Adasiyyah

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Adasiyyah,[1] ein kleines Dorf an der jordanisch-israelischen Grenze, steht in der Bahai-Weltgemeinde für eine wegweisende Innovationsoffensive zur ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Transformation. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwandelten dort ansässige Bahá’í-Bauern zusammen mit lokalen Mitarbeitenden karges Brachland in blühende Agrarflächen. Unter der Leitung von Abdu'l-Baha, dem damaligen Oberhaupt der Bahá'í-Gemeinde, führten sie fortschrittliche Anbau- und Bewässerungsmethoden sowie ein faires Entlohnungssystem ein, das die deutlich Produktivität erhöhte und während des Ersten Weltkriegs eine Hungersnot in Nordpalästina abwendete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Adasiyyah zum Modell für nachhaltige Landwirtschaft und zog internationale Besuchende an. Bedingt durch die arabisch-israelische Konflikte konnte das Projekt nicht fortgeführt werden und geriet in Vergessenheit. Als disruptives Innovationsprojekt etablierte Adasiyyah nicht nur zahlreiche Produktinnovationen auf regionalen Märkten, sondern transformierte dauerhaft die Agrarpraktiken der lokalen Bauern hin zu nachhaltiger Landwirtschaft und förderte zudem bedeutende soziale Innovationen innerhalb der Gemeinschaft und in ihrem Umfeld.

Ausgangslage und Zielsetzung der Initiative

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Mit c. 3200 Einwohner[2] liegt Adasiyyah im Gouvernement Irbid im heutigen Jordanien, etwa 3 km Luftlinie von der Grenze zu Israel, im Yarmuk-Tal, südöstlich vom See Genezareth und südlich des Flusses Yarmuk am nördlichen Ende des Jordan.[3] Unter osmanischer Herrschaft wurde die Region von korrupten autokratischen Gouverneuren ausgebeutet, wodurch die Landwirtschaft verfiel, begleitet von Raubzügen durch Einwohner aus der Umgebung. Wie vielerorts im Nahen Osten [Quelle] waren die Arbeitsbedingungen der Bauern ausbeuterisch und erbärmlich. So mussten die Bauern in Adasiyyah, damals Teil des osmanischen Reiches, zu 90 % ihrer Erträge an die Grundbesitzer abgeben und das Land verkam zu Brachland [Quelle]. Neben drückender Sommerhitze war Malaria ein Problem. Auch wenn sie erfahrene Landwirte waren, waren die Baháí-Bauern mit den klimatischen Besonderheiten in der Gegend nicht vertraut. Sie waren auf Bitten Abdu’l-Bahas, dem damaligen Oberhaupt der Bahai-Weltgemeinde, von Zentraliran dorthin ausgewandert, um dort vor Ort unter einer Führung mit Einheimischen zusammenzuarbeiten. Unter dieser arabischen und Beduinen Bevölkerung waren sie Fremdlinge und als Perser keine osmanischen Staatsbürger. Gleichzeitig waren die osmanischen Behörden erpicht darauf, sie für den Kriegseinsatz zu rekrutieren, was Abdu'l-Bahá mit erheblichem, persönlichen Aufwand abwandte. All das war eine erhebliche Belastung für das Team, was Abdu’l-Bahá in einem Gebet, das er für sie offenbart hatte, als “endlose Prüfungen” bezeichnet und Gott um Unterstützung bittet, das das Team standhaft bleibt und seine Einheit bewahrt[4].

Sie hatte zum Ziel, die lokale Wirtschaft zu fördern, Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten und die moralische sowie fachliche Entwicklung der Bewohner zu unterstützen. Dabei setzte sie auf Selbstorganisation und Eigenverantwortung und ganz besonders eigenständiges Handeln. Abdu'l-Bahá verfolgte drei integrierte Ziele, die neben Ökologie und Ökonomie den gesamten Menschen umfassten:

  • Sicherung der materiellen Eigenständigkeit der Bauern.
  • Förderung ihrer geistigen Fähigkeiten (u. a. Toleranz, Kreativität, Solidarität).
  • Steigerung des Wohlstands für alle Beteiligten und ihre Umgebung【Quelle】.

Die Initiative wurde zu Beginn unter der Führung von Abdu'l-Baha durchgeführt, der das Team zunehmend von seiner Person unabhängig machte.

In Vorbereitung: s. Diskussionsseite

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Die Weiterführung landwirtschaftlicher Aktivitäten nach dem Weggang der Bahai

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Die Erfolge von Adasiyya konnten durch externe Umstände nicht wie angedacht weitergeführt werden. Arabisch-israelische Kriege isolierten die Bauern von ihren Märkten, Angriffe der israelischen Selbstverteidigungskräfte auf die Kanalanlagen,[5] die die Bahá’í-Bauern begonnen hatten, und eine jordanische Landreform entgegen der bewährten Grundprinzipien Adasiyyas war für die Bauern unannehmbar. Viele verließen das Land und waren durch die erworbenen Fähigkeiten an ihrem neuen Lebensmittelpunkt, z. B. in Yazd in Iran, als Landwirte weiterhin sehr erfolgreich.

Trotzdem wird heute die Landwirtschaft in Adasiyya fortgeführt und heute bemühen sich lokale Regierungen um Verbesserung und Instandhaltung der Bahá’í-Bewässerungsanlagen[6], was aufgrund der schwierigen internationalen Beziehungen eine Herausforderung darstellt[7].

Anknüpfungspunkte aus heutiger Sicht

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Adasiyyah stellte “ein extrem erfolgreiches Experiment” dar. Trotz erheblicher Herausforderungen, wie das vorgefundenen rückständige landwirtschaftliche Umfeld und anspruchsvollen klimatischen Bedingungen, gelang es einem Team von Zuwanderern, die lokale Agrarproduktion erheblich zu steigern und eine drohende Hungersnot bei der einheimischen Bevölkerung zu verhindern. Das Erfolgsrezept hinter diesem Projekt ist zum einen das Adressieren erfolgskritischer Felder des Innovationsmanagements, wie sie aus modernen Innovations-Management-Frameworks bekannt sind:[8] u. a. strategische Identifikation von Zielmärkten, enge Zusammenarbeit mit Kunden, wissenschaftlich fundierte Entwicklung der fachlichen Bildung und handwerklichen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Dieses letztgenannte Humankapital wurde in Adassiyyah durch eigenmotivierten Erwerb von Bildung und eigenständigen Aufbau moralischer Fähigkeiten sehr deutlich und sehr nachhaltig weiterentwickelt. Die Wirkung dieser Veredelung des Humankapitals ist aus der Entstehungszeit des Protestantismus bekannt. Damals schärfte Luther, dessen Suche nach Wahrheit zur Bereinigung der christlichen Lehre von späteren Zusätzen von Abdu'l-Bahá gewürdigt wird,[9] seinen Anhängern immer wieder ein, dass sie selbst in der Lage sein müssen, die Bibel zu lesen. U.a. dies hat die ökonomische Entwicklung der Protestanten stark beflügelt.[10] Ebenso hatte Adam Smith in seinen grundlegenden Werken auf die Bedeutung moralischer Werte für eine gesunden Volkswirtschaft hingewiesen.[11][12]

Dieser Ansatz, fachliche Kompetenzen mit selbstmotivierter Entwicklung geistiger und moralischer Fähigkeiten zu kombinieren, ermöglichte es auch anderen Gemeinschaften, sich aus ökonomisch nacheilenden Positionen nach vorne zu entwickeln und ihre wirtschaftliche Lage sowie ihre Lebensqualität zu verbessern. dies ist u. a. aus Regionen wie Iran, Bolivien, Tansania und Honduras dokumentiert.[13][14]

In Anbetracht dessen, dass Nahrungsmittelsicherheit sowohl ökologische als auch ökonomische und moralische Herausforderungen mit sich bringt, könnten die Lehren aus Adasiyyah wichtige Ansatzpunkte für Projekte zur gerechten Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung bieten. Dies gilt besonders in einem weltweit zunehmend klimatisch schwierigen Umfeld, das zu sich verschärfenden Ertragsprobleme in der Landwirtschaft[15], verstärkten Inflation der Lebensmittelpreise,[16] führt und bei dem konventionelle Ansätze der Förderung der Landwirtschaft zunehmend an ihre Grenzen kommen,[17] was sich u. a. in Höfesterben[18] und aktuellen Bauernprotesten[19][20] ausdrückt.[21]

  • Poostchi, Iraj: 'Adasiyyah: A Study in Agricultural and Rual Development, Baha'i Studies Review, Volume 16, Issue 1, Apr 2010, p. 61 - 105, [4]
  • Hanley, Paul: Basic Notes on Organic Gardening in Saskatchewan, University of Regina, Regina, Saskatchewan, 1978
  • Hanley, Paul (ed.): The Spirit of Agriculture, Bahai Studies Series, George Ronald, Oxford 2005, rezensiert in Journal of Bahá'í Studies durch Arthur Dahl, zuletzt aufgerufen am 27.05.2024
  • Hanley, Paul: Begin with the Village – The Bahá’í Approach to Rural Development, The Bahai World, THURSDAY MAY 23, 2019, zusammenfassend wiedergegeben in https://news.bahai.org/story/1331/
  • Hanley, Paul: Adasiyyih – The Story of ‘Abdu’l-Baha's Model Farming Community, Bahá'í Publishing, Evanston Illinois, ISBN 978-1-61851-246-8
  • The Earthcare Group: Ecological Agriculture in Saskatchewan, Wynyard, Saskatchewan 1980.
  • Friedrich Walcher, Ulrich Wöhrl: Measuring Innovation Performance in Gunther Friedl, Horst J. Kayser: Valuing Corporate Innovation, Springer International Publishing, Berlin, 2018, ISBN 978-3-319-64863-7
  • Rassekh: Four Central Theories of the Market Economy, Conception, Evolution and Application. 1. Auflage. Routledge, Oxon 2016. ISBN 978-1-315-54310-9 (Akademische Publikation mit detaillierter Analyse auch für andere grundlegende ökonomische Theorien)

Einzelnachweise

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  1. Arabisch transkribiert nach der Bahai-Schreibweise, die sich auch in Google-Maps findet. Es gibt auch die Schreibweise ‘Adasíyyih (persifiziert von ‘Adasíyyah). Beide entsprechen der Bahai-Schreibweise. Das ' am Anfang für den Stimmabsatz 'ain kann weggelassen werden.
  2. https://www.citypopulation.de/en/jordan/irbid/al_%C4%81ghw%C4%81r_ash_sham%C4%81liy/21051018__al_adasiyah/
  3. Iradj Poostchi: Adasiyyah. S. 62 (32° 39'54'N und 35° 36'47).
  4. https://adibmasumian.com/translations/abdul-baha-prayer-bahais-adasiyyih/
  5. 1969: Fifty Years Ago: Israeli planes downed. In: From The Past Pages Of Dawn. Dawn News Paper, gegründet von Muhammad Ali Jinnah. Gilt als liberale Tageszeitung, abgerufen am 2. Juni 2024 (englisch).
  6. siehe dazu Development of Workable Solutions for Graywater Reuse in Jordan [1] zuletzt aufgerufen am 27. Mai 2024.
  7. [2]siehe dazu besonders: Schwarz et al., Seite 44. Zuletzt aufgerufen am 27. Mai 2024
  8. So z. B. das Innovation Benchmarking der Siemens AG, auszugsweise veröffentlicht in Friedrich Walcher, Ulrich Wöhrl: Measuring Innovation Performance, Seite 100. Insbesondere handelt es sich um die Felder Strategy, Technology, Processes, Skills und Culture. Die letzten beiden betreffen das Humankapital und werden im Bahá'í-Ansatz deutlich stärker akzentuiert, wie Adasiyya dokumentiert bei Poostchi und v. a. Henley zeigt.
  9. Abdu'l-Bahá: Geheimnis Göttlicher Kultur. Hrsg.: Bahá'í-Verlag. Auflage 5.01-online (2023-04-24). Hofheim 24. April 2023, S. 77 (bahai.de).
  10. Was Weber Wrong? A Human Capital Theory of Protestant Economic History. In: The Quarterly Journal of Economics,. Volume 124, Issue 2. Oxford University Press, Mai 2009, ISSN 1531-4650, S. 531–596 (oup.com).
  11. Farhad Rassekh: The Bahá'í Faith and Market Economy. In: Association for Bahá'í Studies (Hrsg.): Journal of Bahá'í Studies. Volume, 11, Nr 3-4. Ottawa (Canada) 2001.
  12. Farhad Rassekh: Four Central Theories of the Market Economy: Conception, evolution and application. 1. Auflage. Routledge, Oxon 2016, ISBN 978-1-315-54310-9 (Enthält eine detaillierte Analyse in einer akademischen Publikation auch für andere grundlegende ökonomische Theorien).
  13. Das [Universale Haus der Gerechtigkeit Universales|Haus der Gerechtigkeit] würdigt in seiner Botschaft vom 28.11.2023die Wirkung der Initiative über die Grenze von Adasiyyah hinaus.
  14. siehe z. B. Momen, Moojan. (2009) in Social and Economic Development in an Iranian Village: The Baha'i Community of Saysan. Zuletzt aufgerufen am 27.05.2024[3] Für weitere Beispiele: Hanley: Spirit of Agriculture, S. 197 ff
  15. https://www.bloomberg.com/news/newsletters/2023-09-08/global-food-roundup-tomato-weather-risks-and-record-olive-oil-prices oder https://www.economist.com/leaders/2022/05/19/the-coming-food-catastrophe
  16. https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn067304.pdf
  17. Weltweit sehen sich die Bauern ähnlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Eine Zusammenstellung findet sich hier: https://www.bloomberg.com/news/newsletters/2024-02-13/supply-chain-latest-why-farmers-are-protesting. Einige dieser Trends sich nicht neu! So ist seit den 1970ern bekannt, dass steigender Industrialisierung in der Landwirtschaft das Verhältnis der eingesetzten Energiemenge zu der Energiemenge der produzierten Lebensmittel sich verschlechtert. Während beim nassanbau von Reis in China eine Kilokalorie eingesetzte Energie,  50 Kilokalorien liefert, Ist dies bei der industriellen Landwirtschaft in den USA umgekehrt: dort liefern 20 eingesetzte Kalorien eine Kalorie in der Ernte. Jeff Cox: Factory Farming is Not Efficient, in Organic Gardening and Farming, June 1973
  18. Bartholomäus Grill: Bauernsterben - Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört. 1. Auflage. Gütersloh 2023, ISBN 978-3-8275-0168-4.
  19. Gastbeitrag von Gabor Steingart: Sie verstehen die Bauern-Wut nicht? Dann sollten Sie diese 7 Punkte kennen. In: Focus online. 16. Januar 2024, abgerufen am 1. Juni 2024.
  20. Für eine detailliertere Darstellung aus ökonomischer Sicht siehe: https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-01-14/angry-german-farmers-agrarians-at-the-gate-lead-the-revolt-against-scholz
  21. Beginn with the Village, das von "three things that, if replicated, would greatly contribute to the development of rural areas and the world" spricht. Hanley ist erfahrener ökologischer Landwirt und Author von mehr als 1000 Büchern und Artikeln über ökologische Landwirtschaft und ihre geistig-moralischen Grundlagen. Er hat bereits in den 70ern mit ökologischen Initiativen in Canada (Earth Care) begonnen und auf Basis seiner Erfahrung Kurse an der [Universität von Regina|University of Regina] in Regina und Saskatoon, Saskatchewan, Kanada gehalten. Einige seiner Veröffentlichungen sind mit Preisen ausgezeichnet. Zu seinem Werk über den Forstwissenschaftler und Umweltaktivisten Richard St. Barbe Baker haben die Verhaltensforscherin Jane Goodall und König Charles III ein Geleitwort beigesteuert s. dazu seine Kurzbiographie