Torhalle Lorsch

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Westseite der Torhalle, 2009
Ostseite der Torhalle, 2007

Die Torhalle (auch Königshalle) des ehemaligen Klosters Lorsch ist ein spätkarolingischer Bau, der um 900 errichtet wurde.[1] Die polychrome Fassade der Torhalle ist ein bedeutendes Beispiel für die Umsetzung antiker Bauformen und Werktechnik im frühen Mittelalter.

Weltkulturerbe

Das Gebäude wurde als letzter oberirdisch sichtbarer Teil der karolingischen Klosteranlage 1991 zusammen mit den übrigen baulichen und archäologischen Resten der mittelalterlichen Klosteranlage in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Zweck der Torhalle

Der ursprüngliche Zweck des Gebäudes ist ungeklärt. Nach Jahrhunderten der Vergessenheit wurde das ungewöhnliche Gebäude anfangs als Torhalle in der Klostermauer interpretiert. Doch Grabungen ergaben, dass das Gebäude immer frei stand.[2] In der Diskussion sind die Funktionen als Bibliothek, Gerichtshalle, Aufbewahrungsort der Lorscher Nazarius-Reliquie und Empfangssaal bzw. Königshalle. Wegen des aufwändigen Schmucks muss sie einen besonderen Nutzen gehabt haben, einen Nutzen, der wahrscheinlich mit dem Besuch oder der Stellvertretung des Königs zusammenhing.[3] Aufgrund von mehreren Umbauten des Innenraums ist Mehrfachnutzung nicht auszuschließen.

Geschichte

Während die Fassade der Halle kaum verändert wurde, erfuhr der Innenraum mehrere Umbauten, die auf eine Umnutzung des Raumes hindeuten. Ursprünglich befand sich im ersten Obergeschoss eine architektonische Bemalung mit einer Säulenreihe auf einem Sockel aus verschiedenfarbigen Quadern. Das Erdgeschoss diente als Durchgang. Aufgrund der Art der Bemalung geht man von einer weltlichen Nutzung der Halle zu dieser Zeit aus. Im 11. oder 12. Jahrhundert wurde das mittlere Fenster der Ostwand vermauert, um Platz für eine Altarnische zu schaffen. Die Ostwand erhielt eine figürliche Malerei, was auf eine sakrale Nutzung hindeutet. Um 1400 erhielt die Halle ein steileres gotisches Dach, um Platz für eine halbrunde hölzerne Tonne zu schaffen, welche die vermutlich flache Decke des ersten Obergeschosses ersetzte. Die Wände des Obergeschosses wurden ganz mit figürlichen Darstellungen bemalt. Auf Anweisung des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs Lothar Franz von Schönborn wurde 1697 die Erdgeschossdecke entfernt, die östlichen Bögen wurden vermauert und die westlichen Bögen mit Türen versehen. 1724 erhielt der Bau neben einem neuen gleich hohen Dach eine flache stuckierte Decke und einen neuen Verputz im Innenraum. 1797 stand der Abriss kurz bevor, da die Halle auf Abriss versteigert wurde. Die Rettung erfolgte durch Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt, der die Halle erwarb und vor dem Abriss bewahrte. 1842 stürzte trotz der Bemühungen um die Erhaltung der Halle der nördliche Treppenturm ein. Er wurde während einer ersten Restaurierung der Halle 1934/35 wiederaufgebaut. Bei dieser Restaurierung versuchte man den ursprünglichen Zustand der Halle wiederherzustellen, weshalb man die barocke Decke entfernte, die Bögen im Erdgeschoss öffnete und im Erdgeschoss wieder eine Decke einbaute. Bei einer späteren Restaurierung wurden im Obergeschoss die gotische Tonne und die Bemalung rekonstruiert. Im Zuge von Restaurierungsarbeiten an der Fassade zwischen 2012 und 2014 wurde die Fassade systematisch untersucht, um möglicherweise unbekannte bauliche Details zu finden, die Rückschlüsse auf den ursprünglichen Zweck der Halle geben könnten.[4]

Architektonische Beschreibung

Die Torhalle zeichnet sich durch eine klare Stockwerksgliederung aus:
Im Erdgeschoss befindet sich eine offene Halle aus drei halbrund geschlossenen, gleich hohen Bogenöffnungen, im Obergeschoss eine Scheinarchitektur aus kannelierten Rechteckvorlagen, Kapitellen im ionischen Stil, wobei sie typisch korinthische Akanthusblätter aufweisen (Kompositkapitell), und Dreiecksgiebeln. Die Flächen sind in rotem und weißem Sandstein gehalten, unten in Quadraten, oben in Sechs- und Dreiecken. Nach oben hin wird die Kannelierung der Säulen weitergeführt, allerdings in Form von aufgemalten Pilastern, bis hin zu einem gezackten Muster, das an Fachwerkhäuser erinnert, welche in dieser Gegend häufig anzutreffen sind.

Touristische Bedeutung

In einer 2009 von Hessischen Rundfunk durchgeführten Online-Befragung wurde die Königshalle des Klosters Lorsch, nach dem etwa acht Kilometer entfernten Schloss Auerbach, zum zweitbeliebtesten Bauwerk Hessens gewählt.[5]

Ende 2012 begannen umfassende Maßnahmen zur Neugestaltung des Welterbeareals. Ziel dieser Umbaumaßnahmen ist, die Erlebbarkeit des ehemaligen Klosters Lorsch zu verbessern. Zu diesen Maßnahmen zählt die landschaftliche Freistellung der klosterzeitlichen Gebäude, der Torhalle, der Klostermauer und des Kirchenrestes und der Umbau der Zehntscheune zu einem auch virtuell erklärenden Museum modernsten Zuschnitts. Das ebenfalls neugeschaffene Freilichtlabor Lauresham verschafft einen Eindruck von agrarischen Siedlungen der Karolingerzeit.

Literatur

  • Werner Jacobsen: Die Lorscher Torhalle. Zum Problem ihrer Datierung und Deutung. Mit einem Katalog der bauplastischen Fragmente als Anhang: In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 1, 1985, S. 9–75.
  • Katarina Papajanni, Judith Ley (Hrsg.): Karolingerzeitliche Mauertechnik in Deutschland und in der Schweiz, Regensburg 2016.
  • Kerstin Merkel: Die Antikenrezeption der sogenannten Lorscher Torhalle. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 32/33, 1992/93, S. 23–42.
  • Matthias Untermann: Die „Torhalle“. In: Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Ausstellung Museumszentrum Lorsch, 28.5.2011–29.1.2012. Imhof, Petersberg 2011, S. 194–215.
  • Thomas Ludwig: Die Lorscher Tor- oder Königshalle: ein außen und innen reich geschmücktes karolingisches Bauwerk. (= Kleine Kunstführer 2575) Schnell & Steiner, Regensburg 2006, ISBN 978-3-7954-6565-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Katarina Papajanni: Lorsch, Torhalle - Mauertechnik, in: Katarina Papajanni, Judith Ley (Hrsg.): Karolingerzeitliche Mauertechnik in Deutschland und in der Schweiz, Regensburg 2016, S. 177.
  2. Vgl. Marion Bayer: Eine Geschichte Deutschlands in 100 Bauwerken. Köln 2015, S. 29.
  3. Vgl. Marion Bayer, ebda.
  4. Lehrstuhl für Baugeschichte der TU München: Torhalle Lorsch (Hessen)
  5. hr-online.de: Das sind die beliebtesten Bauwerke der Hessen. vom 3. September 2009

Koordinaten: 49° 39′ 14″ N, 8° 34′ 8″ O