksmusik geprägt,[2] während der Flamenco von maurischer und spanischer mehrheitsgesellschaftlicher Musik beeinflusst ist.

Nach Oskar Elschek hätten die Roma ihre eigene musikalische Identität zugunsten des Gastlandes immer wieder verdrängt. Dennoch existierte früher wie auch noch heute sehr wohl eine genuine Musik der Roma.[3]

Harmonik und Melodik fallen ganz unterschiedlich aus. Am Beispiel der Region Südosteuropa: „Liedern slowenischer Roma etwa liegen Dur-Tonleitern zugrunde, Liedern serbischer Vlach-Roma [4] hingegen ‚modale‘ Leitern, während Lieder der Roma in Mazedonien und Südserbien des Öfteren auf der ‚phrygischen‘ Skala beruhen.“ Typisch für diesen Raum ist eine Musik, die türkischen Einfluss erkennen lässt, was aber nicht nur für Musik gilt, die von Roma gemacht wird.[5] Als noch in etwa charakteristisches gemeinsames Gestaltungselement gilt für Roma-Musiker, dass sie Musik weniger als etwas Festgeschriebenes interpretieren. Sie ziehen die Improvisation vor.

Die professionelle Musikertätigkeit war und ist eine wesentliche Methode des Erwerbs materieller und sozialer Ressourcen. Musik spielt zugleich im sozialen und kulturellen Leben der Familien eine wichtige Rolle. Die traditionelle musikalische Sozialisation ist nichtschriftlich und familiär. Kinder wachsen so früh in den Musikerberuf hinein. Das gilt in besonderer Weise für die Familien von Berufsmusikern, so dass „Musikerdynastien“ sich ausbilden. Entgegen dem mehrheitsgesellschaftlichen Stereotyp liegt Musik demnach nicht „Zigeunern im Blut“, sondern wird früh angeeignet. Roma-Musiker bekennen sich anders als viele Roma in anderen Erwerbstätigkeiten ausdrücklich zu ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit, wenn sie sie nicht sogar als ein unterstützendes Moment ausdrücklich betonen. Die Tätigkeit von Roma-Musikern ist in der Regel positiv, nicht negativ konnotiert. Dass dies nicht nur eine Zuschreibung von außen ist, sondern auch innerhalb der Roma selbst so tradiert ist, ist anhand der Roma-Märchen nachweisbar, in denen der Musikerberuf eine deutlich positivere Konnonation hat als in Märchen anderer Traditionen. Dabei kommt der Geige als Instrument eine besondere Bedeutung zu.[6][7]. Auch heute sind Roma-Musiker einer großen Öffentlichkeit bekannt, wobei das Klischee von „Zigeunern“ als singend, tanzend und musizierend sich nicht zuletzt nach dem Bild der Musiker geformt hat.[8]

Die populäre Entsprechung zu einer fiktiven „Musik der Roma“, wie sie sich im Alltagsdiskurs, aber auch in älterer musikfachlicher Literatur vorfindet, ist eine nicht weniger fiktive „Zigeunermusik“ (ital. musica gitana, engl. gypsy music, franz. musique tzigane).

  • Die Sammelkategorie behauptet allgemeine gemeinsame Merkmale. Sie geht von grundlegenden Gemeinsamkeiten des Vortrags[9] sowie der Harmonik und Melodik [10] aus. Sie führt so zu Verallgemeinerungen die bei detaillierterer Betrachtung revisionsbedürftig sein können.
  • Die heutige Musikwissenschaft hat teilweise andere Betrachtungsweisen entwickelt. „Der Begriff ‚Zigeunermusik‘“ sei „eine diffuse Sammelbezeichnung für eine Vielzahl musikalischer Strömungen“.[11]
  • „Zigeunermusik“ meint darüber hinaus nicht nur Musik von „Zigeunern“, sondern zugleich Musik mehrheitsgesellschaftlicher Komponisten und Musiker in einem imaginierten Zigeunerstil.
  • Zu sehen ist auch, dass Ensembles, die „Zigeunermusik“ produzieren, häufig sowohl aus Roma- als auch aus Nichtroma-Musikern bestehen, also auch von ihrer performativen Seite nicht als „Zigeunermusik“ (oder als „Musik der Roma“) gelten können, sondern nur als Musik unter diesem Etikett.

Exemplarisch für die wechselseitige Durchdringung mehrheitsgesellschaftlicher Musik und von Roma produzierter Musik stehen die spanische und die ungarische Tradition populärer Musik.

Spanien

Spanische professionelle Musiker, Tänzer und Tänzerinnen haben mit dem Flamenco seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine weithin beachtete musikalische Tradition begründet. Nach einem lange tradierten Mythos sei der Flamenco in der isolierten Umgebung einiger Gitano-Familien in Andalusien entstanden. Die Theorie von der Erfindung des Flamenco durch spanische Gitanos gilt inzwischen als wissenschaftlich widerlegt.[12] Gitanos griffen allerdings die Form des Flamenco später auf. Bei ihren frühen Protagonisten handelte es sich vor allem um Angehörige nicht der Minderheit, sondern der andalusischen Bohème, die sich auf die Traditionen einer vorgestellten Subkultur von „fahrenden“ Künstlern, so auch auf die zeitgenössische „Zigeuner- und Brauchtumsmode“, bezogen. Der Flamenco verwendete Stilelemente spanisch-mehrheitsgesellschaftlicher und orientalisch-maurischer Musik.[13] Berufsmusiker der spanischen Kalé („Gitanos“) eigneten sich diese Musik an, entwickelten sie weiter. Weltberühmte Virtuosen des Flamenco wie Manitas de Plata oder José Reyes gehören der Minderheit an.

Der Flamenco erfuhr als „Musik der Gitanos“ eine Folklorisierung, die bis heute im populären Verständnis Gültigkeit hat. Inzwischen hat er im Zuge starker Kommerzialisierung eine Vielfalt unterschiedlicher Einflüsse aufgenommen: popmusikalische, lateinamerikanische, arabische, afrikanische und Jazzelemente. Ein großer Teil der Flamenco-Künstler gehört der Gitano-Minderheit nicht an.[14]

Ungarn

Die Musik ungarischer Roma-Musiker ist ein weiteres Beispiel für die pragmatische Verarbeitung mehrheitsgesellschaftlicher Musikformen wie auch für die mehrheitsgesellschaftliche Konstruktion von „Zigeunermusik“.

In den Städten entstanden im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts „Zigeunerkapellen“. Sie traten in Konzertsälen ebenso wie in Cafés und Wirtshäusern auf. Vom Wirtshaus („Csárda“) leitet sich der Csárdás ab. Ihre Instrumentierung wird unterschiedlich beschrieben. Stets gehörten und gehören Geige und Kontrabass dazu. Klarinette, Blechblasinstrumente, Cymbal (Hackbrett) und weitere Instrumente können hinzutreten.[15]

Ungarische Volksmusik, wie sie auch von Roma gespielt wurde, galt seit dem 19. Jahrhundert weithin als „Zigeunermusik“. Es setzte sich die Mode des „style hongrois“ in den europäischen Salons durch. Die „Zigeunertonleiter (frz. mode hongrois; engl. gipsy scale)“, wie sie sich z. B. bei Liszt vorfindet und die nicht spezifisch ist für Musik der Roma, gilt als Merkmal des Konstrukts einer ungarisch-romantischen „Zigeunermusik“. [16] „Roma-Ensembles mit westlich-komponierter Musik“ traten um 1815 in den rumänischen Städten auf. Der ungarische Rom János Bihari (1764–1827) „stand am Wiener Hof um 1814 schon in so hohem Ansehen, dass er sogar vor dem Wiener Kongreß spielte.“ Neben Walzern und Mazurken im 19. Jahrhundert nahmen ungarische Roma-Musiker im 20. Jahrhundert auch moderne Tänze wie Foxtrott und Tango in ihr Repertoire auf.[17]

Die Musik, die Roma-Musiker für ihre Leute auf ihren eigenen Festen spielen, hat mit dieser „Zigeunermusik“ nicht viel zu tun. „Die wirklich traditionelle Musik der ungarischen Roma kommt […] fast ganz ohne Instrumente aus; sie ist eine distinktive Mischung aus A-cappella-Gesang und Perkussion.“[18]

Türkei

Der aus der Türkei stammende, schnelle Musikstil çiftetelli im 4/4-Rhythmus mit Betonung auf dem ersten und vierten Schlag ist von Roma-Spielweisen beeinflusst und verbreitete sich von der Türkei aus auf dem Balkan.

Rumänien, Bulgarien

In Rumänien und Bulgarien pflegen Roma den Musikstil Manea, der auf Stilelementen der türkischen Musik basiert.[19]

Siehe auch

Literatur

  • Anita Awosusi (Hrsg.): Die Musik der Sinti und Roma. Band 1: Die ungarische „Zigeunermusik“. Band 2: Der Sinti-Jazz. Band 3: Der Flamenco. (Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma) Heidelberg, 1996–1998
  • Max Peter Baumann (Hrsg): Music of the Roma. Ethnicity, Identity and Multiculturalism. VWB-Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-86135-700-3 (The world of music, Nr. 38,1; englisch).
  • Ursula Hemetek: Roma und Sinti. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 4, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2005, ISBN 3-7001-3046-5.
  • Jens Kaufmann: 500 Jahre Weltmusik. Die Musik der Sinti und Roma. In: Christina Kalkuhl, Wilhelm Solms (Hrsg.): Antiziganismus heute. I-Verb.de, Seeheim 2005, ISBN 3-9808800-2-8, S. 115–121 (Beiträge zur Antiziganismusforschung, Bd. 2).
  • Charles Kei, Angeliki Keil: Bright Balkan Morning – Romani Lives and the Power of Music in Greek Macedonia, Wesleyan University Press, 2002
  • Anja Tuckermann: Sinti und Roma hören. Eine musikalisch illustrierte Reise durch die Kulturgeschichte der Sinti und Roma von den Anfängen bis in die Gegenwart, mit über 40 Musikbeispielen aus dem Kulturkreis. Silberfuchs-Verlag, Tüschow 2011, ISBN 978-3-940665-25-6 (Hörbuch, 1 Audio-CD und Booklet; Sprecher: Rolf Becker, Anne Moll).

Dokumentarfilm

  • Der zerbrochene Klang von Wolfgang und Yvonne Andrä, D 2012.[20][21] Dokumentarfilm zu den gemeinsamen Wurzeln von jüdischer Klezmer- und Lautari-Musik der Roma in Bessarabien.[22][23]

Weblinks

Anmerkungen

  1. http://ling.kfunigraz.ac.at/~rombase/ped/data/musik.de.pdf, S. 1.
  2. Bálint Sárosi: Zigeunermusik. Atlantis Musikbuch-Verlag, 1977, S. 23, 41 ff.
  3. Max Matter: Lied und populäre Kultur/ Song and Popular Culture – Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs, Waxmann Verlag GmbH, Münster, 2003, Seite 255
  4. Anm.: Wichtige Forschungsbeiträge zur Musik der slowakischen Vlach-Roma stammen von dem Musik-Ethnologen Dušan Holý, Zbyněk Andrš und der Ethnomusikwissenschaftlerin Katalin Kovalcsik (siehe Die Musik der Roma in Böhmen und Mähren)
  5. http://ling.kfunigraz.ac.at/~rombase/ped/data/musik.de.pdf, S. 5.
  6. Rosemarie Tüpker: Musik im Märchen. Reichert-Verlag, Wiesbaden, 2011. S. 33-76, 96-134, 166 ISBN 978-3-89500-839-9
  7. Heinz Mode/Milena Hübschmannová: Zigeunermärchen aus aller Welt. Bände I bis IV, Insel-Verlag Leipzig, 1983–85
  8. Siehe z. B. die Website der KG Hofheim („Singen, tanzen, live Musik machen und Spaß auf und hinter der Bühne haben, das war und ist das Motto der Zigeuner-Gruppe!“): [1].
  9. Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 2, Mainz 1977, S. 718.
  10. Wulf Konold, Alfred Beaujean: Lexikon Orchestermusik – Romantik, Mainz 1989, S. 397.
  11. Marion A. Kaplan/Beate Meyer, Jüdische Welten (Hrsg.), Göttingen 2005, S. 179.
  12. Kirsten Bachmann: Flamenco(tanz) – Zur Instrumentalisierung eines Mythos in der Franco-Ära. Logos Verlag Berlin, Berlin 2009, S. 11, 15
  13. Gerhard Steingress: Über Flamenco und Flamenco-Kunde. Ausgewählte Schriften 1988–1998. Berlin/Hamburg/Münster 2006, S. 35.
  14. http://ling.kfunigraz.ac.at/~rombase/ped/data/musik.de.pdf, S. 4.
  15. http://ling.kfunigraz.ac.at/~rombase/ped/data/musik.de.pdf; http://roma-und-sinti.kwikk.info/?page_id=364.
  16. [2] Max Peter Baumann: „Wir gehen die Wege ohne Grenzen …“ – Zur Musik der Roma und Sinti. In: Music, Language and Literature of the Roma and Sinti. Hrsg. von Max Peter Baumann (Intercultural Music Studies, Bd. 11), Berlin 2000.
  17. Brockhaus Riemann Musiklexikon, Band 2, Schott, Mainz 1977, S. 718
  18. Jens Kaufmann: 500 Jahre Weltmusik. Die Musik der Sinti und Roma. In: Christina Kalkuhl/Wilhelm Solms (Hrsg.): Antiziganismus heute (Beiträge zur Antiziganismusforschung, Bd. 2), Seeheim 2005, S. 115–121, hier: S. 117.
  19. Music and Minorities, Proceedings of the 1. International Council for Traditional Music (ICTM) Study Group Music and Minorities. International Meeting, Ljubljana, 2000, 178 ff.
  20. Der zerbrochene Klang bei IMDb
  21. The Other Europeans in: Der zerbrochene Klang, Website des Films
  22. Sonja Vogel: Ohne Überlieferung, Taz, 19. April 2012
  23. Stefan Franzen: Bergungsmission auf Bessarabisch, Badische Zeitung, 12. Juni 2012