Katholischer Traditionalismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. April 2021 um 10:58 Uhr durch Der wahre Jakob (Diskussion | Beiträge) (erg). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Zum katholischen Traditionalismus (auch: Traditionalistenbewegung[1]) werden Strömungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche gerechnet, die insbesondere die kirchlichen Reformen und Erneuerungsbestrebungen aus der Zeit während und im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) prinzipiell kritisieren, ablehnen oder bekämpfen. Besonders die Ablehnung der im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils umgesetzten Liturgiereform und die Forderung nach Beibehaltung oder Wiederherstellung der liturgischen Formen aus der Vorkonzilszeit sind ein prägendes Merkmal fast aller traditionalistischen Gruppen der Gegenwart. Abgelehnt werden jedoch von zahlreichen Vertretern des Traditionalismus auch Ökumenismus, Religionsfreiheit und teilweise auch Demokratie.[2]

Liturgischer Traditionalismus

Um Traditionalisten, denen es vor allem um eine Revision der Liturgiereform ging, entgegenzukommen, gestattete Papst Johannes Paul II. 1984 unter bestimmten Bedingungen die Feier der Heiligen Messe nach dem Römischen Messbuch aus dem Jahr 1962,[3] nachdem seit 1974 in Gemeindemessen ausschließlich die von Papst Paul VI. 1969 promulgierte Ausgabe des Römischen Messbuches verwendet werden durfte, was von altritualistischen Exponenten der Traditionalistenbewegung seit den 1970er Jahren scharf kritisiert worden war. In seinem Motu proprio Summorum Pontificum regelte Papst Benedikt XVI. 2007 die Bedingungen, unter denen liturgische Feiern in der von ihm zur außerordentlichen Form des römischen Ritus erklärten vorkonziliaren Form stattfinden können, neu und erweiterte sie stark.

Integralismus

Theologisch steht der Traditionalismus in der Kontinuität der im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der römisch-katholischen Kirchenleitung zeitweilig dominierenden Strömung des theologischen Integralismus. Der integralistische Traditionalismus lehnt die nach Ansicht seiner Anhänger mit früheren Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes unvereinbaren Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzils ab oder kritisiert dessen Verlautbarungen als unklar und missverständlich. Das betrifft neben den liturgischen Veränderungen insbesondere die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Kollegialität der Bischöfe. Historisch nimmt der integralistische Traditionalismus auf den Abwehrkampf des Papsttums gegen Aufklärung und Liberalismus Bezug, der zunächst im Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils und anschließend im innerkirchlichen Kampf Papst Pius X. gegen den so genannten Modernismus kulminierte. Traditionalisten betrachten diese Abwehr moderner Zeitirrtümer und die entsprechenden päpstlichen Verlautbarungen der vergangenen 200 Jahre als wesentlichen Bestandteil der katholischen Doktrin. Im Hintergrund steht ein statischer Traditions- und Offenbarungsbegriff, der im Wesentlichen bei der nachtridentinischen und neuscholastischen Lehrentwicklung stehen bleibt und Weiterentwicklungen, selbst wenn sie aus dem Geist biblischer und patristischer Tradition heraus erfolgen, nicht als Teil einer lebendigen Lehrtradition begreifen kann und sie deshalb als unzulässige Neuerungen ablehnt.[4]

Lefebvrismus

Den größten Bekanntheitsgrad unter den Wortführern des katholischen Traditionalismus erreichte der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre. Seine Bewegung hat eine Reichweite von angeblich über 600.000 Anhängern. An der Spitze der Bewegung steht die Priesterbruderschaft St. Pius X. mit über 500 Priestern, die seit 1975 keinen kanonischen Status mehr in der römisch-katholischen Kirche hat und als schismatisch angesehen wird.[2] Illegale Bischofsweihen führten 1988 zur Exkommunikation der vier geweihten und zwei weihenden Bischöfe. Die Exkommunikation der vier seinerzeit Geweihten wurde am 21. Januar 2009 von Papst Benedikt XVI. aufgehoben. Sie und die Priester der Bruderschaft sind jedoch weiterhin suspendiert und gelten als „vagante Kleriker“, die zwar gültig, aber größtenteils in irregulärer Weise zum Priester geweiht wurden und ohne kirchliche Erlaubnis wirken.

Sedisvakantismus

Während die Mehrheit der Traditionalistenbewegung den Papst als solchen zumindest begrifflich akzeptiert, ohne dem tatsächlichen Amtsinhaber aber, zumindest in der Liturgiefrage, stets zu gehorchen, haben sich überdies etliche kleinste Gruppierungen gebildet, die der Auffassung sind, es gebe seit längerer Zeit (etwa ab 1958 oder später) keinen rechtmäßigen Papst der römisch-katholischen Kirche mehr.

Nicht schismastische traditionalistische Vereinigungen und Gruppierungen

Als traditionalistische und konzilskritische Gruppen, die aber integrationswillig sind, werden genannt:[2]

Kritik

Die Kritikpunkte am katholischen Traditionalismus betreffen dessen Ablehnung der Aufklärung, der Revolution von 1789, der Avantgarde, der 68er-Bewegung, der sexuelle Revolution, der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, der Pränataldiagnostik, der Erleichterung der Ehescheidung, der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Frühsexualisierung und der Sterbehilfe. Einige herausragenden Vertretern fallen ebenfalls mit Islamfeindlichkeit und, im absoluten Unterschied zu den meisten Evangelikalen, auch mit Antisemitismus auf.[5][6][7][8][9]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Herbert Vorgrimler: Traditionalistenbewegung. In: ders.: Neues Theologisches Wörterbuch. Herder, Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 978-3-451-29934-6, S. 634 f.
  2. a b c Bertram Stubenrauch: Traditionalisten. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 10. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Sp. 160.
  3. Der Römische Ritus im Missale von 1962.
  4. Walter Kasper: Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit, Sendung. Herder, Freiburg im Breisgau 2011, ISBN 978-3-451-30499-6, S. 491.
  5. Schreiben an alle Bischöfe von Franz Schmidberger vom 9. Dezember 2008
  6. Papst rehabilitiert fundamentalistische Bischöfe. In: Neue Zürcher Zeitung. 24. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
  7. Stefan Eiselin: Papst begnadigt notorischen Holocaust-Leugner. In: Tages-Anzeiger. 22. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
  8. Webbextra: Längre intervju med Williamson. In: Sveriges Television. 21. Januar 2009, abgerufen am 9. September 2009.
  9. Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2009: Der Vatikan sucht einen Schuldigen (Memento vom 28. April 2014 im Internet Archive)