„Sokrates“ – Versionsunterschied

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'''Sokrates''' ({{ELSalt2}} Σωκράτης ''Sōkrátēs'' * [[469 v. Chr.]]; † [[399 v. Chr.]], durch [[Gift]] [[Hinrichtung|hingerichtet]]) war ein für das abendländische Denken grundlegender [[Antikes Griechenland|griechischer]] [[Philosoph]], der in [[Attische Demokratie|Athen]] lebte und wirkte. Seine herausragende Bedeutung zeigt sich u.a. darin, dass alle griechischen Denker bis zu ihm hin als „[[Vorsokratiker]]“ bezeichnet werden. Sokrates’ Philosophieren äußerte sich in der Form des mündlichen Dialogs, den er zu einer auf Erkenntnisgewinn angelegten „[[Mäeutik|Hebammenkunst]]“ entwickelte. Schriftliches hat er selbst nicht hinterlassen.
'''Sokrates''' ({{ELSalt2}} Σωκράτης ''Sōkrátēs'' * [[469 v. Chr.]]; † [[399 v. Chr.]], durch [[Gift]] [[Hinrichtung|hingerichtet]]) war ein für das abendländische Denken grundlegender [[Antikes Griechenland|griechischer]] [[Philosoph]], der in [[Attische Demokratie|Athen]] lebte und wirkte. Seine herausragende Bedeutung zeigt sich u.a. darin, dass alle griechischen Denker vor ihm als „[[Vorsokratiker]]“ bezeichnet werden. Sokrates’ Philosophieren äußerte sich in der Form des mündlichen Dialogs, den er zu einer auf Erkenntnisgewinn angelegten „[[Mäeutik|Hebammenkunst]]“ entwickelte. Schriftliches hat er selbst nicht hinterlassen. Die Überlieferung des Prozesses, der wegen Nichtanerkennung der [[Polis]]-Götter und wegen verderblichen Einflusses auf die Jugend gegen ihn geführt wurde, und die Haltung, mit der er das Todesurteil hinnahm, haben seinen Nachruhm maßgeblich bestimmt.

Die Überlieferung des Prozesses, der wegen Nichtanerkennung der [[Polis]]-Götter und wegen verderblichen Einflusses auf die Jugend gegen ihn geführt wurde, und die Haltung, mit der er das Todesurteil hinnahm, haben seinen Nachruhm maßgeblich bestimmt. Mehrere seiner Schüler haben wie [[Platon]] sokratische Dialoge verfasst und unterschiedliche Züge seiner Lehre betont. Nahezu alle bedeutenden philosophischen Schulen der [[Antike Philosophie|Antike]] haben sich auf Sokrates berufen. [[Michel de Montaigne|Montaigne]] nannte ihn den „Meister aller Meister“ und noch [[Karl Jaspers]] meinte: „Sokrates vor Augen zu haben, ist eine der unerlässlichen Voraussetzungen unseres Philosophierens.“<ref>Zit.n. Kaufmann, S. 93 (Montaigne), S. 8 (Jaspers).</ref>

== Mittelpunkt einer geistesgeschichtlichen Wende ==

[[Bild:Anaxagoras.jpeg|thumb|Anaxagoras]]
Sokrates habe die Philosophie als Erster vom Himmel auf die Erde heruntergerufen, unter den Menschen angesiedelt und zum Prüfinstrument der Lebensweisen, Sitten und Wertvorstellungen gemacht, hat [[Marcus Tullius Cicero|Cicero]] gemeint, der vorzügliche Kenner der griechischen Philosophie, soweit er sie überblicken konnte.<ref>Vgl. Pleger, S. 29.</ref> In Sokrates sah er nicht ohne Grund die Abkehr von der ionischen [[Naturphilosophie]] personifiziert, die bis 430 v. Chr. durch [[Anaxagoras]] in Athen prominent vertreten war. Sokrates verwarf den Ansatz des Anaxagoras, dessen Vernunftprinzip ihm Eindruck gemacht hatte, weil Anaxagoras keinerlei Schlüsse in menschlichen Fragen daraus zog.<ref>Pleger, S. 169f.</ref> Allerdings war Sokrates damit weder allein noch der Erste, der die menschlichen Belange in den Mittelpunkt seines philosophischen Denkens stellte.

Zu seinen Lebzeiten war Athen erst durch die Ausgestaltung der [[Attische Demokratie|Attischen Demokratie]] und dann durch den [[Peloponnesischer Krieg|Pelopponesischen Krieg]] das politisch-gesellschaftlich tiefgreifendem Wandel und vielfältigen Spannungen ausgesetzte kulturelle Zentrum Griechenlands. In diesem 5. Jahrhundert v. Chr. waren in Athen die Entfaltungschancen für neue geistige Strömungen recht gut. Eine breit angelegte, durch Lehrangebote auch wirksam hervortretende Strömung war die der [[Sophisten]], mit denen Sokrates so vieles verband, dass er den Zeitgenossen oft selbst als Sophist galt: das Interesse für das praktische Leben der Menschen, für Fragen der [[Polis]]- und Rechtsordnung sowie der Stellung des Einzelnen darin, die Kritik der hergebrachten Mythen, die Auseinandersetzung mit Sprache und Rhetorik, außerdem Bedeutung und Inhalte von Bildung – das alles beschäftigte auch Sokrates.

Was ihn von den Sophisten unterschied und zur geistesgeschichtlichen [[Sokratische Wende|Gründerfigur]] machte, waren die darüber hinausgehenden Merkmale seines Philosophierens. Bezeichnend war z.B. sein stetiges, bohrendes Bemühen, den Dingen auf den Grund zu gehen und z.B. in der Frage „Was ist Tapferkeit?“, sich nicht mit Vordergründig-Augenscheinlichem zufrieden zu geben, sondern den „besten Logos“ zur Sprache zu bringen, d.h. das von Zeit und Örtlichkeit unabhängige, sich gleichbleibende Wesen der Sache.<ref>Vgl. hierzu und zu den nachfolgend skizzierten originären Merkmalen der Sokratischen Philosophie: Pleger, S. 178ff.</ref>

Methodisch neu zu seiner Zeit war das von Sokrates eingeführte Verfahren des philosophischen Dialogs zwecks Erkenntnisgewinn in einem ergebnisoffenen Forschungsprozess. Originär sokratisch war ferner das Fragen und Forschen zur Begründung einer philosophischen Ethik. Zu den von Sokrates erzielten Ergebnissen gehörte, dass richtiges Handeln aus der richtigen Einsicht folgt und dass Gerechtigkeit Grundbedingung des Seelenheils ist. Daraus ergab sich für ihn: Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht leiden.

Daran knüpft sich ein viertes Element des mit Sokrates verbundenen philosophischen Neubeginns: die Bedeutung und Bewährung philosophischer Einsichten in der Lebenspraxis. In dem mit seinem Todesurteil endenden Prozess bescheinigte Sokrates seinen Widersachern, dass sie erkennbar im Unrecht seien. Gleichwohl lehnte er anschließend die Flucht aus dem Gefängnis ab, um sich nicht seinerseits ins Unrecht zu setzen. Die philosophische Lebensweise und die Einhaltung des Grundsatzes, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht leiden, gewichtete er höher als die Möglichkeit, sein Leben zu erhalten.<ref>Vgl. Pleger, S. 192ff.</ref>

== Lebensweg des Philosophen ==


==Der Lebensweg des Philosophen==
===Kindheit und Jugend===
Über den Werdegang des Sokrates ist für die erste Lebenshälfte kaum etwas und danach auch nur Lückenhaftes bekannt. Die biographischen Hinweise speisen sich im Wesentlichen aus drei zeitgenössischen Quellen, die aber ein zum Teil widersprüchliches Bild zeichnen. Dabei handelt es sich um den Komödiendichter [[Aristophanes]] sowie zwei Schüler des Sokrates, nämlich den Historiker [[Xenophon]] und den Philosophen [[Platon]], letzterer zweifellos die wichtigste Sokrates-Quelle überhaupt. Unter den Nachgeborenen haben vor allem der Platon-Schüler [[Aristoteles]] und - im dritten Jahrhundert n. Chr. - [[Diogenes Laertios]] noch Hinweise beigesteuert. Darüber hinaus sind nur verstreute Notizen, Anmerkungen oder Anekdoten weiterer Autoren der griechischen und der lateinischen Literatur überliefert.
Über den Werdegang des Sokrates ist für die erste Lebenshälfte kaum etwas und danach auch nur Lückenhaftes bekannt. Die biographischen Hinweise speisen sich im Wesentlichen aus drei zeitgenössischen Quellen, die aber ein zum Teil widersprüchliches Bild zeichnen. Dabei handelt es sich um den Komödiendichter [[Aristophanes]] sowie zwei Schüler des Sokrates, nämlich den Historiker [[Xenophon]] und den Philosophen [[Platon]], letzterer zweifellos die wichtigste Sokrates-Quelle überhaupt. Unter den Nachgeborenen haben vor allem der Platon-Schüler [[Aristoteles]] und - im dritten Jahrhundert n. Chr. - [[Diogenes Laertios]] noch Hinweise beigesteuert. Darüber hinaus sind nur verstreute Notizen, Anmerkungen oder Anekdoten weiterer Autoren der griechischen und der lateinischen Literatur überliefert.


Sokrates wurde 469 v. Chr. in Athen im Demos Alopeke geboren. Seine Eltern waren Sophroniskos, der ein Steinmetz oder Bildhauer gewesen sein soll, und die Hebamme Phainarete. Aus einer vorangehenden Ehe seiner Mutter hatte er den Halbbruder Patrokles. Freunde von Jugend an waren Kriton und Chairephon.
=== Herkunft, Bildung, Militäreinsätze ===

Sokrates wurde 469 v. Chr. im attischen Demos Alopeke geboren. Seine Eltern waren Sophroniskos, der ein Steinmetz oder Bildhauer gewesen sein soll, und die Hebamme Phainarete. Aus einer vorangehenden Ehe seiner Mutter hatte er einen Halbbruder Patrokles.
Seine Ausbildung mag sich nach Demandt in den gängigen Bahnen bewegt haben, was neben Alphabetisierung, Gymnastik und Musikerziehung auch Geometrie, Astronomie und das Studium der Dichter, zumal Homers, einschloss. Unter seinen Lehrern waren nach Platon auch zwei Frauen, nämlich [[Aspasia]], die enge Vertraute des [[Perikles]], und die Seherin [[Diotima]].<ref>Vgl. Alexander Demandt: Sokrates vor dem Volksgericht in Athen 399 v. Chr. In: ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, München 1990, S. 9.</ref> Auf männlicher Seite werden neben dem bereits erwähnten Naturphilosophen Anaxagoras, mit dessen Schüler [[Archelaos (Philosoph)]] Sokrates eine Reise nach [[Samos]] unternahm<ref>Klaus Döring: Sokrates. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 179.</ref>, der Sophist [[Prodikos]] und der den [[Pythagoreer]]n nahestehende Musiktheoretiker Damon genannt.<ref>Vgl. Pleger, S. 48f.</ref>

Zu einer Berufsausübung des Sokrates äußerte sich einzig der gut 600 Jahre später lebende Diogenes Laertios, der sich auf eine verlorene Quelle berief. Demnach hätte Sokrates wie sein Vater als Bildhauer gearbeitet und sogar eine [[Chariten]]gruppe und eine [[Hermes]]figur auf der Akropolis gestaltet. In den Überlieferungen seiner Schüler ist davon aber nirgends die Rede, sodass er diese Tätigkeit zumindest frühzeitig beendet haben müsste und auch wohl kaum zur Sprache brachte.

Konkrete Daten sind mit seinen militärischen Einsätzen im Peloponnesischen Krieg verbunden: als [[Hoplit]] mit schwerer Bewaffnung nahm er an der Belagerung von [[Potidaia]] 431-429 v. Chr. sowie an des Schlachten von [[Schlacht von Delion| Delion]] 424 v. Chr. und [[Amphipolis]] 422 v. Chr. teil. Das lässt darauf schließen, dass er nicht unbemittelt war; denn die Kosten für ihre Ausrüstung mussten die Hopliten selbst aufbringen.
[[Bild:Bust Alcibiades Musei Capitolini MC1160.jpg|thumb|Idealportrait des Alkibiades (Marmorbüste, 4. Jh. v. Chr.)]]
Dem Feldherrn [[Laches]] und seinem eigenen Schüler Alkibiades machte Sokrates im Felde großen Eindruck durch die Art, wie er Kälte, Hunger und sonstige Entbehrungen zu ertragen in der Lage war und wie er im Falle des militärischen Rückzugs bei Delion – statt wie andere kopflos zu flüchten – gemessenen Schrittes und jederzeit verteidigungsbereit Besonnenheit und entschlossenen Mut bewies. Den verwundeten Alkibiades hat er in Potidaia samt Waffen gerettet und eine Tapferkeitsauszeichnung, die ihm selbst zugestanden hätte, auf Alkibiades gelenkt, wie der in Platons Symposion bekundet. Alkibiades berichtet, wie er Sokrates in Poteidaia erlebt hat: „Da übertraf er im Ertragen aller Beschwernisse nicht nur mich, sondern alle insgesamt. Wenn wir irgendwo abgeschnitten waren, wie es auf Feldzügen vorkommen kann, und dann fasten mussten, da konnten das die anderen lange nicht so gut aushalten. Durften wir es uns aber wohlergehen lassen, so vermochte er als einziger das zu genießen, besonders wenn er, was ihm freilich zuwider war, zum Trinken genötigt wurde; da übertraf er uns alle. Und worüber man sich am meisten wundern muss: Kein Mensch hat jemals den Sokrates betrunken gesehen.“<ref>Symposion 220a; vgl. Kaufmann, S. 34.</ref>

=== Lehrtätigkeit und Schülerkreis ===

Seinen eigentlichen Wirkungsmittelpunkt hatte Sokrates auf dem belebten Marktplatz von Athen, wie Xenophon verdeutlichte: „So tat gerade er stets alles in voller Öffentlichkeit. Am frühen Morgen ging er nämlich nach den Säulenhallen und Turnschulen, und wenn der Markt sich füllte, war er dort zu sehen, und auch den Rest des Tages war er immer dort, wo er mit den meisten Menschen Zusammensein konnte. Und er sprach meistens, und wer nur wollte, konnte ihm zuhören.“<ref>Xenophon: Erinnerungen an Sokrates (Memorabilia) I,1,10; zit.n. Kaufmann, S. 37.</ref> Die satirische Lesart dazu gab Aristophanes in seiner Komödie ''[[Die Wolken]]'', wo Sokrates Hauptfigur ist und vom Chor so angesprochen wird:{{Zitat|Du aber, du Priester des kniffligen Worts, verkünde uns jetzt dein Begehren!</br>
Denn keinem sonst willfahrn wir so gern von allen Erhabenheitsschwätzern</br>
Wie dem Prodikos: ihm seiner Weisheit zu lieb, seiner Einsicht; und außer ihm dir noch,</br>
Weil du stolz in den Gassen herumflanierst und die Augen rundum lässest schweifen,</br>
Stets barfuß und ohne Empfindlichkeit und im Glauben an uns voller Dünkel.<ref>Zit.n. Martin, S. 82f.</ref>}}Schon in dieser 423 v. Chr. uraufgeführten Kömödie wurde Sokrates Atheismus und Verblendung der Jugend vorgehalten. Seine Gesprächspartner in den Gassen Athens und auf der [[Agora]] gehörten beiden Geschlechtern und nahezu allen Altersgruppen, Metiers und gesellschaftlichen Rängen an, die auch in der Attischen Demokratie nicht beseitigt waren.

Unter Sokrates’ Schülern im engeren Sinn waren einige, die dann selbst in Geschichte und Geistesgeschichte eine Rolle spielten. Hierzu zählen neben [[Platon]], [[Xenophon]] und [[Alkibiades]], auch [[Euklid von Megara]], [[Antisthenes]], [[Aristippos von Kyrene|Aristipp]], [[Aischines (Sokratiker)|Aischines]] und Phaidon.
Über den Charakter des Sokratischen Gesprächs ließ Platon den Alkibiades sagen:
{{Zitat|…wenn einer des Sokrates Reden anhören will, so werden sie ihm anfangs ganz lächerlich vorkommen, in solche Worte und Redensarten sind sie äußerlich eingehüllt, wie in das Fell eines frechen Satyrs.
[[Bild:Raffael 058.jpg|thumb|[[Die Schule von Athen]] von [[Raffael]], Sokrates im Bild: Hintere Reihe, linke Seite, der nach links gewandte Mann in der braunen Kleidung mit den Händen gestikulierend]]
Denn von Lasteseln spricht er, von Schmieden, Schustern und Gerbern, und scheint immer auf dieselbe Art nur dasselbe zu sagen, so dass jeder unerfahrene und unverständige Mensch über seine Reden spotten muß. Wenn sie aber einer geöffnet sieht und inwendig hineintritt: So wird er zuerst finden, dass diese Reden allein inwendig Vernunft haben, und dann dass sie ganz göttlich sind und die schönsten Götterbilder von Tugend in sich enthalten und auf das meiste von dem oder vielmehr auf alles abzwecken, was dem, der gut und edel werden will, zu untersuchen gebührt.<ref>Platon, Symposion 221d-222a; zit.n. Pleger, S. 53.</ref>}}

Das mochten vor allem Sokrates’ Schüler anscheinend so auffassen, während viele andere sich von seiner Gesprächsführung einigermaßen verschaukelt vorkommen mussten: „Sokrates, der Lehrer, tritt regelmäßig als Schüler auf. Nicht er will andere belehren, sondern von ihnen belehrt werden. Er ist der Unwissende, seine Philosophie tritt auf in der Gestalt des Nichtwissens. Umgekehrt bringt er seine Gesprächspartner in die Position des Wissenden. Das schmeichelt den meisten und provoziert sie, ihr vermeintliches Wissen auszubreiten. Erst im konsequenten Nachfragen stellt sich heraus, dass sie selbst die Unwissenden sind.“<ref>Pleger, S. 57.</ref>

=== Engagierter Polisbürger ===

Schon längst vor der Uraufführung von „Die Wolken“ muss Sokrates eine prominente Figur im Athener öffentlichen Leben gewesen sein, denn andernfalls hätte Aristophanes ihn kaum auf die genannte Art erfolgreich in Szene setzen können. Die nicht zu datierende Sokrates betreffende Befragung des [[Orakel von Delphi|Orakels in Delphi]] durch den Jugendfreund Chairephon setzte sogar eine weit über Athen hinausreichende Bekanntheit voraus. In Platons [[Apologie (Platon)|Apologie]] schildert Sokrates den Vorgang: „Er fragte also, ob wohl jemand weiser wäre als ich. Da leugnete nun die [[Pythia]], dass jemand weiser wäre.“<ref>Nach Xenophon besagte die Orakelauskunft, dass niemand freier oder gerechter oder besonnener sei als Sokrates</ref>. Einen Zeugen dafür benannte Sokrates in dem Bruder des verstorbenen Jugendfreunds.<ref>Apologie 21a;zit.n. Martin, S. 40.</ref> Sokrates, dem sein Nichtwissen vor Augen stand, hat Platon zufolge aus dem Orakelspruch den Auftrag abgeleitet, das Wissen seiner Mitmenschen zu prüfen, um sich dessen zu vergewissern, was die Gottheit gemeint hat.

[[Bild:Pericles Pio-Clementino Inv269 n3.jpg|thumb|Büste des Perikles, römische Kopie nach griechischem Original, Vatikanische Museen]]
Im Gegensatz zu den Sophisten ließ er sich nicht für seine Lehrtätigkeit bezahlen. Er bezeichnete sich bewusst als [[Philosoph]] ("Philo-soph" – Freund der Weisheit). Dieses Philosophieren, das oft mitten im geschäftigen Treiben Athens stattfand, konnte vielleicht auch als Antwort auf die Frage dienen, wie Athen sich als „Schule von Hellas“ behaupten und die individuelle Entfaltung der jeweiligen Fähigkeiten und Tugenden der Bürger fördern könnte. <ref>Vgl. ''Die Rede des [[Perikles]]'', in: [[Thukydides]], Der Peloponnesische Krieg ([[Peloponnesischer Krieg]]), II 41,1.</ref> Es zeigte sich aber, dass Sokrates sich damit zugleich Freunde und Feinde machte: Freunde, die seine Philosophie als Schlüssel zur eigenen und gemeinschaftlichen Wohlfahrt und Weisheit ansahen, und Feinde, die seine Philosophie als Gotteslästerung und gemeinschaftsschädigend einschätzten.

416 erschien Sokrates als „Ehrengast“ auf einem berühmten [[Das Gastmahl (Platon)|Gastmahl]] (Symposion), das anlässlich des Tragödiensieges des jungen [[Agathon von Athen|Agathon]] stattfand und an dem in der platonischen Überlieferung auch Aristophanes und Alkibiades in wichtiger Rolle teilnahmen. Das nächste biographisch datierbare Ereignis lag 10 Jahre später und betraf Sokrates’ Verwicklung in die Reaktion der Athener auf die [[Schlacht bei den Arginusen| Seeschlacht bei den Arginusen]], wo die Bergung Schiffbrüchiger unter Sturm fehlgeschlagen war. Als Gerichtshof in dem Prozess gegen die [[Strategos|Strategen]], die die Militäroperation geleitet hatten, fungierte die Volksversammlung.
Zu dem geschäftsführenden Ausschuss des [[Bule|Rates der 500]], den 50 [[Prytaneion|Prytanen]], gehörte zu diesem Zeitpunkt auch Sokrates. Zunächst schien es, als könnten die Strategen ihre Unschuld nachweisen und freigesprochen werden. Am zweiten Verhandlungstag aber änderte sich die Stimmung, und es kam zu der Forderung, die Strategen gemeinsam schuldig zu sprechen. Die Prytanen wollten den Antrag als ungesetzlich kassieren; nur Einzelverfahren waren zulässig. Da sich nun aber das Volk im Vollgefühl seiner Souveränität gar nichts untersagen lassen wollte und den Prytanen die Mitverurteilung angedroht wurde, gaben alle nach bis auf einen: Sokrates.

Eine ganz ähnliche Haltung bewies Sokrates noch einmal 404 / 403 v. Chr. unter der [[Herrschaft der Dreißig|Willkürherrschaft der Dreißig]], als er den Befehl der Oligarchen verweigerte, mit vier anderen gemeinsam die Verhaftung eines unschuldigen Gegners der Herrschenden durchzuführen. Er ging stattdessen einfach nach Hause, wohl wissend, dass es sein Leben kosten könnte: „Damals bewies ich wahrlich wieder nicht durch Worte, sondern durch die Tat, dass mich der Tod, wenn es nicht zu grob klingt, auch nicht so viel kümmert, dass mir aber alles daran liegt, nichts Unrechtes und Unfrommes zu tun.“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.40.</ref>


=== Unbeugsamer in Prozess und Tod ===
===Ausbildung und Militärzeit===
Ob er den Beruf seines Vaters als Steinmetz erlernt und ausgeübt hat, ist unsicher. Einige hundert Jahre später befand sich auf der Akropolis eine [[Chariten]]gruppe und eine [[Hermes]]figur, die von Sokrates geschaffen worden sein sollen. Es ist nicht bekannt, wer genau die Lehrer von Sokrates waren, aber es wird angenommen, dass er sich mit Ideen von [[Parmenides von Elea]], [[Heraklit]] und [[Anaxagoras]] beschäftigt hat. Als Dreißigjähriger gehörte er zum Kreis des Anaxagorasschülers Archelaos.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 592</ref> Er nahm als [[Soldat]] an den Kämpfen von ''[[Schlacht von Potidaia|Potidaia]]'' (431–429), ''[[Schlacht von Delion|Delion]]'' (424) und ''[[Schlacht von Amphipolis|Amphipolis]]'' (422) teil. Seine [[Tapferkeit]] und seine [[Besonnenheit]] (''sophrosyne'') werden von [[Platon]] und [[Xenophon]] erwähnt.


[[Bild:Socrates and Xanthippe.jpg|thumb|upright|Sokrates und Xanthippe, die den Nachttopf entleert]]
Von dem Prozess des Sokrates 399 v. Chr. berichten - nicht ganz übereinstimmend – sowohl Platon als auch Xenophon, der allerdings nicht selbst dabei war. Daher ist die Darstellung Platons, der als Prozessbeobachter die Beiträge des Sokrates in der [[Apologie (Platon)| Apologie]] ausführlich wiedergegeben hat, als die authentischere anzusehen. <ref>Hauptsächlich um Prozess und Tod des Sokrates geht es auch in Platons Dialogen [[Kriton (Platon)|Kriton]] und [[Phaidon]].</ref> Sokrates agierte vor Gericht demnach ganz so, wie man ihn im öffentlichen Leben Athens schon über Jahrzehnte kannte: als peinlich Untersuchender, Nachfragender und die Forschungsergebnisse schonungslos Offenbarender. Den ersten und mit Abstand längsten Beitrag stellte seine Rechtfertigung gegenüber den Anklagen dar.


===Ehe mit Xanthippe===
Auf den Vorwurf, er verderbe die Jugend, reagierte er mit einer gründlichen Bloßstellung des Anklägers Meletos, in die auch die Geschworenen und schließlich alle Bürger Athens von ihm verwickelt wurden, als er den Meletos mit der Frage in die Enge trieb, wer denn nun seiner Vorstellung nach für die Besserung der Jugend sorge, und dann sein Fazit zog: „Du aber, Meletos, beweist hinlänglich, dass du dir noch niemals Gedanken um die Jugend gemacht hast, und sichtbar stellst du deine Gleichgültigkeit zur Schau, dass du dich um nichts von den Dingen bekümmert hast, derentwegen du mich vor das Gericht bringst.“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.29f.</ref>
Sokrates war mit [[Xanthippe]] verheiratet und hatte mit ihr drei Söhne, den Jugendlichen Lamprokles und die Kinder Sophroniskos und Menexenos. Sokrates hatte von seinen Eltern ein kleines Vermögen geerbt, das ihm und seiner Familie ein bescheidenes, aber unabhängiges Auskommen ermöglichte. Xenophon hat die Übellaunigkeit der Xanthippe mehrfach eindrücklich geschildert:<ref>Xenophon, Memorabilien II, 2. Gespräch des Sokrates mit seinem Sohn Lamprokles; [http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=5&xid=3167&kapitel=7&cHash=1&hilite=Xantippe#gb_found Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg]</ref>


:''Wenn du dieser Meinung bist, Sokrates, sagte Antisthenes, wie kommt es daß du die Probe nicht an deiner Xantippe machst, sondern dich mit einer Frau behilfst, die unter allen lebenden, ja, meines Bedünkens, unter allen die ehemals gelebt haben und künftig leben werden, die unerträglichste ist. Das geschieht aus der nämlichen Ursache, versetzte Sokrates, warum diejenigen, welche gute Reiter werden wollen, sich nicht die sanftesten und lenksamsten Pferde, sondern lieber wilde und unbändige anschaffen; denn sie denken, wenn sie diese im Zaum zu halten vermöchten, werde es ihnen ein leichtes seyn, mit allen andern fertig zu werden. Gerade so machte ichs auch, da ich die Kunst mit den Menschen umzugehen zu meinem Hauptgeschäfte machen wollte: ich legte mir diese Frau zu, weil ich gewiß war, wenn ich sie ertragen könnte, würde ich mich leicht in alle andere Menschen finden können.''<ref>Xenophon, ''Gastmahl'', 2. Gespräch des Sokrates mit Antisthenes; [http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=5&xid=3166&kapitel=4&cHash=1&hilite=Xantippe#gb_found Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg]</ref>
Auch die Anklage wegen Gottlosigkeit wies er zurück. Er gehorche stets seinem Daimonion, das er als göttliche Stimme vorstellte, die ihn gelegentlich vor bestimmten Handlungen warne. Den Geschworenen legte er dar, dass er sich keinesfalls darauf einlassen werde, freizukommen mit der Auflage, sein öffentliches Philosophieren einzustellen: „Wenn ihr mich also auf eine so abgefasste Bedingung freilassen wolltet, so würde ich antworten: ich schätze euch, Männer Athens, und liebe euch, gehorchen aber werde ich mehr dem Gotte als euch, und solange ich atme und Kraft habe, werde ich nicht ablassen zu philosophieren und euch zu befeuern…“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.36.</ref> In der Rolle des Angeklagten präsentierte er sich als der eigentliche Hüter von Recht und Gesetzlichkeit, indem er es ablehnte, die Geschworenen durch Mitleidsappelle und Bitten zu beeinflussen: „Denn nicht dazu nimmt der Richter seinen Sitz ein, das Recht nach Wohlwollen zu verschenken, sondern um das Urteil zu finden, und er hat geschworen – nicht gefällig zu sein, wenn er gerade will, sondern – Recht zu sprechen nach den Gesetzen.“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.44.</ref>


Nietzsche hat dies zu der wenig vorteilhaften Charakterisierung verleitet:
Mit knapper Stimmenmehrheit (281 von 501 Stimmen) wurde er von einem der zahlreichen Gerichtshöfe der Attischen Demokrtaie für schuldig befunden. Nach damaligem Brauch durfte Sokrates nach der Schuldigsprechung eine Strafe für sich selbst vorschlagen. In seiner zweiten Rede bestand Sokrates darauf, seinen Mitbürgern durch die praktische philosophische Unterweisung nur Gutes getan zu haben und dafür nicht etwa die beantragte Todesstrafe, sondern die Speisung im Prytaneion zu verdienen, wie sie Olympiasieger erhielten. Angesichts des Schuldspruchs erwog er dann verschiedene mögliche Strategien, hielt aber letztlich allenfalls eine Geldstrafe für akzeptabel. Hiernach verurteilten ihn die Geschworenen nun mit einer Mehrheit, die noch einmal um 80 auf 361 Stimmen anwuchs, zum Tode.<ref>Vgl. Alexander Demandt: Sokrates vor dem Volksgericht in Athen 399 v. Chr. In: ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, München 1990, S. 16f.</ref>


:''Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, - aber auch er hätte sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt hätte: so weit wäre auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen. Tatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigentümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte: sie lehrte ihn, auf den Gassen und überall dort zu leben, wo man schwätzen und müssig sein konnte und bildete ihn damit zum größten athenischen Gassen-Dialektiker aus: der sich zuletzt selber mit einer zudringlichen Bremse vergleichen musste, welche dem schönen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen.''<ref>Friedrich Nietzsche, ''Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister'', 1878, Nr. 433</ref>
In dem ihm zustehenden Schlusswort betonte Sokrates noch einmal die Ungerechtigkeit der Vermittlung und bescheinigte den Anklägern Bosheit, nahm das Urteil aber ausdrücklich an und äußerte nach Platons Überlieferung: „Vielleicht musste dies alles so kommen, und ich glaube, es ist die rechte Fügung.“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.49.</ref> Die unter den Geschworenen, die ihn hatten freisprechen wollen, suchte er mit Ausführungen über die wenig schrecklichen Folgen des Todes zu beruhigen und bat sie, für die Aufklärung seiner Söhne auf die Weise zu sorgen, die er selbst den Athenern gegenüber praktiziert hatte: „Aber schon ist es Zeit, dass wir gehen – ich um zu sterben, ihr um zu leben: wer aber von uns den besseren Weg beschreitet, das weiß niemand, es sei denn der Gott.“<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S.52.</ref>


===Der "spleenige Denker"===
[[Bild:David - The Death of Socrates.jpg|thumb|[[Jacques-Louis David]]s ''Der Tod des Sokrates'' (1787)]]
423 wird Sokrates als Hauptfigur der [[Komödie]] ''[[Die Wolken]]'' von [[Aristophanes]] in einer satirischen Überzeichnung als 'spleeniger Denker' zur Zielscheibe des allgemeinen [[Spott|Spottes]]. Schon hier wird ihm der Vorwurf des Atheismus und der Verblendung der Jugend gemacht. Sokrates hatte durch das gesprochene Wort eine starke Wirkung auf andere. Er besaß die Gabe, Leben umzuwandeln.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 580</ref> Er beschränkte sich auf ethische Fragen und bemühte sich darum, das Wesen des Gerechten, Guten und Schönen zu erforschen.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 585</ref> Zu Hause hat er mit seinen jungen Freunden die Werke der alten Denker besprochen, um aus ihnen wichtige Sätze herauszuheben; oft wurde aber auch in den Trainigspausen auf den öffentlichen Ringplätzen gesprochen, wo sich Jung und Alt trafen.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 593 und 598</ref> 416 erscheint Sokrates als „Ehrengast“ auf einem berühmten [[Das Gastmahl (Platon)|Gastmahl]] ([[Symposion]]), das anlässlich des Tragödiensieges des jungen [[Agathon von Athen|Agathon]] stattfindet.
Dabei blieb Sokrates auch den Freunden gegenüber, die ihn im Gefängnis besuchten und zur Flucht überreden wollten. Sie trafen Platon zufolge, der allerdings selbst nicht dabei war, Sokrates’ Frau Xantippe mit den drei Söhnen bei ihm an, davon zwei noch im Kindesalter. <ref>Xantippe muss folglich weit jünger gewesen sein als ihr Mann.</ref> Sokrates ließ die nun ein lautes Wehklagen anhebende Xantippe wegführen, um sich im Gespräch mit den Freunden auf den Tod vorzubereiten. Seine Weigerung zur Flucht begründete er mit dem Respekt vor den Gesetzen. Würden Urteile nicht befolgt, verlören Gesetze überhaupt ihre Kraft.<ref> „Meinst du, dass ein Staat bestehen kann und nicht vielmehr vernichtet wird, in dem Urteile, die gefällt werden, keine Kraft haben, sondern durch einzelne Menschen ungültig gemacht und vereitelt werden?“ Zitiert nach Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 85 </ref> Schlechte Gesetze müsse man ändern, aber nicht mutwillig übertreten. Das Recht der freien Rede in der Volksversammlung biete die Chance, von Verbesserungsvorschlägen zu überzeugen; und notfalls könne, wer das vorzöge, auch noch ins Exil gehen. Den schließlich gereichten Schierlingsbecher leerte Sokrates anscheinend vollständig gefasst. In seinen letzten Worten bat er darum, dem Gott der Heilkunst [[Asklepios]] einen Hahn zu opfern.<ref>Demandt deutet den Sinn: „Sokrates ist vom Leben geheilt, der Tod ist die große Gesundheit.“ (Alexander Demandt: Sokrates vor dem Volksgericht in Athen 399 v. Chr. In: ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, München 1990, S. 19.)</ref>
[[Bild:Raffael 058.jpg|thumb|left|[[Die Schule von Athen]] von [[Raffael]], Sokrates im Bild: Hintere Reihe, linke Seite, der nach links gewandte Mann in der braunen Kleidung mit den Händen gestikulierend]]


Berühmt ist die Rede des [[Alkibiades]] über Sokrates aus [[Das Gastmahl (Platon)|Platons "Gastmahl"]]. Alkibiades verglich Sokrates mit den [[Silen]]figuren. Das waren kleine, geschnitzte, satyrhafte Figuren, die man aufklappen konnte. Im Inneren wurden kleine goldene Götterbilder aufbewahrt. Ähnlich, so fährt Alkibiades weiter fort, sei es mit den Reden des Sokrates. Äußerlich erschienen sie einem oft lächerlich oder unverständlich. Dringe man aber in ihr Inneres ein, so finde man ausschließlich Wahrheit und alles andere, was man brauche um tüchtig zu werden. Alkibiades beschreibt die vorbildliche und zugleich eigenwillige Lebensführung des Sokrates:
== Grundzüge Sokratischer Philosophie ==


:''Gemeinsam machten wir den Feldzug nach Poteidaia mit und waren dort Tischgenossen. Da übertraf er im Ertragen aller Beschwernisse nicht nur mich, sondern alle insgesamt. Wenn wir irgendwo abgeschnitten waren, wie es auf Feldzügen vorkommen kann, und dann fasten mussten, da konnten das die anderen lange nicht so gut aushalten. Durften wir es uns aber wohlergehen lassen, so vermochte er als einziger das zu genießen, besonders wenn er, was ihm freilich zuwider war, zum Trinken genötigt wurde; da übertraf er uns alle. Und worüber man sich am meisten wundern muss: Kein Mensch hat jemals den Sokrates betrunken gesehen [...] Das wäre das eine. [Noch erstaunlicher ist aber das andere:] Damals auf dem Feldzug [...] stand er, in irgendeinen Gedanken vertieft, vom Morgen an auf demselben Fleck und überlegte, und als es ihm nicht gelingen wollte, gab er nicht nach, sondern blieb nachsinnend stehen. Inzwischen war es Mittag geworden; da bemerkten es die Leute, und verwundert erzählte es einer dem anderen, dass Sokrates schon seit dem Morgen dastehe und über etwas nachdenke. Schließlich, als es schon Abend war, trugen einige von den [[Ionien|Ioniern]], als sie gegessen hatten, ihre Schlafpolster hinaus; so schliefen sie in der Kühle und konnten gleichzeitig beobachten, ob er auch in der Nacht dort stehen bleibe. Und wirklich, er blieb stehen, bis es Morgen wurde und die Sonne aufging! Dann verrichtete er sein Gebet an die Sonne und ging weg.''<ref>Vgl. Platon, ''Gastmahl'', 219e f.; [http://www.textlog.de/34785.html vergleiche auch die Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref>
[[Bild:Platon-2.jpg|thumb|Platon]]
Was bliebe von dem Philosophen Sokrates ohne die Werke Platons, fragt Figal <ref>Figal, S.15.</ref> und meint: eine interessante Figur des Athener Lebens im fünften Jahrhundert, kaum mehr; nachrangig vielleicht gegenüber Anaxagoras, bestimmt gegenüber [[Parmenides]] und [[Heraklit]]. Platons zentrale Stellung als Quelle Sokratischen Denkens birgt aber das Problem einer Abgrenzung zwischen beider Vorstellungswelten, denn Platon ist in seinen Werken zugleich als eigenständiger Philosoph vertreten. In der Forschung besteht eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass die frühen platonischen Dialoge (die Apologie des Sokrates, Charmenides, [[Kriton]], [[Euthyphron]], [[Gorgias]], Hippias minor, [[Ion]], [[Laches]], [[Protagoras]], [[Politeia (Platon)|Politeia I]]), die bezogen sind auf das Umfeld von Prozess und Tod des Sokrates, dessen Philosophie am deutlichsten spiegeln und dass die Eigentändigkeit der Philosophie Platons in den späteren Werken zunehmend deutlicher hervortritt.<ref>In Auseinandersetzung mit Gregory Vlastos (Socratic Studies, New York 1994) betont Figal (S.16ff.) jedoch, die mittleren Dialoge, vor allem [[Phaidon]], [[Das Gastmahl (Platon)|Symposion]] und [[Phaidros (Platon)|Phaidros]] lieferten ein besonders plastisches, lebensvolles Bild des Sokrates und seien nicht als Verfälschung Sokratischen Denkens aufzufassen.</ref>


Unter seinen Schülern waren einige, die dann selbst in Geschichte und Geistesgeschichte eine Rolle spielten. Hierzu zählen unter anderem [[Alkibiades]], [[Antisthenes]], [[Aristippos von Kyrene|Aristipp]], [[Euklid]], [[Xenophon]], [[Kritias]] und vor allen [[Platon]]. 406 nahm Sokrates als Ratsherr am Prozess gegen die Feldherren aus der [[Schlacht bei den Arginusen]] teil. Diese hatten wegen eines Sturmes Schiffbrüchige nicht gerettet. Er wandte sich als einziger der Prytanen gegen die dann mehrheitlich beschlossene Verurteilung, weil er sie für ungesetzlich hielt.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 592</ref>
Zu den Kernbereichen Sokratischen Philosophierens gehören neben dem auf Dialoge gegründeten Erkenntnisstreben die näherungsweise Bestimmung des Guten als Handlungsrichtschnur und das Ringen um Selbsterkenntnis als wesentliche Voraussetzung eines gelingenden Daseins. Das Bild des in den Straßen Athens von morgens bis Abends Gespräche führenden Sokrates ist zu erweitern um Phasen völliger gedanklicher Versunkenheit, mit denen Sokrates seinen Mitbürgern ebenfalls Eindruck machte. Für diesen Wesenszug steht als Extrem der Bericht des Alkibiades im [[Das Gastmahl (Platon)|Symposion]] über ein Erlebnis mit Sokrates in Potideia:{{Zitat|Damals auf dem Feldzug [...] stand er, in irgendeinen Gedanken vertieft, vom Morgen an auf demselben Fleck und überlegte, und als es ihm nicht gelingen wollte, gab er nicht nach, sondern blieb nachsinnend stehen. Inzwischen war es Mittag geworden; da bemerkten es die Leute, und verwundert erzählte es einer dem anderen, dass Sokrates schon seit dem Morgen dastehe und über etwas nachdenke. Schließlich, als es schon Abend war, trugen einige von den [[Ionien|Ioniern]], als sie gegessen hatten, ihre Schlafpolster hinaus; so schliefen sie in der Kühle und konnten gleichzeitig beobachten, ob er auch in der Nacht dort stehen bleibe. Und wirklich, er blieb stehen, bis es Morgen wurde und die Sonne aufging! Dann verrichtete er sein Gebet an die Sonne und ging weg.}}


[[Bild:Eros bobbin Louvre CA1798.jpg|thumb|Eros (Athen, ca. 470–450 v.Chr.)]]
[[Bild:David - The Death of Socrates.jpg|thumb|[[Jacques-Louis David]]s ''Der Tod des Sokrates'' (1787)]]
Die Sokratische Gesprächsführung wiederum stand in deutlichem Zusammenhang mit erotischer Anziehung.<ref>Vgl. Figal, S. 96ff.</ref> Der Eros, im Symposion vorgestellt als großes göttliches Wesen, ist der Mittler zwischen Sterblichen und Unsterblichen: „Der Name des Eros steht für die den Bereich des Menschlichen übersteigende Bewegung der Philosophie. […] Sokrates kann am besten philosophieren, wenn er durch das ganz und gar unsublimierte Schöne eingenommen ist. Das Sokratische Gespräch vollzieht sich nicht nach einmal gelungenem Aufstieg auf jener unsinnlichen Höhe, wo nur noch die Ideen als das Schöne erscheinen; vielmehr vollzieht es in sich immer wieder die Bewegung vom menschlichen zum übermenschlichen Schönen und bindet das übermenschliche Schöne dialogisch ans menschliche zurück.“<ref>Vgl. Figal, S. 97f.</ref>


===Der Tod des Sokrates===
=== Sinn und Methode Sokratischer Dialoge ===
Ein festes Datum ist das Jahr 399, als Sokrates zum Tode verurteilt wurde. In dem gegen ihn eingeleiteten Prozess bestritt Sokrates in seiner überlieferten Verteidigungsrede mit ausführlicher Begründung sowohl den Vorwurf der ''Gottlosigkeit'' (Asebie) als auch den eines ''verderblichen Einflusses auf die Jugend''. Dennoch wurde er mit knapper Stimmenmehrheit (281 von 500 Stimmen) von einem der zahlreichen demokratischen Gerichtshöfe (dikasteria) Athens für schuldig befunden.
Nach damaligem Brauch durfte Sokrates nach der Schuldigsprechung eine Strafe für sich selbst vorschlagen. In diesem zweiten Teil seiner Verteidigungsrede erklärte Sokrates eben das Verhalten, das zu seiner Schuldigsprechung geführt hatte, für höchst nützlich, er könne daher keine Bestrafung vorschlagen, wo eine Belohnung angemessener sei. Die Richter verurteilten ihn nun mit einer Mehrheit, die noch einmal um 80 auf 361 Stimmen anwuchs<ref>Vgl. Alexander Demandt: Sokrates vor dem Volksgericht in Athen 399 v. Chr. In: ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, München 1990, S. 16f.</ref>, zum Tod durch den [[Schierlingsbecher]].


Nach dem Todesurteil wollte er nicht durch seine Flucht die [[Rechtsgeltung|Geltung des Rechts]] in Frage stellen. Seinem Freund Kriton<ref>Vgl. Platon, ''Kriton'', 50b; [http://www.textlog.de/platon-sokrates-flucht-gesetz.html Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref>, der ihn zur Flucht überreden wollte, entgegnete er:
„Ich weiß, dass ich nicht weiß“, lautet die bekannt Kurzformel, mit der verdeutlicht wird, was Sokrates seinen Mitbürgern voraushatte. Für Figal ist diese Erkenntnis zugleich der Schlüssel zu Gegenstand und Methode Sokratischer Philosophie: „Im Sokratischen Reden und Denken liegt erzwungener Verzicht, ein Verzicht, ohne den es keine Sokratische Philosophie gäbe. Diese entsteht nur, weil Sokrates im Bereich des Wissens nicht weiterkommt und die Flucht in den Dialog antritt. Sokratische Philosophie ist in ihrem Wesen dialogisch geworden, weil das forschende Entdecken unmöglich schien.“<ref>Vgl. Figal, S. 97f.</ref> Durch Anaxagoras auf die Naturforschung verwiesen, habe Sokrates sich mit der daran gekoppelten Ursachenfrage auseinandergesetzt, sei sich dafür aber ganz untalentiert vorgekommen und verunsichert worden. Deshalb habe er sich von der Ursachenerklärung ab- und dem sprachlich vermittelten Verstehen zugewendet.


:''Meinst du, dass ein Staat bestehen kann und nicht vielmehr vernichtet wird, in dem Urteile, die gefällt werden, keine Kraft haben, sondern durch einzelne Menschen ungültig gemacht und vereitelt werden?'' <ref>Zitiert nach Radbruch, ''Rechtsphilosophie'', S. 85 </ref>
Ziel des Sokratischen Dialogs ist die gemeinsame Einsicht in einen Sachverhalt auf der Basis von Frage und Antwort. Weitschweifige Reden über den Untersuchungsgegenstand akzeptierte Sokrates nicht, sondern bestand auf einer direkten Beantwortung seiner Frage: „Im sokratischen Gespräch hat die sokratische Frage den Vorrang. Die Frage enthält zwei Momente: Sie ist Ausdruck des Nichtwissens des Fragenden und Appell an den Befragten, zu antworten oder sein eigenes Nichtwissen einzugestehen. Die Antwort provoziert die nächste Frage, und auf diese Weise kommt die dialogische Untersuchung in Gang.“<ref>Pleger, S. 95.</ref> Durch Fragen also - und nicht durch Belehren des Gesprächspartners, wie es die Sophisten gegenüber ihren Schülern praktizierten - sollte Einsichtsfähigkeit geweckt werden, eine Methode, die als [[Mäeutik]] bezeichnet wird: eine Art „geistige Geburtshilfe“. Denn die Einstellungsänderung als Ergebnis der geistigen Auseinandersetzung hing davon ab, dass die Einsicht selbst erlangt bzw. „geboren“ wurde.


Sokrates hätte sein Leben retten können, wenn er bereit gewesen wäre, die Anklage als berechtigt anzuerkennen oder Athen zu verlassen. Das Ausbleiben seines [[Daimonion]]s bestärkte ihn darin, nicht zu fliehen:
Der Untersuchungsgang in den Sokratischen Dialogen lässt eine charakteristische Stufung erkennen: Im ersten Schritt suchte Sokrates dem jeweiligen Diskussionspartner nachzuweisen, dass es mit seiner Lebens- und Denkungsart nicht zum Besten für ihn stand. Um seinen Mitbürgern zu zeigen, wie wenig sie über ihre eigenen Ansichten und Einstellungen bisher nachgedacht hatten, konfrontierte Sokrates sie mit den unsinnigen Konsequenzen, die sich gemäß seiner Befragung daraus ergaben.


:''Meine gewohnte Vorbedeutung nämlich war in der vorigen Zeit wohl gar sehr häufig, und oft in großen Kleinigkeiten widerstand sie mir, wenn ich im Begriff war, etwas nicht auf die rechte Art zu tun. Jetzt aber ist mir doch, wie ihr ja selbst seht, dieses begegnet, was wohl mancher für das größte Übel halten könnte, und was auch dafür angesehen wird; dennoch aber hat mir weder, als ich des Morgens von Hause ging, das Zeichen des Gottes widerstanden, noch auch als ich hier die Gerichtsstätte betrat, noch auch irgendwo in der Rede, wenn ich etwas sagen wollte, - wiewohl bei andern Reden es mich oft mitten im Reden aufhielt. Jetzt aber hat es mir nirgends bei dieser Verhandlung, wenn ich etwas tat oder sprach, im mindesten widerstanden. Was für eine Ursache nun soll ich mir hiervon denken? Das will ich euch sagen: Es mag wohl, was mir begegnet ist, etwas Gutes sein, und unmöglich können wir Recht haben, die wir annehmen, der Tod sei ein Übel. Davon ist mir dies ein großer Beweis. Denn unmöglich würde mir das gewohnte Zeichen nicht widerstanden haben, wenn ich nicht im Begriff gewesen wäre, etwas Gutes auszurichten''.<ref>Platon, ''Apologie des Sokrates'', 40a ff.; [http://www.textlog.de/platon-sokrates-freisprechenden.html Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref>
Nach dieser Verunsicherung folgte die Aufforderung zum Umdenken. Dabei lenkte Sokrates das Gespräch unter Anknüpfung an den Erörterungsgegenstand – sei es z.B. Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit oder Tugend überhaupt – hin auf die Frageebene, was das Wesentliche am Menschen sei. Die dazu gefundene Antwort führte, sofern die Gesprächspartner nicht bereits vordem ausgestiegen waren, in Richtung der Konsequenz, dass die Seele als das eigentliche Selbst des Menschen so gut wie nur möglich sein muss, was wiederum davon abhängt, in welchem Maße man das sittlich Gute tut. Was das Gute ist, gilt es also herauszufinden.“<ref>Vgl. Klaus Döring: Sokrates. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 189.</ref>


Er versicherte, nur zum Besten des Staates gehandelt zu haben. Der Prozess und Tod des Sokrates sind in Platons Schriften ''[[Apologie (Platon)|Apologie]]'', ''[[Kriton (Platon)|Kriton]]'' und ''[[Phaidon]]'' und in Xenophons ''Apologie des Sokrates'' beschrieben.
Für die Dialogpartner zeigte sich im Verlauf der Untersuchung regelmäßig, dass Sokrates, der doch vorgab nicht zu wissen, alsbald deutlich mehr Wissen zu erkennen gab, als sie selbst besaßen. Anfangs oft in der Rolle des scheinbar wissbegierigen Schülers, der seinem Gegenüber die Funktion des Lehrers andiente, erwies er sich zuletzt klar überlegen. Seine Ausgangsposition wurde dadurch als unglaubwürdig und unaufrichtig wahrgenommen, als Ausdruck von [[Ironie]] im Sinne von Verstellung zum Zweck der Irreführung. Döring hält es gleichwohl für ungewiss, dass Sokrates mit seinem Nichtwissen im Sinne der gezielten Tiefstapelei ironisch zu spielen begann. Er unterstellt wie Figal die Ernsthaftigkeit von dessen Bekundung im Grundsatz. <ref>Klaus Döring: Sokrates. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 190.</ref> Doch auch wenn es Sokrates um eine öffentliche Demontage seiner Gesprächspartner gar nicht ging, musste sein Wirken viele der von ihm Angesprochenen gegen ihn aufbringen, zumal auch Sokrates´ Schüler sich in dieser Form des Dialogs übten.


== Grundzüge sokratischer Philosophie ==
=== Annäherung an das Gute ===
===Abkehr von der Naturphilosophie===
Zu seinen Lebzeiten war Athen erst durch die Ausgestaltung der [[Attische Demokratie|Attischen Demokratie]] und dann durch den [[Peloponnesischer Krieg|Pelopponesischen Krieg]] das politisch-gesellschaftlich tiefgreifendem Wandel und vielfältigen Spannungen ausgesetzte kulturelle Zentrum Griechenlands. In diesem 5. Jahrhundert v. Chr. waren in Athen die Entfaltungschancen für neue geistige Strömungen recht gut.


Sokrates vollzog die Abkehr von der ionischen [[Naturphilosophie]], die bis 430 v. Chr. durch [[Anaxagoras]] in Athen prominent vertreten war. Er verwarf den Ansatz des Anaxagoras, dessen Vernunftprinzip ihm Eindruck gemacht hatte, weil Anaxagoras keinerlei Schlüsse in menschlichen Fragen daraus zog.<ref>Pleger, S. 169f.</ref> Allerdings war Sokrates damit weder allein noch der Erste, der die menschlichen Belange in den Mittelpunkt seines philosophischen Denkens stellte.
Den unaufgebbaren Kern seines Wirkens hat Sokrates den Geschworenen im Prozess folgendermaßen entwickelt:{{Zitat| „Bester der Männer, du, ein Bürger Athens, der größten und an Weisheit und Stärke berühmtesten Stadt, du schämst dich nicht, dich um Schätze zu sorgen, um sie in möglichst großer Menge zu besitzen, auch um Ruf und Geltung, dagegen um Einsicht und Wahrheit und um deine Seele, dass sie so gut werde wie möglich, darum sorgst und besinnst du dich nicht? Wenn aber einer von euch Einwendungen macht und behauptet, er sorge sich doch darum, so werde ich nicht gleich von ihm ablassen und weitergehen, sondern ihn fragen und erproben und ausforschen, und wenn er mir die Tüchtigkeit nicht zu besitzen scheint, es aber behauptet, so schelte ich ihn, dass er das Wertvollste am wenigsten achte, das Schlechtere aber höher.<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S. 36.</ref>}}


===Weisheit statt Sophistik===
Nur Wissen um das Gute dient dem eigenen Besten und befähigt dazu, Gutes zu tun. Denn, so folgerte Sokrates, niemand tue wissentlich Übles. Dabei handelt es sich um eines der sogenannten Sokratischen [[Paradox]]a, weil das mit der landläufigen Lebenserfahrung nicht überein zu stimmen scheint. Paradox erscheint in diesem Zusammenhang auch die Behauptung des Sokrates nicht zu wissen, da es hier doch anscheinend sehr auf Wissen ankommt.
Eine breit angelegte, durch Lehrangebote auch wirksam hervortretende Strömung war die der [[Sophistik|Sophisten]], mit denen Sokrates so vieles verband, dass er den Zeitgenossen oft selbst als Sophist galt: das Interesse für das praktische Leben der Menschen, für Fragen der [[Polis]]- und Rechtsordnung sowie der Stellung des Einzelnen darin, die Kritik der hergebrachten Mythen, die Auseinandersetzung mit Sprache und Rhetorik, außerdem Bedeutung und Inhalte von Bildung – das alles beschäftigte auch Sokrates. Was ihn von den Sophisten unterschied und zur geistesgeschichtlichen Gründerfigur machte, waren die darüber hinausgehenden Merkmale seines Philosophierens. Bezeichnend war z.B. sein stetiges, bohrendes Bemühen, den Dingen auf den Grund zu gehen und z.B. in der Frage „Was ist Tapferkeit?“, sich nicht mit Vordergründig-Augenscheinlichem zufrieden zu geben, sondern den „besten Logos“ zur Sprache zu bringen, d.h. das von Zeit und Örtlichkeit unabhängige, sich gleichbleibende Wesen der Sache.<ref>Vgl. hierzu und zu den nachfolgend skizzierten originären Merkmalen der sokratischen Philosophie: Pleger, S. 178ff.</ref>


Als bekanntester Ausspruche des Sokrates gilt: „[[Ich weiß, dass ich nicht weiß]].“ (altgr. {{Polytonisch|οἴδα οὐκ εἰδώς}}, ''oída ouk eidòs''), im Volksmund auch unzutreffend wiedergegeben als: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Gemeint hatte er damit vielmehr folgendes: „Ich scheine also um dieses Wenige doch weiser zu sein, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.“ Mit obiger Form des Zitats ist diese Aussage also nur verkürzt wiedergegeben. Sokratische Philosophie bedeutet eine innere Bewegtheit, eine Haltung, die Denken und Dasein bestimmt, was sich in der Übersetzung des Wortes ''[[Philosophie]]'' als „Liebe zur [[Weisheit]]“ ausdrückt. Die [[Liebe]] übrigens, so äußerte sich Sokrates einmal, sei das einzige, wovon er etwas verstehe.<ref>Vgl. Platon, ''Theages'', 128a</ref>
[[Bild:Delphi_Tempel_des_Apollon.jpg|thumb|260px|Tempel des Apollon am Sitz des Orakels von Delphi]]
Dieser Widerspruch löst sich aber nach Döring: „Wenn Sokrates es für prinzipiell unmöglich erklärt, daß ein Mensch ein Wissen davon erlange, was das Gute, Fromme, Gerechte usw. sei, dann meint er ein allgemeingültiges und unfehlbares Wissen, das unverrückbare und unanfechtbare Normen für das Handeln bereitstellt. Ein solches Wissen ist dem Menschen nach seiner Auffassung grundsätzlich versagt. Was der Mensch allein erreichen kann, ist ein partielles und vorläufiges Wissen, das sich, mag es im Augenblick auch noch so gesichert erscheinen, dennoch immer bewusst bleibt, daß es sich im Nachhinein als revisionsbedürftig erweisen könnte.“ <ref>Klaus Döring: Sokrates. In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 186.</ref> Sich um dieses unvollkommene Wissen zu bemühen in der Hoffnung, dem vollendeten Guten möglichst nahe zu kommen, ist demzufolge das Beste, was der Mensch für sich tun kann. Je weiter er darin vorankomme, desto glücklicher werde er leben.


Sokrates nennt in seiner [[Apologie (Platon)|Apologie]] den Gott (Apollon) von [[Delphi (Stadt)|Delphi]] als Garanten für die Wahrhaftigkeit seines Philosophierens. Dieser Gott hatte ihm durch den Mund des Orakels geweissagt: „Niemand ist weiser als Sokrates“. Sokrates reagierte erstaunt: „Was meint der Gott damit? Worauf will er mich hinweisen? Schließlich weiß ich doch, dass ich weder viel noch wenig weiß! Und lügen wird er ja nicht, das ist ihm nicht erlaubt.“<ref>Platon, ''Apologie'', 21b</ref> Vom Gott zur Weisheit berufen und nicht als Weiser bezeichnet, so deutete er dies schließlich. Er machte sich deshalb auf, andere, die als weise galten, zu befragen, um von ihnen zu lernen. So kam es zu den Streitgesprächen mit den [[Sophistik|Sophisten]], den Weisen seiner Zeit, den in öffentlichen Ämtern stehenden Athenern, Bekannten und Freunden. Im Gegensatz zu den Sophisten ließ er sich nicht für seine Lehrtätigkeit bezahlen. Er bezeichnete sich bewusst als [[Philosoph]] ("Philo-soph" – Freund der Weisheit). Für ihn war es wichtig, ein sicheres Fundament für menschliche Erkenntnisse zu finden. Er glaubte, dieses Fundament liege in der menschlichen Vernunft. Er war der Ansicht, dass der, der wisse, was gut ist, auch das Gute tun werde. Er glaubte, die richtige Erkenntnis führe zum richtigen Handeln. Und nur wer das Richtige tue, so Sokrates, werde zum 'richtigen Menschen'. Wenn ein Mensch falsch handelt, so tut er das aus Sokrates' Sicht nur, weil er es nicht besser weiß. Deshalb sei es so wichtig, das Wissen zu vermehren.
Mit der Frage nach dem Guten, meint Figal, sei eigentlich nach einer Einheit des Lebens gefragt, die als solche im Handeln nicht verfügbar und auch aus unbeteiligtem Abstand nicht erfahrbar sei. „In der Frage nach dem Guten liegt eigentlich der Dienst für den delphischen Gott. Die Idee des Guten ist letztlich der philosophische Sinn des delphischen Orakels.“ <ref>Vgl. Figal, S. 71f.</ref>


===Dialog und Hebammenmethode===
=== Letzte Dinge ===
Methodisch neu zu seiner Zeit war das von Sokrates eingeführte induktive Verfahren, in einem ergebnisoffenen Prozess in Form von Frage und Antwort zu lehren. Diese Gesprächsform war für ihn die Urform des philosophischen Denkens und der einzige Weg zur Verständigung mit anderen.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 582</ref> Mahnung (Protreptikos) und Prüfung (Elenchos) bewegten sich bei ihm in der Frageform.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 601</ref>. Ein gutes Beispiel dafür bietet seine Verteidigungsrede:


:''Ich bin euch, ihr Athener, zwar zugetan und Freund, gehorchen aber werde ich dem Gotte mehr als euch, und solange ich noch atme und es vermag, werde ich nicht aufhören, nach Weisheit zu suchen und euch zu ermahnen und zurechtzuweisen, wen von euch ich antreffe, mit meinen gewohnten Reden, wie: Bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangest, und für Ruhm und Ehre; für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, dass sie sich aufs beste befinde, sorgst du nicht, und hierauf willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl darauf, werde ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mich dünkt, er besitze keine Tugend, behaupte es aber, so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher. So werde ich mit Jungen und Alten, wie ich sie eben treffe, verfahren und mit Fremden und Bürgern, um so viel mehr aber mit euch Bürgern, als ihr mir näher verwandt seid. Denn so, wißt nur, befiehlt es der Gott. Und ich meinesteils glaube, dass noch nie größeres Gut dem Staate widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gott leiste. Denn nichts anderes tue ich, als dass ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen zuvor noch überall so sehr zu sorgen als für die Seele.''<ref>Platon, ''Apologie des Sokrates'', 29d ff.; [http://www.textlog.de/platon-sokrates-notwendigkeit.html Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref>
In seinem an den ihm gewogenen Teil der Geschworenen gerichteten Schlusswort vor Gericht begründete Sokrates die Unerschrockenheit und Festigkeit, mit der er das Urteil hinnahm, unter Hinweis auf sein Daimonion, das ihn zu keinem Zeitpunkt vor irgendeiner seiner Handlungen im Zusammenhang mit dem Prozess gewarnt habe. Seine Äußerungen über den bevorstehenden Tod scheinen von Zuversicht getragen:{{Zitat|Es muß wohl so sein, dass es etwas Gutes ist, was mir zustieß, und unmöglich können wir richtig vermuten, wenn wir glauben, das Sterben sei ein Übel. […]
[[Bild:Hades (Greek Mythology).jpg|thumb|right|Hades thronend mit seinem Vogel-gesockelten Stab, auf einer rot-figürlichen Vase, [[Antikes Griechenland|griech.]] um [[400 v. Chr.]]]]
Laßt uns aber auch so erwägen, wie groß die Hoffnung ist, dass es etwas Gutes sei. Eins von beiden ist doch das Totsein: Entweder ist es ein Nichts-Sein, und keinerlei Empfindung mehr haben wir nach dem Tode – oder es ist, wie die Sage geht, irgendeine Versetzung und eine Auswanderung der Seele aus dem Orte hier an einen andern. Und wenn es keinerlei Empfindung gibt, sondern einen Schlaf, wie wenn einer schläft und kein Traumbild sieht, dann wäre der Tod ein wundervoller Gewinn […], denn dann erscheint die Ewigkeit doch um nichts länger als eine Nacht. Wenn dagegen der Tod wie eine Auswanderung ist von hier an einen andern Ort und wenn die Sage wahr ist, dass dort alle Gestorbenen insgesamt weilen, welches Gut wäre dann größer als dies, ihr Richter? Denn wenn einer ins Reich des [[Hades]] gelangt und, entledigt von diesen hier, die sich Richter nennen, dort die Wahrhaft-Richtenden anträfe, die, wie die Sage berichtet, dort Recht sprechen, [[Minos]], [[Rhadamanthys]] und [[Aiakos]] und [[Triptolemos]] und alle andern Halbgötter, die sich in ihrem Leben als gerecht bewährten, würde die Wanderung dorthin zu verachten sein? Und gar mit [[Orpheus]] Umgang zu haben und mit Musaios und [[Hesiod]] und [[Homer]], um welchen Preis würde einer von euch das wohl erkaufen?<ref>Platon, Apologie, Stuttgart 1982, S. 36.</ref>}}
Nicht anders gab Sokrates sich den Freunden gegenüber, die ihn an seinem letzten Tag im Gefängnis aufsuchten, wovon Platons Dialog [[Phaidon (Platon)|Phaidon]] handelt. Hier geht es um das Vertrauen in den philosophischen Logos „auch angesichts des schlechterdings Unausdenkbaren“, so Figal; „und da die Extremsituation nur zum Vorschein bringt, was auch sonst gilt, ist diese Frage die nach der Vertrauenswürdigkeit des philosophischen Logos überhaupt. Es wird zur letzten Herausforderung für Sokrates, sich für diese stark zu machen.“ <ref>Vgl. Figal, S. 124.</ref>


Um Klarheit herzustellen, bediente sich Sokrates einer eigenen Methode, die als ''[[Mäeutik]]'' – eine Art „geistige Geburtshilfe“ – bezeichnet wird: Durch Fragen - und nicht durch Belehren des Gesprächspartners, wie es die Sophisten gegenüber ihren Schülern praktizierten – sollte die eigene Einsichtsfähigkeit schließlich das Wissen um das Gute (''agathón'') und Edle (''kalón'') selbst „gebären“ bzw. hervorbringen. Dieses Ziel war jedoch nicht ohne [[Einsicht]] in die Fragwürdigkeit des eigenen [[Wissen]]s erreichbar.
Die Frage nach dem, was mit der menschlichen Seele beim Tod geschieht, wurde von Sokrates in seinen letzten Stunden ebenfalls erörtert. Gegen ihre Sterblichkeit spräche, dass sie an das Leben gebunden sei, Leben und Tod sich aber gegenseitig ausschlössen. Allerdings könne sie beim Herannahen des Todes ebenso verschwinden wie zerstieben. Figal sieht darin die vor Gericht von Sokrates eingenommene offene Perspektive auf den Tod bekräftigt und schlussfolgert: „Philosophie hat keinen letzten Grund, in den sie, sich selber begründend, zurückgehen kann. Sie erweist sich als abgründig, wenn man nach letzten Begründungen fragt, und darum muß sie, dort, wo es um ihre eigene Möglichkeit geht, auf ihre Weise rhetorisch sein: Ihr Logos muß als stärkster vertreten werden, und das geschieht am besten mit der Überzeugungskraft eines philosophischen Lebens – indem gezeigt wird, wie einer dem Logos vertraut und sich auf das, was der Logos darstellen soll, einläßt.“<ref>Vgl. Figal, S. 130.</ref>


Sokrates’ [[Ironie]] war nicht darauf angelegt, den anderen lächerlich zu machen, sondern sollte ihm seine Unzulänglichkeit als etwas zu erkennen geben, worüber derjenige selbst lachen konnte, anstatt zerknirscht zu sein. Wie schwer, ja oft unmöglich das vielen seiner Gesprächspartner wurde, zeigen die platonischen Dialoge. Als wenig hilfreich empfanden die Angesprochenen es im Zweifel auch, in der Öffentlichkeit der Agora auf diese Weise demontiert zu werden, zumal auch Sokrates´ Schüler sich in dieser Form des Dialogs übten.
== Nachwirkung ==


===Philosophie als Lebenspraxis===
Die beispiellose philosophiegeschichtliche Folgewirkung des Sokrates erstreckt sich bis heute auf zwei raumzeitliche Hauptbereiche: die antike Zivilisation bis zu ihrem Ausgang und die neuzeitlich-westliche Philosophie seit der [[Renaissance]].
Daran knüpft sich ein viertes Element des mit Sokrates verbundenen philosophischen Neubeginns: die Bedeutung und Bewährung philosophischer Einsichten in der Lebenspraxis. In dem mit seinem Todesurteil endenden Prozess bescheinigte Sokrates seinen Widersachern, dass sie erkennbar im Unrecht seien. Gleichwohl lehnte er anschließend die Flucht aus dem Gefängnis ab, um sich nicht seinerseits ins Unrecht zu setzen. Die philosophische Lebensweise und die Einhaltung des Grundsatzes, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht leiden, gewichtete er höher als die Möglichkeit, sein Leben zu erhalten. <ref>Vgl. Pleger, S. 192ff.</ref>


Dieses Philosophieren, das oft mitten im geschäftigen Treiben Athens stattfand, konnte vielleicht auch als Antwort auf die Frage dienen, wie Athen sich als „Schule von Hellas“ behaupten und die individuelle Entfaltung der jeweiligen Fähigkeiten und Tugenden der Bürger fördern könnte. <ref>Vgl. ''Die Rede des [[Perikles]]'', in: [[Thukydides]], Der Peloponnesische Krieg ([[Peloponnesischer Krieg]]), II 41,1.</ref> Es zeigte sich aber, dass Sokrates sich damit zugleich Freunde und Feinde machte: Freunde, die seine Philosophie als Schlüssel zur eigenen und gemeinschaftlichen Wohlfahrt und Weisheit ansahen, und Feinde, die seine Philosophie als Gotteslästerung und gemeinschaftsschädigend einschätzten.
=== Die „kleinen Sokratiker“ und die großen Schulen der Antike ===


===Ethik===
Die schriftstellerische und philosophische Größe Platons überragt andere dünnere Überlieferungsstränge der Sokratischen Philosophie so deutlich, dass von diesen meist als den „kleinen Sokratikern“ die Rede ist.<ref>Vgl. hierzu und zum Folgenden: Klaus Döring, „Die sog. kleinen Sokratiker und die von ihnen begründeten Traditionen.“ In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 194ff.</ref> Als prominentester Sokratiker der ersten Dekade nach Sokrates’ Tod galt [[Antisthenes]], der sich von Platons Ideenlehre mit der Bemerkung distanziert haben soll: „Ein Pferd sehe ich, Platon, eine Pferdheit dagegen nicht.“ Platons Antwort: „Du hast eben nur das Auge, mit dem man ein Pferd sieht, aber das Auge, mit dem man eine Pferdheit erblickt, hast du noch nicht erworben.“<ref>Vgl. hierzu und zum Folgenden: Klaus Döring, „Die sog. kleinen Sokratiker und die von ihnen begründeten Traditionen.“ In: Friedo Ricken (Hrsg.), Philosophen der Antike I, Stuttgart – Berlin – Köln 1996, S. 206.</ref>
Originär sokratisch war das Fragen und Forschen zur Begründung einer philosophischen Ethik. Sokrates verkündete die Selbstbefreiung, Selbstherrschaft und Selbstgenügsamkeit der sittlichen Persönlichkeit.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 588</ref> Zu den von Sokrates erzielten Ergebnissen gehörte, dass richtiges Handeln aus der richtigen Einsicht folgt und dass Gerechtigkeit Grundbedingung des Seelenheils ist.


Die ethischen Untersuchungen des Sokrates kreisten meist um die Frage nach dem Allgemeinen: Was ist Frömmigkeit? Was ist Selbstbeherrschung (Enkratie)? Was ist Besonnenheit? Was ist Tapferkeit? Was ist Gerechtigkeit? Diese Tugenden (Aretai) verstand Sokrates als Vortrefflichkeiten der Seele, so wie Kraft, Gesundheit und Schönheit Tugenden des Körpers sind. Körperliche und seelische Tugend ist eine Symmetrie der Teile, auf deren Zusammenwirken Körper und Seele beruhen. Die wahre Tugend ist unteilbar und eins, man kann nicht einen Teil von ihr haben und den anderen nicht.<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 634</ref> Im Guten erkannte Sokrates das wahrhaft Nützliche, Heilsame und Glückbringende, weil es die Natur des Menschen zur Erfüllung seines Wesens führt. Das Ethische ist der Ausdruck der richtig verstandenen menschlichen Natur. Frei ist der Mensch nur, wenn er nicht der Sklave seiner eigenen Begierden ist:<ref>Vgl. Xenophon, Memorabilien I 5, 5 - 6; IV 5, 2 - 5</ref>
Im Bereich der Ethik hielt Antisthenes neben dem Wissen um das Gute auch die Willenskraft des Sokrates für nötig, die dieser im Ertragen von Entbehrungen bewiesen hatte. Letzteres wurde dann zum demonstrativen Hauptmerkmal des [[Diogenes von Sinope]] und der [[Kynismus|Kyniker]]. [[Euklid von Megara]] und die Megariker legten den philosophischen Akzent auf die Bedeutung und Einheit des Guten, lehnten das von Sokrtaes bevorzugte Argumentieren mit [[Analogie]]n jedoch ab. Der ebenfalls in Megara geborene Stilpon machte die nachmals von den [[Stoa|Stoikern]] besonders wichtig genommene Affektbeherrschung zu seinem Schwerpunkt. Zwei weitere den Megarikern zugerechnete Denker, [[Diodoros Kronos]] und [[Philon von Megara|Philon]], begründeten die Aussagenlogik, die dann ebenfalls zu den Kergebieten der Stoa zählte. [[Aristippos von Kyrene]] und die [[Kyrenaiker]] haben die Empfindung zum Kriterium von Wahrheit und Erkenntnis gemacht und ihr Weltbild an dem Gegensatzpaar Lust und Unlust bzw. Schmerz ausgerichtet. Damit haben sie das Kernthema der [[Epikureismus|epikureischen]] Schule auf den Weg gebracht, das [[Epikur]] dann zu einer eigenen Lehre fortentwickelte.


: ''Du, Antifon, scheinst die Glückseligkeit in Üppigkeit und großem Aufwand zu setzen; ich hingegen bin überzeugt, daß nichts bedürfen etwas göttliches und also das Beste ist, und die wenigsten Bedürfnisse haben, das was dem Göttlichen am Besten am nächsten kommt.''<ref>[http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=3167&kapitel=5&cHash=592c66e1882 Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg]</ref>
[[Bild:Statua Marco Aurelio Musei Capitolini.JPG|thumb|Reiterstatue des Mark Aurel]]
Als Epikureer und Stoiker am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. Schulen bildeten, waren die [[Platonische Akademie]] und der Aristotelische [[Peripatos]] als wichtige [[Philosophenschulen der Antike|Philosophenschulen]] in der Nachfolge des Sokrates längst etabliert. Sokrates blieb über die Jahrhunderte im Bewusstsein aller großen antiken Philosophenschulen präsent. Noch [[Mark Aurel]] bezog sich als letzter bedeutender Philosoph der Stoa auf ihn als Vorbild: „Wenn sich aber deinen Blicken nichts Besseres zeigt als der Geist, der in dir wohnt, der sich zum Herrn seiner eignen Begierden gemacht hat, sich genau Rechenschaft über alle seine Gedanken gibt, der sich, wie Sokrates sagte, von der Herrschaft der Sinne losreißt, sich der Leitung der Götter unterwirft und den Menschen seine Fürsorge widmet, wenn alles andere dir gering und wertlos erscheint, so gib auch nichts anderem Raum.“<ref>Zit.n. Albert Wittstock: „Selbstbetrachtungen“ III, 6, Stuttgart 1949 (Nachdruck 1995) </ref>


Der Mensch erreicht den Einklang mit dem Weltganzen nicht durch die Befriedigung seiner sinnlichen Bedürfnisse, sondern „nur durch die vollendete Herrschaft über sich selbst nach dem Gesetz, das er in seiner eigenen Seele durch Forschen findet.“<ref>Vgl. zum Ganzen Jaeger, ''Paideia'', S. 586 und S. 609 f.</ref> Das wahre Ziel des Lebens ist das Wissen des Guten (Phronesis).
=== Der Traditionsstrang der neuzeitlich-westlichen Philosophie ===


[[Bild:AspasiaAlcibiades.jpg|thumb|Sokrates und Alkibiades bei Aspasia]]
Im frühen Christentum bildeten Prozess und Tod des Sokrates eine gängige Parallele zur Kreuzigung [[Jesus Christus|Jesu]], während des christlichen [[Philosophie des Mittelalters|Mittelalters]] trat Sokrates gegenüber Platon und vor allem Aristoteles in der Bedeutung aber weit zurück.<ref>Vgl. Kaufmann, S. 149.</ref> In [[Philosophie der Renaissance und des Humanismus|Renaissance und Humanismus]] aber kam die mit Sokrates verbundene Ernsthaftigkeit ethischen Forschens und Handelns erneut zur Geltung, wie z.B. der Ausruf des [[Erasmus von Rotterdam]] zeigt: „Heiliger Sokrates, bitte für uns!“ <ref>Kaufmann, S. 133.</ref> Dem [[Zeitalter der Aufklärung|Aufklärer]] [[Jean-Jacques Rousseau|Rousseau]] diente er als Zeuge für seine Zivilisationskritik: „Sokrates preist die Unwissenheit! Glaubt man etwa, unsere Wissenschaftler und Künstler würden ihn zu einem Wechsel seiner Ansichten bewegen, wenn er unter uns auferstände? Nein, meine Herren, dieser gerechte Mann würde weiterhin unsere eitlen Wissenschaften verachten.“<ref>Kaufmann, S. 124.</ref>


===Die Vollendung des Lebens in der Schau des Schönen===
[[Bild:Kierkegaard.jpg|thumb|120px|Portrait von Søren Kierkegaard]]
Das Schöne und das Gute sind nur zwei eng verschwisterte Aspekte einer und derselben Wirklichkeit, die höchste Arete des Menschen ist das ''Schön- und Gutsein'' ([[Kalokagathia]] als Einheit von Wahrem, Gutem und Schönem; Vollkommenheit).<ref>Vgl dazu auch Jaeger, ''Paideia'', S. 782</ref> Nach Sokrates vollzieht sich die beglückende Erkenntnis des Schönen stufenweise. Ein wichtiger Helfer dabei ist der Gott [[Eros]], dessen Bedeutung weit über die Sexualität hinaus geht. Der Mensch ist sterblich, ihm fehlt die göttliche Unveränderlichkeit. Der Mensch hat deshalb das Bedürfnis, durch immer neue Schöpfung sich zu erhalten. Der Eros entspringt aus der höheren gottverwandten Natur des Menschen und ist ein Streben, gottähnlich zu werden. Er ist ein Streben nach Besitz, nicht ein Besitz selbst. Der Eros setzt einen Mangel voraus und begehrt die Fülle. Er ist der Sohn der Penia (Armut) und des Poros (Reichtum). Das Ziel dieses Strebens ist der dauernde Besitz des Guten, die Glückseligkeit, die Unsterblichkeit.<ref>Platon, ''Gastmahl'', 205a ff; [http://www.textlog.de/34778.html Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref> Der Eros ist also überhaupt das Streben des Endlichen, sich zur Unendlichkeit zu erweitern. Die äußere Bedingung für die Betätigung des Eros ist die Gegenwart des Schönen, und der Eros richtet sich stufenweise auf die schöne Gestalt, die schöne Seele, die Wissenschaft und die Idee und strebt nach der Darstellung des ''absolut'' Schönen. Dabei ist die Schau ''des Schönen selbst'' dann nicht mehr an ein einzelnes Sinnesobjekt gebunden:
[[Immanuel Kant|Kant]] bemerkte im Zusammenhang mit der Untersuchung verschiedener Arten von Unwissenheit, die des Sokrates sei eine „rühmliche“, da sie im Gegensatz zur „gemeinen“ auf der Einsicht in die „Schranken der Erkenntnis“ beruhe.<ref>Pleger, S. 227.</ref> [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]] hingegen sah Sokrates nicht zu Unrecht verurteilt, weil er das Prinzip der Subjektivität gegen die tradierte Religion und Sitte in Stellung gebracht habe.<ref>Pleger, S. 230.</ref> [[Søren Kierkegaard|Kierkegaard]] hat in seiner Dissertation „Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates“ als erster einen deutlichen Kontrast zwischen Sokrates und Platon behauptet und dies vor allem mit der [[Agnostizismus|agnostischen]] Haltung des Sokrates dem Tod gegenüber begründet, die mit Platons Unsterblichkeitsbeweisen der Seele nicht zusammengehe.<ref>Pleger, S. 230.</ref>


:''Noch auch wird ihm dieses Schöne unter einer Gestalt erscheinen, wie ein Gesicht oder Hände oder sonst etwas, was der Leib an sich hat, noch wie eine Rede oder eine Erkenntnis, noch irgendwo an einem andern seiend, weder an einem einzelnen Lebenden, noch an der Erde, noch am Himmel; sondern an und für und in sich selbst ewig überall dasselbe seiend, alles andere Schöne aber an jenem auf irgendeine solche Weise Anteil habend, daß, wenn auch das andere entsteht und vergeht, jenes doch nie irgendeinen Gewinn oder Schaden davon hat, noch ihm sonst etwas begegnet... Denn dies ist die rechte Art, sich auf die Liebe zu legen oder von einem andern dazu angeführt zu werden, daß man von diesem einzelnen Schönen beginnend jenes einen Schönen wegen immer höher hinaufsteige, gleichsam stufenweise von einem zu zweien, und von zweien zu allen schönen Gestalten, und von den schönen Gestalten zu den schönen Sitten und Handlungsweisen, und von den schönen Sitten zu den schönen Kenntnissen, bis man von den Kenntnissen endlich zu jener Kenntnis gelangt, welche von nichts anderem als eben von jenem Schönen selbst die Kenntnis ist und man also zuletzt jenes selbst, was schön ist, erkenne... Was also ... sollen wir erst glauben, wenn einer dazu gelangte, jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischt zu sehn, das nicht erst voll menschlichen Fleisches ist und Farben und anderen sterblichen Flitterkrams, sondern das göttlich Schöne selbst in seiner Einartigkeit zu schauen? Meinst du wohl, daß das ein schlechtes Leben sei, wenn einer dorthin sieht und jenes erblickt und damit umgeht? Oder glaubst du nicht, daß dort allein ihm begegnen kann, indem er schaut, womit man das Schöne schauen muß; nicht Abbilder der Tugend zu erzeugen, weil er nämlich auch nicht ein Abbild berührt, sondern Wahres, weil er das Wahre berührt? Wer aber wahre Tugend erzeugt und aufzieht, dem gebührt, von den Göttern geliebt zu werden, und wenn irgend einem anderen Menschen, dann gewiß ihm auch, unsterblich zu sein.''<ref>Platon, ''Gastmahl'', 211a ff; [http://www.textlog.de/34791.html Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog]</ref>
[[Friedrich Nietzsche|Nietzsche]] sah, von Rousseau abweichend, Sokrates als „[[Mystagogie|Mystagogen]] der Wissenschaft“, als Initiator einseitiger und umfassender Verwissenschaftlichung des Lebens: „Nun aber eilt die Wissenschaft, von ihrem kräftigen Wahne angespornt, unaufhaltsam bis zu ihren Grenzen, an denen ihr im Wesen der Logik verborgener Optimismus scheitert.“ <ref>Zit.n. Pleger, S. 234.</ref> Wieder anders akzentuiert urteilte im 20. Jahrhundert der Physiker und Philosoph [[Carl Friedrich von Weizsäcker]]: „Philosophie ist die sokratische Rückfrage: Habe ich verstanden, was ich soeben gesagt habe? Philosophie ist daher wesentlich nachträglich. Sie fragt nach dem schon Gesagten. Sie ist aber eben damit wesentlich vorbereitend. Ihre Antwort kann uns weiterhelfen und wird dieselbe Rückfrage von Neuem hervorrufen.“ <ref>Zit.n. Kaufmann, S. 108.</ref>


==Wirkung==
Figal fasst zusammen: „Das Denken des Sokrates steht zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht; es bleibt bezogen auf das, woraus es ist, und hat sich noch nicht zu einer fraglosen, in sich beruhigten Gestalt ausgebildet. So verkörpert sich in Sokrates der Ursprung der Philosophie. Dieser Ursprung ist kein historischer Beginn. Weil die Philosophie wesentlich im Fragen besteht, lässt sie ihren Ursprung nicht hinter sich; wer philosophiert, erfährt immer den Verlust der Selbstverständlichkeit und versucht, zum ausdrücklichen Verstehen zu finden. […] Für Sören Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, aber auch für [[Karl Popper]] ist in der Gestalt des Sokrates die Philosophie selbst gegenwärtig; Sokrates ist für sie die Gestalt der Philosophie überhaupt, das Urbild des Philosophen.“
Mehrere seiner Schüler haben wie [[Platon]] sokratische Dialoge verfasst und unterschiedliche Züge seiner Lehre betont. Nahezu alle bedeutenden philosophischen Schulen der [[Antike Philosophie|Antike]] haben sich auf Sokrates berufen.
Sokrates habe die Philosophie als Erster vom Himmel auf die Erde heruntergerufen, unter den Menschen angesiedelt und zum Prüfinstrument der Lebensweisen, Sitten und Wertvorstellungen gemacht, hat [[Marcus Tullius Cicero|Cicero]] gemeint, der ein vorzügliche Kenner der griechischen Philosophie war.<ref>Vgl. Pleger, S. 29.</ref> [[Erasmus von Rotterdam]] hat Sokrates als Heiligen und Märtyrer gewürdigt und zu ihm gerufen: ''Sancte Socrates, ora pro nobis.''<ref>Jaeger, ''Paideia'', S. 575</ref>
[[Michel de Montaigne|Montaigne]] nannte ihn den „Meister aller Meister“ und noch [[Karl Jaspers]] meinte: „Sokrates vor Augen zu haben, ist eine der unerlässlichen Voraussetzungen unseres Philosophierens.“<ref>Zit.n. Kaufmann, S. 93 (Montaigne), S. 8 (Jaspers).</ref>


== Zeitübersicht ==
== Zeitübersicht ==
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** Die sokratischen Schriften. Stuttgart 1956
** Die sokratischen Schriften. Stuttgart 1956
** Erinnerungen an Sokrates. Ditzingen 1980
** Erinnerungen an Sokrates. Ditzingen 1980
;Moderne Literatur
;Sekundärliteratur
* [[Gernot Böhme]]: ''Der Typ Sokrates.'' Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1992.
* [[Gernot Böhme]]: ''Der Typ Sokrates.'' Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1992.
* M. Breitbach: ''Der Prozess des Sokrates – Verteidigung der oder Anschlag auf die athenische Demokratie? Ein Beitrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive.'', in: Gymnasium 112 (2005), S. 321–343.
* M. Breitbach: ''Der Prozess des Sokrates – Verteidigung der oder Anschlag auf die athenische Demokratie? Ein Beitrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive.'', in: Gymnasium 112 (2005), S. 321–343.
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* Christopher Gill: ''The Death of Socrates'', in: [[The Classical Quarterly]] 23, 1973, S. 25-28.
* Christopher Gill: ''The Death of Socrates'', in: [[The Classical Quarterly]] 23, 1973, S. 25-28.
* [[Romano Guardini]]: ''Der Tod des Sokrates.'' Hamburg 1966.
* [[Romano Guardini]]: ''Der Tod des Sokrates.'' Hamburg 1966.
* [[Werner Jaeger]]: ''Paideia. Die Formung des griechischen Menschen''. De Gruyter, Berlin/New York 1989 ISBN 978-3110038002
* Eva-Maria Kaufmann: ''Sokrates.'' München 2000.
* Eva-Maria Kaufmann: ''Sokrates.'' München 2000.
* Christoph Kniest: ''Sokrates zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2003, ISBN 3885063565.
* Christoph Kniest: ''Sokrates zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2003, ISBN 3885063565.
* Gottfried Martin: ''Sokrates.'', Hamburg 1967.
* Gottfried Martin: ''Sokrates.'', Hamburg 1967.
* Wolfgang H. Pleger: ''Sokrates. Der Beginn des philosophischen Dialogs.'' Reinbek 1998.
* Wolfgang H. Pleger: ''Sokrates. Der Beginn des philosophischen Dialogs.'' Reinbek 1998.
* [[Gustav Radbruch]]: ''Rechtsphilosophie'', Studienausgabe, herausgegeben von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson. C. F. Müller, 2. Aufl., Heidelberg 2003
* C. C. W. Taylor: ''Sokrates.'' Herder, Freiburg 1999.
* C. C. W. Taylor: ''Sokrates.'' Herder, Freiburg 1999.



Version vom 30. September 2007, 22:00 Uhr

Sokrates

Sokrates (Vorlage:ELSalt2 Σωκράτης Sōkrátēs * 469 v. Chr.; † 399 v. Chr., durch Gift hingerichtet) war ein für das abendländische Denken grundlegender griechischer Philosoph, der in Athen lebte und wirkte. Seine herausragende Bedeutung zeigt sich u.a. darin, dass alle griechischen Denker vor ihm als „Vorsokratiker“ bezeichnet werden. Sokrates’ Philosophieren äußerte sich in der Form des mündlichen Dialogs, den er zu einer auf Erkenntnisgewinn angelegten „Hebammenkunst“ entwickelte. Schriftliches hat er selbst nicht hinterlassen. Die Überlieferung des Prozesses, der wegen Nichtanerkennung der Polis-Götter und wegen verderblichen Einflusses auf die Jugend gegen ihn geführt wurde, und die Haltung, mit der er das Todesurteil hinnahm, haben seinen Nachruhm maßgeblich bestimmt.

Der Lebensweg des Philosophen

Kindheit und Jugend

Über den Werdegang des Sokrates ist für die erste Lebenshälfte kaum etwas und danach auch nur Lückenhaftes bekannt. Die biographischen Hinweise speisen sich im Wesentlichen aus drei zeitgenössischen Quellen, die aber ein zum Teil widersprüchliches Bild zeichnen. Dabei handelt es sich um den Komödiendichter Aristophanes sowie zwei Schüler des Sokrates, nämlich den Historiker Xenophon und den Philosophen Platon, letzterer zweifellos die wichtigste Sokrates-Quelle überhaupt. Unter den Nachgeborenen haben vor allem der Platon-Schüler Aristoteles und - im dritten Jahrhundert n. Chr. - Diogenes Laertios noch Hinweise beigesteuert. Darüber hinaus sind nur verstreute Notizen, Anmerkungen oder Anekdoten weiterer Autoren der griechischen und der lateinischen Literatur überliefert.

Sokrates wurde 469 v. Chr. in Athen im Demos Alopeke geboren. Seine Eltern waren Sophroniskos, der ein Steinmetz oder Bildhauer gewesen sein soll, und die Hebamme Phainarete. Aus einer vorangehenden Ehe seiner Mutter hatte er den Halbbruder Patrokles. Freunde von Jugend an waren Kriton und Chairephon.

Ausbildung und Militärzeit

Ob er den Beruf seines Vaters als Steinmetz erlernt und ausgeübt hat, ist unsicher. Einige hundert Jahre später befand sich auf der Akropolis eine Charitengruppe und eine Hermesfigur, die von Sokrates geschaffen worden sein sollen. Es ist nicht bekannt, wer genau die Lehrer von Sokrates waren, aber es wird angenommen, dass er sich mit Ideen von Parmenides von Elea, Heraklit und Anaxagoras beschäftigt hat. Als Dreißigjähriger gehörte er zum Kreis des Anaxagorasschülers Archelaos.[1] Er nahm als Soldat an den Kämpfen von Potidaia (431–429), Delion (424) und Amphipolis (422) teil. Seine Tapferkeit und seine Besonnenheit (sophrosyne) werden von Platon und Xenophon erwähnt.

Sokrates und Xanthippe, die den Nachttopf entleert

Ehe mit Xanthippe

Sokrates war mit Xanthippe verheiratet und hatte mit ihr drei Söhne, den Jugendlichen Lamprokles und die Kinder Sophroniskos und Menexenos. Sokrates hatte von seinen Eltern ein kleines Vermögen geerbt, das ihm und seiner Familie ein bescheidenes, aber unabhängiges Auskommen ermöglichte. Xenophon hat die Übellaunigkeit der Xanthippe mehrfach eindrücklich geschildert:[2]

Wenn du dieser Meinung bist, Sokrates, sagte Antisthenes, wie kommt es daß du die Probe nicht an deiner Xantippe machst, sondern dich mit einer Frau behilfst, die unter allen lebenden, ja, meines Bedünkens, unter allen die ehemals gelebt haben und künftig leben werden, die unerträglichste ist. Das geschieht aus der nämlichen Ursache, versetzte Sokrates, warum diejenigen, welche gute Reiter werden wollen, sich nicht die sanftesten und lenksamsten Pferde, sondern lieber wilde und unbändige anschaffen; denn sie denken, wenn sie diese im Zaum zu halten vermöchten, werde es ihnen ein leichtes seyn, mit allen andern fertig zu werden. Gerade so machte ichs auch, da ich die Kunst mit den Menschen umzugehen zu meinem Hauptgeschäfte machen wollte: ich legte mir diese Frau zu, weil ich gewiß war, wenn ich sie ertragen könnte, würde ich mich leicht in alle andere Menschen finden können.[3]

Nietzsche hat dies zu der wenig vorteilhaften Charakterisierung verleitet:

Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, - aber auch er hätte sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt hätte: so weit wäre auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen. Tatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigentümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte: sie lehrte ihn, auf den Gassen und überall dort zu leben, wo man schwätzen und müssig sein konnte und bildete ihn damit zum größten athenischen Gassen-Dialektiker aus: der sich zuletzt selber mit einer zudringlichen Bremse vergleichen musste, welche dem schönen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen.[4]

Der "spleenige Denker"

423 wird Sokrates als Hauptfigur der Komödie Die Wolken von Aristophanes in einer satirischen Überzeichnung als 'spleeniger Denker' zur Zielscheibe des allgemeinen Spottes. Schon hier wird ihm der Vorwurf des Atheismus und der Verblendung der Jugend gemacht. Sokrates hatte durch das gesprochene Wort eine starke Wirkung auf andere. Er besaß die Gabe, Leben umzuwandeln.[5] Er beschränkte sich auf ethische Fragen und bemühte sich darum, das Wesen des Gerechten, Guten und Schönen zu erforschen.[6] Zu Hause hat er mit seinen jungen Freunden die Werke der alten Denker besprochen, um aus ihnen wichtige Sätze herauszuheben; oft wurde aber auch in den Trainigspausen auf den öffentlichen Ringplätzen gesprochen, wo sich Jung und Alt trafen.[7] 416 erscheint Sokrates als „Ehrengast“ auf einem berühmten Gastmahl (Symposion), das anlässlich des Tragödiensieges des jungen Agathon stattfindet.

Die Schule von Athen von Raffael, Sokrates im Bild: Hintere Reihe, linke Seite, der nach links gewandte Mann in der braunen Kleidung mit den Händen gestikulierend

Berühmt ist die Rede des Alkibiades über Sokrates aus Platons "Gastmahl". Alkibiades verglich Sokrates mit den Silenfiguren. Das waren kleine, geschnitzte, satyrhafte Figuren, die man aufklappen konnte. Im Inneren wurden kleine goldene Götterbilder aufbewahrt. Ähnlich, so fährt Alkibiades weiter fort, sei es mit den Reden des Sokrates. Äußerlich erschienen sie einem oft lächerlich oder unverständlich. Dringe man aber in ihr Inneres ein, so finde man ausschließlich Wahrheit und alles andere, was man brauche um tüchtig zu werden. Alkibiades beschreibt die vorbildliche und zugleich eigenwillige Lebensführung des Sokrates:

Gemeinsam machten wir den Feldzug nach Poteidaia mit und waren dort Tischgenossen. Da übertraf er im Ertragen aller Beschwernisse nicht nur mich, sondern alle insgesamt. Wenn wir irgendwo abgeschnitten waren, wie es auf Feldzügen vorkommen kann, und dann fasten mussten, da konnten das die anderen lange nicht so gut aushalten. Durften wir es uns aber wohlergehen lassen, so vermochte er als einziger das zu genießen, besonders wenn er, was ihm freilich zuwider war, zum Trinken genötigt wurde; da übertraf er uns alle. Und worüber man sich am meisten wundern muss: Kein Mensch hat jemals den Sokrates betrunken gesehen [...] Das wäre das eine. [Noch erstaunlicher ist aber das andere:] Damals auf dem Feldzug [...] stand er, in irgendeinen Gedanken vertieft, vom Morgen an auf demselben Fleck und überlegte, und als es ihm nicht gelingen wollte, gab er nicht nach, sondern blieb nachsinnend stehen. Inzwischen war es Mittag geworden; da bemerkten es die Leute, und verwundert erzählte es einer dem anderen, dass Sokrates schon seit dem Morgen dastehe und über etwas nachdenke. Schließlich, als es schon Abend war, trugen einige von den Ioniern, als sie gegessen hatten, ihre Schlafpolster hinaus; so schliefen sie in der Kühle und konnten gleichzeitig beobachten, ob er auch in der Nacht dort stehen bleibe. Und wirklich, er blieb stehen, bis es Morgen wurde und die Sonne aufging! Dann verrichtete er sein Gebet an die Sonne und ging weg.[8]

Unter seinen Schülern waren einige, die dann selbst in Geschichte und Geistesgeschichte eine Rolle spielten. Hierzu zählen unter anderem Alkibiades, Antisthenes, Aristipp, Euklid, Xenophon, Kritias und vor allen Platon. 406 nahm Sokrates als Ratsherr am Prozess gegen die Feldherren aus der Schlacht bei den Arginusen teil. Diese hatten wegen eines Sturmes Schiffbrüchige nicht gerettet. Er wandte sich als einziger der Prytanen gegen die dann mehrheitlich beschlossene Verurteilung, weil er sie für ungesetzlich hielt.[9]

Jacques-Louis Davids Der Tod des Sokrates (1787)

Der Tod des Sokrates

Ein festes Datum ist das Jahr 399, als Sokrates zum Tode verurteilt wurde. In dem gegen ihn eingeleiteten Prozess bestritt Sokrates in seiner überlieferten Verteidigungsrede mit ausführlicher Begründung sowohl den Vorwurf der Gottlosigkeit (Asebie) als auch den eines verderblichen Einflusses auf die Jugend. Dennoch wurde er mit knapper Stimmenmehrheit (281 von 500 Stimmen) von einem der zahlreichen demokratischen Gerichtshöfe (dikasteria) Athens für schuldig befunden. Nach damaligem Brauch durfte Sokrates nach der Schuldigsprechung eine Strafe für sich selbst vorschlagen. In diesem zweiten Teil seiner Verteidigungsrede erklärte Sokrates eben das Verhalten, das zu seiner Schuldigsprechung geführt hatte, für höchst nützlich, er könne daher keine Bestrafung vorschlagen, wo eine Belohnung angemessener sei. Die Richter verurteilten ihn nun mit einer Mehrheit, die noch einmal um 80 auf 361 Stimmen anwuchs[10], zum Tod durch den Schierlingsbecher.

Nach dem Todesurteil wollte er nicht durch seine Flucht die Geltung des Rechts in Frage stellen. Seinem Freund Kriton[11], der ihn zur Flucht überreden wollte, entgegnete er:

Meinst du, dass ein Staat bestehen kann und nicht vielmehr vernichtet wird, in dem Urteile, die gefällt werden, keine Kraft haben, sondern durch einzelne Menschen ungültig gemacht und vereitelt werden? [12]

Sokrates hätte sein Leben retten können, wenn er bereit gewesen wäre, die Anklage als berechtigt anzuerkennen oder Athen zu verlassen. Das Ausbleiben seines Daimonions bestärkte ihn darin, nicht zu fliehen:

Meine gewohnte Vorbedeutung nämlich war in der vorigen Zeit wohl gar sehr häufig, und oft in großen Kleinigkeiten widerstand sie mir, wenn ich im Begriff war, etwas nicht auf die rechte Art zu tun. Jetzt aber ist mir doch, wie ihr ja selbst seht, dieses begegnet, was wohl mancher für das größte Übel halten könnte, und was auch dafür angesehen wird; dennoch aber hat mir weder, als ich des Morgens von Hause ging, das Zeichen des Gottes widerstanden, noch auch als ich hier die Gerichtsstätte betrat, noch auch irgendwo in der Rede, wenn ich etwas sagen wollte, - wiewohl bei andern Reden es mich oft mitten im Reden aufhielt. Jetzt aber hat es mir nirgends bei dieser Verhandlung, wenn ich etwas tat oder sprach, im mindesten widerstanden. Was für eine Ursache nun soll ich mir hiervon denken? Das will ich euch sagen: Es mag wohl, was mir begegnet ist, etwas Gutes sein, und unmöglich können wir Recht haben, die wir annehmen, der Tod sei ein Übel. Davon ist mir dies ein großer Beweis. Denn unmöglich würde mir das gewohnte Zeichen nicht widerstanden haben, wenn ich nicht im Begriff gewesen wäre, etwas Gutes auszurichten.[13]

Er versicherte, nur zum Besten des Staates gehandelt zu haben. Der Prozess und Tod des Sokrates sind in Platons Schriften Apologie, Kriton und Phaidon und in Xenophons Apologie des Sokrates beschrieben.

Grundzüge sokratischer Philosophie

Abkehr von der Naturphilosophie

Zu seinen Lebzeiten war Athen erst durch die Ausgestaltung der Attischen Demokratie und dann durch den Pelopponesischen Krieg das politisch-gesellschaftlich tiefgreifendem Wandel und vielfältigen Spannungen ausgesetzte kulturelle Zentrum Griechenlands. In diesem 5. Jahrhundert v. Chr. waren in Athen die Entfaltungschancen für neue geistige Strömungen recht gut.

Sokrates vollzog die Abkehr von der ionischen Naturphilosophie, die bis 430 v. Chr. durch Anaxagoras in Athen prominent vertreten war. Er verwarf den Ansatz des Anaxagoras, dessen Vernunftprinzip ihm Eindruck gemacht hatte, weil Anaxagoras keinerlei Schlüsse in menschlichen Fragen daraus zog.[14] Allerdings war Sokrates damit weder allein noch der Erste, der die menschlichen Belange in den Mittelpunkt seines philosophischen Denkens stellte.

Weisheit statt Sophistik

Eine breit angelegte, durch Lehrangebote auch wirksam hervortretende Strömung war die der Sophisten, mit denen Sokrates so vieles verband, dass er den Zeitgenossen oft selbst als Sophist galt: das Interesse für das praktische Leben der Menschen, für Fragen der Polis- und Rechtsordnung sowie der Stellung des Einzelnen darin, die Kritik der hergebrachten Mythen, die Auseinandersetzung mit Sprache und Rhetorik, außerdem Bedeutung und Inhalte von Bildung – das alles beschäftigte auch Sokrates. Was ihn von den Sophisten unterschied und zur geistesgeschichtlichen Gründerfigur machte, waren die darüber hinausgehenden Merkmale seines Philosophierens. Bezeichnend war z.B. sein stetiges, bohrendes Bemühen, den Dingen auf den Grund zu gehen und z.B. in der Frage „Was ist Tapferkeit?“, sich nicht mit Vordergründig-Augenscheinlichem zufrieden zu geben, sondern den „besten Logos“ zur Sprache zu bringen, d.h. das von Zeit und Örtlichkeit unabhängige, sich gleichbleibende Wesen der Sache.[15]

Als bekanntester Ausspruche des Sokrates gilt: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ (altgr. Vorlage:Polytonisch, oída ouk eidòs), im Volksmund auch unzutreffend wiedergegeben als: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Gemeint hatte er damit vielmehr folgendes: „Ich scheine also um dieses Wenige doch weiser zu sein, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.“ Mit obiger Form des Zitats ist diese Aussage also nur verkürzt wiedergegeben. Sokratische Philosophie bedeutet eine innere Bewegtheit, eine Haltung, die Denken und Dasein bestimmt, was sich in der Übersetzung des Wortes Philosophie als „Liebe zur Weisheit“ ausdrückt. Die Liebe übrigens, so äußerte sich Sokrates einmal, sei das einzige, wovon er etwas verstehe.[16]

Sokrates nennt in seiner Apologie den Gott (Apollon) von Delphi als Garanten für die Wahrhaftigkeit seines Philosophierens. Dieser Gott hatte ihm durch den Mund des Orakels geweissagt: „Niemand ist weiser als Sokrates“. Sokrates reagierte erstaunt: „Was meint der Gott damit? Worauf will er mich hinweisen? Schließlich weiß ich doch, dass ich weder viel noch wenig weiß! Und lügen wird er ja nicht, das ist ihm nicht erlaubt.“[17] Vom Gott zur Weisheit berufen und nicht als Weiser bezeichnet, so deutete er dies schließlich. Er machte sich deshalb auf, andere, die als weise galten, zu befragen, um von ihnen zu lernen. So kam es zu den Streitgesprächen mit den Sophisten, den Weisen seiner Zeit, den in öffentlichen Ämtern stehenden Athenern, Bekannten und Freunden. Im Gegensatz zu den Sophisten ließ er sich nicht für seine Lehrtätigkeit bezahlen. Er bezeichnete sich bewusst als Philosoph ("Philo-soph" – Freund der Weisheit). Für ihn war es wichtig, ein sicheres Fundament für menschliche Erkenntnisse zu finden. Er glaubte, dieses Fundament liege in der menschlichen Vernunft. Er war der Ansicht, dass der, der wisse, was gut ist, auch das Gute tun werde. Er glaubte, die richtige Erkenntnis führe zum richtigen Handeln. Und nur wer das Richtige tue, so Sokrates, werde zum 'richtigen Menschen'. Wenn ein Mensch falsch handelt, so tut er das aus Sokrates' Sicht nur, weil er es nicht besser weiß. Deshalb sei es so wichtig, das Wissen zu vermehren.

Dialog und Hebammenmethode

Methodisch neu zu seiner Zeit war das von Sokrates eingeführte induktive Verfahren, in einem ergebnisoffenen Prozess in Form von Frage und Antwort zu lehren. Diese Gesprächsform war für ihn die Urform des philosophischen Denkens und der einzige Weg zur Verständigung mit anderen.[18] Mahnung (Protreptikos) und Prüfung (Elenchos) bewegten sich bei ihm in der Frageform.[19]. Ein gutes Beispiel dafür bietet seine Verteidigungsrede:

Ich bin euch, ihr Athener, zwar zugetan und Freund, gehorchen aber werde ich dem Gotte mehr als euch, und solange ich noch atme und es vermag, werde ich nicht aufhören, nach Weisheit zu suchen und euch zu ermahnen und zurechtzuweisen, wen von euch ich antreffe, mit meinen gewohnten Reden, wie: Bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangest, und für Ruhm und Ehre; für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, dass sie sich aufs beste befinde, sorgst du nicht, und hierauf willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl darauf, werde ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mich dünkt, er besitze keine Tugend, behaupte es aber, so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher. So werde ich mit Jungen und Alten, wie ich sie eben treffe, verfahren und mit Fremden und Bürgern, um so viel mehr aber mit euch Bürgern, als ihr mir näher verwandt seid. Denn so, wißt nur, befiehlt es der Gott. Und ich meinesteils glaube, dass noch nie größeres Gut dem Staate widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gott leiste. Denn nichts anderes tue ich, als dass ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen zuvor noch überall so sehr zu sorgen als für die Seele.[20]

Um Klarheit herzustellen, bediente sich Sokrates einer eigenen Methode, die als Mäeutik – eine Art „geistige Geburtshilfe“ – bezeichnet wird: Durch Fragen - und nicht durch Belehren des Gesprächspartners, wie es die Sophisten gegenüber ihren Schülern praktizierten – sollte die eigene Einsichtsfähigkeit schließlich das Wissen um das Gute (agathón) und Edle (kalón) selbst „gebären“ bzw. hervorbringen. Dieses Ziel war jedoch nicht ohne Einsicht in die Fragwürdigkeit des eigenen Wissens erreichbar.

Sokrates’ Ironie war nicht darauf angelegt, den anderen lächerlich zu machen, sondern sollte ihm seine Unzulänglichkeit als etwas zu erkennen geben, worüber derjenige selbst lachen konnte, anstatt zerknirscht zu sein. Wie schwer, ja oft unmöglich das vielen seiner Gesprächspartner wurde, zeigen die platonischen Dialoge. Als wenig hilfreich empfanden die Angesprochenen es im Zweifel auch, in der Öffentlichkeit der Agora auf diese Weise demontiert zu werden, zumal auch Sokrates´ Schüler sich in dieser Form des Dialogs übten.

Philosophie als Lebenspraxis

Daran knüpft sich ein viertes Element des mit Sokrates verbundenen philosophischen Neubeginns: die Bedeutung und Bewährung philosophischer Einsichten in der Lebenspraxis. In dem mit seinem Todesurteil endenden Prozess bescheinigte Sokrates seinen Widersachern, dass sie erkennbar im Unrecht seien. Gleichwohl lehnte er anschließend die Flucht aus dem Gefängnis ab, um sich nicht seinerseits ins Unrecht zu setzen. Die philosophische Lebensweise und die Einhaltung des Grundsatzes, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht leiden, gewichtete er höher als die Möglichkeit, sein Leben zu erhalten. [21]

Dieses Philosophieren, das oft mitten im geschäftigen Treiben Athens stattfand, konnte vielleicht auch als Antwort auf die Frage dienen, wie Athen sich als „Schule von Hellas“ behaupten und die individuelle Entfaltung der jeweiligen Fähigkeiten und Tugenden der Bürger fördern könnte. [22] Es zeigte sich aber, dass Sokrates sich damit zugleich Freunde und Feinde machte: Freunde, die seine Philosophie als Schlüssel zur eigenen und gemeinschaftlichen Wohlfahrt und Weisheit ansahen, und Feinde, die seine Philosophie als Gotteslästerung und gemeinschaftsschädigend einschätzten.

Ethik

Originär sokratisch war das Fragen und Forschen zur Begründung einer philosophischen Ethik. Sokrates verkündete die Selbstbefreiung, Selbstherrschaft und Selbstgenügsamkeit der sittlichen Persönlichkeit.[23] Zu den von Sokrates erzielten Ergebnissen gehörte, dass richtiges Handeln aus der richtigen Einsicht folgt und dass Gerechtigkeit Grundbedingung des Seelenheils ist.

Die ethischen Untersuchungen des Sokrates kreisten meist um die Frage nach dem Allgemeinen: Was ist Frömmigkeit? Was ist Selbstbeherrschung (Enkratie)? Was ist Besonnenheit? Was ist Tapferkeit? Was ist Gerechtigkeit? Diese Tugenden (Aretai) verstand Sokrates als Vortrefflichkeiten der Seele, so wie Kraft, Gesundheit und Schönheit Tugenden des Körpers sind. Körperliche und seelische Tugend ist eine Symmetrie der Teile, auf deren Zusammenwirken Körper und Seele beruhen. Die wahre Tugend ist unteilbar und eins, man kann nicht einen Teil von ihr haben und den anderen nicht.[24] Im Guten erkannte Sokrates das wahrhaft Nützliche, Heilsame und Glückbringende, weil es die Natur des Menschen zur Erfüllung seines Wesens führt. Das Ethische ist der Ausdruck der richtig verstandenen menschlichen Natur. Frei ist der Mensch nur, wenn er nicht der Sklave seiner eigenen Begierden ist:[25]

Du, Antifon, scheinst die Glückseligkeit in Üppigkeit und großem Aufwand zu setzen; ich hingegen bin überzeugt, daß nichts bedürfen etwas göttliches und also das Beste ist, und die wenigsten Bedürfnisse haben, das was dem Göttlichen am Besten am nächsten kommt.[26]

Der Mensch erreicht den Einklang mit dem Weltganzen nicht durch die Befriedigung seiner sinnlichen Bedürfnisse, sondern „nur durch die vollendete Herrschaft über sich selbst nach dem Gesetz, das er in seiner eigenen Seele durch Forschen findet.“[27] Das wahre Ziel des Lebens ist das Wissen des Guten (Phronesis).

Sokrates und Alkibiades bei Aspasia

Die Vollendung des Lebens in der Schau des Schönen

Das Schöne und das Gute sind nur zwei eng verschwisterte Aspekte einer und derselben Wirklichkeit, die höchste Arete des Menschen ist das Schön- und Gutsein (Kalokagathia als Einheit von Wahrem, Gutem und Schönem; Vollkommenheit).[28] Nach Sokrates vollzieht sich die beglückende Erkenntnis des Schönen stufenweise. Ein wichtiger Helfer dabei ist der Gott Eros, dessen Bedeutung weit über die Sexualität hinaus geht. Der Mensch ist sterblich, ihm fehlt die göttliche Unveränderlichkeit. Der Mensch hat deshalb das Bedürfnis, durch immer neue Schöpfung sich zu erhalten. Der Eros entspringt aus der höheren gottverwandten Natur des Menschen und ist ein Streben, gottähnlich zu werden. Er ist ein Streben nach Besitz, nicht ein Besitz selbst. Der Eros setzt einen Mangel voraus und begehrt die Fülle. Er ist der Sohn der Penia (Armut) und des Poros (Reichtum). Das Ziel dieses Strebens ist der dauernde Besitz des Guten, die Glückseligkeit, die Unsterblichkeit.[29] Der Eros ist also überhaupt das Streben des Endlichen, sich zur Unendlichkeit zu erweitern. Die äußere Bedingung für die Betätigung des Eros ist die Gegenwart des Schönen, und der Eros richtet sich stufenweise auf die schöne Gestalt, die schöne Seele, die Wissenschaft und die Idee und strebt nach der Darstellung des absolut Schönen. Dabei ist die Schau des Schönen selbst dann nicht mehr an ein einzelnes Sinnesobjekt gebunden:

Noch auch wird ihm dieses Schöne unter einer Gestalt erscheinen, wie ein Gesicht oder Hände oder sonst etwas, was der Leib an sich hat, noch wie eine Rede oder eine Erkenntnis, noch irgendwo an einem andern seiend, weder an einem einzelnen Lebenden, noch an der Erde, noch am Himmel; sondern an und für und in sich selbst ewig überall dasselbe seiend, alles andere Schöne aber an jenem auf irgendeine solche Weise Anteil habend, daß, wenn auch das andere entsteht und vergeht, jenes doch nie irgendeinen Gewinn oder Schaden davon hat, noch ihm sonst etwas begegnet... Denn dies ist die rechte Art, sich auf die Liebe zu legen oder von einem andern dazu angeführt zu werden, daß man von diesem einzelnen Schönen beginnend jenes einen Schönen wegen immer höher hinaufsteige, gleichsam stufenweise von einem zu zweien, und von zweien zu allen schönen Gestalten, und von den schönen Gestalten zu den schönen Sitten und Handlungsweisen, und von den schönen Sitten zu den schönen Kenntnissen, bis man von den Kenntnissen endlich zu jener Kenntnis gelangt, welche von nichts anderem als eben von jenem Schönen selbst die Kenntnis ist und man also zuletzt jenes selbst, was schön ist, erkenne... Was also ... sollen wir erst glauben, wenn einer dazu gelangte, jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischt zu sehn, das nicht erst voll menschlichen Fleisches ist und Farben und anderen sterblichen Flitterkrams, sondern das göttlich Schöne selbst in seiner Einartigkeit zu schauen? Meinst du wohl, daß das ein schlechtes Leben sei, wenn einer dorthin sieht und jenes erblickt und damit umgeht? Oder glaubst du nicht, daß dort allein ihm begegnen kann, indem er schaut, womit man das Schöne schauen muß; nicht Abbilder der Tugend zu erzeugen, weil er nämlich auch nicht ein Abbild berührt, sondern Wahres, weil er das Wahre berührt? Wer aber wahre Tugend erzeugt und aufzieht, dem gebührt, von den Göttern geliebt zu werden, und wenn irgend einem anderen Menschen, dann gewiß ihm auch, unsterblich zu sein.[30]

Wirkung

Mehrere seiner Schüler haben wie Platon sokratische Dialoge verfasst und unterschiedliche Züge seiner Lehre betont. Nahezu alle bedeutenden philosophischen Schulen der Antike haben sich auf Sokrates berufen. Sokrates habe die Philosophie als Erster vom Himmel auf die Erde heruntergerufen, unter den Menschen angesiedelt und zum Prüfinstrument der Lebensweisen, Sitten und Wertvorstellungen gemacht, hat Cicero gemeint, der ein vorzügliche Kenner der griechischen Philosophie war.[31] Erasmus von Rotterdam hat Sokrates als Heiligen und Märtyrer gewürdigt und zu ihm gerufen: Sancte Socrates, ora pro nobis.[32] Montaigne nannte ihn den „Meister aller Meister“ und noch Karl Jaspers meinte: „Sokrates vor Augen zu haben, ist eine der unerlässlichen Voraussetzungen unseres Philosophierens.“[33]

Zeitübersicht

Zeitraum Ereignisse
469 v. Chr. Geburt des Sokrates
465 v. Chr. Leukipp, Lehrer des Demokrit, lehrt als erster, dass alle Dinge aus unteilbaren Teilchen (Atome) zusammengesetzt sind.
460 v. Chr. Geburt des Demokrit
443–429 v. Chr. Athen wird zur Kulturhauptstadt Attikas. Alle Persönlichkeiten des Geisteslebens halten sich zeitweise in Athen auf. Zu ihnen gehörten auch die Philosophen Anaxagoras, Protagoras, Hippias von Elis. Nicht nur politisch bedeutsame Persönlichkeiten wie Perikles und Kallias nehmen regen Anteil an philosophischen Fragestellungen und künstlerischen Entwicklungen.
441–440 v. Chr. Sokrates hält sich in Samos auf und hatte dort Kontakt mit dem Anaxagoras-Schüler Archelaos (Philosoph).
432 v. Chr. In Athen wird ein Gesetz gegen Gottlosigkeit verabschiedet.
431–429 v. Chr. Feldzug gegen Poteidaia (Sokrates nimmt als Hoplit teil.)
428 v. Chr. Aufführung von Euripides' Hippolytos.
424 v. Chr. Sokrates nimmt am Feldzug gegen Delion teil.
423 v. Chr. Sokrates wird als Hauptfigur der Komödie Die Wolken von Aristophanes zur Zielscheibe des allgemeinen Spottes.
422 v. Chr. Feldzug gegen Amphipolis (Sokrates nimmt als Hoplit teil.)
418–413 v. Chr. Alkibiades, den Sokrates ein Leben lang kannte, spielt eine politisch einflussreiche Rolle in Athen: Er überredet die Athener zum sizilianischen Feldzug, wird aber 415 entmachtet und später aus Athen verbannt.
416 v. Chr. Sokrates erscheint als Ehrengast auf einem berühmten Gastmahl (Symposion), das anlässlich des Tragödiensieges des jungen Agathon stattfindet.
412 v. Chr. Geburt von Diogenes
ca. 407 v. Chr. Platon wird Schüler von Sokrates
406 v. Chr. Sokrates nimmt als Ratsmitglied am Prozess gegen die Feldherren der Arginusenschlacht teil. Vergeblich widersetzt er sich einem ungesetzlichen Volksbeschluss.
404 v. Chr. Die Spartaner erobern Athen. Sokrates leistet Widerstand gegen ungesetzliche Maßnahmen während der von ihnen eingesetzten nun folgenden Herrschaft der „Dreißig Tyrannen“.
399 v. Chr. Nach der Restauration der Demokratie kommt es zu Prozess, Verurteilung und Tod des Sokrates.
396 v. Chr. Platon veröffentlicht seine Apologie (Verteidigung des Sokrates)

Anmerkungen

  1. Jaeger, Paideia, S. 592
  2. Xenophon, Memorabilien II, 2. Gespräch des Sokrates mit seinem Sohn Lamprokles; Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg
  3. Xenophon, Gastmahl, 2. Gespräch des Sokrates mit Antisthenes; Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg
  4. Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, 1878, Nr. 433
  5. Jaeger, Paideia, S. 580
  6. Jaeger, Paideia, S. 585
  7. Jaeger, Paideia, S. 593 und 598
  8. Vgl. Platon, Gastmahl, 219e f.; vergleiche auch die Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  9. Jaeger, Paideia, S. 592
  10. Vgl. Alexander Demandt: Sokrates vor dem Volksgericht in Athen 399 v. Chr. In: ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, München 1990, S. 16f.
  11. Vgl. Platon, Kriton, 50b; Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  12. Zitiert nach Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 85
  13. Platon, Apologie des Sokrates, 40a ff.; Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  14. Pleger, S. 169f.
  15. Vgl. hierzu und zu den nachfolgend skizzierten originären Merkmalen der sokratischen Philosophie: Pleger, S. 178ff.
  16. Vgl. Platon, Theages, 128a
  17. Platon, Apologie, 21b
  18. Jaeger, Paideia, S. 582
  19. Jaeger, Paideia, S. 601
  20. Platon, Apologie des Sokrates, 29d ff.; Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  21. Vgl. Pleger, S. 192ff.
  22. Vgl. Die Rede des Perikles, in: Thukydides, Der Peloponnesische Krieg (Peloponnesischer Krieg), II 41,1.
  23. Jaeger, Paideia, S. 588
  24. Jaeger, Paideia, S. 634
  25. Vgl. Xenophon, Memorabilien I 5, 5 - 6; IV 5, 2 - 5
  26. Übersetzung von Wieland im Projekt Gutenberg
  27. Vgl. zum Ganzen Jaeger, Paideia, S. 586 und S. 609 f.
  28. Vgl dazu auch Jaeger, Paideia, S. 782
  29. Platon, Gastmahl, 205a ff; Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  30. Platon, Gastmahl, 211a ff; Übersetzung von Schleiermacher bei Textlog
  31. Vgl. Pleger, S. 29.
  32. Jaeger, Paideia, S. 575
  33. Zit.n. Kaufmann, S. 93 (Montaigne), S. 8 (Jaspers).

Literatur

Historische Quellen
Moderne Literatur
  • Gernot Böhme: Der Typ Sokrates. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1992.
  • M. Breitbach: Der Prozess des Sokrates – Verteidigung der oder Anschlag auf die athenische Demokratie? Ein Beitrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive., in: Gymnasium 112 (2005), S. 321–343.
  • Günter Figal: Sokrates, Beck, München 2006.
  • Christopher Gill: The Death of Socrates, in: The Classical Quarterly 23, 1973, S. 25-28.
  • Romano Guardini: Der Tod des Sokrates. Hamburg 1966.
  • Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen. De Gruyter, Berlin/New York 1989 ISBN 978-3110038002
  • Eva-Maria Kaufmann: Sokrates. München 2000.
  • Christoph Kniest: Sokrates zur Einführung. Junius, Hamburg 2003, ISBN 3885063565.
  • Gottfried Martin: Sokrates., Hamburg 1967.
  • Wolfgang H. Pleger: Sokrates. Der Beginn des philosophischen Dialogs. Reinbek 1998.
  • Gustav Radbruch: Rechtsphilosophie, Studienausgabe, herausgegeben von Ralf Dreier und Stanley L. Paulson. C. F. Müller, 2. Aufl., Heidelberg 2003
  • C. C. W. Taylor: Sokrates. Herder, Freiburg 1999.

Weblinks

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