Rathaus (Überlingen)

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Rathaus (links das alte, rechts das neue)

Das Rathaus in Überlingen ist ein denkmalgeschütztes, aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammendes Rathaus in der Überlinger Altstadt. Es begrenzt südlich in direkter Nachbarschaft zum Münster St. Nikolaus den einstigen Kirchhof und dient bis heute der örtlichen Stadtverwaltung.

Geschichte

Das Rathaus wurde im Jahr 1332 erstmals erwähnt, als die Stadt ein Grundstück zur Erweiterung desselben erwarb. 1394 wurde es erstmals ausdrücklich genannt, als man dort einem Priester das Mesneramt übertrug. Die noch ältesten im Westbau an der Münsterstraße erhaltenen Holzdecken werden auf das Jahr 1400 datiert.

neues Rathaus mit Pfennigturm

Gegen Anfang der 1490er Jahre wurde das Rathaus erweitert. Den fast quadratischen, dreigeschossigen Staffelgiebelbau, hauptsächlich bestehend aus Rorschacher Sandstein, setzte man östlich an das alte Rathaus. Auf der aus Rustikaquadern bestehenden Vorderseite, öffnet sich hinter einem spitzbogigen Eingangstor im Erdgeschoss eine hohe, durch vier Steinstützen getragene Kaufhalle (Rathauskeller, heute ein Café), ein Geschoss weiter oben, hinter drei Fenstergruppen, befindet sich der neue ausgeschmückte Ratssaal, im zweiten Obergeschoss sind Amtsräume untergebracht. An die Südostkante angebaut, steht der Pfennigturm als Sitz der reichsstädtischen Münze, der das neue Amtsgebäude um ein Geschoss überragt. Die angebrachte Sonnenuhr am Turm steht als Technisches Denkmal unter Schutz. Während die Fenster- und Türöffnungen am Neubau noch im gotischen Stil ausgeführt sind (z.B. Kreuzstockfenster im Erdgeschoss und im zweiten Obergeschoss), verweist die Fassade an der Vorderseite aus einer damals kostspieligen, aus dem humanistisch gesinnten Italien importierte, Rustikaquaderung an die Renaissance. Sie zeigt deutlich die Nähe des ältesten Renaissancegebäudes Deutschlands, dem Reichlin-von-Meldegg-Haus in Überlingen. Offensichtlich für alle, orientiert sich somit das wichtigste öffentliche Gebäude der Stadt am Haus eines Bürgers, was nicht verwunderlich scheint, denn zur Erbauungszeit war der Patrizier Clemens Reichlin von Meldegg, Sohn des Erbauers des Familienpalastes, im jährlichen Wechsel, Amts- und Altbürgermeister und hatte einigen Einfluss auf die Baupläne des neuen Rathauses.

Die Rückseite

Während sich die rückwärtige, zum Münster gerichtete Gestaltung des neuen Amtshauses noch bescheiden zeigt, so öffnet sich in Richtung Hofstatt, zur weltlichen Seite, die architektonische Raffinesse des Neubaus. Er wurde so platziert, dass er mit seiner Hauptfassade zusammen mit dem Pfennigturm die Hofstatt mit einer bühnenartigen, zentralen Lage ganz im Sinne idealer Plätze der Frührenaissance, abschließend vom profanen Marktplatz (Hofstatt) und öffnend zur sakralen Kirche (Münster) dominiert. Der zur selben Zeit fertiggestellte Münster-Nordturm überragt, zusammen mit dem unfertigen Münster-Südturm, direkt dahinter die stadtbildprägende Kulisse von Bauwerken und Platz. So erinnert der Neubau und die gesamte Lage an einen italienischen Palazzo. Anders als die zeitgenössischen, oft giebelständigen, vergleichbaren Bauten in der Region (Ravensburg, Lindau), hat das Gebäude wegen der dreiachsigen Fassade mit einer höher liegenden vierten Achse eher Ähnlichkeiten, die in der Schweiz anzutreffen sind (Schaffhausen, Luzern).

1795 beschloss der Stadtrat, das Rathaus nach Entwürfen von Deutschordensbaumeister Franz Anton Bagnato im klassizistischen Stil zu modernisieren. An der Münsterstraße riss man daraufhin die mittelalterliche Außentreppe ab, auf die Dachtraufe der Südfront des Altbaus wurde ein aufsteigender Dreiescksgiebel angebracht. Es wurden aber weder das geplante Steinsäulengeschmückte Portal noch ein mehrläufiges Treppenhaus gebaut. Auch der geplante Abriss der benachbarten, aus dem 13. Jahrhundert stammenden Beinhauskapelle St. Michael und Georg fand aus bedenklichen Ursachen nicht statt. Bei den Arbeiten fand man im Untergeschoss Bestattungsmerkmale des bis 1530 auf dem Münsterplatz untergebrachten Friedhofs.

Nach 1803

Nachdem Überlingen Anfang des 19. Jahrhunderts die Reichsunmittelbarkeit verlor und an Baden fiel, verkaufte die einstige Reichsstadt, neben weiteren städtischen Gebäuden, die westliche Rathaushälfte an den badischen Staat. Dort wurden das Großherzogliche Bezirksamt und das Amtsgericht eingerichtet. Um die Behörden vollständig unterbringen zu können, errichtete man zwischen altem Rathaus und Münster ein Erweiterungsbau. Auf diesem Platz stand noch wenige Jahre zuvor die nun abgebrochene Beinhauskapelle, in der sich die Ratsmitglieder traditionell vor jeder Sitzung trafen und einen Gottesdienst abhielten.

Als man ende der 1880er Jahre das neue Bezirksamtsgebäude an der Bahnhofstraße in Betrieb nahm, überließ der Staat der Stadt wieder das gesamte Rathaus. Man brach in dieser Zeit auch die Mauer, die von der Südwestkante des Pfennigturms an die Südostkante des alten Rathauses stieß, ab. Diese bildete einen kleinen Vorhof zwischen Münsterstraße und Kaufhalle. Die Abbruchkante ist immer noch leicht an der Ecke des Pfennigturms zu erkennen. In der Mitte der 1950er gestaltete man das alte Rathaus erneut um. Den klassizistischen Giebelaufsatz entfernte man wieder und brachte an der Straßenfassade ein Naturstein-Mosaik von Hans Baumhauer an. Es stellt die Verleihung eines Marktprivilegs durch Kaiser Karl V. im Jahr 1547 an die damalige freie Reichsstadt dar. Bei den Arbeiten am älteren Rathaus legte man im zweiten und dritten Obergeschoss jeweils eine Fenstergalerie mit Renaissancegebälk bzw. gotischem Maßwerk, sowie das bis dahin verputzte Fachwerk am Westbau wieder frei. Durch diese Veränderungen bekam die Straßenfassade des alten Rathauses seine heutige spätmittelalterliche Aufmachung zur Hofstatt hin.

Rathaussaal

Vertragsentwurf für Jakob Ruß

Der zu den bekanntesten Überlinger Sehenswürdigkeiten zählende spätgotische Rathaussaal, der immer noch als Sitzungssaal des Gemeinderats genutzt wird, entstand von 1490 bis 1494 durch den Ravensburger Bildhauer Jakob Ruß (oder Russ, Ruess) und gilt als eindrucksvolles Beispiel des spätgotischen Realismus. Damals beauftragte der Stadtrat Ruß, den Saal im Neubau auszustatten. Ruß und seine Gesellen machten den Saal im ersten Obergeschoss zu einem Schmuckstück des gesamten neuen Rathauses. Die geschnitzten Balken mit Ornamenten tragen eine leicht gewölbte Holzdecke. Getafelte Wände gehen oben in einen verzierten Fries mit 41 etwa 40 Zentimeter hohen Lindenholz-Skulpturen über, die Stände des Heiligen Römischen Reichs darstellen. Abgebildet sind unter anderem drei geistliche und vier weltliche Kurfürsten (darunter Berthold von Henneberg, Erzbischof von Mainz und erster geistlicher Kurfürst des Reiches, sowie der König von Böhmen als weltlicher Kurfürst), sowie – nach der Fiktion der Quaternionen der Reichsverfassung – jeweils vier Markgrafen, Grafen, Ritter, Freiherren, Städte und „Bauern“.

Historisches Bild aus dem Saal

Rechts und links befinden sich in der Supraporte das von zwei Löwen gehaltene Wappen des Kaisers und das der Stadt, flankiert von den Überlinger Stadtpatronen St. Nikolaus und St. Michael. Mit dem neuen Saal schaffte man einen repräsentativen Raum für den Empfang von Gästen der Stadt und stellte die Verbundenheit der freien Reichsstadt zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen dar.

Als Mitte des 19. Jahrhunderts der Saal in das öffentliche Bewusstsein geriet, ließen sich frühe Aktivitäten einer staatlichen Denkmalpflege in Baden erkennen. Damals förderte der Staat die Inspektion sowie die Wiederherstellung seines ursprünglichen Bauzustands.

Literatur

  • Michael Brunner, Marion Harder-Merkelbach (Hrsg.): 1100 Jahre Kunst und Architektur in Überlingen (850–1950). Begleitbuch zur Ausstellung der Städtischen Galerie Überlingen. Imhof Verlag, Petersberg 2005, ISBN 3-86568-032-1.
  • Peter Findeisen, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Landesvermessungsamt Baden-Württemberg: Ortskernatlas Baden-Württemberg. Band 4.3: Stadt Überlingen. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, 1994, ISBN 3-89021-565-3.
  • Landratsamt Bodenseekreis (Hrsg.): Der Überlinger Rathaussaal. Ein Kunstwerk aus dem Herbst des Mittelalters. Mit Beiträgen von Guntram Brummer, Georg Poensgen und Peter Putzer. Fotos von Ulrike und Toni Schneiders. (= Kunst am See. 25). Verlag Gessler, Friedrichshafen 1993, ISBN 3-922137-94-6.
  • Alois Schneider, Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege, Stadt Überlingen (Hrsg.): Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg. Band 34: Überlingen. Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege, 2008, ISBN 978-3-927714-92-2.
  • B. Ziegler: Das Schnitzwerk im Rathaussaale zu Überlingen und Meister Jakob Ruß von Ravensburg. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 18. Jg. 1889, S. 34–39. (Digitalisat)

Weblinks

Commons: Rathaus Überlingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Pfennigturm – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 47° 46′ 0,4″ N, 9° 9′ 38,4″ O