Millerntor Roar

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. Mai 2021 um 08:21 Uhr durch Didionline (Diskussion | Beiträge) (bereits in einer Unterkategorie enthalten).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Millerntor Roar! ist ein ehemaliges Fanzine von Sympathisanten des FC St. Pauli. Von der Publikation mit dem Untertitel „Fans, Fußball, Viertel“ erschienen vom 29. Juli 1989 bis zum 18. April 1993 insgesamt 28 Ausgaben[1] in unregelmäßigen Abständen. Nach der letzten Ausgabe trennte sich die Redaktion einvernehmlich und produzierte ab August 1993 die unabhängigen Nachfolgeblätter Der Übersteiger und Unhaltbar.[2] Herausgeber war die „Fan-Initiative St. Pauli Hamburg (FISH) e.V.“[3]

Das Heft entstand aus einer Stadtteilinitiative, die am 6. April 1989[4] den Neubau eines „Sport- und Eventcenters nach amerikanischem Vorbild“[5] bzw. einer Multifunktionsarena mit dem Namen „Sportdome“[6] an der Stelle des Millerntor-Stadions verhinderte.[7] Die Redaktion setzte sich aus Punks, FC St. Pauli-Fans und Anwohnern zusammen.[8] Redaktionelles Vorbild waren englischsprachige Fanzines, maßgeblich das seit 1986 publizierte When Saturday Come.[9] Nach Aussage des Mitbegründers Sven Brux fanden Redaktionssitzungen in Ermangelung von Redaktionsräumen anfangs „in Privatwohnungen statt und endeten in der Regel spätabends in der Kneipe“.[9]

Von der 16-seitigen Erstausgabe im A4-Format wurden 1000 Stück gedruckt und für 50 Pfennig vertrieben.[9] Benannt war das Fanzine mit dem englischen Begriff Roar (rɔ:ʳ,) nach „der unverwechselbaren Lärmkulisse, die die Fans der Braunweißen bei Heimspielen fabrizierten“.[10]

Nach Aussage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel nahm der Millerntor Roar! als erstes deutschsprachiges Fußball-Fanzine eine Vorreiterrolle ein.[9] Das Fanzine gab Anfang der 1990er Jahre der neuen linksorientierten Fanszene ein Medium, um ihre Botschaften zu artikulieren,[10] und es ermöglichte, „dass sich die Fanszene des FC St. Pauli sowohl über anstehende Entscheidungen in Vereinspolitik, Stadtteilpolitik oder im ‚System Profifußball‘ informieren konnte als auch die Möglichkeit hatte, über jene zu diskutieren beziehungsweise Gegenmaßnahmen zu organisieren.“[5] Nach Aussage der Ethnographin Brigitta Schmidt-Lauber nahm der Millerntor Roar! „eine Schlüsselrolle im Prozess der Formierung einer alternativen, politisch engagierten Fanszene ein“.[1]

Der vom Millerntor Roar! gedruckte Aufkleber und Aufnäher »St. Pauli Fans gegen Rechts«, auf dem eine Faust ein Hakenkreuz zerschlägt,[11] wurden in den Folgejahren von vielen Fußballklubs adaptiert.[7] Nach Meinung des Autors Christoph Nagel ist der Millerntor Roar! die „Mutter aller Fanzines“.[10]

„Humorvoll, intelligent, politisch und mit einer großen Portion Selbstironie berichteten die Fans von ihrem Alltag als Anhänger, protestierten gegen seelenlose Stadionneubauten und die Vernichtung von Stehplätzen, schildern abenteuerliche Auswärtsfahrten und gießen ihren Spott über all die Versuche des Klubs, aus Anhängern Kunden machen zu wollen.“

Christoph Biermann, Philipp Köster: „Fast alles über 50 Jahre Bundesliga“[12]

„Als eine Initialzündung für die Anfang der neunziger Jahre einsetzende Verbreitung pluralistischer, kritischer und ironischer Fußball-Zins kann in diesem Zusammenhang die Popularität des von St. Pauli-Anhängern von 1989 bis 1993 herausgegebenen Millerntor Roar! angesehen werden. Konstitutiv für das Selbstverständnis der von Fußballbegeisterten in ihrer Freizeit produzierten und allenfalls semi-professionellen Zines ist die entschiedene Abgrenzung zur klassischen Sportberichterstattung der Massenmedien und speziell zur journalistischen Aufbereitung des Fußballsports in den lokalen bzw. überregionalen Tageszeitungen.“

Jürgen Schwier, Oliver Fritsch: „Fankultur und Medienpraxis“[13]
  • Fanladen St. Pauli (Hrsg.): 15 Jahre Fanladen St. Pauli. 20 Jahre Politik im Stadion. 2. Auflage, Hamburg 2005, ISBN 3-00-016101-5.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Brigitta Schmidt-Lauber: FC St. Pauli: Zur Ethnographie eines Vereins. Lit Verlag, Hamburg 2004, ISBN 978-3-8258-7006-5, S. 224.
  2. Martin Kraus: Aus der Kurve getragen. In: Die Zeit. 15. Dezember 2006, abgerufen am 17. November 2015.
  3. Millerntor Roar!. In: Deutsche Nationalbibliothek.
  4. Jan Feddersen: FC St. Pauli stoppt den Sport-Dome. In: Die Tageszeitung. 8. April 2010, ISSN 0931-9085.
  5. a b Thomas Praßer: Zuviel Kult auf dem Kiez? – Die Fans des FC St. Pauli und die Kommerzialisierung des Fußballs. In: Bundeszentrale für politische Bildung. 18. Juni 2014, abgerufen am 18. November 2015.
  6. Sebastian Wolff: Der (aussichtslose?) Kampf um den FC St. Pauli. In: Hamburger Morgenpost. 16. Februar 2000, abgerufen am 18. November 2015.
  7. a b Tim Jürgens, Jens Kirschneck: Die Kinder der Revolution. In: 11 Freunde. Nr. 74, 30. Januar 2008, ISSN 1860-0255 (11freunde.de).
  8. Kay Werner: Sven Brux – Vom Punkrocker zum Sicherheitsbeauftragten des FC St. Pauli. In: Ox-Fanzine. Nr. 92, 2010, ISSN 1618-2103 (ox-fanzine.de).
  9. a b c d Der Urknall der Fanzine-Szene. In: Spiegel Online. 26. März 2010, abgerufen am 17. November 2015.
  10. a b c Christoph Nagel, Michael Pahl: FC St. Pauli – Alles drin: Der Verein und sein Viertel. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, ISBN 978-3-455-50202-2, S. 160.
  11. jwo: St. Pauli verkauft weiter Aufkleber gegen Rechts. In: Die Welt. 26. Oktober 2006, abgerufen am 19. November 2015.
  12. Christoph Biermann, Philipp Köster: Fast alles über 50 Jahre Bundesliga. Kiepenheuer & Witsch, 2013, ISBN 978-3-462-04500-0, S. 223.
  13. Jürgen Schwier, Oliver Fritsch: Fankultur und Medienpraxis. In: Fußball, Fans und das Internet. Schneider Verlag Hohengehren. 2003. (PDF; 3,64 kB) (archive.org)