Wegwerfgesellschaft

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Wegwerfgesellschaft ist ein (meist abwertender) Begriff, der von Kritikern der Überfluss- bzw. Konsumgesellschaft geprägt wurde. Er bezeichnet eine Gesellschaft, die wesentlich durch eine sogenannte Wegwerfmentalität geprägt sei, das heißt eine Mentalität, die durch schnelles Konsumieren (Konsumismus), verschwenderischem Umgang mit natürlichen Ressourcen (Energie, Material) und Umweltverschmutzung geprägt ist. Die Wegwerfmentalität hat eine Tendenz zu Einwegprodukten, auch wenn es sich eigentlich um Gebrauchsgüter handelt, die den Charakter langfristiger Konsumgüter haben, und vernachlässigt das sorgsame Pflegen und Instandhalten von Objekten sowie eine auf Dauerhaftigkeit angelegte Produktion zugunsten des schnellen Ersatzes durch neue Güter.

Ursachen

Wegwerfmentalität

Mit Wegwerfmentalität wird pejorativ eine nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Einstellung bezeichnet, die häufig auch reparable oder vollständig gebrauchsfähige Güter zugunsten neuer, entsorgt.

Der Begriff beinhaltet auch eine kritische Sicht von Überproduktion und der Produktion unnötiger oder kurzlebiger Gegenstände in einer Konsumgesellschaft, deren Konsumverhalten sich an den Möglichkeiten des Konsums orientiert und weniger an der Notwendigkeit.

Vor diesem Hintergrund steht er auch für das gedankenlose Entsorgen von Abfällen in die Landschaft, auf die Straße oder in Grünanlagen aus Gründen der Bequemlichkeit (oder aus Übermut bzw. Lust an Provokation oder deviantem Verhalten) unmittelbar nach Abschluss der Konsumhandlung (z. B. Bierdosen in der Landschaft; siehe Vermüllung).

Preiswerte Produktion und günstiger Preis

Durch industrielle Produktion in Serien und in großen Stückzahlen lassen sich viele Gegenstände heute sehr günstig herstellen. So sind sehr günstige Verkaufspreise möglich. Reparatur und Pflege ist nicht selten teurer. Der geringe Kaufpreis der Produkte erleichtert den Austausch des Produkts und die Neuanschaffung.

Schneller Technologischer Fortschritt

Insbesondere im Bereich von Unterhaltungselektronik, Kommunikationsmitteln und elektrischen Geräten verändern sich aufgrund technologischen Fortschritts die Technologischen Standards so schnell, dass auch hochwertige Produkte schon nach wenigen Monaten nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. So erfolgt ein Austausch des Geräts oft schon obwohl das Vorgänger-Gerät noch funktionsfähig ist.

Schnell wechselnde Moden und Streben nach Abwechslung

Ein ähnlicher Effekt ist bei Produkten zu beobachten, bei denen es auf die ästhetische Erscheinung ankommt; Bekleidung, Schuhe, Einrichtungsgegenstände, Geschirr, etc. Insbesondere Kleidung wird oft entsorgt, weil sie schon nach kurzer Zeit (oft nur wenige Monate) nicht mehr dem Zeitgeist bzw. der aktuellen Mode entspricht und so trotz gutem Erhaltungs-Zustand aussortiert wird. Dabei ist der Begriff der Mode auch auf Dinge ausgeweitet worden, die ihm früher nicht unterworfen waren – etwa Möbel, die noch vor einigen Jahrzehnten für ein ganzes Leben angeschafft wurden. Die Reparatur von Bekleidung oder Schuhen findet, wenn überhaupt, fast nur noch im hochpreisigen Sektor statt. Die Bekleidungsindustrie folgt und fördert diesem/n Trend. Trendige Unternehmen wechseln schon nach wenigen Wochen ihre Kollektionen. Kurzlebige Produktzyklen fördern den Umsatz.

Geringe Haltbarkeit

Häufig wird nicht mehr für eine lange Haltbarkeit und Langlebigkeit produziert. Häufig kommt es hier zu einer ungünstigen Rückkopplung der Ursachen-Faktoren „günstiger Preis“, „Wegwerfmentalität“ und „geringe Haltbarkeit“. Nicht langlebige Produkte haben in der Regel geringere Produktionskosten. Günstige Produkte erzeugen eher die Bereitschaft, ausgetauscht zu werden, müssen also nicht so lange halten, um sich zu rechnen.

So wird beispielsweise Kleidung produziert, die also schon nach kurzer Zeit und wenigen Wäschen deutlich Spuren von Abnutzung zeigt. Gerade Anbieter des Niedrigpreis-Segments (z.B. Kik oder Primark) stehen in der Kritik für ein solches Konzept. Entsprechendes Marketing fördert die stete Erneuerung.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich in fast allen Kategorien der Konsumgüter erkennen, so auch bei Haushaltsgeräten. Viele Haushaltsgegenstände überdauerten früher oft eine ganze Generation. Durch industrielle Produktionsmethoden lassen sich viele dieser Gegenstände und Geräte heute sehr günstig herstellen. Der geringe Preis erlaubt eher eine Neuanschaffung. Auch hier gehen kürzere Produktnutzungszeiten mit verringerter Qualität einher, da die Produkte aus Sicht des Herstellers weniger auf Langlebigkeit ausgelegt werden müssen und Preisvorteile bei der Anschaffung in den Vordergrund treten.

Wurden Möbelstücke noch vor wenigen Jahrzehnten „vererbt“, so überstehen viele preisgünstige Möbel heutzutage kaum einen Umzug.

Einwegprodukte

So genannte Einwegprodukte werden bereits nur für den einmaligen Einsatz konzipiert. So wird beispielsweise Einweggeschirr eingesetzt, um den Aufwand der Reinigung und des Rücktransportes zu sparen. Ein anderes prominentes Beispiel sind Einwegsysteme im Bereich der Getränkeindustrie (z. B. Getränkekartons, Einwegflaschen, Einweg-Dosen) und der Fast-Food-Branche (z. B. Pizzaschachteln, Hamburgerboxen, Menüschalen, Kaffee-Becher). Außerdem kommen in vielen anderen Bereichen Einwegprodukte zum Einsatz, insbesondere im Sanitäts- und Medizinbereich, sowie in anderen Bereichen, in denen Hygiene wichtig ist: z.B. Einweghandschuh, Einwegoverall, Einwegspritze, Papiertücher (Serviette, Papiertaschentuch, Küchenrolle, Toilettenpapier), Einwegrasierer.

Die Plastiktüte stellt eines der Symbole der Wegwerfgesellschaft dar. Häufig als Dienstleistung kostenlos zum Einkauf hinzugegeben, wird sie nur selten weitergenutzt. Gegenstück ist der textile Einkaufsbeutel.

Geringe Reparabilität von Produkten

Auch hochwertige und entsprechend teure Produkte sind heute oft so gestaltet, dass sie auch bei einem geringfügigen Defekt nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand repariert werden können, beispielsweise durch Vergießen elektronischer Bauteile, Nieten und Kleben statt Verschrauben, bzw. Verschraubungen durch Abreißschrauben. Dadurch können häufig selbst schnell verschleißende Bauteile (etwa Akkumulatoren) nicht mehr ausgetauscht werden. Dies ist aus Sicht des Herstellers moderner Produktgestaltung und effizienten Produktionsmethoden geschuldet, bei denen die Reparaturfreundlichkeit gegen viele andere Faktoren abgewogen werden muss. Auch übersteigt der organisatorische Aufwand (Fehleranalyse, Ersatzteil­beschaffung, Transport/Anfahrt etc.) häufig den Wert des defekten Teils und oft auch des gesamten Produkts. Zudem sind Ersatzteile oft bereits nach kurzer Zeit gar nicht mehr erhältlich oder werden nur zu hohen Preisen abgegeben, die eine Reparatur nicht mehr lohnenswert erscheinen lassen.

Y-Type–Schraubenkopf neben einer Phillips-Schraube

Die Verwendung von erzeugerspezifischen Formen der Schraubenköpfe, die nur mit entsprechend teurem Spezialwerkzeug gelöst werden können, oder Einwegschrauben, die nur in eine Richtung gedreht werden können, erschwert hingegen absichtlich die Demontage und treibt so den Reparaturaufwand in die Höhe.

Kritiker argumentieren, dies verfolge den Zweck, dass ein Verbraucher auch bei einem kleinen Defekt des entsprechenden Teils zu einem Neukauf ganzer Baugruppen oder Neugeräte genötigt wird. Begünstigt werden diese Praktiken dadurch, dass Hersteller bis auf wenige Ausnahmen, welche sich aus den europäischen Ökodesign-Richtlinien ergeben können, keinerlei gesetzlichen Vorgaben zur Ersatzteilbevorratung oder prinzipiellen Reparabilität ihrer Produkte folgen müssen.[1]

Bewusst eingebaute Schwachstellen des Herstellers, um die Lebensdauer eines Produkts zu begrenzen und den Verbraucher zum Neukauf anzuregen, bezeichnet man auch als geplante Obsoleszenz. Ein Beispiel hierfür ist das Phoebuskartell von 1924, das die maximale Lebensdauer von Glühlampen auf 1000 Betriebsstunden begrenzte, obwohl bereits zu dieser Zeit die Lebenserwartung von handelsüblichen Glühlampen länger war.[2]

Wegwerfgesellschaft und Mangelwirtschaft

Der Vorwurf der „Wegwerfgesellschaft“ ist ein Phänomen der westlichen Industrieländer. In Mangelwirtschaften wie noch heute in der Dritten Welt oder früher in der DDR wurden aus wirtschaftlichen Gründen eine intensive Wiederverwendung bzw. Recycling praktiziert. Dort ist auch der Einsatz der lokalen Arbeitskraft und -zeit deutlich günstiger als der Umgang mit (knappen) materiellen Gütern bzw. Rohstoffen. Damit einher geht auch ein erheblich geringeres Müll- und Restmüll­aufkommen.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang M. Heckl: Die Kultur der Reparatur. Hanser, München 2013, ISBN 978-3-446-43678-7.
  • Christian Kreiß: Geplanter Verschleiß: Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt – und wie wir uns dagegen wehren können. Europa Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-944305-51-6.
  • Jürgen Reuß, Cosima Dannoritzer: Kaufen für die Müllhalde: Das Prinzip der Geplanten Obsoleszenz. Orange Press, Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-936086-66-9.
  • Burkhardt Röper, Rolf Marfeld: Gibt es geplanten Verschleiss? Untersuchungen zur Obsoleszenzthese, Schwartz, Göttingen 1976, ISBN 3-509-00953-3 (= Schriften der Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, Band 137).

Einzelnachweise

  1. Erik Poppe: Reparaturpolitik in Deutschland. Zwischen Produktverschleiß und Ersatzteilnot. (PDF-Datei; 1440 kB), SUSTAINUM – Institut für zukunftsfähiges Wirtschaften Berlin 2014, S. 32–51.
  2. Dokumentarfilm von Cosima Dannoritzer, Kaufen für die Müllhalde, 75 Minuten, 2010. (Online)