„Massenpanik“ – Versionsunterschied

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== Kritik am Konzept „Massenpanik“ ==
== Kritik am Konzept „Massenpanik“ ==
Der Eindruck, dass allein durch das Zusammenkommen großer Zahlen von Menschen an einem Ort eine Panik ausgelöst werden könnte, ist empirisch nicht gesichert: Sime<ref>J. Sime "The concept of panic" in D. Canter (ed) Fires and Human Behavior (1981)</ref> kritisiert, dass der Begriff Panik für Verhaltensweisen verwendet wird, die aus der subjektiven Perspektive rational sind und nur bei einer äußeren Betrachtung, mit zusätzlichen Informationen, die dem Betroffenen in der Situation nicht zur Verfügung standen, als irrational erscheint. Auch die Vorstellung einer „Massenseele“ ([[Gustave Le Bon]]: ''[[Psychologie der Massen]]'', 1895 oder [[Sigmund Freud]]: ''[[Massenpsychologie und Ich-Analyse]]'', 1921) ist umstritten<ref>[[Peter R. Hofstätter]] ''[[Gruppendynamik]] : Kritik der [[Massenpsychologie]]''. Rowohlt, Reinbek, (1990). Hier wird v.a. Le Bons [[Deindividuation]]stheorie kritisiert.</ref><ref>[http://www.udel.edu/DRC/preliminary/pp283.pdf E. L. Quarantelli "The Sociology of Panic"] in Smelser and Baltes (eds) International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences (2001).</ref>. Siehe auch: [[Masse (Soziologie)]].
Der Eindruck, dass allein durch das Zusammenkommen großer Zahlen von Menschen an einem Ort eine Panik ausgelöst werden könnte, ist empirisch nicht gesichert: Sime<ref>J. Sime "The concept of panic" in D. Canter (ed) Fires and Human Behavior (1981)</ref> kritisiert, dass der Begriff Panik für Verhaltensweisen verwendet wird, die aus der subjektiven Perspektive rational sind und nur bei einer äußeren Betrachtung, mit zusätzlichen Informationen, die dem Betroffenen in der Situation nicht zur Verfügung standen, als irrational erscheint. Auch die Vorstellung einer „Massenseele“ ([[Gustave Le Bon]]: ''[[Gustave Le Bon|Psychologie der Massen]]'', 1895 oder [[Sigmund Freud]]: ''[[Massenpsychologie und Ich-Analyse]]'', 1921) ist umstritten<ref>[[Peter R. Hofstätter]] ''[[Gruppendynamik]] : Kritik der [[Massenpsychologie]]''. Rowohlt, Reinbek, (1990). Hier wird v.a. Le Bons [[Deindividuation]]stheorie kritisiert.</ref><ref>[http://www.udel.edu/DRC/preliminary/pp283.pdf E. L. Quarantelli "The Sociology of Panic"] in Smelser and Baltes (eds) International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences (2001).</ref>. Siehe auch: [[Masse (Soziologie)]].


Die Reaktion von Menschen in Gefahrensituationen wurde empirisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass die meisten Menschen weder egoistisch noch unüberlegt reagieren.<ref>[http://www.contextsmagazine.org/content_sample_v1-3.php L. Clarke "Panic: Myth or Reality?"] Contexts Magazine.</ref> [[Michael Schreckenberg]] hatte nach einer Analyse von 127 Fällen [[Panik]] als Ursache von Katastrophen ausgeschlossen. Vielmehr seien physikalische Prozesse ursächlich, zwar herrschen Instinkte vor und „der Organismus ist nur noch darauf ausgerichtet, sein Leben zu erhalten“, aber Flüchtende folgten vorhersagbaren Regeln. Auf etwa zehn Personen komme ungefähr ein Anführer, der eine Leitfigur darstellt. Weitere zehn Prozent, „die Sensiblen“, laufen bei kleinsten Gefahren los. Die restlichen 80 Prozent seien diejenigen, die „blind“ der Masse folgten. Zudem liefen Menschen, die in einer Masse fliehen, welche plötzlich ins Stocken gerät, nahezu exakt nach 15 Sekunden in eine andere Richtung.<ref>[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-60883197.html Traufetter, Gerald: ''Geordnet in den Untergang''] In: Der Spiegel 41/2008 </ref>
Die Reaktion von Menschen in Gefahrensituationen wurde empirisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass die meisten Menschen weder egoistisch noch unüberlegt reagieren.<ref>[http://www.contextsmagazine.org/content_sample_v1-3.php L. Clarke "Panic: Myth or Reality?"] Contexts Magazine.</ref> [[Michael Schreckenberg]] hatte nach einer Analyse von 127 Fällen [[Panik]] als Ursache von Katastrophen ausgeschlossen. Vielmehr seien physikalische Prozesse ursächlich, zwar herrschen Instinkte vor und „der Organismus ist nur noch darauf ausgerichtet, sein Leben zu erhalten“, aber Flüchtende folgten vorhersagbaren Regeln. Auf etwa zehn Personen komme ungefähr ein Anführer, der eine Leitfigur darstellt. Weitere zehn Prozent, „die Sensiblen“, laufen bei kleinsten Gefahren los. Die restlichen 80 Prozent seien diejenigen, die „blind“ der Masse folgten. Zudem liefen Menschen, die in einer Masse fliehen, welche plötzlich ins Stocken gerät, nahezu exakt nach 15 Sekunden in eine andere Richtung.<ref>[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-60883197.html Traufetter, Gerald: ''Geordnet in den Untergang''] In: Der Spiegel 41/2008 </ref>
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Starkes Gedränge oder Katastrophen mit vielen Beteiligten können eine „Massenpanik“ auslösen, die mit unkontrollierter Angst und massiven Fluchtbewegungen einhergeht. In einer solchen Situation gibt es nur wenige Interventionsmöglichkeiten. Am besten sei es, Panik in ihrer Entstehungsphase zu beeinflussen. Doch selbst nach deren Ausbruch ließen sich Menschen durch gezielte, klare und strukturierte Aufforderungen und Informationen erreichen. Dies kann z.&nbsp;B. durch Lautsprecherdurchsagen oder durch Abläufe geschehen, die Gelassenheit demonstrieren (z.&nbsp;B. Fortsetzung der Veranstaltung wie eines Fußballspiels). Auch Aufmerksamkeit erweckende Interventionen (z.&nbsp;B. ein schriller Pfeifton) oder das Stellen einfacher Aufgaben können eine panische Menge erreichen (z.&nbsp;B.: „Achten Sie auf Kinder!“).
Starkes Gedränge oder Katastrophen mit vielen Beteiligten können eine „Massenpanik“ auslösen, die mit unkontrollierter Angst und massiven Fluchtbewegungen einhergeht. In einer solchen Situation gibt es nur wenige Interventionsmöglichkeiten. Am besten sei es, Panik in ihrer Entstehungsphase zu beeinflussen. Doch selbst nach deren Ausbruch ließen sich Menschen durch gezielte, klare und strukturierte Aufforderungen und Informationen erreichen. Dies kann z.&nbsp;B. durch Lautsprecherdurchsagen oder durch Abläufe geschehen, die Gelassenheit demonstrieren (z.&nbsp;B. Fortsetzung der Veranstaltung wie eines Fußballspiels). Auch Aufmerksamkeit erweckende Interventionen (z.&nbsp;B. ein schriller Pfeifton) oder das Stellen einfacher Aufgaben können eine panische Menge erreichen (z.&nbsp;B.: „Achten Sie auf Kinder!“).


Entscheidend sei es, Kommunikation (wieder) herzustellen und die Selbstkompetenz des Einzelnen zu aktivieren. Die Verantwortlichen sollten bei einer Massenpanik sachlich und nüchtern wirken. Ihre Informationen sollten klar, eindeutig und wahrheitsgemäß sein. Mit den beschriebenen Interventionen könne es gelingen, die Erregung der Betroffenen zu dämpfen. Zwar ist es unmöglich, eine Massenpanik übungshalber zu simulieren, doch zumindest bereitet die geistige Auseinandersetzung mit möglichen Katastrophen die Verantwortlichen darauf vor, gelassener, ruhiger und mit mehr Übersicht auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. <ref>[http://www.dr-mueck.de/HM_Angst/HM_Massenpanik.htm Verhalten bei Massenpanik] nach F.G. Pajonk u.a.: Massenphänomene bei Großschadensereignissen – Panik als seltene Erscheinungsform. Der Notarzt 2002 (18) 146-151. </ref>
Entscheidend sei es, Kommunikation (wieder) herzustellen und die Selbstkompetenz des Einzelnen zu aktivieren. Die Verantwortlichen sollten bei einer Massenpanik sachlich und nüchtern wirken. Ihre Informationen sollten klar, eindeutig und wahrheitsgemäß sein. Mit den beschriebenen Interventionen könne es gelingen, die Erregung der Betroffenen zu dämpfen. Zwar ist es unmöglich, eine Massenpanik übungshalber zu simulieren, doch zumindest bereitet die geistige Auseinandersetzung mit möglichen Katastrophen die Verantwortlichen darauf vor, gelassener, ruhiger und mit mehr Übersicht auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.<ref>[http://www.dr-mueck.de/HM_Angst/HM_Massenpanik.htm Verhalten bei Massenpanik] nach F.G. Pajonk u.a.: Massenphänomene bei Großschadensereignissen – Panik als seltene Erscheinungsform. Der Notarzt 2002 (18) 146-151. </ref>


== Auswahl bekannter Unglücksfälle ==
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{{Hauptartikel|Unglück bei der Loveparade 2010}}
{{Hauptartikel|Unglück bei der Loveparade 2010}}


Am 24. Juli 2010 fand die Loveparade in [[Duisburg]] auf dem Gelände des ehemaligen [[Güterbahnhof]]es [[Duisburg Güterbahnhof‎‎|Duisburg Gbf]] statt. Bei einem Gedränge im Eingangsbereich kamen 21 Menschen ums Leben und 511 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. <ref>[http://www.faz.net/s/RubCCB49507459C498F8E6FA9E990486D14/Doc~E689A38FE503E4A64AC3CC23D0D23416C~ATpl~Ecommon~Sspezial.html ''Zahl der Opfer steigt auf 20''] FAZ vom 26. Juli 2010</ref>
Am 24. Juli 2010 fand die Loveparade in [[Duisburg]] auf dem Gelände des ehemaligen [[Güterbahnhof]]es [[Duisburg Güterbahnhof‎‎|Duisburg Gbf]] statt. Bei einem Gedränge im Eingangsbereich kamen 21 Menschen ums Leben und 511 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.<ref>[http://www.faz.net/s/RubCCB49507459C498F8E6FA9E990486D14/Doc~E689A38FE503E4A64AC3CC23D0D23416C~ATpl~Ecommon~Sspezial.html ''Zahl der Opfer steigt auf 20''] FAZ vom 26. Juli 2010</ref>


=== Mekka (Saudi-Arabien) ===
=== Mekka (Saudi-Arabien) ===
{{Siehe auch|Haddsch}}
{{Siehe auch|Haddsch}}

In einem Fußgängertunnel brach am 2. Juli 1990 eine Panik aus, bei der 1427 Pilger von fliehenden Menschenmassen totgetrampelt wurden. Am 12. Januar 2006 wurden beim [[Haddsch]] in [[Mina (Saudi-Arabien)|Mina]] bei Mekka mindestens 362 muslimische Pilger getötet, mehr als 250 wurden verletzt.<ref>[http://www.stern.de/politik/ausland/553125.html ''Blutiger Höhepunkt der Hadsch''] Stern vom 12. Januar 2006.</ref>
In dem Al-Ma'aisim-Fußgängertunnel brach am 2. Juli 1990 eine Panik aus, bei der 1427 Pilger von fliehenden Menschenmassen totgetrampelt wurden. Am 12. Januar 2006 wurden beim [[Haddsch]] in [[Mina (Saudi-Arabien)|Mina]] bei Mekka mindestens 362 muslimische Pilger getötet, mehr als 250 wurden verletzt.<ref>[http://www.stern.de/politik/ausland/553125.html ''Blutiger Höhepunkt der Hadsch''] Stern vom 12. Januar 2006.</ref> Vermutlich handelt es sich bei diesem Zwischenfall um die folgenschwerste Massenpanik der dokumentierten Geschichte.<ref>http://www.bukisa.com/articles/28728_10-deadliest-stampedes-in-history Artikel "10 Deadliest Stampedes in History"</ref>


=== Hillsborough-Stadion in Sheffield 1989 ===
=== Hillsborough-Stadion in Sheffield 1989 ===
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=== Nationalstadion in Lima 1964 ===
=== Nationalstadion in Lima 1964 ===


Am 24. Mai 1964 fand in [[Lima]] ein Olympiaqualifikationsspiel zwischen den Fußballmannschaften von Peru und Argentinien statt. Zwei Minuten vor dem Spielende fiel ein Tor für Peru, das der Schiedsrichter nicht anerkannte. Peru würde damit die Qualifikation verpassen, es kam zu Tumulten unter den Zuschauern. Die Polizei schoss mit [[Tränengas]] in die Menge. Daraufhin wollten andere Zuschauer in Panik von den Tribünen zu den Ausgängen flüchten. Die Tore waren noch nicht geöffnet und ließen sich nur nach innen aufmachen. Die anstürmenden Massen drückten ihre Mitmenschen zu Tode. Es starben 328 Personen, etwa 500 Zuschauer wurden verletzt.<ref>[http://books.google.de/books?id=SOhZvbS5TOIC&pg=PA111&lpg=PA111&dq=%2224.+Mai%22+1964+Lima+Peru+Argentinien&source=bl&ots=26Iv45aj6w&sig=YAIOUbKzd7A-RHuSSjLl15GrbZE&hl=de&ei=YmIYSqWxHJKwsAaRroyRAg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=6 Die große Chronik Weltgeschichte 18, Seite 111. ISBN 3577090782], abgefragt am 23. Mai 2009</ref> <ref>[http://www.history.com/this-day-in-history.do?action=Article&id=601 History.com: ''Riot erupts at soccer match''], (englisch), abgefragt am 23. Mai 2009</ref>
Am 24. Mai 1964 fand in [[Lima]] ein Olympiaqualifikationsspiel zwischen den Fußballmannschaften von Peru und Argentinien statt. Zwei Minuten vor dem Spielende fiel ein Tor für Peru, das der Schiedsrichter nicht anerkannte. Peru würde damit die Qualifikation verpassen, es kam zu Tumulten unter den Zuschauern. Die Polizei schoss mit [[Reizstoff|Tränengas]] in die Menge. Daraufhin wollten andere Zuschauer in Panik von den Tribünen zu den Ausgängen flüchten. Die Tore waren noch nicht geöffnet und ließen sich nur nach innen aufmachen. Die anstürmenden Massen drückten ihre Mitmenschen zu Tode. Es starben 328 Personen, etwa 500 Zuschauer wurden verletzt.<ref>[http://books.google.de/books?id=SOhZvbS5TOIC&pg=PA111&lpg=PA111&dq=%2224.+Mai%22+1964+Lima+Peru+Argentinien&source=bl&ots=26Iv45aj6w&sig=YAIOUbKzd7A-RHuSSjLl15GrbZE&hl=de&ei=YmIYSqWxHJKwsAaRroyRAg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=6 Die große Chronik Weltgeschichte 18, Seite 111. ISBN 3577090782], abgefragt am 23. Mai 2009</ref> <ref>[http://www.history.com/this-day-in-history.do?action=Article&id=601 History.com: ''Riot erupts at soccer match''], (englisch), abgefragt am 23. Mai 2009</ref>


=== Chodynkafeld bei Moskau 1896 ===
=== Chodynkafeld bei Moskau 1896 ===
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* [http://en.wikipedia.org/wiki/Hillsborough_disaster (engl.) Wikipedia zu den Ereignissen im Hillsborough-Stadion]
* [http://en.wikipedia.org/wiki/Hillsborough_disaster (engl.) Wikipedia zu den Ereignissen im Hillsborough-Stadion]
* [http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/wi20060530_3745.rtf Tunnelblick und Herdentrieb - Was passiert bei Massenpanik?]
* [http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/wi20060530_3745.rtf Tunnelblick und Herdentrieb - Was passiert bei Massenpanik?]
* [http://www.bukisa.com/articles/28728_10-deadliest-stampedes-in-history Artikel "10 Deadliest Stampedes in History"</ref>


[[Kategorie:Handlung und Verhalten]]
[[Kategorie:Handlung und Verhalten]]

Version vom 31. Juli 2010, 22:17 Uhr

Eine Massenpanik ist ein innerhalb einer Menschenmasse bei Massenveranstaltungen auftretendes Panikgefühl, das unkontrollierte Fluchtbewegungen bedingt und Verletzungen und Todesopfer zur Folge haben kann. Ursache einer Massenpanik können sowohl gefährliche äußere Umstände (zu wenig Raum für zu viele Menschen) als auch gefährliches Verhalten innerhalb der Menschenmasse (jemand ruft "Bombe") sein. Eine Massenpanik tritt nur im Verlauf eines sehr geringen Anteils von Massenunglücken auf, dennoch werden die Bezeichnungen in den Medien häufig synonym verwendet.

Im übertragenen Sinn gibt es Massenpaniken auch in Form von Verkaufslawinen an den Aktienmärkten oder massenhafter Auflösung von Bankeinlagen (siehe z.B. Panik von 1907). Bei Herdentieren wie Rindern oder Antilopen gibt es das Phänomen der Stampede, das in seiner Dynamik ebenfalls Züge der Massenpanik hat. Die Deutung von Stampeden als aus evolutionärer Sicht angepasstes Schutzverhalten in Gegenwart von Beutegreifern lässt sich jedoch nicht auf den Menschen übertragen.

Vorkommen des Phänomens

Sogenannte „Massenpaniken“ würden infolge von Bedrohungsszenarien durch „psychische Ansteckung“ mithilfe der Spiegelneuronen entstehen und eine quantitative Vervielfältigung individueller Panik darstellen. Sie lassen sich in ihrer Intensität abhängig durch äußere Einflüsse differenzieren. Man unterscheidet Panikreaktionen in offenen, geschlossenen Systemen wie auch in Flaschenhalssituationen. Letztere ist die gefährlichste Reaktion, da hier die Erregungssituation der Betroffenen am stärksten ist, während in offenen Systemen Fluchtmöglichkeiten vorhanden sind und in geschlossenen Systemen wie in Bergwerken Panikreaktionen sich eher individuell gestalten. [1]

„Massenpaniken“ mit hohen Opferzahlen kommen vor allem in Fußballstadien oder bei Pilgerfahrten, sowie in Diskotheken und Nachtklubs zum Beispiel während Brandkatastrophen vor. Sie entwickeln sich relativ selten und unter speziellen Voraussetzungen. Haupttodesursache ist eine traumatische Asphyxie durch eine Kompression des Thorax durch Quetschung oder „Niedertrampeln“. Helbing et al. (2000) definieren folgende charakteristische Vorgänge bei einer „Massenpanik“:[2]

Personen bewegen sich infolge von Panik deutlich schneller als in normalen Situationen, was zu Schubsen und Stoßen und insbesondere an Engstellen zu unkoordiniertem Verhalten führt. Personen werden durch die Stauwirkung eingeklemmt, der Druck kann bis zu 4450N/m² betragen, was unter Umständen bis zum Einstürzen von Mauerwerk führen kann. Verletzte und am Boden Liegende stellen zudem ein weiteres Hindernis der Flüchtenden dar, durch den „Herdentrieb“ orientieren sich die Betroffenen an dem Verhalten der anderen. Andere Ausgänge oder Fluchtmöglichkeiten können so leicht übersehen werden.

Kritik am Konzept „Massenpanik“

Der Eindruck, dass allein durch das Zusammenkommen großer Zahlen von Menschen an einem Ort eine Panik ausgelöst werden könnte, ist empirisch nicht gesichert: Sime[3] kritisiert, dass der Begriff Panik für Verhaltensweisen verwendet wird, die aus der subjektiven Perspektive rational sind und nur bei einer äußeren Betrachtung, mit zusätzlichen Informationen, die dem Betroffenen in der Situation nicht zur Verfügung standen, als irrational erscheint. Auch die Vorstellung einer „Massenseele“ (Gustave Le Bon: Psychologie der Massen, 1895 oder Sigmund Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921) ist umstritten[4][5]. Siehe auch: Masse (Soziologie).

Die Reaktion von Menschen in Gefahrensituationen wurde empirisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass die meisten Menschen weder egoistisch noch unüberlegt reagieren.[6] Michael Schreckenberg hatte nach einer Analyse von 127 Fällen Panik als Ursache von Katastrophen ausgeschlossen. Vielmehr seien physikalische Prozesse ursächlich, zwar herrschen Instinkte vor und „der Organismus ist nur noch darauf ausgerichtet, sein Leben zu erhalten“, aber Flüchtende folgten vorhersagbaren Regeln. Auf etwa zehn Personen komme ungefähr ein Anführer, der eine Leitfigur darstellt. Weitere zehn Prozent, „die Sensiblen“, laufen bei kleinsten Gefahren los. Die restlichen 80 Prozent seien diejenigen, die „blind“ der Masse folgten. Zudem liefen Menschen, die in einer Masse fliehen, welche plötzlich ins Stocken gerät, nahezu exakt nach 15 Sekunden in eine andere Richtung.[7]

Anhand der Auswertung von Computersimulationen nannte der US-amerikanische Geograf Paul Torrens die Vorstellung von der „hysterischen Masse“ als einen „Mythos“, die Masse könne einzelne Unruheherde sehr effektiv beruhigen. Die Mehrheit dürfe nur nicht versuchen einzugreifen, sondern muss eine „störende“ Gruppe möglichst „ruhig umfließen - in so einem Verhalten zeigt sich die Weisheit der Masse“. Ungünstige Entwicklungen in Menschenmengen würden in der Regel damit beginnen, dass Einzelne die Körpersprache ihrer Neben- und Vorderleute missdeuten und sich entsprechend verhalten. Gleich einer Epidemie greife dessen unruhiges Verhalten erst auf kleine Gruppen und schließlich auf die große Masse über, was in Unglücksfällen zum Kollabieren der „kollektiven Intelligenz“ führe.

Allerdings könne, so Torrens, ein Modell Katastrophenszenarien „auch nur annähernd akkurat voraussagen“ , vielmehr müssen Maßnahmen der Prävention durchgeführt werden, damit Personengruppen nicht die Orientierung verlieren. Insbesondere Hinweisschilder, welche die intuitive Wahrnehmung der Passanten ansprechen, seien geeignet. [8]

Verhalten bei „Massenpanik“

Starkes Gedränge oder Katastrophen mit vielen Beteiligten können eine „Massenpanik“ auslösen, die mit unkontrollierter Angst und massiven Fluchtbewegungen einhergeht. In einer solchen Situation gibt es nur wenige Interventionsmöglichkeiten. Am besten sei es, Panik in ihrer Entstehungsphase zu beeinflussen. Doch selbst nach deren Ausbruch ließen sich Menschen durch gezielte, klare und strukturierte Aufforderungen und Informationen erreichen. Dies kann z. B. durch Lautsprecherdurchsagen oder durch Abläufe geschehen, die Gelassenheit demonstrieren (z. B. Fortsetzung der Veranstaltung wie eines Fußballspiels). Auch Aufmerksamkeit erweckende Interventionen (z. B. ein schriller Pfeifton) oder das Stellen einfacher Aufgaben können eine panische Menge erreichen (z. B.: „Achten Sie auf Kinder!“).

Entscheidend sei es, Kommunikation (wieder) herzustellen und die Selbstkompetenz des Einzelnen zu aktivieren. Die Verantwortlichen sollten bei einer Massenpanik sachlich und nüchtern wirken. Ihre Informationen sollten klar, eindeutig und wahrheitsgemäß sein. Mit den beschriebenen Interventionen könne es gelingen, die Erregung der Betroffenen zu dämpfen. Zwar ist es unmöglich, eine Massenpanik übungshalber zu simulieren, doch zumindest bereitet die geistige Auseinandersetzung mit möglichen Katastrophen die Verantwortlichen darauf vor, gelassener, ruhiger und mit mehr Übersicht auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.[9]

Auswahl bekannter Unglücksfälle

Loveparade in Duisburg 2010

Am 24. Juli 2010 fand die Loveparade in Duisburg auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes Duisburg Gbf statt. Bei einem Gedränge im Eingangsbereich kamen 21 Menschen ums Leben und 511 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.[10]

Mekka (Saudi-Arabien)

In dem Al-Ma'aisim-Fußgängertunnel brach am 2. Juli 1990 eine Panik aus, bei der 1427 Pilger von fliehenden Menschenmassen totgetrampelt wurden. Am 12. Januar 2006 wurden beim Haddsch in Mina bei Mekka mindestens 362 muslimische Pilger getötet, mehr als 250 wurden verletzt.[11] Vermutlich handelt es sich bei diesem Zwischenfall um die folgenschwerste Massenpanik der dokumentierten Geschichte.[12]

Hillsborough-Stadion in Sheffield 1989

Das Unglück im Hillsborough-Stadion im englischen Sheffield ereignete sich am 15. April 1989. Dort kamen bei einem Gedränge im Stadion 96 Menschen ums Leben.

Heysel-Stadion in Brüssel 1985

Am 29. Mai 1985 spielten der FC Liverpool und Juventus Turin im Finale des Europapokals der Landesmeister gegeneinander im Heysel-Stadion. Bei dem Unglück kamen 39 Menschen ums Leben.

Nationalstadion in Lima 1964

Am 24. Mai 1964 fand in Lima ein Olympiaqualifikationsspiel zwischen den Fußballmannschaften von Peru und Argentinien statt. Zwei Minuten vor dem Spielende fiel ein Tor für Peru, das der Schiedsrichter nicht anerkannte. Peru würde damit die Qualifikation verpassen, es kam zu Tumulten unter den Zuschauern. Die Polizei schoss mit Tränengas in die Menge. Daraufhin wollten andere Zuschauer in Panik von den Tribünen zu den Ausgängen flüchten. Die Tore waren noch nicht geöffnet und ließen sich nur nach innen aufmachen. Die anstürmenden Massen drückten ihre Mitmenschen zu Tode. Es starben 328 Personen, etwa 500 Zuschauer wurden verletzt.[13] [14]

Chodynkafeld bei Moskau 1896

Im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten des russischen Zaren Nikolaus II ereignete sich 18. Mai 1896 auf dem Chodynkafeld bei Moskau eine Massenpanik, bei der 1389 Menschen starben, weitere 1300 wurden verletzt.

Siehe auch

Literatur

  • Gerd Motzke: „Verkehrssicherheit in Fußballstadien : Forderungen der Panikforschung an der Schnittstelle zwischen Bauordnungsrecht und Privatrecht mit Auswirkungen auf die Planung“. In: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht. - 5 (2004), Bd. 5 (2004), 6, S. 297 - 303
  • F.G. Pajonk: „Massenphänomene bei Großschadensereignissen – Panik als seltene Erscheinungsform“. In: Der Notarzt 2002 (18) 146-151
  • Fritz Stiebitz: „Polizeieinsätze in Fußballstadien“. 1. Aufl. Verlagsanstalt Deutsche Polizei, Hilden/Rhld. 1979. 94 S. ISBN 3-8011-0100-2

Referenzen

  1. Notfallpsychologie: Lehrbuch für die Praxis von Frank Lasogga, und Bernd Gasch von Springer, Berlin 2007, S. 439 hier online
  2. Medizinische Gefahrenabwehr: Katastrophenmedizin und Krisenmanagement im Bevölkerungsschutz von Thomas Luiz, Christian K. Lackner, Hanno Peter, und Jörg Schmidt von Elsevier, München, S. 263 hier online
  3. J. Sime "The concept of panic" in D. Canter (ed) Fires and Human Behavior (1981)
  4. Peter R. Hofstätter Gruppendynamik : Kritik der Massenpsychologie. Rowohlt, Reinbek, (1990). Hier wird v.a. Le Bons Deindividuationstheorie kritisiert.
  5. E. L. Quarantelli "The Sociology of Panic" in Smelser and Baltes (eds) International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences (2001).
  6. L. Clarke "Panic: Myth or Reality?" Contexts Magazine.
  7. Traufetter, Gerald: Geordnet in den Untergang In: Der Spiegel 41/2008
  8. Thadeusz, Frank: Weisheit der Menge In: Der Spiegel 19/2009
  9. Verhalten bei Massenpanik nach F.G. Pajonk u.a.: Massenphänomene bei Großschadensereignissen – Panik als seltene Erscheinungsform. Der Notarzt 2002 (18) 146-151.
  10. Zahl der Opfer steigt auf 20 FAZ vom 26. Juli 2010
  11. Blutiger Höhepunkt der Hadsch Stern vom 12. Januar 2006.
  12. http://www.bukisa.com/articles/28728_10-deadliest-stampedes-in-history Artikel "10 Deadliest Stampedes in History"
  13. Die große Chronik Weltgeschichte 18, Seite 111. ISBN 3577090782, abgefragt am 23. Mai 2009
  14. History.com: Riot erupts at soccer match, (englisch), abgefragt am 23. Mai 2009
Wiktionary: Panik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen